Arbeitnehmer erhöhen vor Conti-Aufsichtsratssitzung Druck auf Wolfgang Reitzle
Der Conti-Chefkontrolleur gerät in der Dieselaffäre unter Druck. Die Arbeitnehmer wundern sich über Reitzles Erinnerungslücken und stellen mögliche Konsequenzen in Aussicht.
**Düsseldorf.**Im Aufsichtsrat von Continental herrscht nach einem Bericht des Handelsblatts über die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Reitzle in der Dieselaffäre Unruhe. Die Arbeitnehmervertreter fordern vor der am Donnerstag stattfindenden Aufsichtsratssitzung Antworten von Reitzle.
„Über Kommunikationsstile lässt sich diskutieren, über Ehrlichkeit in der Kommunikation nicht“, teilt die stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Christiane Benner auf Anfrage des Handelsblatts mit. Sie habe Herrn Reitzle bislang als autoritäre, aber stringente Führungspersönlichkeit kennengelernt. „Sollte sich nun aber herausstellen, dass Herr Reitzle seine Autorität über Sorgfalt gestellt hat, so muss der Aufsichtsrat selbstverständlich über mögliche Konsequenzen beraten“, sagte Benner.
Reitzle hatte bis vor Kurzem mit großer Vehemenz bestritten, darüber informiert gewesen zu sein, dass Mitarbeiter von Continental an den Dieselmanipulationen mitgewirkt hätten. „Nichts, aber auch gar nichts“ sei gefunden worden, was auf die „konspirative Mitwirkung von Mitarbeitern der Continental AG an der Konfiguration der fragwürdigen Software hindeutet“, sagte er dem Handelsblatt noch im Dezember 2021.
Auf die ersten Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft reagierte der 73-Jährige entsprechend überrascht. Doch Protokolle einer Sitzung des Prüfungsausschusses zeigen, dass Reitzle bereits 2016 darüber informiert wurde, dass gegen Mitarbeiter staatsanwaltliche Ermittlungen aufgenommen werden könnten. Zugegeben hatte Reitzle das aber erst auf eine konkrete Anfrage.
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
Der Aufsichtsratsvorsitzende offenbarte zudem in einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Hannover eklatante Erinnerungslücken bei Fragen bezüglich der Dieselaffäre. Außerdem war Reitzle offensichtlich nicht bekannt, wie hoch eine mögliche Strafzahlung für Continental beziehungsweise die mittlerweile abgespaltene Antriebssparte Vitesco ausfallen könnte.
Konzernbetriebsrat Hasan Allak hat daher den Handelsblatt-Bericht nach eigener Aussage mit großer Sorge zur Kenntnis genommen. „Der Betriebsrat erwartet angesichts der Tragweite der im Handelsblatt-Bericht dargelegten Sachverhalte von Prof. Reitzle eine plausible Erklärung“, teilt Allak mit. „In schwierigen Zeiten braucht es Vertrauen in die Entscheidungsträger.“
Dieses Vertrauen scheint nun allerdings erschüttert zu sein. Unter den Arbeitnehmervertretern wirft Reitzles Verhalten Fragen auf, wie professionell der Manager seine Tätigkeit als Aufsichtsratschef ausübt. Christiane Benner fordert eine lückenlose Aufklärung. „Der Aufsichtsrat, insbesondere die Arbeitnehmerbank, hat immer auf umfassende Untersuchungen gedrungen“, sagt Benner. Sowohl Allak als auch Benner sind erst nach den Dieselereignissen in den Aufsichtsrat von Continental gezogen. Allak ist seit 2019 Mitglied, Benner seit 2018.
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
War Wolfgang Reitzle überlastet?
Auch Aktionärsvertreter sehen Versäumnisse des Aufsichtsratschefs. Laut Daniel Bauer, Vorstandsvorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, zeige der Fall Reitzle wieder, dass das Thema Überlastung nicht unterschätzt werden solle.
„Reitzle war zu der damaligen Zeit auch stark mit Linde und der bevorstehenden Fusion mit Praxair beschäftigt. Anders kann ich mir es nicht erklären, dass er sich rein auf Dritte, die er eigentlich kontrollieren müsste, verlassen hat und nicht den ganzen Themen selbst nachging“, teilt Bauer auf Anfrage mit. Reitzle war zwischen 2003 und 2014 Vorstandsvorsitzender bei Linde, später wechselte er in den Aufsichtsrat.
Innerhalb des Konzerns hat der Handelsblatt-Bericht für Aufruhr gesorgt. „Der Schuss hat gesessen“, berichtet ein Insider.
Arbeitnehmer tragen Reitzle Werksschließung in Aachen nach
Bei den Arbeitnehmern kocht vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnisse über Reitzles Rolle in den Dieselermittlungen derweil ein zwei Jahre zurückliegendes Thema hoch: Die Schließung des profitablen Reifenwerks in Aachen. Bei vielen Conti-Mitarbeitern sitze dies noch immer wie ein Stachel im Fleisch, heißt es aus Mitarbeiterkreisen. „Die Arbeitnehmer haben das nicht vergessen“, heißt es. Reitzle zeige gegenüber den Arbeitnehmern oft eine Härte, die er gegenüber den Vorständen nur selten anwende.
Reitzle hatte damals von seinem Doppelstimmrecht im Aufsichtsrat Gebrauch gemacht, um das Aus in Aachen zu beschließen. Mitarbeiter des Reifenwerks gingen gegen die Schließung auf die Straße, der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, bezeichnete in einer Kundgebung das Management von Conti sinngemäß als „kalte Kapitalisten“.
Knapp zwei Monate später gab der damalige Conti-Chef Elmar Degenhart seinen Posten aus gesundheitlichen Gründen auf. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt mittlerweile auch gegen Degenhart.
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
