Drohender Statusverlust: Wie Deutschlands Autozulieferer um ihr Zukunftsgeschäft kämpfen
Beim automatisierten Fahren übernehmen Tech-Konzerne wichtige Teile der Entwicklung und sichern sich lukrative Margen. Doch die Zulieferer geben sich nicht geschlagen.
Stuttgart, München, Düsseldorf. Im Zukunftsgeschäft mit dem automatisierten Fahren drohen den deutschen Autozulieferern wichtige Teile der Entwicklung zu entgleiten. Dabei waren Bosch, Continental und ZF über Jahrzehnte die exklusiven Ansprechpartner der Autobauer, wenn es um Assistenzsysteme wie ABS, ESP oder Abstandstempomaten ging. Nun mischen Tech-Konzerne wie Nvidia, Qualcomm oder Intel immer stärker mit.
Sie liefern mit ihren Chips elementare Hardware und damit verbunden auch zentrale Software direkt an die Autobauer, damit deren Fahrzeuge selbstständig über Autobahn oder Landstraße fahren können. Mit Mercedes-Benz hat bereits ein großer Autohersteller vorgelegt: Chips und große Teile der Software für das automatisierte Fahren werden ab 2024 vom US-Konzern Nvidia kommen. Software von einem Zulieferer sucht man hier vergebens.
Auch BMW lässt sich vom Chiphersteller Qualcomm künftig wichtige Bestandteile der Software liefern. Jaguar Land Rover erhält von Nvidia sogar die komplette Hard- und Software für das automatisierte Fahren.
Für die größten Autozulieferer der Welt ist das eine Zäsur. Die über Jahrzehnte gefestigte und enge Beziehung zwischen Autobauern und Zulieferern könnte sich innerhalb weniger Jahre grundsätzlich ändern. Bosch, Continental und ZF laufen Gefahr, im Bereich des automatisierten Fahrens ihren privilegierten Status zu verlieren.
Die Logik der Autoindustrie funktioniert wie eine Pyramide: An der Spitze stehen die Hersteller. Direkt darunter kommen jene Zulieferer, die den Autobauer fertige Komplettsysteme und Module liefern, etwa Totwinkelwarner oder Spurhalteassistenten. In der Branche spricht man von „Tier 1“.
Um die benötigten Sensoren, Rechnereinheiten und die Software herstellen zu können, sind diese Unternehmen auf die unter ihnen liegenden kleineren Zulieferer – genannt Tier 2 und Tier 3 – angewiesen. In der Regel gilt: Wertschöpfung, Gewinnmargen und Umsatzgrößen sinken mit jeder Stufe.
Experten sehen erste Anzeichen, dass sich die Machtverhältnisse ändern. „Die Zuliefererindustrie ist in eine unangenehme Sandwichposition geraten“, sagt Peter Fintl, Chipexperte der Beratungsgesellschaft Capgemini. Zwischen Chipproduzenten und Autobauern bleibe immer weniger Raum für die eigene Wertschöpfung.
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
Software birgt das größte Gewinnpotenzial
Überflüssig würden die Zulieferer zwar nicht, erklärt Fintl: „Man braucht jemanden, der die Bauelemente integriert, Baugruppen industriell fertigt und über den gesamten Lebenszyklus betreut.“ Allerdings ist das nicht ansatzweise so profitabel wie das Chip- und Softwaregeschäft, wie ein Blick in die Bilanzen zeigt.
So blieben bei Nvidia im vergangenen Jahr mit knapp zehn Milliarden Dollar mehr als ein Drittel des Umsatzes als Nettogewinn übrig. Das sind Margen, von denen die Zulieferer nur träumen können. Sie sind schon froh, wenn sie auf fünf Prozent Rendite kommen.
Auf dem Markt für automatisiertes Fahren ist die Software, die die Entscheidungen an Bord trifft, zentral. Sowohl die Chipfirmen als auch die Zulieferer wollen für die Autobauer die Software programmieren – denn sie birgt das größte Gewinnpotenzial.
Weil aber weder Bosch, Continental noch ZF eigene komplexe Chips entwickeln, die in den Zentralrechnern verwendet werden, rechnet auch Alexander Koster von der Boston Consulting Group mit einer Machtverschiebung. „Beim automatisierten Fahren könnten die Tech-Unternehmen hochintegrierte Systeme direkt an Hersteller liefern, mit den jetzigen Tier 1 als mögliche Kooperationspartner in neuer Rolle“, sagt er.
Unter den großen deutschen Autobauern stemmt sich nur Volkswagen gegen den Trend. Erst im Januar verkündete die Softwaretochter Cariad eine umfassende Kooperation mit Bosch bei der Entwicklung der Hard- und Software für das automatisierte Fahren. Europas größter Autobauer und der weltgrößte Zulieferer wollen eine deutsche Industrielösung für die wichtigste Zukunftsfrage der Autoindustrie schaffen – und das weitgehend ohne die Hilfe von US-Tech-Giganten.
Frank Petznick, Chef der Fahrerassistenzabteilung von Continental, sieht dagegen keine Gefahr eines Statusverlusts. „Dass Autobauer mit Chipherstellern kooperieren, führt nur zu der Tatsache, dass neben uns nun ein weiterer Tier 1 in Erscheinung tritt“, sagt er dem Handelsblatt. Das würde allerdings auch bedeuten, dass die Zulieferer ihre Gewinne immer stärker mit diesen neuen Anbietern teilen müssen.
Die drei größten Autozulieferer des Landes geben sich nicht geschlagen. Dabei setzen die Unternehmen auf sehr unterschiedliche Strategien:
ZF: Rationale Partnerschaft
Als erster deutscher Autozulieferer kooperierte ZF schon 2017 mit Nvidia. Die Zusammenarbeit scheint sich jetzt auszuzahlen. Mercedes lässt die Amerikaner nicht nur die Chips liefern, sondern auch zentrale Bestandteile der Software programmieren. ZF wiederum liefert nach Informationen aus Branchenkreisen den Bordcomputer Pro AI, in dem ZF seit Beginn Nvidia-Chips verbaut. Zentrale Software ist allerdings nicht dabei.
ZF hat dabei offenbar die Konditionen akzeptiert, die Mercedes und Nvidia dem Stiftungskonzern setzen. Zumindest bei der aufwendigen Integration der Softwarekomponenten könnte ZF aber noch zum Zuge kommen, sagt ein Branchenkenner. Der Stiftungskonzern sei froh, einen Fuß in der Tür zur Zukunft zu haben,
Und ZF erhofft sich zusätzliches Geschäft durch seine Vorarbeiten: „Bei uns sind Software und Hochleistungsrechner perfekt aufeinander abgestimmt und können die Aktuatorik im Chassis der Zukunft und die optimale Fahrzeugdynamik zusammenspielen lassen“, betont ZF-Chef Wolf-Henning Scheider.
Zu Kunden äußert sich ZF generell nicht. Bei den zentralen Bordcomputern habe das Unternehmen aber „sehr, sehr große Aufträge an Bord“, deutete Scheider zuletzt an: „Es geht um Millionenstückzahlen ab 2024 in unserer Produktion.“
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
Continental: Suche nach Kooperation
Für die Nummer drei der deutschen Zuliefererindustrie kommt der ZF-Ansatz nicht infrage. „Aus Wertschöpfungssicht ist es für uns nur sinnvoll, die Computerhardware für das automatisierte Fahren zusammen mit der dazugehörigen Software zu liefern“, sagt Continental-Manager Petznick.
Der Dax-Konzern könne in seine Zentralrechner für das automatisierte Fahren je nach Kundenwunsch die Chips von Nvidia, Qualcomm oder Intel verbauen. Die dazugehörige Software soll laut Petznick unabhängig von Chiplieferanten entwickelt werden.
Bislang liefert Continental seine Rechner und die Software für das automatisierte Fahren nur an einzelne Modelle diverser Autohersteller. Das reicht allerdings nicht. Um nennenswerte Margen mit dem automatisierten Fahren zu erzielen, benötigt der Konzern eine Kooperation, ähnlich der zwischen Bosch und Cariad. Das Problem: So ein Großkunde fehlt Conti bislang.
Aus Industriekreisen heißt es nun, dass sich eine mögliche Zusammenarbeit abzeichne. Continental stehe demnach mit einem Volumenhersteller in Verhandlung, Rechner und Teile der Software plattformübergreifend für mehrere Modelle anzuliefern. Außerdem befinde sich Continental in regem Austausch mit Chiphersteller Intel. Der dürfte nach BMWs Entscheidung, mit Qualcomm zu kooperieren, nach neuen Kunden in der deutschen Autoindustrie Ausschau halten.
Bosch: Sonderweg mit Cariad
Bosch hat den ambitioniertesten Plan. Der größte Zulieferer der Welt hat 30.000 eigene Softwareentwickler. Der Stiftungskonzern rechnet bis 2030 mit zweistelligen Wachstumsraten. Das Marktvolumen schätzt Bosch bis dahin auf etwa 200 Milliarden Euro.
Ziel der Allianz mit der VW-Tochter Cariad ist es, das teil- und hochautomatisierte Fahren in die breite Anwendung zu bringen. Erste Markteinführungen sollen bereits 2023 erfolgen. VW greift auf die Vorarbeiten von Bosch bei der Software zu. Bosch-Chef Stefan Hartung betonte jedoch kürzlich: „Da ist nichts fertig. Das ist ein ganz schön anstrengendes Ding.“
Für Cariad steht dennoch fest, dass die Entwicklung der Software für das automatisierte Fahren eine der Kernkompetenzen sein soll, die man – mit der Hilfe von Bosch – besetzen will. Das geht aus einer Präsentation einer internen Strategiesitzung hervor.
Demnach sieht sich VW hier hinter den Konkurrenten BMW, Mercedes, Honda oder General Motors, die beim automatisierten Fahren bereits große Bestandteile der Software selbst oder gemeinsam mit Tech-Konzernen entwickeln – ohne nennenswerte Beteiligung der Zulieferer. Auch der chinesische Newcomer Nio ist demnach weiter.
Perspektivisch will sich VW auch von Chips der US-Halbleiterkonzerne unabhängig machen. Wie zentral eine eigene Halbleiterkompetenz auf Dauer ist, zeigt das Beispiel Tesla. Die Amerikaner designen ihren Chip für den Zentralcomputer nach jahrelanger Vorarbeit inzwischen selbst.
Bosch jedenfalls zögert noch mit dem Startschuss zur Aufholjagd. „Speziell bei Chips, die zum Beispiel in den zentralen Rechnern moderner Fahrzeuge zum Einsatz kommen, prüfen wir für die Zukunft strategische Optionen zu „make“, „buy“ und „partner““, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Chipdesign ist aufwendig und teuer. Zudem ist ungewiss, ob eigene Chips besser sein werden als die von Nvidia, Qualcomm, Intel oder Tesla.
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
