5 Tipps, wie agiles Arbeiten gelingt
Agile Arbeitsmethoden gelten inzwischen als Allheilmittel, dabei führen sie längst nicht immer zum Ziel – es sei denn, man beachtet diese fünf Tipps.
Jutta Rump ist Betriebswirtin, aber manchmal klingt sie wie eine Ärztin. Zum Beispiel dann, wenn die Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability der Hochschule Ludwigshafen auf agiles Arbeiten angesprochen wird: „Viele Unternehmen“, sagt Rump dann, „verordnen es sich wie Antibiotika.“ Frei nach dem Motto: einmal die Verpackungsbeilage gelesen, Tablette geschluckt und auf Besserung gehofft. Schön wär’s.
Agile Methoden haben sich fast inflationär ausgebreitet. Laut Bitkom Research setzte im Jahr 2018 jeder zweite Betrieb mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen im IT-Bereich auf agiles Arbeiten. Im Personalwesen gilt das laut der Beratung Kienbaum für jedes dritte Unternehmen. Und laut Lünendonk betreuen drei Viertel aller deutschen Konzerne ihre digitalen Kundenschnittstellen agil.
Im Kern bedeutet agiles Arbeiten, eine anpassungsfähige Firmenkultur zu entwickeln: Statt in starren Abteilungen werkelt die Belegschaft in crossfunktionalen Teams, je nachdem welche Qualifikationen gerade gebraucht werden. Projekte werden in kleine Schritten unterteilt, im Vordergrund stehen dabei immer die Bedürfnisse der Kund:innen. Die Vorgesetzten lassen möglichst viel Freiraum und geben nur vor, was zu tun ist – nicht wie.
Doch vielerorts ist Agilität zum Buzzword-Bingo verkommen. Besprechungen heißen Standups, selbst wenn sie vier Stunden dauern, und jeder, der bei der Arbeit Post-its nutzt, wird zum Kanban-Experten. Die agilen Methoden drohen an ihrem eigenen Erfolg zugrunde zu gehen. Doch wahr ist auch: Sie können Mitarbeiter:innen ebenso wie Firmen zugutekommen – vorausgesetzt, sie werden richtig eingesetzt. Und dabei helfen diese fünf Tipps.
1. Bedarf klären
Dirk Jäger war mehrere Jahre Chief Agile Officer bei der Digitalagentur Shopmacher, inzwischen ist er freier Berater. Ein typischer Fehler seiner Kund:innen: Sie wollen agil werden, wissen aber gar nicht, warum. „Man muss sich erst klarmachen, ob es überhaupt Verbesserungspotenzial gibt“, sagt Jäger.
Wo steht ein Unternehmen aktuell? Welche Herausforderung gibt es in welchen Bereichen? Und hilft agiles Arbeiten dabei tatsächlich? Manche Prozesse und Bereiche sind für die Methode besser geeignet als andere. Faustregel: Wenn ein innovatives Produkt oder ein neuer Prozess entstehen soll, bei dem das Ergebnis noch unklar ist, hilft Agilität weiter.
Früher bei Shopmacher hat Jäger auch viele Abteilungen aufgelöst und fast nur in agilen Teams gearbeitet – mit Ausnahme der Buchhaltung und des Rechnungswesens: „Wenn es Standardprozesse mit gesetzlichen Vorgaben gibt“, sagt Jäger, „bringen agile Methoden kaum Mehrwert.“
2. Ziele formulieren
Agiles Arbeiten bedeutet Anarchie? Ein typisches Missverständnis. Dennoch lassen sich fortschrittsskeptische Firmenchefs von solchen Klischees abschrecken. Marc Thiel, der als agiler Coach unter anderem Signal Iduna und Volkswagen berät, ärgert das. Chaos sei immer das Ergebnis schlechter Umsetzung: „Man braucht immer klare Ziele und Regeln.“ Wer ist der Kunde, ein externer Partner oder eine andere Abteilung – und welche Bedürfnisse hat er? Und wie lauten die übergeordneten Ziele der Firma?
Wie wichtig das teilweise schon bei Kleinigkeiten ist, musste etwa die Allianz feststellen. Der Versicherer gründete bereits im Jahr 2016 die Digitalfabrik. Dort arbeiten die Teams mit agilen Methoden an innovativen Projekten, etwa neuen Apps. Anfangs durften sie sich sogar ihre Software selbst aussuchen. Das erschwerte es allerdings, die Lösungen später in die Konzern-IT einzubetten. Daher gibt es zumindest für die Software nun wieder feste Regeln.
3. Methode wählen
Wer sich das erste Mal mit agilem Arbeiten beschäftigt, darf sich von der Vielfalt nicht abschrecken lassen. Für den Einstieg ist es ratsam, sich auf zentrale Methoden zu beschränken. Scrum dient beispielsweise der Produktentwicklung. Dabei werden zunächst die Anforderungen festgehalten und dann von einem crossfunktionalen Team in mehreren Zyklen (Sprints) abgearbeitet – immer im Austausch mit den Kund:innen. Bei Kanban geht es vor allem darum, Arbeitsschritte zu visualisieren. Dafür wird zum Beispiel an einem Whiteboard eine Tabelle aufgemalt mit Kategorien wie „To Do“, „In Arbeit“, „Erledigt“. Dann werden jeweils anstehende Aufgaben zugeordnet.
Die Methode müsse auch zum Team passen, sagt Organisationsforscherin Jutta Rump. Wer lange in einer klassischen Konzernstruktur gearbeitet hat, dürfte sich mit Scrum anfangs schwertun. Stattdessen sollten Chefs die Mitarbeiter:innen mit einfachem Brainstroming „aufwärmen“, später zu Kanban und zu Scrum übergehen. Wichtig ist, dass die gewählte Methode zur Aufgabe passt. Kanban lässt sich in fast allen Unternehmensbereichen anwenden. Scrum dagegen eignet sich für digitale Produktinnovationen oder Kundenschnittstellen.
4. Team einstimmen
Meist hört man nur agile Erfolgsgeschichten, etwa vom Düsseldorfer Internettelefonie-Anbieter Sipgate. Der hat sich 2009 eine Neuausrichtung verordnet und wird seitdem beim Bewertungsportal Kununu von Mitarbeiter:innen regelmäßig als „großartiger Arbeitgeber“ gefeiert. Dass die Realität in vielen Unternehmen anders aussieht, weiß der Autor und Agilitätsberater Michael Hübler. Er trifft bei seinen Kunden, etwa Stadtwerken, Behörden und Mittelständlern, regelmäßig auf Mitarbeiter, die klare Anweisungen mehr schätzen als die große Freiheit. Chefs müssten ihre Teams daher behutsam auf eine Umstellung vorbereiten.
Bei der Allianz sitzen in der Digitalfabrik vor allem jene Mitarbeiter:innen, die von sich aus Lust haben auf neue Arbeitsmethoden. Dort testet der Versicherer, was funktioniert und was nicht. Nach und nach kehren jene Mitarbeiter, die agiles Arbeiten verinnerlicht haben, an ihren ursprünglichen Standort zurück, um ihre zurückhaltenderen Kolleg:innen zu coachen und mitzureißen. „Sie tragen also die neue Methodik in das gesamte Unternehmen“, sagt Daniel Poelchau, Leiter der Digital Factory, „und arbeiten so am Kulturwandel mit.“
Organisationsexpertin Jutta Rump hält dieses schrittweise Vorgehen für sinnvoll, warnt allerdings vor einem großen Risiko: „Agil arbeiten sollten nur Teams, die harmonieren und offen miteinander umgehen.“ Gibt es dagegen Konkurrenz oder persönliche Abneigungen, hakt die Kommunikation – zulasten des agilen Projekts.
5. Unterstützung sichern
Agiler Wandel muss von oben vorgelebt werden. „Wenn Chefs ihren eigenen Führungsstil nicht verändern wollen, sollten sie es am besten bleiben lassen“, sagt Marc Thiel. Abteilungsleiter:innen haben nicht mehr automatisch das letzte Wort, Titel und Position verlieren an Bedeutung. Vorstand oder Geschäftsführung müssen zudem selbst in Sachen Transparenz vorangehen – indem sie klare Ziele setzen, diese öffentlich machen und regelmäßig über Fort- oder Rückschritte informieren.
Wie fundamental solche Veränderungen sein können, hat Dirk Jäger in seiner Zeit bei Shopmacher erlebt: „Wir mussten viel mehr darüber nachdenken, wie wir unsere Position legitimieren.“ Wer sein Team zum eigenständigen Denken anregt, muss auch sich selbst kritische Fragen stellen.
Autorin: Katja Scherer
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