Der Chef als Schutzschild
ROBERT I. SUTTON -
Über zehn Jahre hat William Coyne die Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei 3M geleitet - der Firma, der wir elastische Bandagen, Post-it-Blöcke, Scotch-Klebeband und ähnliche praktische Erfindungen verdanken. Kurz nach seiner Pensionierung hielt Coyne vor Hunderten von Führungskräften einen Vortrag zum Thema Innovation bei 3M und über seinen persönlichen Managementstil. Er hatte als Mitarbeiter der Forschungsabteilung bei 3M angefangen und am eigenen Leib erfahren, wie wohlmeinende, aber unsensible Führungskräfte, die zu viele Fragen stellen und zu viele Vorschläge machen, die kreative Arbeit ihrer Mitarbeiter untergraben können.
Als er dann später Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung wurde, beschloss er, seine Teams über lange Zeitspannen hinweg völlig selbstständig - ohne jede Einmischung von Vorgesetzten - arbeiten zu lassen. Coyne hatte Verständnis für die Neugier seiner Kollegen; schließlich konnte ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt dem Unternehmen, wenn es erfolgreich war, neue Umsätze in Millionenhöhe einbringen. Trotzdem beschnitt er sie (und auch sich selbst) in ihren Einflussmöglichkeiten. "Ein Samenkorn, das man in die Erde gelegt hat, gräbt man ja schließlich auch nicht alle paar Tage wieder aus, um nachzusehen, wann es endlich keimt", sagte er.
Als Chef können Sie Ihren Leuten auf sieben verschiedene Arten den Rücken freihalten
1. ÜBEN SIE SELBSTDISZIPLIN
Wirklich gute Chefs sind stets darauf bedacht, ihren Mitarbeitern keine unnötigen Belastungen aufzuerlegen. Der verstorbene britische Intendant Frank Hauser schrieb in seinem Buch "Notes on Directing", dass er seine Schauspieler bei Proben niemals dazu zwang, "unnütz im Theater herumzuhängen, weil so etwas die gesamte Besetzung des Stücks demoralisiert ... Wenn sie hin und wieder einmal eine halbe Stunde warten müssen, ist das nicht so schlimm; so ist halt das Leben. Aber wenn man mit seinen Proben für eine bestimmte Szene wirklich im Verzug ist, sollte man ihnen die Möglichkeit geben, wegzugehen und später wiederzukommen. Und man sollte sich auch bei ihnen entschuldigen." Außerdem empfiehlt Hauser seinen Kollegen, sich auf das Stück zu konzentrieren und nicht auf sich selbst: "Hüten Sie sich vor dem schlimmsten Fehler aller Intendanten - Ihren Schauspielern die Ohren vollzuquasseln, ihnen immer wieder das Gleiche zu erzählen und zu erwarten, dass sie über Ihre unnachahmlich komischen (und niemals enden wollenden) Anekdoten lachen."
Mit Konferenzen wird unendlich viel Zeit vergeudet. Natürlich sind manche Besprechungen notwendig; doch Vorgesetzte, denen es nur auf ihre eigene Selbstverherrlichung ankommt, gehen dabei oft ziemlich respektlos mit ihren Mitarbeitern um. Wenn Sie unbedingt Ihre Macht demonstrieren und sich Ihren Mitmenschen gegenüber rücksichtslos benehmen möchten, dann kommen Sie zu den meisten Besprechungen zu spät. Kommen Sie hin und wieder sogar extrem spät oder lassen Sie, nachdem alle Konferenzteilnehmer eingetroffen sind, ausrichten, dass Sie leider ein sehr beschäftigter Mensch sind und daher gar nicht kommen können. Wenn Sie aber möchten, dass Ihre Mitarbeiter stolz darauf sind, sich für Sie ins Zeug zu legen, sollten Sie Ihre Konferenzen pünktlich beginnen und enden lassen. Dann entgeht Ihnen vielleicht das prickelnde Gefühl kleinkarierter Machtdarstellung; aber dafür verschaffen Sie sich ein besseres Image bei Ihren Mitarbeitern und werden garantiert eine produktive, dankbare Belegschaft haben, die für Sie durchs Feuer geht.
Will Wright, der Erfinder der Computerspiele "The Sims" und "Spore", orientierte sich bei seinen Besprechungen immer an Ocean Quigley, einem kreativen, aber ziemlich ungeduldigen Künstler, der für ihn arbeitete. Wenn Quigley mitten in einer Konferenz aufstand und sich entschuldigte, er habe noch etwas Dringendes zu tun, war das für Wright das Signal, zum allgemeinen Aufbruch zu blasen: "Das war stets der Punkt, an dem wir wussten, dass die Produktivität unserer Besprechung auf dem absteigenden Ast war", erklärte er in einem Gespräch mit der "New York Times". Also befolgte er den stummen Hinweis seines Mitarbeiters und beendete die Konferenz. Außerdem ließ er sich einen originellen Trick einfallen, um seine Designer von der Einberufung unnötiger Besprechungen abzuhalten: Immer wenn jemand eine Konferenz anberaumte, musste er einen Dollar bezahlen. Anschließend nahmen Wright und seine Designer zwar trotzdem immer noch an vielen Besprechungen teil, aber "die anderen überlegten es sich dann doch lieber zweimal, ob die Konferenz wirklich notwendig war - selbst wenn es dabei nur um einen Dollar ging."
2. FÖRDERN SIE KONSTRUKTIVE KONFLIKTE
Wenn Mitarbeiter Respekt voreinander haben, werden Meinungsverschiedenheiten auf produktive und kreative Weise geführt. Wirklich gute Vorgesetzte schaffen ein Arbeitsumfeld, in dem konstruktive Auseinandersetzungen möglich sind und in dem die Mitarbeiter keine Angst davor haben, ihre Meinung zu sagen - auch nicht ihrem Chef gegenüber. Pixar-Regisseur Brad Bird, dessen Filme "Die Unglaublichen" und "Ratatouille" mit einem Oscar ausgezeichnet wurden, ist ein begeisterter Befürworter konstruktiver Konflikte. Nachdem er eine Reihe von Kinohits gelandet hatte (der erste war der Film "Toy Story"), wurde er von Pixar engagiert und erhielt von seinen Chefs Steve Jobs, Ed Catmull und John Lasseter den Auftrag, "bei uns alles gehörig umzukrempeln und keinen Stein auf dem anderen zu lassen", wie Bird in einem Interview im Magazin "McKinsey Quarterly" erzählte. Diese Worte nahm er sich zu Herzen und stellte ein Team aus lauter Querdenkern für seinen Zeichentrickfilm "Die Unglaublichen" zusammen. Bald schon gab es in dem Team heftige Meinungsverschiedenheiten - aber es waren positive Kämpfe, die auf einer Basis gegenseitigen Vertrauens ausgetragen wurden. Bird forderte seine Mitarbeiter sogar zu solchen kreativen Auseinandersetzungen auf: "Ich möchte, dass ihr ehrlich eure Meinung sagt und die Hosen voreinander runterlasst. Wir werden uns eure Szenen im Beisein aller Mitarbeiter anschauen. Jeder muss ein gewisses Maß an öffentlicher Demütigung ertragen; aber dafür wird auch jeder vor den Augen aller anderen ermutigt und gelobt."
Seinem Auftrag entsprechend warf Birds Team so ziemlich alle Pläne über den Haufen. Anfangs hatten die Technikexperten von Pixar dem Team prophezeit, es werde zehn Jahre dauern und 500 Millionen Dollar kosten, das Wasser, das Feuer und die Haare der Figuren so realistisch darzustellen, wie sie es sich wünschten. Aber Bird und seine Querdenker ließen nicht locker und zwangen das technische Team und sich selbst dazu, neue Methoden zu erfinden, mit deren Hilfe sich der Film zu einem Preis von ungefähr 100 Millionen Dollar drehen ließ. "Die Unglaublichen" wurde ein großer Erfolg; die Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung, und Birds Team und alle anderen Pixar-Mitarbeiter waren ungeheuer stolz darauf, dass ihnen dieser große Wurf gelungen war.
3. VERMEIDEN SIE STÖRUNGEN
In seinem 1975 in der "Harvard Business Review" veröffentlichten Beitrag "The Manager's Job" schrieb Henry Mintzberg: "Irgendjemand hat Manager einmal halb im Scherz als Personen definiert, die Besucher empfangen, damit die anderen ungestört ihrer Arbeit nachgehen können." Mintzbergs Äußerung illustriert, dass die Arbeit eines Managers tagtäglich Dutzende - manchmal sogar Hunderte - winziger Kleinigkeiten umfasst. Wenn Sie eine Führungskraft sind, werden Sie wahrscheinlich keine Chance haben, sich gegen Störungen abzuschirmen - schon gar nicht heute, im Zeitalter von E-Mails, RSS-Feeds und Twitter. Aber Sie können zumindest Ihren Mitarbeitern - vor allem denjenigen, deren Arbeit Konzentration erfordert (beispielsweise Ingenieure, Juristen, Pflegekräfte, Texter und sonstige Wissensarbeiter) - den Rücken freihalten.
Manche Firmen führen sogar richtiggehende Programme ein, um Ablenkungen und Unterbrechungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Im Jahr 2008 nahmen 300 Ingenieure und Manager bei Intel an einem Pilotprogramm teil, in dessen Rahmen sie ihre E-Mail- und Instant-Messaging-Programme jeden Dienstagvormittag vier Stunden lang abschalteten und alle Anrufe auf den Anrufbeantworter umleiteten. In diesen vier Stunden fanden nach Möglichkeit auch keine Konferenzen statt, und Besucher wurden durch "Bitte nicht stören"-Schilder vom Betreten der Büros abgehalten. Dieses Programm, das den Leuten ein bisschen ungestörte "Zeit zum Nachdenken" ermöglichen sollte, wurde von dem Ingenieur Nathan Zeldes geleitet, der berichtete, dass es "die Effektivität, Effizienz und Lebensqualität zahlreicher Mitarbeiter verbesserte". 71 Prozent der Teilnehmer empfahlen, es auch auf andere Mitarbeitergruppen auszuweiten.
Gute Chefs entlasten ihre Mitarbeiter auch von zeitaufwendigen organisatorischen Aufgaben. Zum Beispiel Bonny Simi, die dreimal als Rodlerin für die USA bei den Olympischen Winterspielen antrat, Berufspilotin war und jetzt zum Managementteam der Firma JetBlue gehört: Im Jahr 2008 überarbeitete sie als Leiterin der Abteilung für Flughafenplanung und Betriebstechnik gemeinsam mit ihrem Team das Leistungsbewertungsverfahren ihrer Abteilung. Mit Unterstützung des obersten Managements rangierten sie das alte Beurteilungsformular des Teams aus, das auszufüllen zwei Stunden Zeit benötigte und ein umständliches Hin und Her zwischen Chef und Mitarbeiter erforderte. Sie ersetzten es durch ein neues Formular, das sich innerhalb von 20 Minuten ausfüllen ließ. Auch GM hat unter seinem CEO Ed Whitacre (ist zum 1. September von seinem Amt zurückgetreten - Anm. d. Red.) die Anzahl regelmäßiger Berichte seines Forschungsteams von 94 radikal auf 4 zusammengestrichen. Jetzt hat das Team viel mehr Zeit für seine Forschungsarbeit.
4. WEHREN SIE IDIOTEN VON OBEN AB
Simi hatte das Glück, bei JetBlue Unterstützung vom Topmanagement zu bekommen. Aber manchmal müssen gute Chefs sich auch mit Vorgesetzten und mächtigen Interessengruppen in ihrem Unternehmen herumschlagen, die den Leuten ständig ihre schlechten Ideen aufschwatzen wollen. Wenn die Leistung oder das Wohlbefinden Ihrer Mitarbeiter durch idiotische Anweisungen von oben bedroht ist, müssen Sie entscheiden, ob Sie nachgeben oder sich dagegen wehren wollen, je nachdem, womit Sie Ihren Leuten - und sich selbst - am meisten helfen können. Manchmal lohnt es sich nicht, Widerstand zu leisten, weil der politische Preis, den Sie dafür zahlen müssten, zu hoch wäre; manchmal erweisen scheinbar idiotische Anweisungen sich im Nachhinein aber auch als durchaus sinnvoll.
Hin und wieder kann Ungehorsam tatsächlich die beste Strategie sein. Mitte der 80er Jahre erlebte ich, was diese Taktik in einer großen Einzelhandelskette bewirkte, in der mehr als 100 Geschäfte geschlossen wurden. Das Retail-Action-Team, das diesen Prozess überwachte (und dessen Mitglieder sich scherzhaft als "Rat Patrol" bezeichneten), bat mich, acht dieser Schließungen zu bewerten: vier, die sie (in Abhängigkeit davon, wie viele Kunden das Unternehmen trotz der Schließung behielt) als "gut" einstuften, und vier, die sie als "schlecht" empfanden. Als ich in den betreffenden Geschäften Interviews führte, stellte ich fest, dass die Manager, die für die "guten" Schließungen verantwortlich waren, sich dabei nur selten an das Prozedere der Rat Patrol gehalten hatten. Einer der "guten" Manager hielt sogar sein dickes Unternehmenshandbuch in die Höhe und rühmte sich, sein Erfolgsgeheimnis bestehe darin, dass er dieses Handbuch und auch alle anderen Anweisungen der Rat Patrol ignoriert habe. Als die Mitarbeiter seiner Filiale eine Abschiedsparty planten, gab die Rat Patrol dem Manager die Anweisung, die Party abzusagen; aber er genehmigte sie trotzdem. Und die vielen liebevollen Umarmungen zum Abschied, all die Versicherungen, miteinander in Kontakt zu bleiben, und die Geschichten, die bei der Party erzählt wurden, heiterten die Mitarbeiter tatsächlich auf und gaben ihnen das Gefühl, ihre Arbeit in dem Geschäft zu einem guten Abschluss gebracht zu haben.
Die Manager, die für die "schlechten" Schließungen verantwortlich waren, versuchten sich dagegen genau an die Richtlinien der Rat Patrol zu halten. Und alle beklagten sich hinterher darüber, ihre Mitarbeiter damit vollständig demoralisiert zu haben; es sei sehr schwierig gewesen, die Kunden dieser Filialen zum Besuch einer anderen Filiale derselben Einzelhandelskette zu bewegen. Und nicht nur das: Am Ende wurden diejenigen Manager, die die Anweisungen ihrer Vorgesetzten ignoriert hatten, von denselben Chefs sogar als am erfolgreichsten bewertet.
5. SEIEN SIE INKOMPETENT UND BOSHAFT
Wahrscheinlich haben Ihre Eltern Ihnen beigebracht, dass alles, was es wert ist, angepackt zu werden, auch gut gemacht werden sollte. Meine haben das jedenfalls getan. Und doch erledigen gute Chefs ihre Arbeit manchmal nur halbherzig und ermutigen ihre Mitarbeiter, das Gleiche zu tun. Die kreative Inkompetenz wurde durch das Peter-Prinzip (The Peter Principle) propagiert, eine brillante Parodie auf das Unternehmensleben, die in den 60er Jahren in den USA erschien. Die Autoren des Buches, Laurence J. Peter und Raymond Hull, meinten es ganz ernst, als sie dafür plädierten, manche Arbeiten absichtlich schlecht zu machen - wenn auch nur in geringem Maß und unter Einhaltung entsprechender Vorsichtsmaßnahmen. Gute Chefs richten das Augenmerk ihrer Mitarbeiter auf die Dinge, die am wichtigsten sind; und wenn doch einmal etwas relativ Banales erledigt werden muss, ist es häufig am besten, diese Arbeit möglichst schnell und mehr schlecht als recht hinter sich zu bringen, um sich dann wieder wichtigeren Dingen zuwenden zu können.
Jeffrey Pfeffer und mir sind viele solche Beispiele für kreative Inkompetenz begegnet, als wir in einer großen Bank Material für unser Buch "The Knowing-Doing Gap" (Harvard Business Review Press 2000) sammelten. Besonders unvergesslich ist uns ein Gespräch mit einem Filialleiter geblieben, den seine Vorgesetzten zu einem der besten Manager in New York gekürt hatten. Dieser Manager war der Ansicht, dass die Balanced Scorecards, die er und andere Mitarbeiter seiner Filiale für ihre direkten Untergebenen ausfüllen mussten, nutzlos waren - schließlich wurden sie für ihre kurzfristige finanzielle Performance belohnt und nicht für die rund 25 Rubriken, die das Formular beinhaltete. Aber die Balanced Scorecards waren nun einmal ein Lieblingsprojekt des CEOs, und ihre Beachtung wurde genau überwacht. Also füllte dieser Manager die Karten schlampig und ungenau aus und ermutigte seine Kollegen, das Gleiche zu tun.
Boshafter Gehorsam dagegen bedeutet, idiotische Anweisungen von Vorgesetzten so buchstabengetreu zu befolgen, dass die Sache schiefgehen muss. Ein Manager in einem Elektronikkonzern beschrieb, wie sein Team nach den Anweisungen seines Chefs, des Vice President of Engineering, einen hässlichen, unhandlichen Produktprototyp baute. Als der CEO den Prototyp in der Luft zerriss, erklärte der Manager, er habe sich anfangs heftig gegen diese Idee gewehrt, es aber schließlich aufgegeben, sich dem Vice President zu widersetzen - und dokumentierte dies auch mit entsprechenden Unterlagen. Als der Vice President daraufhin seinen Job verlor, gestalteten der Manager und sein Team das Produkt auf die "richtige Weise" um und hatten damit großen Erfolg. Boshafter Gehorsam kann sich freilich auch destruktiv auswirken. Aber als letzter Ausweg und unter den richtigen Voraussetzungen funktioniert er.
6. BEKÄMPFEN SIE FEINDE DES TEAMS
In meinem letzten Buch habe ich gezeigt, wie engstirnige, rücksichtslose Menschen die Arbeitseinstellung und die Leistungen beeinträchtigen können. Ein guter Chef schirmt seine Leute gegen solche destruktiven Persönlichkeiten ab. Ein Sergeant der texanischen Polizei hat mir hierzu eine interessante Begebenheit erzählt: "Mein Chef gab mir Ihr Buch zu lesen, um anschließend mit mir darüber diskutieren zu können, was eine gute Führungskraft auszeichnet. Das kam mir schon ein bisschen komisch vor, denn eigentlich kann man den Stil meines Chefs nur als ,Führen durch Unterdrückung' bezeichnen. Als ich das Buch zu lesen begann, wurde mir klar, dass er einen Riesenfehler begangen hatte ... Schließlich erklärte ich ihm im Beisein von acht meiner Mitarbeiter, dass ich seine Angewohnheit, Polizeibeamte verbal zu verunglimpfen, in meiner Schicht nicht duldete. Und ich sagte sogar: ,Sie sind selbst schuld! Schließlich haben Sie mir das Buch ,Der Arschloch-Faktor' gegeben!'" Nebenbei bemerkt: Wenn Sie sich so etwas erlauben wollen, sollten Sie einen absolut sicheren Job, mächtige Freunde oder ein neues Stellenangebot in der Tasche haben.
Gute Chefs schützen ihre Mitarbeiter auch vor herablassenden, übermäßig anspruchsvollen und frustrierenden Kunden oder Klienten. Führungskräfte einiger Fluglinien, etwa Southwest und JetBlue, haben mir erklärt, dass Fluggäste, die sich schon mehrmals unhöflich oder einmal sehr unflätig gegenüber ihrem Personal benommen haben, bei ihnen keine Tickets mehr bekommen. Ann Rhoades, die ehemalige Leiterin der Personalabteilung von Southwest, erzählte mir von einem Fall, in dem ein Kollege von ihr die Loyalität mehrerer Check-in-Mitarbeiter gewann, indem er einem sehr unfreundlichen Kunden ins Wort fiel, dem Mann erklärte, dass er mit seinen Mitarbeitern so nicht umspringen dürfte, und ihn dann zu einem American-Airlines-Schalter begleitete, um ihm ein anderes Flugticket zu besorgen.
7. HALTEN SIE DEN KOPF HIN
Ein Mitarbeiter einer Managerin, die ich kenne, machte einmal einen Fehler, der das Unternehmen viel Geld kostete. Doch als der Vorstand die Frau deshalb heftig attackierte, gab sie dem Mitarbeiter keine Schuld. "Ich gab ihm die Chance, sich hinter meinem Rücken zu verstecken; denn es gehört nun einmal zu den Aufgaben eines Chefs, sich vor seine Mitarbeiter zu stellen, wenn sie etwas in den Sand setzen", erklärte sie.
Aus einem ähnlichen Grund war Joe Torre, der frühere Manager der New York Yankees, bei seinen Trainern und Spielern so beliebt. Immer wenn der Besitzer des Baseballteams, der mittlerweile verstorbene George Steinbrenner, seine Leute zu penetrant kritisierte, fungierte Torre als "Blitzableiter". In seinem Buch "The Yankee Years" erzählt Torre, wie Steinbrenner sich einmal am Nachmittag vor einem wichtigen Spiel zu einer Trainerkonferenz einlud und die Trainer fast in den Wahnsinn trieb, indem er ihre Entscheidungen immer wieder hinterfragte. Torre machte dem üblen Spiel ein Ende, indem er rief: "Raus hier, George! Mach meine Trainer nicht fertig." Daraufhin verließ Steinbrenner lachend den Konferenzraum, warnte Torre aber: "Du kannst dich auf was gefasst machen." "Kein Problem, ich bin immer auf das Schlimmste gefasst, George", erwiderte Torre gelassen. Seinen Mitarbeitern Rückdeckung zu geben kann für einen Chef ziemlich unangenehm und manchmal auch riskant sein (siehe auch Kasten Seite 48). Oft ist es aber auch erstaunlich effektiv. Denn dadurch beweisen Sie Ihren Mitarbeitern, dass Sie nicht nur hohle Phrasen dreschen, sondern tatsächlich hinter ihnen stehen. So etwas weckt Loyalität.
FAZIT
Gute Chefs schirmen ihre Mitarbeiter auf verschiedene Weise gegen Ärger und Ablenkungen ab - manchmal hinter den Kulissen, manchmal aber auch in aller Öffentlichkeit. Und sie bemühen sich tagtäglich, immer selbstkritischer zu werden, ein immer sensibleres Gespür für die Sorgen, wunden Punkte und Eigenarten ihrer Mitarbeiter zu entwickeln und ein angenehmes, sicheres Arbeitsklima zu schaffen. Außerdem versuchen sie, die Einstellung ihrer Mitarbeiter zu durchschauen: Welche Ziele erscheinen ihnen wichtig und durchsetzenswert, welche nicht? Und wenn ein so guter Vorgesetzter tatsächlich einmal nicht in der Lage sein sollte, seine Mitarbeiter zu schützen - zum Beispiel vor Entlassungen, Gehaltskürzungen oder schwierigen Aufgaben -, zeigt er Mitgefühl und tut sein Möglichstes, um Ängste abzubauen und negative Konsequenzen abzumildern.
Wer sich so verhält, stärkt die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter. Denn dann wissen sie, dass sie sich hundertprozentig auf ihren Chef verlassen können.
Von ROBERT I. SUTTON
ROBERT I. SUTTON ist Professor für Management und Ingenieurwissenschaften an der Stanford University, wo er das Hasso Plattner Institute of Design und das Stanford Technology Ventures Program mitgründete. Er ist Autor von "Der Arschloch-Faktor", einem internationalen Bestseller. Dieser Beitrag beruht auf Suttons Buch "Der Chef-Faktor".
KOMPAKT
DER SCHLECHTE CHEF
Vorgesetzte können Mitarbeiter in den Wahnsinn treiben - und das ohne böse Absicht. Etwa indem sie ständig Fragen stellen und Vorschläge machen, Druck von oben weiterleiten oder sich nicht hinter ihre Mitarbeiter stellen. Ein guter Chef, so Robert I. Sutton, tut so etwas nicht. Er soll seine Mitarbeiter vor allem schützen, was sie von ihrer eigentlichen Aufgabe abhalten könnte.
DER GUTE CHEF
Um dieses Ziel zu erreichen, gibt der Autor eine Reihe von Ratschlägen. Unter anderem sollten Chefs dem Drang, nach Details aus Projekten zu fragen oder Konferenzen einzuberufen, widerstehen, konstruktive Auseinandersetzungen fördern und jegliche Störungen und Zeitverschwendung von den Mitarbeitern fernhalten. Chefs sollen als Blitzableiter fungieren, wenn von der Geschäftsleitung merkwürdige Vorschläge kommen. Und wenn alles nichts nützt, hilft ihnen kreative Inkompetenz, um sinnlose Projekte zu einem raschen Ende zu bringen.
SERVICE LITERATUR
ROBERT I. SUTTON: Der Chef-Faktor, Hanser 2010. HBM ONLINE ROBERT I. SUTTON: Management by Fakten, in: Harvard Business Manager, April 2006, Seite 44, Nachdrucknummer 200604044. ROBERT I. SUTTON: Der Kreativität den Boden bereiten, in: Harvard Business Manager, Februar 2002, Seite 9, Nachdrucknummer 200202009.
INTERNET Auszüge aus dem Buch von Theaterchef Frank Hauser: www.notesondirecting.com
KONTAKT Via Blog: bobsutton.typepad.com Via Mail: bobsut@stanford.edu NACHDRUCK Nummer 201011042, siehe Seite 120 oder www.harvardbusinessmanager.de
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