Navigation überspringen
article cover
Halbleiterfabrik in Dresden: Es fehlen genau jene Chips, die von der deutschen Industrie am häufigsten verwendet werden. - (Foto: Sven Döring für Bosch)
Premium

Autos, Thermomix und Ventilatoren: Der Chipmangel findet kein Ende

Die deutsche Industrie stellt sich auf lang anhaltende Versorgungsengpässe bei Halbleitern ein. Am Ende bekommen das auch die Konsumenten zu spüren.

Stuttgart, München, Düsseldorf. Immer wieder muss Marc Alber seit fast zwei Jahren einen Kurierdienst von der einen auf die andere Minute an den Stuttgarter Flughafen schicken. Wenn unerwartet eine Lieferung Halbleiter eintrifft, darf der Geschäftsführer des Familienunternehmens Geze keine Zeit verlieren. Ohne die Halbleiter würde die Produktion bei dem schwäbischen Spezialisten für intelligente Öffnungs- und Schließsysteme von Gebäuden ins Stocken geraten.

Doch das kostet: Mitunter blättert Alber für die Chips das 20-Fache des früheren Preises hin – und an eine pünktliche Lieferung sei trotzdem kaum zu denken, obwohl das Familienunternehmen 90 Prozent der Lieferkette einer Risikoanalyse unterzieht.

Aber wo nichts ist, lässt sich auch nichts analysieren. So wie Geze kämpfen Tausende Betriebe um ein knappes Gut: Chips. Die Pandemie und die damit einhergehende Digitalisierung haben einen Nachfrageschub ausgelöst, der die Halbleiterhersteller überfordert.

Es fehlt vor allem an jenen Bauelementen, die die deutsche Industrie am dringendsten benötigt: Chips, die mit reifen Verfahren von Auftragsfertigern in Asien produziert werden. Inzwischen errichtet TSMC, die Nummer eins unter den sogenannten Foundries, zwar in großem Stil derartige Fertigungsanlagen. Auch andere Hersteller stecken Milliarden in Fabriken. Aber das helfe erst einmal wenig, betont Peter Fintl, Chipexperte der Beratungsgesellschaft Capgemini: „Die großen Investitionen in reifere Technologien starten jetzt. Daher wird es noch einige Jahre dauern, bis die Angebotslücke geschlossen ist.“ Es droht der ewige Chipmangel.

Jede Woche eine neue Krise

„Fast jede Woche gibt es irgendwo eine kleine oder größere Krise“, konstatiert Rutger Wijburg, Produktionsvorstand des Münchner Halbleiterherstellers Infineon. Mal ist es ein Schneesturm in Texas, der die Produktion lahmlegt, oder ein Stromausfall am wichtigsten deutschen Chipstandort in Dresden wie vergangenen Herbst. „In den letzten 30 Jahren habe ich solch eine Störung der Lieferkette noch nicht erlebt“, sagt der erfahrene Chip-Manager.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Besonders hart trifft es die Autobauer. Das wahre Ausmaß der Chip-Engpässe in der Branche werde momentan nur dadurch übertüncht, dass viel weniger Fahrzeuge als möglich und nötig gebaut werden, meint Matthias Zink, Vorstand Automotive Technologies beim fränkischen Zulieferer Schaeffler. Zudem würden die Kunden derzeit längere Lieferzeiten akzeptieren. Zink: „Wenn wir zu den alten Stückzahlen zurückkehren, wäre das Problem schlagartig gravierender.“

Ein wichtiger Grund für den Run auf die Bauteile ist der Boom der Elektromobilität: „Der Bedarf an Halbleitern im Auto ist extrem gestiegen“, sagt Michael Adam, der für die Chips beim Autokonzern BMW verantwortlich ist. In Wagen mit Verbrennungsmotoren seien Chips für 600 Euro verbaut, in Elektrofahrzeugen seien es 2500 Euro.

Der Beratungsgesellschaft Alix Partners zufolge dürften Autochips bis mindestens 2024 knapp bleiben. Die weltweiten Kapazitäten in der Chipbranche würden schlicht nicht ausreichen, den gesamten Bedarf der Automobilindustrie zu bedienen, prognostizieren die Experten.

Warten auf den neuen Thermomix

Aber nicht nur Autokäufer brauchen Geduld. Auch an Konsumgütern mangelt es. Wer einen Thermomix bestellt, muss sich aktuell zehn Wochen gedulden, ehe der digitale Kochautomat zu Hause eintrifft. „Momentan wirkt sich der weltweite Halbleitermangel stark aus“, sagt Thomas Stoffmehl, Chef des Thermomix-Herstellers Vorwerk.

Thermomix-Produktion - (Foto: picture alliance / abaca)
Thermomix-Produktion - (Foto: picture alliance / abaca)

Auch bei Vorwerk sind die Auftragsbücher voll. 1,5 Millionen Geräte der Kultküchenmaschine wurden allein 2021 weltweit verkauft – so viele wie nie zuvor. Weil ein für den Thermomix benötigter Micro-Controller weltweit knapp ist, musste Vorwerk die Produktion indes herunterfahren. Im Hauptwerk in Frankreich wurde die Fertigung des Thermomix gedrosselt, Schichten punktuell abgesagt. Die längeren Lieferzeiten können unter Umständen bis in den Herbst andauern, fürchtet Stoffmehl.

Micro-Controller sind rund um den Globus heiß begehrt. So ist der Umsatz der Hersteller mit diesen Bauteilen vergangenes Jahr um mehr als ein Viertel auf gut 20 Milliarden Dollar in die Höhe geschossen. Die führenden Anbieter, Chipfirmen wie NXP, Microchip oder Infineon, bekamen nicht annähernd so viel Ware von den Auftragsfertigern in Fernost, wie sie gebraucht hätten. Einer der Gründe: Sie hatten zu wenig Kapazitäten reserviert. 2019 war das Geschäft noch um sieben Prozent geschrumpft, 2020 ging es zwei Prozent nach unten. Mit einem derartigen Boom hatte niemand gerechnet.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

EBM Papst beklagt „Verteilungskampf“

Der neue Chef des Ventilatorenherstellers EBM Papst, Klaus Geißdörfer, rechnet inzwischen mit einer Dauer-Chipkrise. „Wir sind in den ersten beiden Monaten des Geschäftsjahrs gut gestartet, aber wir erwarten die nächsten drei Monate wieder massive Lieferunterbrechungen für elektronische Bauteile.“ Das Geschäftsjahr begann am 1. April.

Der Chipmangel werde sich noch mindestens das ganze Jahr hinziehen, fürchtet der Manager. Das Ziel, erneut zweistellig zu wachsen, sei dadurch gefährdet. Vergangenes Jahr ist der Umsatz des schwäbischen Familienunternehmens um zehn Prozent auf 2,3 Milliarden Euro geklettert.

EBM verbaut ähnliche Komponenten in seinen Lüftern wie die Autoindustrie in ihren Elektrofahrzeugen. Geißdörfer: „Wir kämpfen da wirklich gegen die großen Spieler auf der Welt bei der Verteilung dieser Produkte.“

Schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Die Halbleiterhersteller können ihre Werke kurzfristig gar nicht ausbauen. Es fehlt an Equipment. „Die großen Lieferanten haben Mühe, die Maschinen den Wünschen der Kunden gemäß auszuliefern“, klagt Infineon-Vorstand Wijburg. „Zwölf Monate Lieferfrist ist inzwischen üblich bei den Tools, 18 Monate und länger sind auch keine Seltenheit.“

Angesichts der politischen Spannungen zwischen dem Westen und China könnte sich die Lage in Zukunft noch verschärfen, warnt der Manager. In der Volksrepublik sitzen einige der großen Chip-Auftragsfertiger, sie produzieren auch im Auftrag westlicher Firmen. „Es könnte sein, dass China Teile seiner Kapazität für sich selbst nutzt“, warnt Wijburg.

Die Halbleiterkunden würden unterdessen ganz neue Wege einschlagen, erklärt Capgemini-Berater Fintl: „Die Industrie stellt sich immer besser auf den Chipmangel ein. Durch angepasste Designs können viele Abnehmer inzwischen auf Alternativen ausweichen, wenn eine Halbleiter-Variante einmal nicht verfügbar ist.“ Not macht eben erfinderisch.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Autos, Thermomix und Ventilatoren: Der Chipmangel findet kein Ende

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Handelsblatt schreibt über Substanz entscheidet

Das Handelsblatt ist das führende Wirtschaftsmedium in Deutschland. Rund 200 Redakteure und Korrespondenten sorgen rund um den Globus für eine aktuelle, umfassende und fundierte Berichterstattung. Über Print, Online und Digital kommunizieren wir täglich mit rund einer Million Leserinnen und Lesern. NEU: Diese Seite bietet Premium-Mitgliedern eine Auswahl der besten Artikel vom Handelsblatt direkt hier.

Artikelsammlung ansehen