Lieferwege nach Russland brechen zusammen – Schiffe stauen sich in Europas Häfen
Putins Krieg schadet der eigenen Wirtschaft: In der Warenbelieferung des Landes geht fast nichts mehr. Deutschland zahlt im Gegenzug mit steigenden Preisen im Chinahandel.
**Düsseldorf, Frankfurt.**Der Lieferverkehr nach Russland ist nur wenige Tage nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine massiv eingebrochen. Schon in der ersten Kriegswoche seien die Importe von Konsumgütern ins Land um 27 Prozent zurückgegangen, ermittelte die Chicagoer Lieferketten-Überwachungsfirma Fourkites. In den darauffolgenden Tagen habe es ein weiteres Minus im zweistelligen Prozentbereich gegeben.
Der sinkende Warenaustausch liegt keineswegs nur an Konsumgüterkonzernen wie H&M, Ikea, Adidas oder Apple, die in den vergangenen Tagen ihr Geschäft in Russland einstellten, um Solidarität mit der überfallenen Ukraine zu demonstrieren. Einen erheblichen Beitrag zum Lieferstopp trägt die Logistikbranche selbst bei. Das Angebot für Lkw-Fahrten nach Russland sei auf ein Siebtel des Vorkriegswertes eingebrochen, berichtet Deutschlands größte Frachtbörse Timocom aus Erkrath bei Düsseldorf.
So stellte in der vergangenen Woche die Bahn-Logistiktochter DB Schenker ihre Sendungen nach Russland komplett ein, und zwar sowohl im Landverkehr, wo sie europaweit als Marktführer gilt, wie auch in der Luft- und Seefracht. Zuvor schon hatten die mächtigen Wettbewerber Deutsche Post DHL und Kühne + Nagel einen solchen Beschluss verkündet.
Auch Schiffsfracht erreicht das von Wladimir Putin regierte Land immer seltener. Obwohl Seefrachter oft mehrere Wochen bis zum Bestimmungsort benötigen, brach die Zahl der Anläufe in Russlands Häfen innerhalb von nur einer Woche um 35 Prozent ein. Das meldete der amerikanische Logistik-Spezialist Project44.
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Luftfracht ist ebenfalls kaum noch möglich. Zum einen haben viele Länder ihren Luftraum für Flugzeuge aus Russland gesperrt, umgekehrt dürfen die Maschinen aus diesen Ländern nicht mehr in den russischen Luftraum. Fraport-Chef Stefan Schulte beziffert den Anteil des Cargo-Volumens mit Russland am gesamten Frachtaufkommen in Frankfurt auf einen mittleren einstelligen Prozentbereich. Der russische Frachtcarrier Airbridge Cargo sei eigentlich ein wichtiger Kunde, schrieb der Manager vor einigen Tagen in einem internen Brief an die Mitarbeiter: „Dieses Cargo-Aufkommen kommt in diesen Tagen zum Erliegen.“
Zum anderen müssen russische Airlines befürchten, dass ihre in vielen Fällen geleasten Flugzeuge bei Flügen ins Ausland von den Leasinggesellschaften festgesetzt werden. Sie wollen ihre „Assets“ sichern. Die russische Regierung hat deshalb verfügt, dass geleaste Flugzeuge ab dem 8. März auf russischem Boden bleiben müssen – und wahrscheinlich auch keine Destinationen wie Dubai anfliegen, die noch möglich wären. Aeroflot will ab diesem Tag sämtliche internationalen Flüge einstellen bis auf Verbindungen nach Belarus. Damit fällt dann auch die Frachtkapazität in den Bäuchen der Passagierflugzeuge weg.
Die Zurückhaltung der Transportfirmen dürfte eng zusammenhängen mit den Embargo-Vorschriften der Europäischen Union. So warnt der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) seine Mitgliedsfirmen eindringlich davor, ungeprüft Geschäfte mit Russland einzugehen. Denn angesichts der Ende Februar noch einmal um 26 auf 696 Personen erweiterten Sanktionsliste, die zusätzlich rund 60 Organisationen des Landes aufführt, sei die Gefahr groß, gegen die Brüsseler Boykott-Bestimmungen zu verstoßen.
Auch Transportdienstleistungen stehen auf der Embargo-Liste
Denn den gelisteten Personen und Organisationen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen, wie es in den schon 2014 formulierten Bestimmungen heißt. „Unter diese wirtschaftlichen Ressourcen“, warnt DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster, „fallen auch Transportdienstleistungen.“ Bei Verstößen drohe eine Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren.
Der Seeweg nach Russland ist, wohl nicht zuletzt deshalb, seit Tagen dicht. Die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd und die dänische Maersk nehmen keine Buchungen von und nach Russland mehr an. Dasselbe gilt für den französischen Konkurrenten CMA CGM, die Schweizer MSC und den japanischen Schifffahrtsverbund ONE.
Die chinesische Cosco hat damit als einzige der sechs großen Containerreedereien ihre Russlanddienste offiziell noch nicht gekündigt – auch wenn eines ihrer Frachtschiffe, der in Deutschland gecharterte 9400-TEU-Frachter „Joseph Schulte“, seit dem 23. Februar vor Odessa wegen der Kampfhandlungen festsitzt.
Hinzu kommt, dass Schiffe mit russischem Eigner Großbritannien und künftig wohl auch Hamburg nicht mehr anlaufen dürfen. Die Schiffsrouten aus der Hansestadt über die Ostsee nach Kaliningrad, Ust-Luga und St. Petersburg sind ausgesetzt. Zuletzt fing Frankreichs Marine sogar das russische Frachtschiff „Baltic Leader“, das Autos für St. Petersburg geladen hatte, im Ärmelkanal ab und eskortierte es zum Hafen von Boulogne-sur-Mer in Nordfrankreich.
Auch über das Schwarze Meer wird Russland kaum noch beliefert, weil dies für Reedereien zur Gefahr geworden ist. Mindestens fünf Schiffe wurden dort bereits Opfer von Kriegshandlungen.
So sank am vergangenen Donnerstag der estnische Stückgutfrachter „Helt“ nach einer Explosion im Schwarzen Meer vor der Küste der Ukraine. Das unter Panama-Flagge fahrende Schiff soll etwa 20 Seemeilen vor Odessa auf eine Mine gelaufen sein. „Das Schiff erhielt ein Loch unterhalb der Wasserlinie“, teilte die ukrainische Hafenbehörde mit.
Am Tag zuvor traf eine Rakete den Massengutfrachter „Banglar Samriddhi“ aus Bangladesch in ukrainischen Gewässern. Ein Besatzungsmitglied starb.
„Fracht und Ausrüstung stecken in Häfen fest“, meldet Christian Roeloffs, Chef des Stahlboxen-Anbieters Container xChange. „Aufgrund der anhaltenden Unterbrechung der Schifffahrt im Schwarzen Meer erwarten wir, dass sich Container-Ansammlungen in Häfen der gesamten Region verschärfen werden.“
Zwischen dem 17. Februar und dem 2. März hätten sich die Wartezeiten in den europäischen Häfen um 25 Prozent erhöht, ermittelte Fourkites. Danach verzögerte sich der Transport seither im Schnitt um drei bis vier weitere Tage.
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Eiserne Seidenstraße ist geschlossen
Verschärft werden die Behinderungen dadurch, dass die sogenannte Eiserne Seidenstraße, eine 12.000 Kilometer lange Schienenverbindung zwischen China und Deutschland, inzwischen komplett ihren Betrieb eingestellt hat. Nachdem noch bis Donnerstag vereinzelt Züge über Belarus Städte wie Duisburg und Hamburg erreichten, bereiteten die Chinesen dem Projekt nun ein vorläufiges Ende. Die Sicherheit der transportierten Container könne nicht mehr gewährleistet werden, hieß es von dort zur Begründung.
Einst wegen ihrer angeblich geringen Kapazität von Logistikern belächelt, entwickelte sich die Zugverbindung zuletzt zu einer veritablen Alternative zum Überseeverkehr. Allein 2020 transportierte die Bahn 878.000 Stahlboxen, was einem Zehntel der Hafenleistung Hamburgs entspricht. „Diese Menge nun über Containerschiffe aufzufangen“, warnte der Hanseatische Hafenmanager Axel Matern vergangene Woche, „wird kurzfristig kaum möglich sein.“
Wucherpreise von bis zu 54.000 Dollar pro Doppelcontainer, die Speditionen laut Fourkite unmittelbar nach Kriegsbeginn für Transporte von China nach Nordeuropa aufriefen, sind inzwischen zwar wieder verschwunden. Dass die Frachtpreise insgesamt weiter steigen, gilt jedoch als ausgemacht.
Treiber ist allein schon der gestiegene Ölpreis. Die Tarife für schwefelarmen Schiffsdiesel überschritten vergangene Woche an den beiden größten Bunkerzentren der Welt erstmals die Marke von 900 US-Dollar pro Tonne. Die Preise in Fudschaira (VAE), dem drittgrößten Versorgungshafen der Welt, zogen am Wochenende auf 918 Dollar hoch, in Singapur, dem wichtigsten Bunkerzentrum der Welt, kostete der Schiffstreibstoff 904,50 Dollar. Noch im Januar war er für rund 600 Dollar zu haben, im Mai 2020 kostete die Tonne sogar nur 200 Dollar.
Der Ausfall des Russlandhandels selbst trifft Deutschlands Wirtschaft dagegen eher mäßig, wie eine Blitzumfrage der auf Einkauf und Logistik spezialisierten Unternehmensberatung Kloepfel Consulting ergab. Knapp zwei Drittel der befragten 235 Firmen war danach im Russlandgeschäft aktiv. Von ihnen jedoch zeigten sich gerade einmal drei Prozent durch das Embargo in ihrer Existenz bedroht, acht Prozent fürchteten eine starke Gefährdung ihres Wachstums.
Wo die Sorgen wirklich liegen, signalisierte vor wenigen Tagen eine Umfrage der IHK Hannover. „Die Hälfte unserer bislang in Russland aktiven Unternehmen organisiert im Moment bereits den Abbruch ihrer Geschäftsbeziehungen auf diesem Markt“, berichtete Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt. Viele Betriebe rechneten dabei insbesondere mit einer indirekten Beeinträchtigung ihrer Geschäfte.
Konkret: 56 Prozent erwarten demnach höhere Kosten, weil die Krise die Energiepreise und Beschaffungskosten weiter in die Höhe schrauben könnte. 40 Prozent der Betriebe stellen sich auf weitere Störungen in ihren Lieferketten ein. Der russische Markt, so scheint es, spielt dabei wohl eher eine Nebenrolle.
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