Edding sorgt für Novum: Stiftehersteller führt Job-Sharing im Vorstand ein
Fränzi Kühne und Boontham Temaismithi teilen sich beim Familienunternehmen die Stelle als Digitalchef. Das ist in Deutschland bisher einmalig.
Düsseldorf. Der 1960 gegründete Stiftehersteller Edding betritt mit einer gesellschaftlichen Innovation Neuland: An diesem Dienstag nimmt bei dem Familienunternehmen aus Ahrensburg das erste Vorstandstandem eines börsennotierten Konzerns seine Arbeit auf. Fränzi Kühne und Boontham Temaismithi, Mitgründer von Deutschlands erster Digitalagentur Torben, Lucie und die Gelbe Gefahr (TLGG), teilen sich künftig die Stelle des Chief Digital Officers.
„Wir hatten Bock, Pionier zu sein“, sagt Vorstandschef Per Ledermann im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Wir profitieren davon, wenn wir vorangehen.“ Aktuell gibt es bei Edding weltweit fast 20 Prozent Teilzeitstellen, in Deutschland sind es noch etwas mehr. Doch wie kam es dazu, dass die beiden Digitalexperten nun in die Führung eines mittelständischen Unternehmens gehen?
Edding ist bekannt für seine dicken Marker, die schon so viele Flipcharts bunt gemacht haben. Sie stehen für Kreativität, gemeinsames Nachdenken, produktive Gespräche – all das, was man in der Pandemie schmerzlich vermisste. Damit ist beschrieben, vor welcher Herausforderung Ledermann mit seinen mehr als 700 Mitarbeitenden steht. Wie transformiert man das Unternehmen in eine digitale Zukunft, die vielleicht keine dicken, quietschenden Stifte mehr braucht?
Der Firmenchef musste darüber hinaus am Montag in Anbetracht der Ukrainekrise die Prognose für 2022 geringfügig senken und vorläufige Geschäftszahlen bekannt geben. Danach hat Edding 2021 knapp 149 Millionen Euro umgesetzt und knapp sieben Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet.
„Die Aufgabe ist groß“, sagt Fränzi Kühne. Die Herausforderung sei, „Kreativität und Dienstleistung in den digitalen Raum zu verlegen“. Doch bei dem Posten geht es um mehr für alle drei, erklärt die 38-Jährige „Unsere gemeinsamen Entscheidungen schließen zukünftig zwei Sichtweisen ein und ermöglichen dadurch immer eine diverse Perspektive.“ Das sei besonders in der Transformationsphase wichtig.
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
Kühne war bereits Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin
Der Wandel von Edding müsse mit dem der Kreativwirtschaft einhergehen, findet Boontham Temaismithi. „Um das zu bewerkstelligen, werden wir den Mittelstand ein gutes Stück weit neu und digitaler denken müssen“, erklärt der 50-Jährige. Er sieht die Unternehmenskultur und die Nachhaltigkeitsverpflichtungen jedenfalls bei Edding schon mal auf einem guten Weg. Jetzt wollen beide die Zukunft des Unternehmens mitgestalten.
Seit dem Sommer 2021 ist im Zuge der Initiative #Stayonboard das Führungspositionen-Gesetz II neu geregelt. Demnach haben Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften, SE-Direktoren und GmbH-Geschäftsführer künftig Anspruch auf familiär bedingte und haftungsfreie Auszeiten. Mit dem ersten Vorstandstandem eines börsennotierten Unternehmens tritt nun noch eine neue Idee hinzu.
Kühne hat Ledermann vor anderthalb Jahren kennengelernt, als er sich aufgemacht hatte, Digitalexpertise ins Unternehmen zu holen. „Familienunternehmen haben mich schon bei TLGG angefixt“, sagt sie. „Bei denen geht es um Generationen und nicht nur um Profit, das war bei den Dax-Konzernen schon anders.“ Die beiden blieben daraufhin in Kontakt.
Die Aufgabe bei Edding sei „sehr spannend“, sagt Kühne, die in ihrem Leben bereits einige spannende Dinge gemacht hat. Gemeinsam mit Christoph Bornschein und Boontham Temaismithi gründete sie vor 14 Jahren TLGG. Die Firma traf den Nerv der Zeit, die Mandanten waren prominent mit BMW, Lufthansa, Eon, das Wachstum rasant und die Gründer gefragte Leute.
So wurde Kühne 2017 jüngste Aufsichtsrätin des Landes bei Freenet. 2015 hatten die Gründer die Agentur an den US-Kommunikationskonzern Omnicom verkauft. 2019 stiegen Kühne und Temaismithi aus. Kühne bekam ein zweites Kind und schrieb einen „Spiegel“-Bestseller. Ein Vorstandsposten im Tandem sei das, was gut in ihr Leben passe.
Kühne spricht sich seit Jahren für diverse Teams aus. Aber sie verstehe nicht, „dass das so viele Unternehmen nicht auf dem Schirm haben“, sagt sie. Temaismithi und sie verkörperten bei Edding nun Diversität in einer gemeinsamen Rolle.
Vorstandschef Ledermann, 46, ist jedenfalls überzeugt von der Idee des Vorstandstandems. Er steht schon seit zwölf Jahren an der Spitze des Unternehmens. Seine Familie hält 100 Prozent der Stammaktien, die Vorzugsaktien werden an den Börsen Frankfurt und Hamburg gehandelt.
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
Vorstandstandem als Innovation in der Organisation
Gut anderthalb Jahre dauerte der Bewerbungsprozesses für den Posten des Digitalchefs. Am Ende standen vier mögliche Kandidaten für Ledermann fest, zwei davon seien Tandems gewesen. Der Aufsichtsrat hat sich für das gemischte Doppel entschieden und Edding damit in eine Vorreiterposition gebracht. Nun müssen alle liefern. Doch Ledermann macht das nicht bang, er findet: „Ohne die Möglichkeit zu scheitern gibt es eben auch keine Innovationen.“
Die beiden neuen Co-Digitalchefs hätten vermutlich überall anfangen können. Kühne investiert bereits in Start-ups, Temaismithi kümmert sich um Agenturen und Nachwuchsunternehmen, die mit neuen Geschäftsideen den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken wollen. Aber eine WhatsApp von Kühne genügte für Temaismithi, um sich das Unternehmen näher anzuschauen.
Beide haben lange zusammengearbeitet; künftig teilen sie sich einen Job und auch eine ihrer beiden neuen E-Mail-Adressen. Die Mitarbeitenden können sich aussuchen, ob sie beide oder nur einen der beiden kontaktieren wollen. Da sie Neuland betreten, ist noch nicht ganz klar, wie sie sich genau aufteilen. Beide werden aber gerade nicht fünf Tage die Woche für Edding zur Verfügung stehen.
Digitale Talente kennen die beiden Gründer natürlich reichlich. Davon könnte Edding profitieren, aber eben auch die Mitarbeitenden, die mit einer anderen Geisteshaltung konfrontiert würden. Kühne jedenfalls bringt da viel Erfahrungen mit ein, die sie auch in ihrem Buch verarbeitet hat. „Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal“, heißt der Titel. Darin geht es unter anderem auch darum, dass Frauen oft nach ihrem Aussehen befragt und bewertet werden – und Männer nicht.
Bei dem gemeinsamen Gespräch mit dem Handelsblatt ist es an diesem Tag anders. Denn: Edding ist 2020 in das Geschäft mit Tattoo-Farben eingestiegen. Es ist noch ein kleiner Geschäftszweig mit einer Produktion in Bautzen. Und Per Ledermann gibt bereitwillig Auskunft auf die Frage, ob er mit seinen Tätowierungen zufrieden ist. Die Zeiten, in denen Männer nicht nach ihrem Aussehen gefragt werden, sind jedenfalls bei Edding vorbei.
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
