Geringverdiener können auf die höchste Entlastungswirkung hoffen.
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1600 Euro für Familien und bis zu 870 Euro für Singles – Wer profitiert von den neuen Entlastungen

Die Bundesregierung hat erste Zahlen dazu vorgelegt, wie sehr die Entlastungen wirken. Dabei könnte sie aber eine Gruppe vernachlässigt haben – für die wird der Winter wohl teuer.

Die Bundesregierung hält ihr Entlastungspaket über 65 Milliarden Euro für wuchtig. Aber wer profitiert wie von den angekündigten Schritten vom höheren Kindergeld bis zur Strompreisbremse?

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Endgültige Zahlen liegen noch nicht vor. Doch erste Schätzungen der Bundesregierung zur konkreten Entlastung einzelner Personengruppen, die Justizminister Marco Buschmann (FDP) via Twitter verbreitete, zeigen: Tatsächlich profitieren Geringverdiener, wie von der Bundesregierung im Vorfeld versprochen, am stärksten. Allerdings profitieren auch Topverdiener stärker als mittlere Einkommen.

Die Mittelschicht profitiert also von allen Gruppen am wenigsten. Exklusive Berechnungen des Finanzwissenschaftlers Frank Hechtner für das Handelsblatt bestätigen das.

Drittes Entlastungspaket: So profitieren untere Einkommen

Empfänger von Grundsicherung bekämen laut Buschmann durch das Entlastungspaket 752 Euro mehr in den kommenden rund eineinhalb Jahren. Geringverdiener können auf die höchste Entlastungswirkung hoffen. Ein Single mit 15.600 Euro Jahreseinkommen würde um 870 Euro entlastet. Vor allem die geplante Ausweitung des Wohngelds würde dieser Personengruppe zugutekommen.

Eine Familie mit zwei Kindern und 31.200 Euro Einkommen kann auf ein Plus von 1582 Euro hoffen. Dieser Haushalt konnte schon vor der Reform Wohngeld bekommen, würde aber jetzt eine zusätzliche Heizkostenpauschale erhalten.

Neues Entlastungspaket: So profitieren obere Einkommen

Bei den Topverdienern fällt die Entlastung etwas niedriger aus. Ein Single mit einem Gehalt von 156.000 Euro im Jahr würde mit 646 Euro profitieren. Dazu würde vor allem eine geringere Einkommensteuer durch den Abbau der kalten Progression führen.

Als kalte Progression werden schleichende Steuererhöhungen bezeichnet: Durch den ansteigenden Steuertarif müssen die Bürger auch dann mehr an den Fiskus zahlen, wenn ihre Gehaltserhöhung nur die Inflation ausgleicht. Die heimlichen Steuererhöhungen werden Ende des Jahres durch eine Verschiebung der Steuertarife an die Inflation angepasst. Darauf hatte insbesondere Finanzminister Christian Lindner (FDP) gedrungen.

Drittes Entlastungspaket: So profitieren mittlere Einkommen

Hat die Ampel damit ihr Versprechen eingelöst und untere und mittlere Einkommen mehr als obere entlastet? Nur zum Teil, zeigen die von Buschmann verbreiteten Zahlen. Ein Alleinlebender mit 28.800 Euro Einkommen würde nur um 267 Euro entlastet. Die Hälfte davon käme durch steuerliche Entlastungen zustande, die andere Hälfte durch die Strompreisbremse.

Die Entlastung fällt in jedem Fall aber deutlich geringer aus als bei den absoluten Topverdienern.

Was schon konkret ist

Die Werte sind allerdings noch mit Vorsicht zu betrachten. Es handelt sich um vorläufige Berechnungen, betonte ein Regierungssprecher. Vor allem bei Maßnahmen wie der neuen Strompreisbremse oder der noch nicht im Detail ausgearbeiteten Wohngeldreform ist kaum abzusehen, welche Entlastungswirkung sie wirklich haben werden.

Der Finanzwissenschaftler Frank Hechtner von der Universität Nürnberg-Erlangen hat deshalb die Wirkung der Entlastungen berechnet, die schon weitgehend eindeutig sind: Abbau der kalten Progression, Kindergelderhöhung, Rentensteuerminderung sowie eine Erleichterung bei den Sozialbeiträgen bei Mini- und Midijobs.

Es zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Berechnungen der Regierung. Ein Single mit einem monatlichen Einkommen von 1000 Euro hat im nächsten Jahr 666 Euro mehr als dieses Jahr. Bei 2000 Euro Einkommen liegt die Entlastung bloß noch bei 176 Euro.

Dann steigt die Entlastung wieder, in der Spitze auf 979 Euro ab einem Einkommen von 7500 Euro. Bei den Topverdienern fällt das Plus wieder etwas kleiner aus. „Im Gesamtvolumen entfalteten die Maßnahmen schon einen deutlichen Wums an Entlastungen“, sagt Hechtner. „Einige Einzelmaßnahmen wirken allerdings wenig zielgenau und sind eher auf die Begünstigung bestimmter Gruppen ausgerichtet.“

Wurde die Mittelschicht im dritten Entlastungspaket vergessen?

Es erscheint daher fraglich, ob das Entlastungspaket genug für die Mitte enthält. Es geht nicht nur um die Frage der Entlastung insgesamt, sondern auch um die relative Entlastung. Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge belasten die Energiepreise mittlere Einkommen doppelt so viel wie obere.

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer sieht das Problem vor allem bei der „unteren Mittelschicht, die gerade so viel verdient, dass ihr die Erhöhung der Arbeitslosensätze und die Ausweitung des Wohngelds nichts bringt, die aber auch keine Ersparnisse zum Auffangen der steigenden Energiepreise hat“. Auch vom Abbau der kalten Progression profitiert diese Gruppe vergleichsweise wenig.

Hohe Energiekosten: Keine speziellen Hilfen für Gas-Verbraucher

Auf diese Gruppen kämen gerade dann noch große Belastungen zu, wenn sie mit Gas heizen. So sagt der Bonner Ökonom Christian Bayer: „In der Heizperiode dürfte es vor allem für bestimmte Teile der Mittelschicht ein Problem werden, deren Häuser mit schlechter Isolierung und veralteten Heizungen ausgestattet sind.“ Bayer hatte gesonderte Maßnahmen für Gasverbraucher gefordert.

Abgesehen von der bereits im Voraus beschlossenen Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas sind diese aber nicht im Entlastungspaket enthalten. Es war abzusehen, dass es kein Leichtes würde, für die mit Gas heizende Mittelschicht spezielle Lösungen zu finden. Die SPD wollte Direktzahlungen ermöglichen, die bis zu mittleren Einkommen reichen.

Bloß hat der Bund keine Möglichkeit, den Bürgern direkt Geld zu überweisen. Und so kam es, dass keine speziellen Hilfen für die Mittelschicht geplant sind. Stattdessen soll die Gruppe wie die anderen Haushalte über allgemeine Hilfen wie Strompreisbremse oder höheres Kindergeld entlastet werden.

Wohngeld: Mehr Menschen sollen nach Reform Anspruch haben

Größte Hoffnung ist da noch die Reform des Wohngelds. Dieses erhalten bislang rund 600.000 Haushalte, in Zukunft sollen es zwei Millionen sein. „Insgesamt ist die Reform sehr zu begrüßen“, sagte Ralph Henger vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Er sprach von einer „zielgenauen Unterstützung“. Doch weit in die Mittelschicht wird es wohl auch nach der Reform nicht reichen.

Auch ein Gaspreisdeckel findet sich nicht im Paket. Stattdessen soll eine Expertenkommission gebildet werden, die prüft, ob und wie ein solcher Deckel eingeführt werden könnte. Dabei liegen schon mehrere konkrete Umsetzungsvorschläge für einen solchen Deckel auf dem Tisch.

Der Wirtschaftsweise Achim Truger kritisiert: „Da das schon so weit fortgeschritten ist, bräuchte es eigentlich keine Kommission mehr.“ Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), befürchtet, die Kommission könne „ein Begräbnis zweiter Klasse“ für den Deckel sein. Die SPD jedenfalls will das verhindern.

SPD fordert zusätzlich Gaspreisbremse gegen hohe Gaspreise

Fraktionschef Rolf Mützenich pocht darauf, dass die Arbeiten an einer Gaspreisbremse vorangehen. „Wir sollten uns stärker auch dem Wärmemarkt zuwenden“, sagte Mützenich.

Für den Chefberater von Finanzminister Lindner ist die Lage der unteren Mittelschicht aber kein so großes Problem. „Wir müssen uns endlich von der Illusion der Einzelfallgerechtigkeit lösen“, sagte Lars Feld. Wenn Teile der unteren Mittelschicht die Belastungen nicht tragen könnten, würden sie in Hilfen wie das Wohngeld rutschen.

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