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Verkaufsstrategien: Hässliche Produkte besser nicht beschönigen

Sollten Anbieter hässliche Produkte auch wirklich hässlich nennen? Oder sie lieber so lange reduzieren, bis sie endlich gekauft werden? Forscher aus Kanada raten zu Ehrlichkeit. Eine neue Folge unserer Serie "Verteidigen Sie Ihre Forschung".

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Die Studie: Unförmige Tomaten, krumme Möhren – Obst und Gemüse, das nicht der Norm entspricht, bleibt oft im Supermarkt liegen. Ließe es sich besser verkaufen, wenn es offensiv als "hässlich" gekennzeichnet wird? Dieser absurd klingenden Frage ist der Doktorand Siddhanth Mookerjee aus Vancouver nachgegangen.

Die These: Wer ein hässliches Produkt verkaufen will, sollte es hässlich nennen.

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Harvard Business manager: Herr Mookerjee, warum haben Sie sich in Ihrer Forschung mit hässlichem Obst und Gemüse beschäftigt?

Siddhanth Mookerjee: Jedes Jahr werfen Supermärkte allein in den USA Obst und Gemüse im Wert von 15 Milliarden Dollar weg. Bauern vernichten fast ein Drittel ihrer Erntemenge aus rein kosmetischen Gründen. Lebensmittelverschwendung ist ein großes Problem – sie schadet der Umwelt und mindert die Gewinne von Unternehmen. Es ist aber noch nicht klar, wie wir Konsumenten dazu bringen, mehr visuell unattraktives Obst und Gemüse zu kaufen. 96 Prozent aller Führungskräfte glauben, der beste Weg solche Produkte zu vermarkten, bestehe darin, ihr Aussehen herunterzuspielen oder die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken. Unsere Feldstudien und Laborexperimente fallen anders aus: Durch die Bank sind Kunden eher bereit, atypische Produkte zu kaufen, wenn sie mit dem Begriff "hässlich" gekennzeichnet sind.

Was könnte der Grund dafür sein?

Es gibt ein gängiges psychologisches Phänomen, das als Hässlichkeitsstrafe ("Ugliness Penalty") bekannt ist. Danach schreiben Menschen unattraktiven Objekten negative Eigenschaften zu. Im Zusammenhang mit Lebensmittelkäufen fanden wir heraus, dass die Leute tatsächlich glaubten, unschönes Obst und Gemüse schmecke schlechter und sei weniger gesund. Diese Wahrnehmung beeinflusste auch ihre Kaufentscheidungen. Wenn Sie jedoch offen eingestehen, dass diese Waren hässlich sind, betonen Sie die Tatsache, dass ihr Aussehen der einzige Nachteil ist. So können Sie Vorurteile gegen visuell unperfekte Lebensmittel ausschalten und bekämpfen.

Spielen auch andere Dinge eine Rolle?

Unsere Forschungen deuten darauf hin, dass der Hauptmechanismus von Labels wie "Achtung, hässlich!" durch eine Korrektur der eigenen Vorurteile entsteht. Aber wir haben uns noch andere Faktoren angeschaut. Zum Beispiel, dass Verkäufer vertrauenswürdiger wirken, wenn sie ehrliche und offene Kennzeichnungen wie "hässlich" verwenden. Frühere Forschungsergebnisse legen nahe, dass solche Wahrnehmungen einen Einfluss auf Kaufentscheidungen haben. Zudem haben wir untersucht, ob diese Label dazu führten, dass Käufer ein Produkt vermenschlichten. Wir fragten uns: Wenn eine Gurke als hässlich bezeichnet wird, haben die Leute Mitleid mit ihr? Oder fühlen sich die Käufer selbst schlecht, wenn sie etwas offensichtlich Hässliches kaufen – beeinflusst die Kaufentscheidung ihr Selbstwertgefühl? Die Forschung zeigt, dass in anderen Zusammenhängen beides zutreffen kann. Aber in unseren Studien entpuppte sich keine dieser Theorien als relevant. Allerdings gibt es eine wichtige Einschränkung.

Welche denn?

Es ist wichtig, die Kennzeichnung "hässlich" mit der richtigen Preisgestaltung zu verbinden. Oft verkaufen Manager unattraktive Produkte zu sehr niedrigen Preisen. Wir fanden heraus, dass ein zu hoher Rabatt das Signal vermitteln kann, mit dem Produkt stimme etwas Grundlegendes nicht – unabhängig vom Aussehen. Ein Schnäppchenpreis konterkariert den Effekt der ehrlichen Kennzeichnung, indem er das Vorurteil aktiviert, dass hohe Rabatte schlechte Qualität bedeuten. Wir fanden heraus, dass ein moderater Preisnachlass von 20 Prozent tatsächlich zu mehr Käufen führte als ein hoher Rabatt von 40 bis 60 Prozent.

Das klingt, als sei die Aufschrift "hässlich" ziemlich effektiv. Warum sieht man sie trotzdem so selten?

Die meisten von uns glauben instinktiv, dass andere Menschen keine unattraktiven Dinge mögen. Daher gehen wir davon aus, dass sich Waren mit ästhetischen Mängeln am besten verkaufen, wenn wir diese herunterspielen oder belächeln. Darum gibt es Marken wie den Lieferdienst "Imperfect Foods" und Beschreibungen wie "Laune der Natur" oder "Produkt mit Persönlichkeit". Das Problem mit diesem Ansatz ist, dass die Leute nicht aufhören, den Makel zu sehen, nur weil man ihn herunterspielt. Im Gegenteil: Ein unbestimmter Begriff wie "unvollkommen" macht nicht klar, was genau mit diesem Produkt nicht stimmt. So bleibt es dem Konsumenten überlassen, bewusst oder unbewusst die Leerstellen zu füllen.

Wenn das Problem darin besteht, dass Menschen unschönes Grünzeug für weniger lecker und gesund halten – könnte man ihnen dann nicht einfach sagen, dass das nicht stimmt?

Sicher. Aber das Label "hässlich" wirkt hier wie eine Abkürzung. Wenn die Leute Lebensmittel kaufen, ist ihre Aufmerksamkeit begrenzt, weil sie viele schnelle Kaufentscheidungen treffen müssen. Bei Luxusautos mag eine ausgeklügelte Verkaufsstrategie sinnvoll sein. Doch es ist schwer, viele differenzierte Informationen in der Zeit rüberzubringen, in der sich Kunden für eine Tomate entscheiden. Tatsächlich haben wir getestet, welchen Einfluss eine neben den Produkten aufgehängte Erklärung hat, dass optische Unterschiede nichts mit Geschmack oder gesundheitsfördernden Eigenschaften zu tun haben. Es zeigte sich, dass dieser Ansatz genauso wirksam war wie die Kennzeichnung "hässlich". Die Sache ist nur: Letzteres ist viel einfacher! Und in vielen realen Einkaufsumgebungen wären umfangreiche Informationsschilder schlicht nicht machbar.

Für Ihre Studie haben Sie sich Wochenmärkte sowie Lieferdienste für Obst und Gemüse angeschaut. Würde die durchschnittliche Kundin eines Supermarktes anders reagieren?

Wir haben uns sehr bemüht, grundlegende demografische Faktoren wie Alter und Geschlecht zu berücksichtigen, aber sicher könnten auch andere kulturelle Faktoren eine Rolle spielen, etwa der sozioökonomische Status und die politische Sichtweise – vor allem was Umweltschutz und Lebensmittelverschwendung angeht. Dazu muss man aber sagen: Ein Großteil der Forschung deutet darauf hin, dass sich Vorurteile gegen unattraktive Produkte in den unterschiedlichsten Zusammenhängen beobachten lassen – unabhängig von der subkulturellen Gruppe. Da liegt es nahe, dass eine Marketingstrategie, die diesen Vorurteilen entgegenwirkt, ebenfalls effektiv wäre.

Wir haben uns außerdem angeschaut, wie international akzeptiert Warenauszeichnungen mit dem Begriff "hässlich" sind. Dabei hat sich gezeigt, dass sowohl Onlineshops als auch stationäre Läden in aller Welt durchgängig zögerten, diesen Begriff zu verwenden. Daher vermute ich, dass die zugrunde liegenden Vorurteile ziemlich universell sind.

Sollten Unternehmen jedem mängelbehafteten Produkt einen Aufkleber mit dem Wort "hässlich" verpassen?

Nicht unbedingt. Zwar haben wir herausgefunden, dass sich Obst und Gemüse so sehr gut verkaufen lassen. Aber wir können nicht garantieren, dass eine ähnliche Strategie auch bei anderen Produktkategorien funktioniert. Es gibt ein paar Beispiele, wo das geklappt hat, etwa bei bewusst hässlichen Weihnachtspullis. Aber bei Kaufentscheidungen mit größeren Konsequenzen und längeren Entscheidungsprozessen ist diese Kennzeichnungsstrategie vielleicht nicht die beste Wahl.

Die Strategie eignet sich also nicht, um Diskriminierung aufgrund des Aussehens ("Lookism") oder andere perfide Vorurteile zu bekämpfen?

Die Hässlichkeitsstrafe ist stark verbreitet. Sie zeigt sich in der Art, wie Menschen Inhalte konsumieren, bestimmte Unternehmen bevorzugen und miteinander umgehen. So gibt es umfangreiche Forschungen dazu, dass unattraktive Menschen als weniger kompetent und kontaktfreudig gelten. Studien deuten allerdings darauf hin, dass es helfen kann, seine eigenen Vorurteile zu identifizieren – so wie das Etikett "hässlich" die eigene Abneigung gegen unattraktives Grünzeug bewusst macht. Wenn es allerdings um Menschen geht, sind unsere Wahrnehmungen und Interaktionen sehr viel komplexer als bei Lebensmitteln.

Es ist also leichter für uns, unsere Vorurteile gegen eine Mohrrübe zu erkennen als gegen einen Menschen.

Ganz genau. Vor allem bei Vorurteilen zu ethnischer Herkunft, Geschlecht und so weiter spielen viel mehr Faktoren eine Rolle. Die Forschung hat zum Beispiel die Erfolgsquote von Verkaufspersonal abhängig von deren Aussehen untersucht. Dabei kam heraus, dass attraktive Menschen bestimmte Produkte besser verkaufen, unattraktive aber bei anderen Produkten punkten. Und natürlich sind die Eigenschaften, die wir Menschen aufgrund ihrer Attraktivität zuschreiben, abhängig vom Kontext: Je nachdem, ob wir jemanden als potenzielle Kollegin, als Liebespartner, Käuferin oder Verkäufer betrachten, kommen wir zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Unsere Vorurteile gegenüber Menschen sind daher sehr viel schwerer zu überwinden als die gegenüber Grünzeug. © HBP 2021

Der Autor

Siddhanth Mookerjee istDoktorand an der Sauder School of Business der University of British Columbia in Vancouver, Kanada. Für seine Studie hat er mit Associate Professor Yann Cornil und Assistant Professor JoAndrea (Joey) Hoegg von der Sauder School zusammengearbeitet.

Dieser Artikel erschien in der Dezember-Ausgabe 2021 des Harvard Business managers.

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