1&1 in der Krise – 5G-Netz-Aufbau gerät zur Horrorshow
14,80 Euro. So niedrig wie am vergangenen Mittwochabend notierte die Aktie von United Internet seit über zehn Jahren nicht mehr. Für Ralph Dommermuth, Gründer und CEO der Internet- und Telekomholding aus Montabaur, war damit auch persönlich ein neuer Tiefpunkt erreicht.
Der Multimilliardär hatte Ende 2021 damit begonnen, die Mehrheit an seinem Konzern zurückzukaufen. Zu deutlich höheren Kursen, versteht sich. Verantwortlich für den Kursverfall – minus 50 Prozent allein in den vergangenen zwölf Monaten – ist ein steter Glaubwürdigkeitsverlust.
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United Internet erlebt eine der größten Krisen der Unternehmensgeschichte. Mit großer Geste hatte Dommermuth angekündigt, mit seinem Unternehmen 1&1 ein viertes, besonders leistungsfähiges Mobilfunknetz für Deutschland bauen zu wollen.
Das 5G-High-Speed-Konzept, das auf der neuartigen Open-Ran-Technologie beruht, sollte Deutscher Telekom, Vodafone und Telefónica die Margen streitig machen. Bislang muss Dommermuth sich auf deren Netzen einmieten. Allein bei Telefónica kann er bis zu 30 Prozent der Mobilfunkkapazität abrufen.
Doch die geplante Emanzipation harrt noch immer ihrer Umsetzung. Das Gros der Wegmarken beim Ausbau des Handynetzes, zu denen sich 1&1 gegenüber der Bundesnetzagentur verpflichtet hatte, hält das Unternehmen auch im laufenden Jahr nicht ein. So funkten zum Jahreswechsel nur fünf 5G-Masten – von 1000, die zugesagt waren. Entsprechend blank liegen die Nerven der Führungsriege.
United Internet und 1&1: Führungsriege am Limit
Geld verloren haben indes vor allem Dommermuth und seine Aktionäre. Allein im vergangenen Jahr kostete 1&1 der Netzaufbau mehr als 232 Millionen Euro. Gleichzeitig wurden den Westerwäldern immer wieder ihre optimistischen Erwartungen zum Verhängnis. So zahlte United Internet im Rahmen eines Aktienrückkaufprogramms – Volumen: fast 300 Millionen Euro – jüngst noch 21 Euro pro Aktie. Ein Aufschlag von mehr als 30 Prozent.
Dommermuth – bekannt für Arbeitseifer wie Kontrollzwang – erhöht derweil die Drehzahl. Atemlos reist er durchs Land, um seinen 5G-Plan zu retten. Die Macht dazu hat er: Seit März kontrolliert der Multimilliardär nun fast 55 Prozent der United-Internet-Anteile.
Intern steigt der Druck auf die Mannschaft. Vor allem an der Spitze. Dabei arbeite man dort angesichts des ambitionierten Vorhabens ohnehin schon am Limit, heißt es in Unternehmenskreisen.
Führungskräfte halten bei United Internet und 1&1 in der Regel nur durch, wenn sie einen persönlichen Draht zu Dommermuth finden. Denn im Zweifel führt der seinen Konzern nach dem Leitspruch des „Highlander“: Es kann nur einen geben.
Kürzlich traf es Finanzvorstand Martin Mildner. So gab United Internet im März überraschend bekannt, dass Mildner bereits zum Ende des Monats gehen werde. Nachfolger Ralf Hartings verantwortete bislang die Finanzen des relativ unbedeutenden 1&1-E-Mail-Geschäfts.
Der Abgang wirkte überhastet und schlecht vorbereitet. Der Hamburger Mildner, der erst 2020 vom Versandhändler Otto zu Dommermuth gestoßen war, gab zwar an, auf eigenen Wunsch seinen Vertrag nicht verlängert zu haben. Kenner der Lage hegen an dieser Version jedoch Zweifel. Zumal Mildner zunächst keine Anschlussverwendung kommunizierte. Eine Gesprächsanfrage des Handelsblatts ließ er verstreichen.
Mildner hatte im Januar den Börsengang von Dommermuths Webhosting-Dienstleister Ionos mitverantwortet, an dem neben United Internet auch die Investmentgesellschaft Warburg Pincus beteiligt ist. Die Neuemission gilt als misslungen, da der Kurs trotz soliden Geschäftsmodells Stück für Stück absackte.
Dabei sollte Ionos, so die Hoffnung, nach der Zurückhaltung infolge Ukrainekriegs und Zinsschocks ein „Eisbrecher“ sein, der den lahmen Markt wiederbeleben würde. Auch wenn Dommermuth offiziell von einem „großen Erfolg“ spricht und einen Zusammenhang mit Mildners Abschied bestreitet: Ihn dürfte das kaum kalt gelassen haben. Schließlich lebt er vom Ruf, kluge Deals einzufädeln und gnadenlos zu verhandeln.
Wenn es brenzlig wird, setzt Dommermuth auf alte Gefährten
Der Gegenwind nimmt derweil an Stärke zu. Vor allem Telefónica hat bei einem Erfolg Dommermuths viel zu verlieren. Ein großer Teil des Mobilfunkumsatzes wäre mittelfristig dahin.
Um gegenzuhalten, versucht Dommermuth nun offenbar, die Schutzschicht seines Unternehmens zu stärken. Wie bei einer Raumkapsel kurz vor Atmosphäreneintritt.
So stellte sich Dommermuth im Herbst den Ex-Tui-Chef und Vodafone-Altmeister Friedrich Joussen als Berater zur Seite; im United-Internet-Vorstand spielt ihm seit März Markus Huhn die Bälle zu. Beide schätzt Dommermuth seit Jahrzehnten. Huhn stieß schon 1994 zu ihm. Joussen wird spätestens seit der Staatsbeteiligung an der Tui ein belastbares Netzwerk in Berlin nachgesagt. Von Langzeit-Mitstreiter Martin Witt (67) kann Dommermuth trotz fortgeschrittenen Alters ebenfalls nicht lassen.
Er holte ihn für das 5G-Projekt gar zurück aus der Selbstständigkeit. Zusätzlich heuerte der 1&1-Boss neue PR- und Lobbyismusprofis an.
Wenn es ernst wird, übernimmt er die Politikerbeschmusung aber nach wie vor gern selbst. Womit er schon in der Vergangenheit erfolgreich war.
Gespräche mit Bundestagsabgeordneten belegen, dass sein Charme verfängt. Man schätzt ihn als seltenes Korrektiv eines relativ abgesteckten Marktes. Zumal er bei seinem 5G-Netz zeitgeistkonform auf chinesische Technik verzichtet. Auch bei der Bundesnetzagentur soll man nun zwar mitunter an Dommermuths Verlässlichkeit zweifeln, gibt sich nach einem seiner Auftritte aber meist besänftigt. So prüft die Behörde offiziell zwar noch, ob er die Auflagen aus der 5G-Frequenz-Auktion von 2019 erfüllt hat. 1&1, heißt es in Kreisen der Bundesnetzagentur, habe aber wohl trotz Verzug vorerst keine wesentlichen Sanktionen zu fürchten.
Dabei ist der Rückstand immens. Bis Ende 2025 muss 1&1 mindestens 25 Prozent der deutschen Haushalte mit seinem neuen Mobilfunknetz erreichen. 2030 müssen es gar 50 Prozent sein.
Von den 1000 5G-Antennen-Standorten, die schon bis zum Jahreswechsel hätten stehen müssen, funkten Anfang Januar jedoch gerade mal fünf. Mittlerweile sieht es nur unwesentlich besser aus: Unternehmensangaben zufolge verfügt 1&1 nun über 94 Standorte, von denen lediglich 14 bereits in Betrieb genommen wurden.
„Ich kann verstehen“, gab Dommermuth kürzlich zu, „dass unsere Anleger skeptisch bleiben.“ Das könne er aktuell auch nicht „entkräften“.
Zuvor hatte der Unternehmer abermals einräumen müssen, Zusagen nicht einhalten zu können. Dommermuth stand blamiert da – auch wenn es bislang vor allem die Versäumnisse seiner Geschäftspartner waren, die ihn bremsten.
Fiasko dank Vantage Towers
So teilte ihm die Vodafone-Tochter Vantage Towers mit, auch bis Ende Juni nicht die 650 Masten liefern zu können, die ihm bereits bis Ende 2022 versprochen worden waren. Dommermuth schaltete daraufhin das Bundeskartellamt ein.
Vantage, so hatten es beide Seiten Ende 2021 besiegelt, soll 1&1 das Gros der Standorte für seine Open-Ran-Mobilfunkantennen liefern. Vodafone-CEO Nick Read habe ihm damals persönlich zugesichert, dass seine Tochtergesellschaft liefern könne und wolle, sagte Dommermuth dem Handelsblatt. Er fühlt sich von den Briten getäuscht.
Die Vereinbarung hat nach wie vor Bestand. Bis zu 5000 Standorte will Vantage bis 2025 für ihn aufstellen – ist dabei jedoch in einem Interessenkonflikt gefangen. Denn Hauptkunde und Dommermuth-Konkurrent Vodafone will gleichzeitig sein eigenes 5G-Netz stärken.
Das Geschäft mit 1&1 gilt heute als Fiasko, das Vantage-CEO Vivek Badrinath im Februar gar den Job kostete. Badrinath geht – offiziell „aus persönlichen Gründen“ – spätestens zum Ende des Jahres.
Die Suche nach Alternativen, die Vantages Lücke hätten füllen können, verlief weitestgehend fruchtlos. Mit der Deutschen Funkturm, die ihm zumindest einen Teil der fehlenden Standorte hätte ersetzen können, wurde Dommermuth trotz des Zeitdrucks nicht einig. Es soll an Preisen wie Timing gescheitert sein, wie es heißt. Bei der Telekom-Tochter, die in Deutschland das dichteste Netz an Masten betreibt, zweifelt man indes, ob es Dommermuth mit seinem Ansinnen wirklich ernst meinte.
Der 1&1-Boss gab sich zuletzt wieder optimistisch. Bis Ende Dezember sollen 1207 Standorte fertig sein, kündigte Dommermuth Ende März seinen Investoren an. Bei 1&1 überwacht nun sein Kompagnon Witt die Einhaltung der nachgeschärften Vantage-Verträge. Darauf verlassen will sich jedoch kaum jemand mehr. Zumal der weitaus größte Teil des Ausbaus erst ab Juli beginnen soll.
Amateur testet Phantom-Tarif
Die Anspannung steigt – auf allen Seiten. Die Posse um einen Testbericht, für dessen Löschung 1&1 eigens einen Anwalt bemühte, zeigte jüngst, wie gereizt die Stimmung offenbar ist. In dem kritischen, aber harmlosen Stück ging es um 1&1 ersten 5G-Tarif im eigenen Netz: das „Festnetzersatzprodukt“. Um das Netz auflagengemäß in Betrieb nehmen zu können, hatte man es Anfang des Jahres trotzig an den Start gemacht.
Der Test war ein kleiner Coup, denn der 5G-Tarif für das Heimnetz galt bis dahin als Phantom. Kaum jemand kann ihn überhaupt buchen. So ist das Produkt zwar seit Januar verfügbar, dürfte aber – wenn überhaupt – lediglich eine geringe Zahl Kunden zählen. 1&1 macht dazu keine konkreten Angaben.
Die wenigen betriebsbereiten 5G-Antennen versorgen derzeit nur einige Straßenzüge von Karlsruhe, Ratingen oder Düsseldorf. So wähnte sich der Tester, ein junger Technikfan, weitestgehend allein im Netz und berichtete von „Verbindungsaussetzern“.
Der Verdacht in Montabaur: Der Versuch, dessen Zusammenfassung Mitte März unter anderem auf dem Branchenportal teltarif.de erschienen war, sei die Auftragsarbeit eines Konkurrenten. Der Autor soll dort beschäftigt sein, hieß es. Außerdem sei mit einem Smartphone gemessen worden, das nicht dafür geeignet gewesen sei. Schließlich ging es um ein stationäres Produkt. Auf Anfrage will 1&1 den Fall nicht kommentieren.
Der beschuldigte Wettbewerber bestreitet eine Beteiligung und antwortet vorsorglich ebenfalls mit einem Anwaltsschreiben. Ob der Tester wirklich dort arbeitet, lässt sich nicht abschließend belegen. Fest steht, dass er einen wunden Punkt getroffen hat.
