Zwei Anbieter werden den deutschen Tourismus-Markt dominieren
Nach der Insolvenz der Nummer drei im deutschen Markt wetteifern alle um deren Kunden. Es zeichnet sich ab, dass dabei zwei Unternehmen gewinnen. Was das für die Reisenden bedeutet.
Frankfurt, Hannover. Reiseunternehmen wetteifern um die Kundinnen und Kunden des insolventen Anbieters FTI. Nachdem die Wettbewerber schon zu den gerade beginnenden Sommerferien ihre Kontingente massiv aufgestockt haben, legen sie im etwas reiseschwächeren Winter nach: Tui schickt in Deutschland im kommenden Winter bis zu 150.000 zusätzliche Plätze für Urlauber in den Markt. Konkurrent Alltours baut sein Angebot in Ägypten im Winter um 50 Prozent auf mehr als 100.000 Gäste aus.
„Wir haben schnell reagiert und versucht, das Beste daraus zu machen – für uns, aber auch für die Kunden“, sagt Stefan Baumert, der Chef von Tui Deutschland. Natürlich schaue das Unternehmen dabei nicht nur auf diesen Sommer, sondern auch auf die Zeit danach. Aber: „Wir haben gute Wettbewerber. Jeder wird versuchen, sich einen Teil vom Kuchen abzuschneiden.“
Auch wenn FTI schon länger wirtschaftlich angeschlagen und kein starker Wettbewerber mehr war – mit der Anmeldung der Insolvenz vor genau drei Wochen scheidet die Nummer drei aus dem deutschen Markt aus. Kunden könnten davon profitieren – doch mittelfristig wird es noch teurer, in den Urlaub zu fliegen.
Wie bei Thomas Cook werden die Kunden von FTI umverteilt
Dass sich die verbleibenden Reiseanbieter nun einen Wettstreit liefern, hat Beatrix Morath, Partnerin beim Restrukturierungsspezialisten Alix Partners, erwartet. „Die Insolvenz von FTI wird wie bereits beim Untergang von Thomas Cook geschehen zu einer Umverteilung führen“, sagt die Tourismusexpertin. Davon würden typischerweise die großen Anbieter profitieren. „Der Gewinner in Deutschland ist damit mit klarem Abstand die Tui, gefolgt von Dertour.“
Das deckt sich mit einer Analyse von HSBC Global Research von Mitte Juni. Dort heißt es: „Tui ist in einer starken Position, von der FTI- Insolvenz zu profitieren, weil sie der Marktführer sind.“ Das Wort Oligopol – wenige Anbieter, große Nachfrage – nennt Morath von Alix Partners zwar nicht, aber weit davon entfernt ist der deutsche Markt nicht mehr. „Der Abstand zur Nummer drei wird nach der FTI-Insolvenz noch größer werden“, sagt Morath.
Das Fachmagazin „FVW Traveltalk“ erfasst einmal jährlich per Fragebogen Kennzahlen bei den Reiseveranstaltern. Bei der zurückliegenden Umfrage zum Tourismusjahr 2022/2023 lag Tui mit einem Umsatz von 6,4 Milliarden Euro im deutschsprachigen Raum klar an der Spitze. Hinzu kamen 1,82 Milliarden Euro, die die Kreuzfahrttochter Tui Cruises an Umsatz erzielte.
Auf dem zweiten Platz folgte Dertour mit 3,48 Milliarden Euro, die FTI Group stand auf dem dritten Rang. Ihr Umsatz lag bei 3,16 Milliarden Euro. Nach der Pleite von FTI rückt Aida Cruises auf den dritten Platz vor. Dieses Unternehmen erreichte laut der Erhebung von FVW Traveltalk Erlöse von 2,3 Milliarden Euro – nur etwa ein Viertel des Wertes von Tui und Tui Cruises.
Branchenexperten gehen davon aus, dass Tui in allen wichtigen Quellmärkten einen Marktanteil von 25 bis 35 Prozent hat. Tui-Manager Baumert selbst spricht nicht über Details zu den Marktanteilen in Deutschland, denn das dürfe er nicht.
Aber er macht eine andere Rechnung auf: Sechs Millionen Gäste habe Tui Deutschland pro Jahr. In diesem Sommer kämen durch FTI 300.000 Kunden dazu, im Winter dann noch mal bis zu 150.000. „Unser Marktanteil wird steigen, das ist rechnerisch fast nicht anders möglich“, sagt Baumert.
Für dieses Plus hat die Tui-Führung einiges getan. „Wir haben Minister und Partner getroffen in Spanien, der Türkei, Griechenland, Ägypten und den Emiraten“, berichtet Baumert. Vor allem in jenen Märkten, in denen FTI stark war, sind die Tui-Manager viel unterwegs.
Da ist zum Beispiel Ägypten: Wie der deutlich kleinere Rivale Alltours plant Tui dort ein starkes Wachstum. Oder die Vereinigten Arabischen Emirate: „Da verzeichnen wir für den Winter ein zweistelliges Buchungsplus. Wir stocken da die Kontingente auf, auch bei den Flügen“, sagt Benjamin Jacobi, Marketingchef von Tui Deutschland.
Ganz gezielt sucht Tui dabei auch Hotels als Partner aus, die bisher eng mit FTI zusammengearbeitet haben. FTI war sehr stark im preissensiblen Markt aktiv, entsprechend schauen die Kunden und Kundinnen aufs Geld. „Wir haben gute Angebote, da sind auch viele von den FTI-Bestsellerhotels drin“, sagt Baumert.
Tui und Dertour wüssten aus der Insolvenz von Thomas Cook, was zu tun ist, sagt Tourismusexpertin Morath. Zum Beispiel: die Hotels als Vertragspartner gewinnen oder gute Mitarbeiter akquirieren. „Dabei profitieren sie auch davon, dass sie als attraktive Partner beziehungsweise Arbeitgeber gelten“, sagt Morath.
Noch an anderer Stelle haben es die beiden Marktführer leicht, ihre Marktposition auszubauen. „In Deutschland haben Reisebüros noch eine hohe Bedeutung. Die Menschen schätzen es, dort einen Ansprechpartner zu haben“, sagt Morath. Auch fänden sie es gut, am Urlaubsort jemanden zu haben, der bei Bedarf hilft. „Das alles sind Vorteile für Tui oder Dertour im deutschen Reisemarkt und in den Zielgebieten.“
Tui etwa hat 400 Reisebüros in Deutschland. Rund 50 dieser Shops werden pro Jahr modernisiert. Auch neue Standorte entstehen – so etwa in Aachen, Berlin, Bremen, Freiburg und München. Es kämen dort längst nicht nur etwas ältere Menschen hin, um zu buchen, berichten Tui-Manager. Die Altersstruktur sei bunt gemischt. Tui sei sehr zufrieden mit der Buchungsdynamik in den eigenen Reisebüros, sagt Marketingchef Jacobi.
Auch wenn sich andere Reiseveranstalter ebenfalls FTI-Kunden sichern können – signifikant werden sie ihren Marktanteil durch die Insolvenz des Wettbewerbers nach Moraths Ansicht nicht steigern können. Das gelte auch für Internetspezialisten.
„Die neueren Anbieter mit innovativen Geschäftsmodellen wie etwa Booking.com oder Expedia.de werden nur begrenzt profitieren“, prognostiziert die Tourismusexpertin, denn: „Sie haben kein Interesse daran, eine Pauschalreise abzusichern. Die Kosten müssten sie an die Kunden weitergeben. Das ist nicht ihr Geschäftsmodell.“
Weniger Anbieter und eine wachsende Marktdominanz: Für Käufer bedeutet das in der Regel steigende Preise. Doch Tui-Manager Baumert hält gegen. Durch die FTI-Pleite würden keine Hotelbetten und Flugzeugsitze den Markt verlassen. „Die Partner müssen alles noch mal verkaufen. Kurzfristig beobachten wir derzeit sogar ein paar Schnäppchen.“
Steigende Kosten machen den Urlaub teurer
Auch wenn die FTI-Pleite allein die Preise nicht weiter steigen lässt, dürfte es künftig teurer werden, Urlaub zu buchen. Denn die Reisebranche hat insgesamt mit steigenden Kosten zu kämpfenH+. Fliegen wird teurer wegen steigender Gebühren und der Vorgaben, künftig synthetisches Kerosin beizumischen. Auch der Umbau auf einen nachhaltigen Tourismus macht Investitionen nötig. Etwa bei Fernreisen müssen die Urlauber laut Baumert mit einem Plus von vermutlich drei Prozent rechnen.
Mittelfristig kommen weitere Kosten hinzu. Die Reiseveranstalter müssen und wollen auf den wachsenden Protest der Einheimischen gegen den Massentourismus reagieren. Tui etwa will Wohnungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bauen. Zudem müssen die Projekte der eigenen Stiftung Tui Care Foundation vor Ort finanziert werden.
„Das bedeutet für die Anbieter höhere Kosten“, sagt Morath von Alix Partners: „Am Ende wird das an die Reisenden weitergegeben. Denn die Profitabilität der Branche reicht nicht, um den Mehraufwand aus eigener Kraft zu kompensieren.“
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