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Weiter Geld ausgeben - aber anders

Wenn es für Unternehmen eng wird, schrumpfen sie oft als Erstes ihr Marketingbudget zusammen. Das ist der völlig falsche Ansatz, wie mehrere Studien zeigen. Wer jetzt klug investiert, kommt schneller aus der Krise.

Von Nirmalya Kumar und Koen Pauwels.

Die meisten Unternehmen streichen in einer Rezession ihre Ausgaben zusammen – vor allem im Marketing, was verglichen mit einem Einschnitt bei den Personalausgaben erst mal einfacher erscheint. Dadurch haben Werbeagenturen derzeit arg zu kämpfen. Auch Google und Facebook verzeichnen substanziell niedrigere Werbeeinnahmen, da Marketingausgaben in der Regel mit dem Konjunkturzyklus sinken (zyklisches Marketing). Allerdings ist dieses Vorgehen das moderne Pendant zum Aderlass – einer längst überholten, aber einst weitverbreiteten Behandlungsmethode, die in Wirklichkeit die Widerstandsfähigkeit des Patienten gegen Krankheiten schwächt.

Wie Studien zeigen, erholen sich in der Regel jene Unternehmen am schnellsten, die ihr Marketingbudget in der Rezession nicht gekürzt (und in einigen Fällen sogar erhöht) haben. Diese Unternehmen haben ihre Marketingausgaben jedoch auch neu verteilt und genau überlegt, in welchem neuen Umfeld sie künftig agieren werden.

Schauen wir uns zunächst einmal die verschiedenen Kategorien der Marketingausgaben an.

Ein neues Produkt auf den Markt zu bringen ist selbst in Boomzeiten riskant. In jedem Unternehmen gibt es intensive Diskussionen darüber, welches der vielen Produkte in der Entwicklungsphase tatsächlich auf den Markt kommen sollte. Deshalb klingt es zunächst einmal nach der einfachsten Lösung, Projekte zur Produktentwicklung zu streichen.

Doch wissenschaftliche Forschung zeigt, dass in einer Rezession gelaunchte Produkte bessere Chancen haben, sich über längere Zeit zu halten, und zudem höhere Umsätze bringen. Das ist für unterschiedliche Märkte nachgewiesen. Der Erfolg in Krisen hat zum Teil damit zu tun, dass Produkte in diesen Zeiten mit weniger anderen Neuheiten konkurrieren müssen. Aber er hängt auch damit zusammen, dass Unternehmen, die weiterhin viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgeben, sich auf ihre besten Optionen konzentrieren. Das erklärt vielleicht auch, warum Produkte, die während einer Rezession auf den Markt kommen, meist von höherer Qualität sind.

Dabei ist das richtige Timing entscheidend: Unsere Forschungen zeigen, dass der beste Zeitpunkt für einen Produktlaunch unmittelbar nach dem Tiefpunkt einer Rezession ist. Dann fangen Konsumentinnen und Konsumenten wieder an, über nicht zwingend notwendige Käufe nachzudenken, auch über teure Produkte, die sie noch nicht jetzt erwerben wollen (zum Beispiel Autos). Ein neues, innovatives Produkt weckt in ihnen die Hoffnung, dass die Wirtschaft sich wieder auf dem Weg der Besserung befindet und sie vielleicht schon bald wieder in der Lage sind, sich das Gewünschte zu kaufen.

Selbst wenn sie aktuell keine neuen Produkte auf den Markt bringen können, werden weitsichtige Unternehmen auch in einer Rezession in Forschung und Entwicklung investieren. Das wirkt sich langfristig stärker auf die Performance aus als andere Marketingausgaben wie Werbung und Rabattaktionen. Denn diese Unternehmen haben am Ende der Rezession eine mit starken Produkten gefüllte Pipeline und können gleich wieder durchstarten. Das macht vor allem in zyklischen Branchen wie Automobil, Zement und Stahl einen Unterschied.

Angesichts des rückläufigen Umsatzvolumens sind Manager versucht, die Preise zu erhöhen – in der Hoffnung, Einnahmen und Gewinnspanne auf dem bisherigen Niveau zu halten. Aber es ist nicht schwer zu verstehen, warum dies eine schlechte Idee ist: Da Konsumenten in einer Rezession preissensibler werden, senkt jede Preiserhöhung die Wahrscheinlichkeit, Ware zu verkaufen. Darum starten Unternehmen, die zuvor ihre Preise erhöht hatten, bald wieder Rabattaktionen, um diesen Effekt umzukehren. Doch die Forschung zeigt, dass sich ein Hin und Her bei den Preisen rächt. Unternehmen, die so handeln, verlieren mehr Marktanteile als solche, die ihre Preise stabil halten.

Weil viele Unternehmen in einer Rezession ihre Markenwerbung zurückfahren, steigt die Kundenkontaktrate derjenigen an, die ihr Marketingbudget aufrechterhalten oder sogar erhöhen können.

Schauen wir uns den Fall Reckitt Benckiser an: In der Finanzkrise 2008/09 startete der Reinigungsmittelkonzern eine Marketingkampagne, die Kunden dazu bringen sollte, trotz der wirtschaftlichen Situation weiter seine teuren und erfolgreichen Marken zu kaufen. Während seine Mitbewerber ihr Marketing herunterfuhren, steigerte Reckitt Benckiser seine Werbeausgaben um 25 Prozent. Dadurch stieg der Umsatz um 8 und der Gewinn um 14 Prozent. Die meisten Konkurrenten dagegen verzeichneten Gewinneinbrüche von 10 Prozent und mehr. Reckitt Benckiser dagegen betrachtete Werbeausgaben weniger als Kosten denn als Investitionen.

Der Inhalt von Werbekampagnen in einer Rezession sollte widerspiegeln, vor welchen Problemen die Kunden aktuell stehen. Sie erwarten, dass eine Marke sich solidarisch mit ihnen zeigt. Erfolgreiche Markenwerbung im Abschwung ist humorvoll, emotional und beantwortet Kunden die Frage: Wie können wir helfen?

Coca-Cola ist ein gutes Beispiel dafür. Im Jahr 2020 setzte der Konzern sein Werbebudget dafür ein, die Leistung von "Frontline Workers" wie Auslieferungsfahrern, Ärzten und Feuerwehrleuten in der Pandemie hervorzuheben, und zeigte in seinen Spots namens "Unsung Heroes – For the Human Race" die Geschichten dieser stillen Helden.

Wir alle wissen, dass der aktuelle Markenauftritt und die Größe eines Unternehmens entscheidende Faktoren dafür sind, wie gut es für eine Rezession aufgestellt ist und ob es von dieser Zeit sogar profitieren kann. Starke Marken können ihre Preise häufiger stabil halten. Zudem schaffen es große Unternehmen und kluge Verhandler oft, dass Lieferanten ihnen im Abschwung beim Preis entgegenkommen.

Aber wie sich die Positionierung und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens tatsächlich auswirken – und was sie womöglich ändern müssen –, hängt auch von der Dynamik der Branche und des Landes ab. Unternehmen, die auf unterschiedlichen Märkten tätig sind, müssen daher unterschiedliche Strategien für ihre einzelnen Unternehmensbereiche wählen.

Nehmen wir als Beispiel einen großen russischen Mischkonzern, den wir während und nach der Weltfinanzkrise von 2008 berieten. Das Unternehmen ist in sechs Ländern und sechs Branchen tätig, von der Bekleidungsindustrie bis hin zum spezialisierten Bankwesen. Bei seiner russischen Mainstream-Bekleidungsmarke behielt das Unternehmen sein Marketingbudget bei, während andere (meist ausländische) Marken einfach nur die Menge der Werbebotschaften reduzierten und nur wenig am Inhalt dessen änderten, was sie veröffentlichten. Das funktionierte gut für das Unternehmen, weil die bestehende Positionierung als lokale und preiswerte Marke die Kunden zu einer Zeit ansprach, als es sich für sie falsch anfühlte, Geld für ausländische Luxusartikel auszugeben. Als die Rezession zu Ende ging, blieben viele neue Kunden, die zuvor von teureren Auslandsmarken abgesprungen waren, bei der lokalen Marke.

Bei seinen Bankgeschäften in Rumänien dagegen verfolgte der Mischkonzern einen gänzlich anderen Ansatz. Anders als die meisten Mitbewerber erwartete unser Klient eine tiefe Rezession und nur langsame Erholung. In diesem Szenario waren die Aussichten für den Vorstoß in neue Geschäftsfelder schlecht. Daher kürzte das Unternehmen sein bislang hohes Werbebudget und schloss eine große Zahl an Bankfilialen. So wurden Ressourcen frei, mit denen es seine bestehenden Kunden besser betreuen konnte. Alle Bemühungen zur Kundenakquise konzentrierten sich auf vermögende Privatpersonen. Indem sich die Bank auf ihre Bestandskunden fokussierte und bei der Neukundenakquise gezielt vorging, schaffte sie es, in der Erholungsphase nach der Rezession sogar zu wachsen.

Marketing in einer Rezession ist niemals einfach. Oft ist es erforderlich, entgegen den eigenen Instinkten und betrieblichen Standardmethoden zu handeln. Auch Kunden verhalten sich deutlich anders als sonst, abhängig von Veränderungen ihrer persönlichen Umstände und von Erfahrungen, die mitunter traumatisch sein können. In einem solchen Umfeld müssen Sie Ihre Kunden auf ihrem neuen, veränderten Weg begleiten, indem Sie Botschaften neu formulieren und womöglich auch Ihr Nutzenversprechen überarbeiten. Dies ist nicht die Zeit, um mit dem Geldausgeben aufzuhören, sondern es ist Zeit, Ihren Ansatz beim Geldausgeben zu verändern. Das kann eine Chance sein. Denn Unternehmen, die bereit sind, das zu sein, was ihre Kundinnen und Kunden in einer Rezession brauchen, werden viele Neukunden auf Dauer halten können – und die Treue ihrer Bestandskunden verfestigen.  © HBP/HBm 2021

Die Autoren

Nirmalya Kumar ist Professor für Marketing an der Singapore Management University und Fellow am Emerging Markets Institute der Business School Insead.

Koen Pauwels ist Professor für Marketing an der Privathochschule Northeastern University in Boston sowie Mitgründer der interdisziplinären DATA-Initiative der Hochschule.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Januar-Ausgabe 2021 des Harvard Business managers.

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