Navigation überspringen
article cover
Premium

Wie Direktmarken erfolgreich wachsen

Ihre D2C-Brand kommt nicht mehr richtig voran? Dann werfen Sie ein paar der Marketinginnovationen über Bord, denen Sie Ihre Anfangserfolge verdanken.

Von V. Kasturi Rangan, Daniel Corsten, Matt Higgins und Leonard A. Schlesinger

Als Emily Weiss ihren Beauty-Blog „Into the Gloss“ 2010 startete, ging es ihr vor allem um den Spaß, den es ihr bereitete, die Beiträge zu verfassen. Die Idee der ­damals 24-Jährigen: Kosmetiktipps und Schönheitspflegerituale mit anderen Millennials zu teilen. Mittlerweile ist das Hobbyprojekt der ehemaligen Assistentin von Condé Nast (US-Medienunternehmen, das unter anderem die Modezeitschrift „Vogue“ herausgibt, wo Weiss arbeitete – Anm. d. Red.) zu einer mehr als eine Milliarde Dollar teuren Marke geworden.

Tatsächlich zeichnete sich der Erfolg schon relativ früh ab: 2014 erzielte „Into the Gloss“ bereits mehr als zehn Millionen Seitenaufrufe im Monat. Das ermutigte Weiss, ihren Blog als Sprungbrett für eine eigene Beauty-Direktmarke zu nutzen: Glossier. So erhalten Kundinnen inzwischen nicht mehr nur Beautytipps; sie können die von Weiss vorgestellten ­Produkte auch direkt bestellen. Damit ­revolutionierte die Gründerin die in der Kosmetikbranche über Jahrzehnte vorherrschende Distributionslogik, nach der sich die Kundschaft im Geschäft beraten ließ und das Produkt vor Ort kaufte.

Das Glossier-Modell kommt gut an – ­sogar Influencerin Kim Kardashian outete sich als Fan. Und das Geschäft läuft: Für bestimmte Produkte ist die Warteliste schon mal 10.000 Kundinnen lang. Glossiers Jahresumsatz liegt bei 100 Millionen Dollar, seine Bewertung bei über einer Milliarde Dollar.

Erfolgsgeschichten wie diese haben zur Entstehung zahlreicher Direktmarken-Start-ups geführt. 2018 zählte das US-Magazin „Inc.“ 400 solcher Marken, Tendenz steigend, darunter Einhörner wie den Öko-Schuhhersteller Allbirds, den Matratzenspezialisten Casper, den Rasier­klingenabo-Anbieter Dollar Shave Club und den Onlinebrillenhändler Warby Parker. Und weil Direct-to-Consumer-Brands (D2C) das Potenzial haben, bestehenden Unternehmen Marktanteile wegzunehmen, interessieren sich auch Risikokapitalgeber für sie: Seit 2019 haben Venture-Capital-Gesellschaften laut Onlinenachrichtenportal „Techcrunch“ zwischen acht und zehn Milliarden Dollar in Direktmarken investiert. Etliche Fachleute feierten das D2C-Modell, das ausschließlich auf Onlineverkauf und Social-Media-Werbung setzt und ohne Zwischenhändler auskommt, sogar als die Zukunft des Marketings. Auf der Höhe des Hypes sprach das Interactive Advertising Bureau (der internationale Verband der Onlinewerbebranche – Anm. d. Red.) sogar vom Beginn einer „Direct Brand Economy“.

Doch mit dem Erfolg kam auch die Konkurrenz – etablierte Unternehmen wie neue Player. Im Jahr 2014 war Casper noch einer der ersten Onlinehändler, der Matratzen verkaufte. Mittlerweile muss er sich gegen mehr als 200 Wettbewerber behaupten. Die Vorteile, die die D2C-Brand-Pioniere online genossen, sind mittlerweile verpufft. Etablierte und schlagkräftige Unternehmen haben das D2C-Modell kopiert und sind mit ihren Angeboten ebenfalls in Blogs, Suchmaschinen und Social Media unterwegs. Zudem stellt ihr starkes Wachstum viele der Start-ups vor Probleme. In der Anfangsphase waren die Newcomer erfolgreich, weil sie mit klassischen Marketingprinzipien brachen und neue Wege bei Kundenakquise und Distribution gingen. Und wie sie bewiesen haben, kann es tatsächlich eine Zeit lang gut gehen, die Regeln zu ­ignorieren – vor allem auf neuen Märkten.

Allerdings haben etliche Unternehmen inzwischen gelernt, dass auch sie sich den ungeliebten Traditionen irgendwann beugen müssen, wenn ihr Geschäfts­modell profitabler werden soll. Angesichts neuer Herausforderungen und eines ­aggressiven und vielfältigen Wettbewerbs sehen sich mittlerweile viele Direktmarken gezwungen, ihr Modell zu überdenken und ihre Strategie anzupassen.

In diesem Artikel beschreiben wir, wie erfolgreiche D2C-Brands in den Anfangsjahren mit vielen ehernen Marketing­regeln gebrochen haben. Zudem analysieren wir die größten Herausforderungen während der Skalierungsphase und stellen vier Prinzipien vor, mit denen Unternehmen an ihre Erfolge aus der Anfangsphase anknüpfen können.

Ein neuer Typ Unternehmen

Der Schuhhersteller Allbirds verdankt den Erfolg seinen Produktinnovationen und einem sicheren Gespür für seine Zielgruppe. Die Sportschuhbranche hat ein Volumen von 65 Milliarden US-Dollar und setzt stark auf Werbung, um Marke und Logo bekannt zu machen. Ihr enorm vielfältiges Angebot flankiert sie gern mit neuesten Technologien. Die Turnschuhe von Allbirds sind dagegen schlicht: Das Obermaterial besteht hauptsächlich aus Merinowolle; die Sohlen werden aus Zuckerrohr statt aus erdölbasierten Schaumstoffen gefertigt; die Schnürsenkel bestehen aus recyceltem Polyester. Allbirds verzichtet auf Zierrat und bietet die Schuhe mit 95 Dollar zu einem angemessenen Preis an. Durch die Kombination aus nachhaltigen Materialien, erschwinglichen Preisen und bequemen Produkten ist es dem Unternehmen gelungen, seine Kundinnen und Kunden auch emotional an sich zu binden. Allbirds erzielt einen Jahresumsatz von über 100 Millionen US-Dollar und hat einen Marktwert von mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar.

Marken, die so wie Allbirds Digital Natives sind, fordern etablierte Unternehmen heraus: Sie interagieren mit ihrer Zielgruppe direkt über Social Media, ­holen laufend Kundenfeedback ein und passen ihre Produkte entsprechend an. Um ihr Wertversprechen zu untermauern, warten sie zudem mit einem erstklassigen Kundenservice auf. Knapp sechs Millionen Unternehmen bieten Produkte online an. Direktmarken sind eine besondere Untergruppe: Es gibt sie ausschließlich übers Internet zu kaufen. Die Marke ist der Kanal, und der Kanal ist die Marke. Zwischenhändler hinzuzuziehen ist tabu – schließlich könnte dies die Einzigartigkeit der D2C-Marke untergraben.

Welches aber sind die Faktoren, die den D2C-Brands geholfen haben, sich so erfolgreich auf ihren jeweiligen Märkten zu positionieren? Zunächst einmal ver­änderte das Aufkommen des Internets und des Mobilfunks Medienkonsum und Kaufverhalten der Menschen nachhaltig. Parallel dazu kam es zu einer demografischen Verschiebung von Babyboomern hin zu Millennials, die für die rasante Beliebtheit der sozialen Medien sorgten.

Junge Konsumentinnen und Konsumenten lassen sich von Werbespots, in denen Prominente Produkte anpreisen, weniger beeinflussen als Babyboomer. Sie folgen eher den Empfehlungen von Influencern auf Instagram und Tiktok. Der Erfolg der digitalen Medien in den vergangenen 15 Jahren machte Kanäle wie Google, Facebook und Twitter für Werbetreibende deshalb zunehmend attraktiv – zumal sie ihnen die Möglichkeit eröffneten, selbst Teilsegmente einer potenziellen Kundengruppe gezielt anzusprechen. Über die klassischen Massenmedien wäre dies schlicht unmöglich gewesen. Und sobald ein Kanal zu teuer wurde, wechselten sie zu einem neueren wie Instagram, Snapchat oder Tiktok.

Sobald Werbetreibenden ein Kanal zu teuer wird, wechseln sie zu einem neueren wie Instagram, Snapchat oder Tiktok.

Die Direktmarken nahmen reife Märkte ins Visier, unter anderem Produkte rund um die Rasur, Kosmetika, Sportschuhe, Brillen und Matratzen. All diesen Angeboten ist gemeinsam, dass es vorher nur wenige etablierte Player gab. Die allerdings verlangten saftige Preise und fuhren hohe Margen ein. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der Markt für die Nassrasur: Bevor Dollar Shave Club und andere die Branche eroberten, besaß Gilette einen Marktanteil von 70 Prozent. Seine hohen Preise für Rasierklingen hatten die Kunden jedoch zunehmend verärgert.

Wie Dollar Shave Club verzichteten auch die anderen neuen Branchenplayer weitgehend auf Forschung und Entwicklung sowie aufwendiges Produktdesign. Ihre Lieferkettenstrategie sah häufig so aus, dass sie Herstellern überschüssige Bestände abkauften und sie zu günsti­geren Preisen als herkömmliche Einzel­handelsmarken anboten. Ein weiterer wichtiger Faktor, der den Erfolg der Direktmarken begünstigte, waren neue, skalierbare Lieferoptionen. Sie sorgten dafür, dass sich Onlinebestellungen schneller und einfacher abwickeln ließen. Shopify und ähnliche Onlineplattformen zum Beispiel bieten sowohl Storefront- als auch Backoffice-Services an. Flexe und Loop, zwei Anbieter von Logistiksoftware, machen mittlerweile den Platzhirschen UPS, DHL und Fedex Konkurrenz. In Nordamerika populäre Bezahldienste wie Stripe und Plaid sowie E-Mail-Marketing-Unternehmen wie Mailchimp erleichtern zusätzlich die Abwicklung des Onlinegeschäfts über On-demand-Distributions- und Fulfillment-Leistungen für zahlreiche D2C-Brands.

Indem die Marken diese Strategie implementierten, setzten sie sich über herkömmliche Marketingkonzepte hinweg und nutzen Abkürzungen, um ihre Produkte zu verkaufen. Diese Taktiken brachten zwar am Anfang schnelle Erfolge; sie stellten die jungen Start-ups in der Wachstumsphase jedoch zunehmend vor Probleme. Welche das waren, sehen wir uns im Folgenden an.

Das eherne Gesetz der Distribution

Dieses Gesetz besagt, dass Kundinnen und Kunden im Rahmen der Vertriebskette auf ein Produkt aufmerksam werden, es prüfen, kaufen und damit ver­bundene Services in Anspruch nehmen. Die einzelnen Schritte können zwar ­vertauscht sein – eine Kundin kann ein Produkt zum Beispiel zuerst im Laden sehen, bevor sie es online kauft oder umgekehrt –, doch damit Marken erfolgreich sind, bedarf es aller Schritte.

Casper hebelte dieses Gesetz aus, als es damit begann, Matratzen online anzubieten und sie den Kunden direkt nach Hause zu liefern. Der stationäre Handel arbeitete mit hohen Preisaufschlägen, um eine Leistung anzubieten, die unverzichtbar schien: Im Laden konnten die Kunden die Matratzen vor dem Kauf testen. Casper gewährte seiner Kundschaft hingegen eine 90-tägige Rückgabefrist, wenn sie mit der Matratze nicht zufrieden waren.

Auch andere Direktmarken haben das eherne Gesetz der Distribution konsequent ignoriert: Warby Parker etwa hat bei der Brillenanpassung einen entscheidenden Schritt an die Kunden delegiert, der normalerweise von einem Optiker vor Ort ausgeführt wird: Damit das Unternehmen den Pupillenabstand messen kann, sollen sie ein Selfie machen und sich dabei eine Kreditkarte unter die Nase halten. Durch Maßnahmen wie diese konnten D2C-Brands Kosten einsparen und ihre Produkte günstiger anbieten. Das funktioniert jedoch nur für Kundensegmente, denen es nicht wichtig ist, welche Phase gestrichen wird. Casper war erfolgreich, weil viele Kundinnen und Kunden keinen Wert darauf legten, die Matratzen vor dem Kauf zu testen. Mit der Zeit stellte das Unternehmen jedoch fest, dass es auch Menschen in seiner Zielgruppe gab, die den Härtegrad der Matratzen prüfen wollten. Also eröffnete der Onlinehändler 2018 die ersten Pop-up-Stores – bereits vier Jahre nach der Gründung.

Direktmarken haben kreative Wege gefunden, das eherne Gesetz der Distribution auszuhebeln. Sie bezahlen dafür aber einen Preis: Mit zunehmendem Erfolg und beim Versuch, das Geschäftsmodell zu skalieren, mussten viele Direktmarken feststellen, dass ihr Markt wegen fehlender Serviceleistungen begrenzt war. Daher machten sich viele auf die Suche nach weiteren Distributionskanälen.

Grundlagen des Markenaufbaus

Bevor der Kontaktlinsen-Onlinehändler Hubble wusste, wer seine Kundinnen und Kunden sind, hatte er bereits einen Vertrag mit einem Kontaktlinsenzulieferer in Taiwan geschlossen. Als Nächstes legte das Start-up einen Preispunkt fest, ab dem es gelingen könnte, der Konkurrenz Kunden abzuwerben. In einem weiteren Schritt beauftragte Hubble eine Agentur, die das Design von Marke, Verpackung und Onlineerlebnis übernahm. Dann suchte es online nach Augenoptikern, die die Kontaktlinsen anpassen sollten. Erst danach begann das Unternehmen, die Produkte auf seiner Website anzubieten. Als die Verantwortlichen feststellten, dass die Kontaktlinsen vor allem bei weiblichen Millennials gut ankamen, die in Ballungsgebieten lebten, nutzten sie Social-Media- und datengestütztes Marketing, um diese Kundinnen zu halten und neue Segmente zu erschließen.

Damit brach Hubble mit einer grund­legenden Marketingregel, die unter dem Namen STP-Modell (STP für Segmentierung, Targeting, Positionierung – Anm. d. Red.) bekannt ist. Diese Systematik mit ihren drei Schritten galt bis dahin als entscheidendes Instrument zur Markenentwicklung. Nach dem klassischen STP-Modell analysieren Marketingverantwortliche zunächst das relevante Marktsegment, um dessen Umsatzpotenzial zu ermitteln. Im zweiten Schritt machen sie sich daran, eine Teilmenge von Kundinnen und Kunden in diesem Segment gezielt anzusprechen, um sich so von der Konkurrenz ­abzuheben. Gestützt auf ihr einzigartiges Leistungsversprechen, versucht die Marke dann, Conversions zu erzielen. Indem sie ihren Kunden kontinuierlich Mehrwert bietet, baut sie eine immer engere Beziehung zu ihnen auf.

Hubble hat diesen Prozess auf den Kopf gestellt. Ähnlich wie es Risikokapitalgeber tun, wenn sie in Start-ups investieren, hatte das Unternehmen eine Marktlücke identifiziert und sich gesichert. Dieses Vorgehen kann den STP-Prozess jedoch nicht ersetzen. Bestimmte Segmente lassen sich nämlich über digitale Kanäle so leicht erreichen, dass Unternehmen eine erste Verkaufswelle erleben, bevor sie überhaupt wissen, warum die Kunden das Produkt kaufen.

Der Ansatz von Hubble liefert daher keine Informationen darüber, wie die Kundinnen und Kunden das Produkt und seine Vorteile wahrnehmen. Erst wenn die erste Verkaufswelle vorüber ist, gewinnen Marken wie Hubble ein Gespür dafür, wer ihre Kernkunden sind und warum sie sich für das Produkt entschieden haben. Mit anderen Worten: Erst jetzt formulieren sie ihr Leistungsversprechen. Sie verzichten auf die anfänglichen Marketingmaßnahmen und -ausgaben und ersetzen sie durch Learning by Doing. Da die digitalen Medien am Anfang günstiger und präziser sind als Massenmedien, ­können Direktmarken effizient Kunden gewinnen und sich so einen kurzfristigen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Die Krux dabei: Der etablierten Konkurrenz bleibt der Erfolg nicht verborgen. Sie nutzt ihre enormen finanziellen Ressourcen, um den Vorsprung des Newcomers aufzu­holen. Das treibt die Preise für digitale Werbung in die Höhe, sodass es dem Start-up immer schwerer fällt mitzuhalten.

Rentabilitätskennzahlen

Um den finanziellen Erfolg zu ermitteln, kalkulieren Marketingfachleute traditionell bereits zu Anfang sämtliche direkten Kosten ein. Auch spätere Werbeaufwendungen und andere langfristige Investitionen werden dabei budgetiert. Auf Basis dieser Zahlen und der potenziellen Produktmargen berechnen Marketingverantwortliche dann, wie viel sie in welchem Zeitraum verkaufen müssen, um die ­Kosten zu decken und Gewinn zu erzielen. Durch diesen Wert, der eine Projektion der Break-even-Menge ist, weiß das Marketing nicht nur, wie groß der Markt und der angestrebte Marktanteil sind. Die Experten wissen auch, welche Vertriebsanstrengungen unternommen werden müssen, um sie zu erreichen.

Direktmarken machen es anders: Sie stützen ihre Berechnungen auf einen prognostizierten Kundenwert (auch Customer Lifetime Value, LTV – gibt den durchschnittlichen Wert an, den ein Kunde während der Kundenbeziehung für ein Unternehmen hat – Anm. d. Red.) und den Spielraum, den die LTV-Marge bei den angenommenen Kosten der Kundenakquise (Customer Acquisition Costs, CAC – Anm. d. Red.) bietet. Um den LTV zu berechnen, müssen Unternehmen einige grund­legende Annahmen treffen. Dazu gehört etwa, dass ein Kunde der Marke für einen bestimmten Zeitraum treu bleibt und regelmäßig Käufe tätigt.

Solche Schätzungen können jedoch stark variieren: Rasierklingen müssen häufig nachgekauft werden, Turnschuhe seltener und Matratzen noch seltener – oft nur alle zehn Jahre. Dadurch ist die Höhe des Kundenwerts oftmals reine Spekulation. Zudem werden Wettbewerbsdynamiken und natürliche Preiserosionen nicht berücksichtigt. Damit ihre Wachstumsstrategie aufgeht, verbuchen Direktmarken Kosten, die eigentlich den Kosten für Kundenakquise zugerechnet werden müssten (etwa Vorauszahlungen oder Provisionen für Influencer), auf das Konto der Vertriebs-, Verwaltungs- und Gemeinkosten. Damit vermitteln sie Investoren den Eindruck, dass der Kundenwert hoch genug ist – üblicherweise das Drei- oder Mehrfache der (zu niedrig geschätzten) Kosten der Kundenakquise. Bereits eine oberflächliche Analyse der Gewinn-und-Verlust-Rechnungen der wenigen börsennotierten Direktmarken zeigt jedoch, dass die tatsächlichen CAC-Angaben deutlich höher sind als angenommen.

In ihrem Überschwang vergessen Direktmarken offenbar allzu häufig, dass entstandene Kosten real sind, künftige Umsätze jedoch nur eine Projektion. Im Gegensatz zur klassischen Kostenrechnung, bei der die Unit Economics (Umsätze und Kosten eines Geschäftsmodells, bezogen auf eine einzelne Einheit – Anm. d. Red.) im Rahmen quartalsweiser oder jährlicher Gewinn-und-Verlust-Rechnungen berücksichtigt werden, erstrecken sich die Finanzprognosen der D2C-Brands oft über mehrere Jahre. Die Wahrheit kommt oft erst dann ans Licht, wenn die Marke in die Skalierungsphase eintritt: Entweder stabilisiert sich der Kundenwert und steigt dann schneller als die Kosten für die Kundenakquise, oder er kann mit diesen Kosten nicht mithalten, wodurch ein negativer Cashflow entsteht.

Das heißt nicht, dass Direktmarken ihre Kundenwertkennzahlen über Bord werfen sollten. Die Informationen sind nützlich, um den Cashflow zu prognostizieren. Sich jedoch auf diese Kennzahl zu verlassen, ohne die Anfälligkeit der zugrunde liegenden Parameter zu berücksichtigen, kann zu einer allzu optimistischen Einschätzung der Unit Economics führen. Deshalb sollten auch Newcomer bewährte Rentabilitätskennzahlen und die Amortisationsdauer nicht außer Acht lassen.

Wie wir in der Praxis immer wieder ge­sehen haben, hat sich das Gros der Direktmarken über die gängigen Marketing- und Bewertungspraktiken hinweggesetzt. Dennoch ist es einigen gelungen, wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen sie ihre Erfolge steigern und weiter wachsen konnten. Sie erkannten etwa, dass sie ihren Kunden über den Kauf­abschluss hinaus einen Mehrwert bieten müssen. Sie begriffen, dass es auf Dauer kein Erfolgsrezept ist, einfach nur eine günstigere Alternative zu bereits bestehenden Produkten zu verkaufen. Deshalb begannen sie damit, jede Phase der Customer Journey dazu zu nutzen, die Kundenbeziehung zu intensivieren.

Einige setzen beispielsweise auf zusätzliche Vertriebskanäle. So ergänzten Cas­per und der Bettenhändler Resident ihren Onlinevertrieb um Einzelhandelsfilialen, in denen die Kunden ihre Produkte ausprobieren können. Andere Direktmarken optimierten ihr Kernprodukt, um den Share of Wallet (Anteil des ausgegebenen Geldes, der innerhalb einer Produktgruppe auf das eigene Unternehmen entfällt – Anm. d. Red.) zu steigern. Diesen Weg ging auch Warby Parker: Um sich ein größeres Stück vom Branchenumsatz zu sichern, ergänzte der Brillenshop sein Sortiment um etliche Premiummodelle.

D2C-Brands sollten die folgenden vier Prinzipien berücksichtigen, wenn sie weiter wachsen wollen:

1. Kundenbeziehungen stärken, statt nur auf Differenzierung zu setzen

2011 gründete Michael Dubin das Start-up Dollar Shave Club. Sein Konzept: Rasierklingen günstig per Abo über Social Media an digital versierte Kunden zu verkaufen. Weil er ein einfacheres Produkt anbot und die Einzelhandelsmargen entfielen, konnte er die Rasierklingen wesentlich günstiger anbieten als die Konkurrenz. In weniger als fünf Jahren gelang es Dollar Shave Club, dem bis dahin als un­besiegbar geltenden Marktriesen Gilette signifikante Marktanteile abzunehmen. Dies zwang Gilettes Mutterkonzern ­Procter & Gamble schließlich dazu, seine Preise zu senken. Und es kam noch dramatischer: Aufgrund der gesunkenen Rentabilität musste der Konzern eine Wertberichtigung in Milliardenhöhe auf die jahrhundertealte Marke vornehmen. 2016 übernahm Unilever den Rasier­klingen-Onlinehändler für eine Milliarde Dollar.

Trotz seines enormen Erfolgs hatte ­Dollar Shave Club etwas Entscheidendes falsch gemacht: Seine Markenidentität gründete hauptsächlich auf Differenzierung. Dollar Shave Club hatte in erster ­Linie damit geworben, dass seine Rasierklingen günstiger waren, weil es auf „Rasiertechnologien, die keiner braucht“ verzichtete (ein Seitenhieb gegen Gilette). Vergleiche mit der Konkurrenz können in der Anfangsphase, wenn ein Unternehmen neu auf dem Markt ist, von Vorteil sein. Früher oder später muss eine Marke jedoch ihre eigene Identität entwickeln. Den Anfangserfolg verdankte Dollar Shave Club der Tatsache, dass es eine relativ junge Zielgruppe mit einem günstigen Angebot über Social Media ansprach. Auch sein Abomodell, mit dem sich die Kunden ihre Rasierklingen bequem nach Hause liefern lassen konnten, überzeugte viele. Dadurch, dass das Unternehmen das Feedback seiner Kunden ernst nahm und sowohl auf positive wie auch negative Rückmeldungen in den sozialen Medien reagierte, blieb es immer in Kontakt mit seiner Zielgruppe, was ebenfalls zur Kundenbindung beitrug.

Die Lehren aus dem Beispiel sind klar: Direktmarken müssen ihren Kundinnen und Kunden über die gesamte Customer Journey hinweg einen Mehrwert bieten. Und zwar ab dem Moment, in dem Inte­ressenten auf ihr innovatives Angebot aufmerksam werden, bis hin zur After-Sales-Phase. Viele D2C-Start-ups erkennen jedoch nicht, dass ihr Wissen über ihren Kundenstamm in der Anfangsphase mindestens genauso wichtig ist, wenn nicht wichtiger, wie die Abgrenzung zu etablierten Unternehmen. Wer lediglich damit wirbt, anders zu sein als die Konkurrenz, wird wahrscheinlich nie mehr sein als eine günstige Alternative. Schlimmer noch: Wenn es den etablierten ­Playern erst einmal gelungen ist, Pro­duktions- und Akquisekosten einzusparen und dadurch die Preise zu senken, haben viele Direktmarken am Ende weder eine eigene Markenidentität noch ein ­Differenzierungsmerkmal.

2. Kunden auch nach dem Kauf begleiten

Auch wenn die meisten D2C-Start-ups nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um mit revolutionären Produktinnovationen aufzuwarten, haben sie doch einen Vorteil: Anders als viele etablierte Unternehmen sind sie in der Lage, Prozesse völlig neu zu denken und entsprechend umzusetzen. Zudem können sie ihre Kundinnen und Kunden während des Kaufentscheidungsprozesses und bis in die Produktnutzungsphase begleiten. Da Direktmarken auf Zwischenhändler verzichten, haben sie den direkten Zugang zu Informationen über ihre Kunden – und so jede Menge Möglichkeiten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Auch hier tun sich etablierte Marken schwer.

Peloton startete 2012 mit einem Geschäftsmodell, das auf dem Verkauf von Sportgeräten basierte – allen voran ein Fahrrad für das Heimtraining für 2500 Dollar. Mittlerweile bietet das Unternehmen auch Fitnesskurse an. Für einen Abopreis von rund 500 Dollar im Jahr erhalten Kunden Zugang zu einer Reihe von Live­stream- und On-demand-Übungskursen. Die Kurse sind beliebt, denn Peloton legt Wert darauf, dass sie von charismatischen Trainerinnen und Trainern geleitet werden. Das Unternehmen hat es dadurch geschafft, mehr zu sein als nur ein Händler von luxuriösen Heimtrainern.

Sein Geschäftsmodell basiert auf dem Gedanken „Gemeinsam Spaß haben in der Community“. Wenn die Peloton-Kundinnen und -Kunden in einer virtuellen Community von Gleichgesinnten trainieren, erleben sie die Marke völlig anders, als wenn sie allein auf ihrem Fitnessgerät vor sich hin sporteln würden. Und obwohl seine Kunden über den gesamten Erdball verstreut sind, kann das Unternehmen ihre Trainingsdaten nutzen, um Inhalte und Funktionen zu verfeinern und individuelle Trainingspläne zu erstellen. Auf diese Weise gelingt es Peloton, enge ­Beziehungen zu seiner Kundschaft aufzubauen. Im vergangenen Jahr erzielte das Unternehmen so einen Umsatz von 1,8 Milliarden Dollar.

Direktmarken haben den Vorteil, dass sie zu jedem Zeitpunkt in direktem Kontakt zu ihren Kundinnen und Kunden ­stehen: Wenn diese auf das Angebot aufmerksam werden, wenn sie es prüfen, auswählen und schließlich nutzen. Dadurch verfügen Direktmarken über einen Schatz an Daten zum Kauf- und Nutzungsverhalten, von dem etablierte Unternehmen nur träumen können.

Die Erkenntnisse, die sich daraus gewinnen lassen, sollten die D2C-Marken nutzen, um Innovationen voranzutreiben, über den Kaufabschluss hinaus den passenden Mehrwert zu schaffen und ihren Kundinnen und Kunden bei jedem Kontakt ein positives Erlebnis zu bieten.

3. Durch Omnichannel-Vertrieb Mehrwert schaffen

Resident ging 2016 als Onlinemarke für Matratzen aus Memory Foam an den Markt, die aufgrund ihres Materials als besonders bequem gelten. Wie Casper ­lieferte das Unternehmen die Matratzen direkt nach Hause. Und noch etwas haben die zwei Unternehmen gemein: Beide gehörten zu den ersten, die auf Omnichannel-Vertrieb setzten. Nur drei Jahre nach dem Markteintritt sorgte Resident dafür, dass seine Matratzen in mehr als 250 Filialen erhältlich waren. Heute werden sie in über 1000 Geschäften in den Vereinigten Staaten verkauft.

Mit dem Aufbau eines Omnichannel-Vertriebs beugten sich die Unternehmen dem ehernen Gesetz der Distribution – und den Wünschen ihrer potenziellen Käufer. Beide Marken verbuchten online zwar große Erfolge. Es gab jedoch eine ­erhebliche Anzahl an Kunden, die die ­Matratzen vor dem Kauf zumindest kurz ausprobieren wollten. Nachdem sie den Onlinemarkt vorerst ausgeschöpft hatten und die Zahl der Erstkunden im Millennial-Segment zurückgegangen war, nahmen Casper und Resident die Bedürfnisse der eher traditionellen Kunden ins Visier. Das war nur konsequent: Die Käufergruppe macht nach wie vor den größten Teil des 17,3 Milliarden Dollar schweren Markts für Matratzen aus.

Omnichannel sollte für Direktmarken eigentlich ein Gräuel sein. Schließlich ist das Vertriebskonzept der Gegenentwurf zum klaren Fokus auf eine einzige Targeting-Methode, der D2C-Marken so erfolgreich gemacht hat. Doch Reichweite und Service von Dritthändlerplattformen wie Amazon, Ebay und Walmart haben etliche D2C-Unternehmen davon überzeugt, auch diese Kanäle zu nutzen.

Für die vielen Tausend kleinen Händler und Unternehmer, die einfach nur ein Stück vom E-Commerce-Kuchen abhaben wollen, mag das funktionieren. Für Marken, die eine starke D2C-Persönlichkeit aufbauen wollen, ist es Gift. Amazon ermöglicht zwar unmittelbare Skalierung, kommerzialisiert Marken aber gleichzeitig durch ein einheitliches Merchandising und aggressive Preisvergleiche.

Dennoch können sich selbst Direktmarken mit mächtigen Alleinstellungsmerkmalen der Anziehungskraft von Amazon kaum entziehen. Experten schätzen, dass 2020 rund 63 Prozent aller Suchen zu ­Onlineprodukten über den E-Commerce-Riesen liefen. Damit sie diese potenzielle Nachfrage nicht an die Konkurrenz verlieren, setzen viele Direktmarken mittlerweile auf eine hybride Strategie: Sie schützen ihr Kernangebot, indem sie eine begrenzte Auswahl an Produkten bei Amazon anbieten – und versuchen gleichzeitig, Kunden bei der Produktsuche abzufangen und auf die eigenen Kanäle umzuleiten. Diese Strategie birgt allerdings erhebliche Risiken. D2C-Brands müssen nämlich nicht nur selbstbewusst auftreten und diszipliniert Kunden zurückzugewinnen, sondern auch der Verlockung hoher Verkaufszahlen über Amazon und Co. widerstehen.

Inzwischen bieten auch Handelsketten Direktmarken in ihren Filialen an, um ­Millennial-Kunden für sich zu gewinnen. Das D2C-Start-up Lola, das nachhaltig produzierte Tampons, Damenbinden und Kondome vertreibt, bietet seine Artikel mittlerweile in 4600 Walmart-Filialen an. Die Matratzen von Casper sind in 1200 Geschäften der Einzelhandelskette Target erhältlich. Und Public Goods, das nachhaltige Haushaltswaren herstellt, verkauft seine Produkte in 2000 CVS-Filialen. Direktmarken sollten jedoch auf­passen, dass sie nicht in den Sog des klassischen Einzelhandelsmodells geraten und um die knappen Regalflächen kämpfen müssen. Die Reichweite der Ketten kann ihnen anfänglich Auftrieb geben; ob das Modell jedoch langfristig Vorteile bietet, ist fraglich.

Vielversprechender ist da die Strategie von Resident und Casper: Die eigenen Produkte über zusätzliche Kanäle anzubieten, um damit Lücken in der Customer Journey zu schließen, sollte der eigentliche Grund für die Umstellung auf ­Omnichannel-Vertrieb sein. Wichtige Pre- und After-Sales-Services wie Qualitätsprüfungen vor Ort, Anpassungen, Reparaturen und Upgrades anzubieten, stärkt die Kundenbeziehung zusätzlich und ­fördert das Markenleitbild. So oder so: Omnichannel-Entscheidungen sollten sorgfältig abgewogen werden und Bestandteil einer bewussten Wachstumsstrategie sein – nicht lediglich der Versuch, durch eine größere Reichweite die CAC zu senken.

4. Sortimentserweiterungen vorsichtig angehen

Seit 2010 können Kundinnen und Kunden bei Warby Parker in den USA Brillen bequem zu Hause anprobieren. Im Rahmen des Programms Home Try On wählen sie online fünf Brillengestelle aus und lassen sie sich kostenlos zuschicken. Weil die Testgestelle mit Gläsern aus Klarglas ausgestattet sind, ist das Programm vor allem für Menschen mit geringer Sehschwäche geeignet, die gern online einkaufen. Sie wählen die Gestelle aus, die ihnen ge­fallen, und müssen lediglich ein Rezept hochladen, um die Bestellung abzuschließen. Wenn ihnen keines der Modelle zusagt, können sie sie gratis zurückschicken. Warby Parker entstehen dadurch Kosten von etwa 15 US-Dollar.

Da das Unternehmen enge Kontakte zu seinem Kundenstamm pflegt, wusste es, dass Menschen, die aufwendigere Korrekturgläser benötigten, ihr Modell lieber vor Ort auswählten. Das Gleiche galt für Kunden, die Wert auf eine größere Auswahl legten. Für Warby Parker war das ein guter Grund, auf eine Omnichannel-Strategie umzusteigen. Drei Jahre nachdem die Direktmarke Brillen ausschließlich online verkauft hatte, eröffnete sie ihre ersten stationären Filialen.

Durch den intensiven Austausch mit seiner Zielgruppe lernte das Unternehmen eine weitere wichtige Lektion: Seine Kunden waren bereit, einen Aufpreis für Produkte zu zahlen, die der Brillenhändler selbst gar nicht anbot. Also erweiterte Warby Parker sein Sortiment um teurere Gleitsicht-, Blaulichtfilter- und lichtreaktive Gläser sowie Kontaktlinsen. Damit erschloss sich der Brillenhändler zusätzliche Umsatzquellen, ohne sein zentrales Leistungsversprechen zu verwässern.

Produktlinienerweiterungen sind eine hervorragende Möglichkeit, mehr Bestellungen zu generieren und Kunden zu ­Folgekäufen zu bewegen. Viele Marken gehen diesen Schritt jedoch, ohne ihr Leistungsversprechen zuvor auf Herz und Nieren zu prüfen. Dabei bergen Sortimentserweiterungen ein Risiko: Manchmal schleichen sich Artikel ein, die mit dem Kernprodukt nichts mehr zu tun haben. Praktisch alle D2C-Matratzenmarken bieten zum Beispiel auch Kissen, Bett­wäsche und Accessoires an, manche sogar Glimmlampen und Hundebetten. Das sind zweifellos gute Produkte, doch nur wenige würden als echte Ergänzung zur Kernmarke durchgehen. Schlimmer noch: Sie könnten das Bestandsvolumen aufblähen und die Kosten in der Lieferkette in die Höhe treiben.

Allbirds bot zunächst nur nachhaltige Schuhe an, ergänzte das Sortiment dann aber um T‑Shirts, Pullover, Jacken, Unterwäsche und Socken. Die ersten drei Kategorien sind sinnvoll, da es mit hoher Wahrscheinlichkeit nachhaltigkeitsbewusste Kundinnen und Kunden gibt, die ihre Schuhe und Kleidung aufeinander abstimmen möchten. Zudem folgen die Schuhe und Kleidungsstücke denselben Lieferkettenprinzipien. Für beides werden natürliche Materialien wie Wolle benötigt, weshalb die Kleidung zu einer deutlichen Umsatzsteigerung beitragen könnte. Unterwäsche und Socken passen hingegen nicht ins Sortiment; sie gehören zu einer anderen Warengruppe.

Richtig gehandhabt, sind Sortimentserweiterungen eine vielversprechende Möglichkeit, die Kundenloyalität zu steigern. Sind sie dagegen schlecht durchdacht, wirken sie unecht und erzeugen beim Kunden den Eindruck, dem Unternehmen gehe es lediglich darum, schnelles Geld zu verdienen. Auch deshalb sollten Direktmarken potenzielle zusätzliche Umsätze gegen Lieferkettenkosten ab­wägen. D2C-Brands sind nur dann erfolgreich, wenn der Markt für das Kernprodukt und seine unmittelbaren Erweiterungen langfristig groß genug ist. Wenn Unternehmen aus Rentabilitätsgründen auch auf Accessoires und andere Produkterweiterungen zurückgreifen müssen, war das Geschäftsmodell von Anfang an nicht tragfähig.

D2C-Marken wird es weiterhin geben. ­Vielen ist es auf kreative Weise gelungen, Schwachstellen in den Marketingmodellen etablierter Unternehmen für sich zu nutzen. Die Daten, die sie beim täglichen Kontakt mit ihren Kunden sammeln, nutzen sie, um ihre Zielgruppen über den gesamten Kaufprozess hinweg zu begleiten. Und die erfolgreichsten unter ihnen haben ­daraus ein profitables Geschäftsmodell entwickelt, mit dem sie diverse Kundensegmente über verschiedene Kanäle ansprechen.

Wenn es darum geht, nachhaltig zu wachsen und Skaleneffekte zu nutzen, müssen sich Direktmarken jedoch weiterentwickeln. Dazu gehört, die eigene Strategie wo nötig anzupassen und stärker auf die Kundenloyalität zu fokussieren. Dabei sollten sie darauf verzichten, sich den Anstrich eines Techunternehmens zu geben oder ihre Markenidentität lediglich auf Negativvergleiche mit der Konkurrenz zu gründen. Auch sollten sie sich nicht zu abhängig von großen E-Commerce-Plattformen wie Amazon machen oder den Ausbau ihres Geschäftsmodells auf Accessoires und Sortimentserweiterungen stützen. Ihr Potenzial liegt in der Produkt- und Serviceinnovation. Dabei dürfen sie allerdings die Ideale ihrer Kernkunden nicht aus dem Blick verlieren. Ob im Marketing, in der Fertigung oder im After-­Sales-Service: Direktmarken sollten ihre Unabhängigkeit und ihren direkten Draht zur Zielgruppe in allen Bereichen nutzen. © HBP 2022

Kompakt

Das Problem Viele Direktmarken starten sehr erfolgreich, bekommen dann aber Schwierigkeiten, weiter zu wachsen und ihr Geschäft auszubauen.

Der Grund Weil der Wettbewerbsdruck durch etablierte Unternehmen mit der Zeit zunimmt, büßen Direktmarken ihre anfänglichen Vorteile als Pioniere in den digitalen Medien irgendwann ein. Die Abkürzungen, die sie genommen haben, um ihre Produkte schnell auf den Markt zu bringen, erschweren die Skalierung.

Die Lösung In der Wachstumsphase sollten Direktmarken der Versuchung widerstehen, sich zu sehr von großen E-Commerce-Plattformen abhängig zu machen. Auch Sortimentserweiterungen müssen sie sorgfältig abwägen. Ihr Potenzial liegt im direkten Draht zur Zielgruppe. In der Wachstumsphase gilt es deshalb, die Kundenloyalität zu steigern.

Autoren

V. Kasturi Ranganist Professor an der Harvard Business School (HBS) sowie Mitgründer und Co-Vorsitzender der Social Enterprise Initiative der HBS.

Daniel Corstenist Professor im Fachbereich Technology and Operations an der Wirtschaftshochschule IE Business School in Madrid und hat in mehrere Einzelhandels-Start-ups investiert.

Matt Higginsist Executive Fellow an der Harvard Business School. 2012 gründete er die private Investmentgesellschaft RSE Ventures, die an den in diesem Artikel beschriebenen Direktmarken Glossier, Warby Parker und Lola beteiligt ist.

Leonard A. Schlesingerist Professor an der Harvard Business School und leitet dort die praxisbezogene Fakultät.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der August-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

Wie Direktmarken erfolgreich wachsen

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Harvard Business manager schreibt über Das Wissen der Besten.

Der Harvard Business Manager ist die erweiterte deutsche Ausgabe der US-Zeitschrift "Harvard Business Review" (HBR), des renommiertesten Managementmagazins der Welt. Die Redaktion ergänzt die besten Artikel aus der HBR um wichtige Forschungsergebnisse von Professoren europäischer Universitäten und Business Schools sowie um Texte deutschsprachiger Experten aus Beratungen und dem Management von Unternehmen. Unsere Autoren zählen zu den besten und bekanntesten Fachleuten auf ihrem Gebiet und haben ihre Erkenntnisse durch langjährige Studien und Berufspraxis erworben.

Artikelsammlung ansehen