Zollstreit: Apple muss sich jetzt etwas einfallen lassen
Die Firma, die Industrieabfall von Audi und BMW illegal in Tschechien entsorgte, war von höchster Stelle zertifiziert. Was taugen solche Gütesiegel? Und für die Autokonzerne geht der Ärger wohl erst richtig los.
Bei der Entsorgung ihrer Produktionsabfälle gehen Audi und BMW auf Nummer sicher: Damit nichts in die falschen Hände gerät, arbeiten sie nur mit zertifizierten Betrieben, wie sie auf Anfrage der WirtschaftsWoche bestätigten. Das jedoch hat die Autohersteller und andere namhafte deutsche Großkonzerne aber nicht vor einem Müllskandal bewahrt. Abfälle aus ihren Werkhallen wurden Anfang des Jahres in einem Dorf im Osten Tschechiens entdeckt. Darunter: Überreste von zerlegten Autos, Windrädern, Flugzeugen und Batterien. Sie wurden einfach neben der Dorfkirche abgekippt.
Den Industrieschrott exportiert hat nach Angaben von Behörden die Recyclingfirma Roth International aus Weiden in der Oberpfalz. Ein zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb – gegen den nun die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf illegale Abfallverbringung ermittelt.
Der Fall, der mittlerweile auch die bayerische Landespolitik beschäftigt, wirft die Frage auf, wie vertrauenswürdig solche Zertifizierungen tatsächlich sind. Geregelt ist die Vergabe dieser Gütesiegel durch die Entsorgungsfachbetriebeverordnung. Sie wurde vor bald 30 Jahren eingeführt. Eine Reaktion auf umweltgefährdende Praktiken in der deutschen Abfallbranche zur damaligen Zeit.
Gütesiegel bringt Vertrauen
Die Verordnung stellt bestimmte Anforderungen an Personal, Ausstattung und Führung eines Betriebs. Nur wer sich der jährlichen Prüfung einer Entsorgergemeinschaft oder einer technischen Überwachungsorganisation unterzieht, darf sich Entsorgungsfachbetrieb nennen. Die Zertifizierung lohnt sich. Entsorgungsfachbetriebe genießen bei Behörden und Geschäftspartnern größtes Vertrauen. Bei Ausschreibungen von Entsorgungsaufträgen haben sie in der Regel bessere Karten. Doch nicht alle, die ein solches Prädikat vorweisen können, haben es auch verdient.
Mittlerweile sind viele Umweltsünden dokumentiert, teils gerichtsfest, in die auch zertifizierte Firmen verwickelt sind. Zu den bekanntesten Fällen zählen der PCB-Skandal mit alten Transformatoren bei der Firma Envio in Dortmund und die illegalen Quecksilber-Exporte der Firma Dela aus dem nordrhein-westfälischen Dorsten. In beiden Fällen wurde kritisiert, dass sich auch die zuständigen Behörden zu sehr auf das Zertifikat verlassen hätten, statt bei Kontrollen genauer hinzusehen.
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Das Bundeskriminalamt warnte schon vor Jahren, dass die Zertifizierung missbräuchlich verwendet werden könne: „Die Erlangung eines Zertifikats darf für Entsorgungsunternehmen mit kriminellen Absichten kein Anreiz zur Schaffung günstiger Tatgelegenheiten sein“, hieß es in einem internen Bericht, der sich mit der illegalen Verschiebung von Millionen Tonnen von Müll innerhalb Deutschlands befasste.
Bauschutt in Kiesgrube verbuddelt
Doch auch danach rissen die Skandale nicht ab. 2018 wurde tonnenweise Verpackungsmüll aus dem Gelben Sack in einem Dorf im Westen Polens aufgetürmt. Der Müll, größtenteils aus Plastik, stammt von drei zertifizierten Sortieranlagen aus Deutschland. Zwar sehen weder die Betreiberfirmen noch die für sie zuständigen Behörden in den Bundesländern die Schuld auf deutscher Seite. Fakt aber ist: Der deutsche Plastikmüll wartet bis heute in Polen auf eine umweltgerechte Entsorgung.
Zu den jüngsten Beispielen von Entsorgungsfachbetrieben, deren Müll auf Abwege geraten ist, gehört neben der Firma Roth eine Bau- und Abrissfirma aus Niederbayern. Vor rund einem Monat hat die Staatsanwaltschaft Passau den Chef dieser Firma angeklagt. Der Vorwurf: Er soll für die illegale Entsorgung von mehr als 100.000 Tonnen Bauschutt verantwortlich sein. Ein großer Teil wurde demnach in einer Kiesgrube verbuddelt.
Wie schwierig es ist, seriöse von unseriösen Firmen zu unterscheiden, weiß der Wissenschaftler Günter Dehoust. „Es gibt auch unter den Zertifizierern Schwarze Schafe“, kritisiert Dehoust, der bis zu seinem Ruhestand vor einem Jahr für das Öko-Institut geforscht und sich dabei auch mit dem Zertifizierungswesen beschäftigt hat. Grundsätzlich begrüßt er die Idee eines Labels für Qualität und Zuverlässigkeit. Der Experte fordert aber, dass Behörden nicht nur Recyclingfirmen besser kontrollieren müssten. „Sie müssen auch den Zertifizierern genauer auf die Finger schauen.“
Gänzlich unverdächtig ist die Organisation, die die Recyclingfirma Roth International zertifiziert hat. Bei ihr handelt es sich um den mehr als 1000 Mitgliedsunternehmen starken Entsorgerverband BVSE. Bedenken gegen das Zertifizierungsverfahren weist der Verband zurück. Im Vergleich zu nicht-zertifizierten Betrieben werde strenger kontrolliert, heißt es auf Anfrage der WirtschaftsWoche in einer Stellungnahme. Fälle illegaler Entsorgung durch zertifizierte Betriebe nehme man sehr ernst. „In solchen Fällen arbeiten wir eng mit den zuständigen Behörden zusammen“, so der Verband. Und weiter: „In der Regel führt ein solches Verhalten zum Entzug des Zertifikates und zum Ausschluss des Unternehmens aus der bvse-Entsorgergemeinschaft.“
Die dubiosen Tschechien-Exporte von Roth haben jetzt erste Konsequenzen für die Firma. Die zuständige Bezirksregierung Oberpfalz hat das Unternehmen per Anordnung aufgefordert, den Müll zurückzuholen. Damit sollte die Angelegenheit in acht bis zehn Wochen erledigt sein, wie Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) seinem tschechischen Amtskollegen jüngst versprochen hat.
Allerdings hat Roth inzwischen Insolvenz angemeldet. Sollte die Firma zur Rückholaktion nicht in der Lage sein, würde der Freistaat Bayern einspringen, versicherte Glauber weiter. Zur Höhe der Kosten, die dann womöglich von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern geschultert werden müssten, machte er bislang keine Angaben.
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