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7 Dinge, die Männer von Frauen lernen können

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Warum erzählen wir ambitionierten Frauen immer wieder, sie müssten sich so verhalten wie männliche Führungskräfte? Umgekehrt wird ein Schuh daraus.

Von Tomas Chamorro-Premuzic, Cindy Gallop

Es gibt ein großes öffentliches Interesse daran, dass mehr Frauen in die Führungsetagen von Unternehmen aufsteigen und stärker an Machtpositionen beteiligt sind. Doch allzu viele Lösungsvorschläge beruhen auf dem Irrglauben, dass einflussreiche Frauen genauso sein müssten wie Männer. Dahinter steckt die Denkweise: "Wenn Männer den Großteil der Toppositionen besetzen, werden sie wohl etwas richtig machen. Also müssen wir Frauen dazu kriegen, sich genauso zu verhalten."

Doch diese Logik erklärt nicht die vergleichsweise schlechte Performance der meisten Führungskräfte, die ja zum überwiegenden Teil männlich sind. Wie wir schon häufiger argumentiert haben, besteht das eigentliche Problem nicht darin, dass es zu wenig kompetente Frauen gibt. Das wahre Problem ist, dass wir inkompetenten Männern zu wenig Steine in den Weg legen. Das erklärt, warum Menschen mit übersteigertem Selbstbewusstsein, narzisstischem Wesen und einer Neigung zu unethischem Verhalten im Topmanagement überrepräsentiert sind.

Insofern stimmen die Geschlechterunterschiede in puncto Führungseffizienz (was es braucht, um gute Leistungen zu bringen) nicht überein mit den Geschlechterunterschieden bei der Entstehung von Führungsqualitäten (was es braucht, um es an die Spitze zu schaffen).

Tatsächlich zeigen wissenschaftliche Forschungen, dass die Vorherrschaft männlicher Topmanager keineswegs das Produkt überragender Führungsfähigkeiten ist. Große quantitative Studien (darunter auch Metaanalysen) deuten darauf hin, dass es beim Talent zur Unternehmensführung entweder gar keine Geschlechterunterschiede gibt oder dass diese – sofern sie existieren – wohl eher die Frauen begünstigen.

Vor diesem Hintergrund wäre es logischer, die übliche Lösung umzukehren: Statt Frauen aufzufordern, sich wie männliche Führungskräfte zu verhalten (von denen – wie erwähnt – einige inkompetent sind), sollten wir Männer an der Macht ermutigen, jene effektiven Verhaltensmuster zu übernehmen, die sich häufiger bei Frauen in Führungspositionen beobachten lassen. So ließe sich ein Pool von Vorbildern schaffen, die kompetenten Männern und Frauen gleichermaßen den Weg nach oben ebnen könnten.

Im Folgenden haben wir einige wichtige Lektionen für den Großteil der männlichen Führungskräfte zusammengestellt, die sie von der durchschnittlichen Managerin lernen können.

Halten Sie sich zurück, wenn Sie es nicht wirklich draufhaben. Es liegt derzeit im Trend, Frauen zu erzählen, sie müssten sich nur "reinhängen" (englisch "lean in", angelehnt an den Titel des Buchs von Sheryl Sandberg – Anm. d. Red.), um Qualitäten wie Durchsetzungsvermögen, Wagemut oder Selbstvertrauen zu entwickeln. Bei Männern können sich solche Eigenschaften als Selbstvermarktung manifestieren, als Einheimsen fremder Lorbeeren oder aggressives Verhalten.

Tatsächlich hat es nie einen starken Zusammenhang gegeben zwischen der Tatsache, dass sich jemand in etwas "reinhängt", und den tatsächlichen Leistungen. Das gilt insbesondere für Männer. Deshalb wäre es sinnvoller, nicht immer wieder auf Menschen hereinzufallen, die sich "reinhängen", ohne über das entsprechende Talent zu verfügen.

In einer logischen Welt würden wir Menschen vor allem dann in Führungsrollen befördern, wenn sie kompetent sind und nicht nur selbstbewusst. Wir würden sie auf ihre Fachkompetenz hin prüfen, ihre Erfolgsbilanz nachhalten und ihre relevanten Führungskompetenzen beurteilen (etwa Intelligenz, Neugier, Empathie, Integrität und die Fähigkeit, sich coachen zu lassen). All diese Eigenschaften lassen sich besser mithilfe wissenschaftlich basierter Testverfahren evaluieren als durch ein typisches Vorstellungsgespräch.

Erkennen Sie Ihre Grenzen. Wir leben in einer Welt, die den Glauben an sich selbst zelebriert. Viel wichtiger ist es aber, sich seiner selbst bewusst zu sein. Oft gibt es einen Konflikt zwischen beidem. So ist das Bewusstsein für die eigenen Grenzen (Fehler und Schwächen) unvereinbar mit einem extrem hohen Selbstbewusstsein. Der einzige Grund, warum jemand keine Selbstzweifel und Unsicherheiten kennt, ist Selbsttäuschung.

Zwar sind Frauen keineswegs so unsicher, wie sie oft in der Selbsthilfeliteratur (und in vielen populären Medien) dargestellt werden. Doch Studien zeigen, dass sie im Allgemeinen seltener ein übersteigertes Selbstbewusstsein haben als Männer. Das sind gute Nachrichten, denn dadurch verstehen Frauen besser, wie andere Menschen sie sehen. Zudem hilft es ihnen zu erkennen, wie groß der Abstand zwischen ihrem aktuellen Standpunkt und ihrem Ziel noch ist.

Menschen, die sich selbst kritischer sehen, als andere es tun, sind besser in der Lage, sich auf Herausforderungen vorzubereiten, auch wenn sie dabei manchmal übertreiben. Dies ist ein sinnvoller Weg, um die eigene Kompetenz und Leistung zu verbessern.

Motivieren Sie durch Veränderung. Akademische Studien zeigen, dass Frauen mit höherer Wahrscheinlichkeit als Männer durch Inspiration führen, dass sie eher die Einstellungen und Glaubenssätze der Menschen verändern können und ihnen eher ein Verständnis von Sinn und Zielen vermitteln, statt mit Zuckerbrot und Peitsche zu hantieren. Da transformationale Führung (ein Führungsstil, der auf intrinsischer Motivation beruht – Anm. d. Red.) mit einem höheren Maß an Teamengagement, Leistung und Produktivität einhergeht, ist sie ein wichtiges Instrument, um die Leistung von Führungskräften zu verbessern. Männer könnten bessere Führungspersönlichkeiten sein, wenn sie mehr Zeit darauf verwenden würden, die Herzen der Menschen zu gewinnen; wenn sie ihre emotionale Intelligenz ebenso einsetzten wie ihren IQ; und wenn sie sich für eine andere Einstellung starkmachten statt für andere Verhaltensweisen.

Stecken Sie zugunsten Ihrer Mitarbeiter zurück. Es ist sehr schwer, eine Gruppe von Menschen in ein Hochleistungsteam zu verwandeln, wenn das Hauptaugenmerk der Führungskraft auf sich selbst gerichtet ist. Menschen, die Führung als verklärtes Karriereziel und individuelle Errungenschaft betrachten, sind zu egozentrisch, um das Wohlergehen ihres Teams zu gewährleisten und das Potenzial ihrer Mitarbeiter freizusetzen.

Stellen Sie sich einmal einen Menschen vor, der im Grunde nur deshalb an einer Führungsposition interessiert ist, weil er es auf ein Topgehalt abgesehen hat, auf das Eckbüro, auf einen attraktiveren Jobtitel oder auf irgendein anderes Statussymbol. Es ist klar, dass diese Person von Natur aus weniger daran interessiert ist, die Fähigkeiten anderer Menschen zu verbessern und sie voranzubringen. Ihr einziges Ziel ist es, selbst erfolgreicher zu werden. Da Männer in der Regel selbstbezogener sind als Frauen, üben sie Führung mit höherer Wahrscheinlichkeit auf eine narzisstische und selbstbezogene Weise aus. Um seine Leistung zu verbessern, täte der typische männliche Manager daher gut daran, sich einen weniger egozentrischen Führungsstil zuzulegen.

Befehlen Sie nicht, fühlen Sie mit. Jahrhundertelang haben wir Frauen erzählt, dass sie zu nett und zu fürsorglich seien, um eine Führungsrolle zu übernehmen. Aber die Vorstellung, dass jemand, der nicht nett und fürsorglich ist, effektiv führen könnte, steht im Widerspruch zur Realität. Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Nach dem Führungsverständnis des 21. Jahrhunderts sollten Vorgesetzte eine emotionale Verbindung zu ihren Mitarbeitern aufbauen – und das ist wohl der einzige Grund, warum Führung sich nicht automatisieren lässt. Zwar verleibt sich die künstliche Intelligenz gerade die technischen und fachlichen Elemente der Führung ein. Doch solange es Menschen am Arbeitsplatz gibt, werden sie nach Bestätigung, Wertschätzung und Empathie verlangen, die ihnen nur Menschen – nicht Maschinen – geben können. Männer können viel darüber lernen, wie man das erfolgreich macht, indem sie Frauen beobachten und nachahmen.

Machen Sie andere groß. Weibliche Führungspersönlichkeiten agieren erwiesenermaßen häufiger als Coach oder Mentorin für ihre Mitarbeiter als Männer und schieben deren Entwicklung häufiger an. Sie sind wahre Talentsucherinnen, die mit Feedback und Orientierungshilfen andere Menschen wachsen lassen. Das heißt, dass sie weniger transaktionale Führung praktizieren (ein Führungsstil, der auf einem sachlichen Austauschverhältnis von Leistung gegen Belohnung beruht – Anm. d. Red.), sondern die Beziehung zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eher strategisch angehen. Zudem stellen sie gern Leute ein, die besser sind als sie selbst, weil ihnen ihr Ego seltener im Weg steht. So erschließen sie das Potenzial anderer Menschen und fördern erfolgreiche Zusammenarbeit in ihren Teams. Zwar fühlen wir uns zu egozentrischen Führungskräften hingezogen; doch die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass solche Individuen eine Gruppe von Menschen zu einem Hochleistungsteam zusammenschweißen können.

Seien Sie bescheiden. Seit mehr als 20 Jahren verlangen wir nach bescheidenen, demütigen Führungspersönlichkeiten. Doch es zieht uns immer wieder zu solchen Menschen hin, die selbstgefällig und narzisstisch auftreten – und das sind in der Regel keine Frauen. Die Geschlechterunterschiede beim Thema Bescheidenheit sind gut erforscht, Frauen schneiden dabei besser ab. Natürlich treten nicht alle Frauen bescheiden auf, aber wenn wir Führungskräfte nach dem Kriterium Bescheidenheit auswählen würden, hätten wir mehr weibliche als männliche Kandidaten.

Bescheidenheit ist grundsätzlich ein weiblicher Charakterzug. Und es ist eine Eigenschaft, die wesentlich für große Führungspersönlichkeiten ist. Ohne Bescheidenheit ist es für jemanden in verantwortlicher Position schwer, Fehler zuzugeben, aus Erfahrung zu lernen, die Sichtweise anderer Menschen zu berücksichtigen und die Bereitschaft zu entwickeln, sich zu verändern und zu verbessern. Das Problem ist womöglich gar nicht, dass Männer unwillig oder unfähig wären, bescheidener aufzutreten. Das Problem ist, dass wir sie nicht mehr für Führungsrollen berücksichtigen, wenn sie es tun. Das muss sich ändern. Bescheidenheit ist ein entscheidender Faktor für die Qualität von Führung – bei Männern ebenso wie bei Frauen.

Dann fragen Sie sich, warum. Wenn Sie ein Mann sind: Haben Sie das Gefühl, dass es eine regelrechte Kampagne gegen "alte weiße Männer" und "toxische Männlichkeit" gibt und dass derzeit ein böswilliger Feminismus auf dem Vormarsch ist? Dann wird Ihnen diese Reaktion im Weg stehen, um von Frauen zu lernen, wie Sie noch erfolgreicher werden könnten. Wenn Sie eine Frau sind und/oder eine Feministin: Geht es Ihnen gegen den Strich zu hören, dass Frauen in der Regel eher feminine Eigenschaften aufweisen als Männer? Denn das ist genau der Grund, warum die typische Frau mehr Führungspotenzial besitzt als der typische Mann.

Letztlich besteht der einzige kontroverse Aspekt unserer Ansicht nach darin, was es bedeutet, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen: Es würde unsere Meritokratie, unsere Leistungsgesellschaft, eher stärken als schwächen.

Die beste Maßnahme, um Gleichberechtigung voranzutreiben, ist eine Konzentration auf die Gleichwertigkeit bei Talent und Potenzial. Das lässt sich aber nur verwirklichen, wenn wir eine geschlechtergerechte Führung haben, in der Vorgesetzte darauf achten, dass Männer neue Führungsansätze von Frauen lernen – so wie Frauen immer gesagt wurde, dass sie Führungsmethoden von Männern lernen sollten. Dieser Artikel bietet eine Abkürzung dorthin.

Männer, diese Lektionen werden eure Führungsqualitäten stärken. Und Frauen, das sind die Gründe, warum ihr schon längst in einer Führungsposition sein solltet – und warum ihr jetzt fordern solltet, was ihr euch schon längst verdient habt. 

© HBP 2020

Autoren

Tomas Chamorro-Premuzic ist Chief Talent Scientist beim Personaldienstleister ManpowerGroup, Professor für Wirtschaftspsychologie am University College London und an der Columbia University in New York sowie Associate am Entrepreneurial Finance Lab der Harvard University. Er ist Autor des Buches "Warum so viele inkompetente Männer in Führungspositionen sind (und was man dagegen tun kann)" (Haffmans & Tolkemitt 2019), auf dem auch sein gleichnamiger TEDx-Talk beruht. Twitter: @drtcp

Cindy Gallop ist Gründerin und CEO der Webplattformen IfWeRanTheWorld und MakeLoveNotPorn. Sie ist Vortragsrednerin und Beraterin.

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