Zufallstreffer bei der Jobsuche: Hast Du heute schon Dein Glück provoziert?
Was, wenn Jobsuche weniger mit starrem Plan und mehr mit überraschenden Momenten zu tun hat? In diesem XING-Insider-Artikel erfährst Du, warum Glück und Zufall oft die wahren Weichensteller sind – und was die Polynesier und der Mount Everest damit zu tun haben.
Hand aufs Herz: Wenn wir an Jobsuche denken, tauchen in unseren Vorstellungen vielleicht akribisch optimierte Lebensläufe und intensive Auswahlverfahren auf. Der Gedanke, dass der eigene Erfolg maßgeblich von einer perfekten Strategie abhängt, ist weitverbreitet. Doch was, wenn wir diese Perspektive für einen Moment erweitern? Was, wenn der Einfluss von Glück und Zufall im Bewerbungsprozess weitaus signifikanter ist, als wir gemeinhin annehmen?
Über 15 Jahre Berufserfahrung als Bewerbungscoach haben mir eine zentrale Erkenntnis gebracht: Es geht häufig nicht um den perfekten Lebenslauf, das perfekte Vorstellungsgespräch oder die perfekte Suchstrategie für Stellenbörsen. Vielmehr spielt Glück und Zufall tatsächlich eine entscheidende Rolle im Prozess der Jobsuche. Diese Erkenntnis soll keineswegs in Resignation münden, sondern vielmehr dazu anregen, das eigene Handeln neu auszurichten und die Kontrolle auf eine andere, vielleicht unerwartete Weise zu übernehmen.
Die verborgene Dynamik: Warum der Zufall regiert
Die Auffassung, dass die Bewerbung in weiten Teilen eine Glückssache ist, wird auch von Experten wie Henrik Zaborowski geteilt. Sein kürzlich erschienenes Buch „Absage? Aber ich passe doch perfekt!“ beleuchtet, wie fehleranfällig und unberechenbar Recruiting-Prozesse in vielen Unternehmen sein können.
Er bringt es auf den Punkt:
Ehrlich gesagt, ist eine Bewerbung fast immer eine Glückssache.Henrik Zaborowski
Selbst eine scheinbar perfekte Passung zwischen Bewerberprofil und Stellenanforderung bietet keine Garantie für eine Zusage. Der Prozess ist oft von externen Faktoren und einer Vielzahl subjektiver Entscheidungen durchzogen, die außerhalb unseres direkten Einflussbereichs liegen.
Denken wir mal drüber nach: Bestimmt kennen auch wir jemanden, der „zufällig“ einen Job bekommen hat oder etwas beruflich tut, was mit seiner Ausbildung nichts zu tun hat, einfach nur weil er oder sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort das richtige Gespräch mit der richtigen Person geführt hat. Solche Geschichten sind keine Einzelphänomene, sondern der Kern einer oft übersehenen Realität.
Ein Großteil der Vakanzen, je nach Studie 70 bis 80 Prozent, wird nicht öffentlich ausgeschrieben. Diesen sogenannten „verdeckten Stellenmarkt“ erreichen wir nicht über konventionelle Bewerbungsportale. Hier spielen informelle Kanäle, persönliche Empfehlungen und – ja, Du ahnst es – die zufällige Begegnung eine entscheidende Rolle. Statistiken belegen, dass bis zu 85 Prozent der Jobangebote über Netzwerke oder persönliche Empfehlungen vermittelt werden. Dies unterstreicht die Relevanz von nicht systematischen Pfaden in der Jobsuche.
Die wissenschaftliche Perspektive: Zufall als Karrieremotor
Die psychologische Forschung liefert uns wertvolle Erkenntnisse über die Rolle des Zufalls. Albert Banduras „Chance Encounter Career Theory“ postuliert beispielsweise, dass bis zu 80 Prozent der individuellen Berufsbiografien von zufälligen Begegnungen und unvorhergesehenen Ereignissen beeinflusst werden. Diese Ereignisse sind per Definition nicht planbar. Ihre positive Wirkung jedoch kann durch bestimmte persönliche Faktoren wie Offenheit, Anpassungsfähigkeit und eine proaktive Haltung erheblich gesteigert werden.
80 Prozent der individuellen Berufsbiografien sind von zufälligen Begegnungen und unvorhergesehenen Ereignissen beeinflusst.Aus der „Chance Encounter Career Theory“ von Albert Bandura
Es geht also nicht darum, dem Zufall passiv ausgeliefert zu sein. Vielmehr gilt es, eine Umgebung zu schaffen, in der „Glück ist, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft“. Dies lässt sich exemplarisch an bahnbrechenden Innovationen oder unerwarteten Karrieresprüngen beobachten: Von der Entdeckung des Klettverschlusses und der Post-it-Notiz bis hin zu erfolgreichen Start-ups wie Uber oder Airbnb, deren Erfolg maßgeblich vom richtigen Timing abhing. Selbst persönliche Karrieren, wie die zufällige Entdeckung von Schauspielern oder Models, illustrieren, wie eine unvorhergesehene Begegnung den entscheidenden Impuls geben kann.
Das unverzichtbare Fundament: Selbstkenntnis
Bevor ich Strategien zur Kultivierung des Zufalls erörtere, möchten ich einen essenziellen Aspekt hervorheben: die fundierte Selbstkenntnis. Bevor Du Dich in den Bewerbungsprozess stürzt, solltest Du Dir klar darüber werden, was Dich wirklich motiviert, welche Kompetenzen Dich auszeichnen und welche Werte Dein innerer Treiber sind. Dieses Wissen ist Dein innerer Kompass in einem oft unübersichtlichen Arbeitsmarkt. Ohne eine klare Vorstellung Deiner selbst läufst Du Gefahr, eine Position anzunehmen, die zwar eine schnelle Lösung bietet, Dich aber langfristig nicht erfüllt.
Nimm Dir diese Zeit zur Reflexion! Eine Jobsuche ist kein kurzfristiger Sprint, sondern eine strategische Phase der beruflichen Neuausrichtung. Der Impuls, schnellstmöglich eine neue Anstellung zu finden, führt oft zu Kompromissen, die sich später als ungünstig erweisen. Eine bewusste und reflektierte Herangehensweise hingegen ermöglicht es Dir, Gelegenheiten zu erkennen, die wirklich zu Dir passen.
Zwischen Vision und Windrichtung: Flexible Ziele im Ungewissen
Nachdem wir unser inneres Fundament gelegt haben, stellt sich die unweigerliche Frage nach den Zielen und es ist absolut richtig, sich Ziele zu setzen. Doch gerade in Phasen beruflicher Neuorientierung, Arbeitslosigkeit oder Unzufriedenheit – und sowieso in unserer unvorhersehbaren (Arbeits-)Welt – ist eine flexible Herangehensweise nötig.
Wir sollten uns von unseren Zielen nicht abhängig machen, sondern sie als Orientierungspunkte verstehen, die uns in Bewegung halten, anstatt uns zu fesseln.
Hier helfen uns zwei Konzepte, die diese Balance zwischen Vision und Anpassungsfähigkeit wunderbar illustrieren:
Polynesisches Segeln: Diese Metapher, geprägt vom Systemtheoretiker Gunther Schmidt, veranschaulicht, wie man mit Ungewissheit und Veränderung umgehen kann. Die alten polynesischen Seefahrer waren Meister der Navigation ohne moderne Instrumente. Ihr Ziel war oft nicht auf einer Karte fixiert; sie wussten eher, dass sie unterwegs neue Möglichkeiten entdecken und ihren Horizont erweitern würden.
Polynesisches Segeln steht für die Fähigkeit, auch in unsicheren und stürmischen Zeiten handlungsfähig zu bleiben. Es geht darum, trotz fehlender Sicherheiten und exakter Ziele orientiert zu bleiben und Krisen bestmöglich zu navigieren. Ziele werden zwar formuliert, aber man macht sich nicht vom Erreichen eines bestimmten Ergebnisses abhängig. Viel wichtiger ist es, flexibel zu bleiben und den Handlungsspielraum zu erweitern, um auf Wind und Strömung zu reagieren und vielleicht sogar unerwartete, wertvolle Inseln zu entdecken, die besser sind als das ursprünglich Angesteuerte.Everest-Ziele aus der positiven Psychologie: Dieses Konzept wurde 2012 von Kim Cameron und Emily Plews eingeführt und beschreibt Ziele, die wie ein weit entfernter, inspirierender Horizont wirken. Es geht bei ihnen nicht primär darum, den Gipfel Punkt für Punkt zu erreichen. Vielmehr dient das Streben nach solch einem ambitionierten Ziel dazu, uns in Bewegung zu halten, uns zu entwickeln und uns auf einen Pfad zu bringen, auf dem wir neue Fähigkeiten erwerben und unvorhergesehene Landschaften entdecken.
Selbst wenn der „Everest“ nicht exakt bestiegen wird, haben uns die Anstrengung und die Ausrichtung auf das große Ziel an andere, oft ebenso erfüllende oder sogar bessere „Orte“ geführt, als wir sie uns je vorgestellt hätten.
Diese Kombination – flexible Ziele und die Bereitschaft, sich von den Umständen führen zu lassen wie die polynesischen Segler – ist der Schlüssel. Wir wissen, wohin die Reise im Groben gehen soll, aber wir lassen uns nicht von einem starren Plan fesseln, wenn der Zufall uns einen besseren oder zielführenderen Weg weist.
Glück aktiv forcieren: Strategien zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit
Die gute Nachricht ist: Wir können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass uns positive Zufälle begegnen und wir diese erkennen und nutzen können. Es geht darum, eine proaktive Haltung einzunehmen und gezielt Rahmenbedingungen zu schaffen, die Serendipität (die zufällige Entdeckung von etwas Neuem und Positivem, nach dem man ursprünglich gar nicht gesucht hat) begünstigen:
Aktionsradius erweitern: Verlassen wir unsere Komfortzone. Besuchen wir Fachveranstaltungen, Branchen-Meet-ups oder Online-Foren. Jedes neue Gespräch, jede unerwartete Begegnung birgt das Potenzial für einen entscheidenden Kontakt. Der Übergang von der formellen Bewerbung zum informellen Austausch ist oft fließend und fruchtbar.
Serendipität kultivieren: Machen wir uns die Strategien zur Förderung von Serendipität zu eigen. Hier eine dicke Leseempfehlung von mir: „Erfolgsfaktor Zufall“ von Christian Busch. Hier beschreibt er u.a. Strategien, die Serendipität erhöhen. Zum Beispiel das gezielte Setzen von „Serendipity Hooks“ – das Teilen von Gedanken oder Fragen in persönlichen Gesprächen oder auf Business-Plattformen, um unerwartete Reaktionen oder Kontakte zu provozieren. Es geht auch darum, "anders zu fragen", um neue Perspektiven zu gewinnen und „Serendipität zu spotten“ – also die Fähigkeit zu entwickeln, vermeintlich zufällige Beobachtungen als potenzielle Chancen zu deuten.
Strategisch und authentisch Kontakte pflegen und knüpfen: Netzwerkpflege ist mehr als das Sammeln von Kontakten. Es geht um den Aufbau echter Beziehungen, den Austausch von Wissen und die gegenseitige Unterstützung. Durch aktive Beteiligung in relevanten Gemeinschaften und den Aufbau eines authentischen Profils erhöhen wir die Sichtbarkeit für potenzielle, auch unerwartete, Gelegenheiten.
Kontinuierliche Entwicklung und Anpassungsfähigkeit: Der Arbeitsmarkt ist einem ständigen Wandel unterworfen. Bleiben wir lernbereit, erweitern wir unsere Kompetenzen und seien wir offen für neue Technologien und Methoden. Diese fortlaufende persönliche und fachliche Entwicklung macht uns nicht nur attraktiver für potenzielle Arbeitgeber, sondern auch resilienter und empfänglicher für neue Wege, die sich uns vielleicht zufällig auftun.
Reframing von Rückschlägen: Eine Absage ist selten eine persönliche Ablehnung, sondern oft das Ergebnis komplexer Prozesse oder einer nicht passenden Konstellation. Betrachten wir Rückmeldungen als wertvolle Informationen. Das Reframing negativer Erfahrungen in Lernchancen hilft, die Motivation aufrechtzuerhalten und den Fokus auf zukünftige Möglichkeiten zu lenken.
Beispiel: Nehmen wir an, Du hast eine Absage auf eine Bewerbung erhalten und Dein erster Gedanke ist: "Ich wurde abgelehnt."Ein Reframing dieses Satzes könnte sein: „Hätte wahrscheinlich eh nicht gepasst. Das ist eine Chance, nach einer noch besseren Möglichkeit zu suchen, die wirklich zu mir passt."
Fazit: Die Symbiose aus Kontrolle und Offenheit
Die Jobsuche ist zweifellos ein Prozess, der von einer Vielzahl unkontrollierbarer Faktoren beeinflusst wird. Die Erkenntnis, dass Glück und Zufall eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, darf jedoch nicht zu Passivität führen. Im Gegenteil: Sie ermutigt uns dazu, uns von starren Vorstellungen zu lösen und eine aktivere Rolle bei der Gestaltung unserer beruflichen Zukunft einzunehmen.
Indem wir eine fundierte Selbstkenntnis entwickeln, eine proaktive Haltung pflegen und die genannten Strategien zur Förderung von Serendipität anwenden, erhöhen wir signifikant die Wahrscheinlichkeit, dass uns das "Glück" im Bewerbungsprozess hold ist. Wir übernehmen das Ruder, indem wir nicht nur den Kurs planen, sondern auch geschickt auf die Strömungen des Zufalls reagieren und diese für uns nutzen.
In diesem Sinne: Sei bereit für das Unerwartete – es könnte der Schlüssel zu Deinem nächsten Karriereschritt sein.
Du selbst hast per „Zufall“ oder durch einen Strategiewechsel in Deiner Jobsuche Deinen idealen Job gefunden? Dann freuen wir uns über Deinen Erfahrungsbericht in den Kommentaren.
P.S.: XING hat das Potenzial des verdeckten Stellenmarktes erkannt und möchte den Zufall für Dich forcieren. Eine Funktion präsentiert Dir Jobvorschläge als „Karten-Deck“, darunter auch Positionen, die derzeit besetzt sind, aber potenziell frei werden könnten. Per Wisch nach links oder rechts kannst Du Dein Interesse bekunden oder ablehnen. Diese Interaktionen helfen, den Algorithmus zu trainieren, um dir zukünftig noch passendere Vorschläge zu machen.
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