30 Milliarden Dollar Verlust mit einer einzigen Idee – Die große Wette des Mark Zuckerberg
Der Facebook-Konzern muss sich neu erfinden. Dabei setzt der Gründer voll auf das Metaversum. Investoren beurteilen die Strategie als riskant – sehen aber keine Alternative.
San Francisco, Düsseldorf Mark Zuckerberg ist bekannt für seine gewöhnlich starre Mimik und seine meist emotionslosen öffentlichen Auftritte. Aber als er kürzlich von Analysten auf seine Pläne für das Metaversum angesprochen wird, gerät er ins Schwärmen. „Wir schaffen hier Historisches“, sagt Zuckerberg. „Ich denke, dass die Menschen noch in Jahrzehnten auf die Bedeutung der hier geleisteten Arbeit zurückblicken werden.“
Der Facebook-Gründer hat einen Konzern der Superlative geschaffen. Sein Unternehmen Meta hat weltweit mehr als 3,7 Milliarden Kunden. Damit erreicht Meta rund 80 Prozent aller Menschen auf dem Globus mit einem Internetzugang – mit Ausnahme von China, wo die Meta-Produkte gesperrt sind.
Acht von zehn Meta-Kunden nutzen eines der Produkte wie Facebook, Instagram oder WhatsApp mindestens ein Mal am Tag. Und doch setzt Zuckerberg jetzt alles auf ein neues Projekt: das Metaversum.
Dahinter verbergen sich die Aktivitäten rund um den geheimnisumwitterten Geschäftsbereich „Reality Labs“: das kostspielige Abenteuer in der virtuellen und erweiterten Realität.
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Seit 2019 hat Zuckerberg 36 Milliarden Dollar in diesen Bereich gelenkt und damit einen kumulierten Verlust von 30 Milliarden Dollar produziert, wie aus den Geschäftsberichten des Unternehmens hervorgeht. In den ersten neun Monaten dieses Jahres summierte sich das Minus auf 9,4 Milliarden Dollar. Entwickelt sich das Geschäft so weiter, dürfte es zum Jahresende auf rund zwölf Milliarden Dollar anwachsen.
Meta-Aktie im freien Fall
Und ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Zuckerberg will die Ausgaben sogar noch ausweiten: „Wir gehen davon aus, dass die Ausgaben für Reality Labs im Jahr 2023 deutlich steigen werden.“
An der Börse wurde Zuckerberg jahrelang gefeiert. Doch seit 2022 reagieren Anleger und Investoren zunehmend entsetzt. Seit Jahresbeginn hat die Aktie 75 Prozent verloren. Der einstige Billionen-Konzern und eines der fünf wertvollsten Unternehmen der Welt kommt heute auf eine Marktkapitalisierung von 240 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Das ist weniger als die Heimwerker-Kette Home Depot.
Solange das klassische Geschäft mit den sozialen Netzwerken rund um Facebook und WhatsApp steigende Gewinne ablieferte, kletterte der Aktienkurs rasant. Doch seit 2022 geht die Strategie nicht mehr auf. Erstens, weil die Börsenstimmung kippte, vor allem für Technologie-Aktien. Zweitens, weil das klassische Geschäft bei Meta 2022 nicht mehr wächst und sich die prall gefüllte Kasse langsam leert.
Beides zusammen gilt als gefährlicher Cocktail. Der Aktienkurs sinkt, das Vertrauen der Anleger schwindet.
In einem offenen Brief warf der Chef des Investors Altimeter Capital, Brad Gerstner, Zuckerberg vor, sich mit seiner Wette auf das Metaversum verrannt zu haben. Seine Kernforderung: Entlassung von mehr als 20 Prozent der mehr als 87.000 Beschäftigten und Reduzierung der Ausgaben – besonders für das Metaversum. Zum Ende des zweiten Quartals dieses Jahres hielt Altimeter Capital mehr als zwei Millionen Aktien von Meta.
Von Befürwortern an der Börse wird das Metaversum-Projekt gern als „do or die“ bezeichnet, weil Facebook und Instagram eben aktuell nicht mehr wachsen.
Hoher Börsenwert erleichtert Verwirklichung der Träume
Schon vor Meta haben risikobereite Chefs alles auf ein großes Projekt gesetzt, um ihr Unternehmen neu zu erfinden. Die Google-Mutter Alphabet hat mit Calico, Deepmind, Loon, Sidewalk, Wing und der geheimnisumwitterten Abteilung X inzwischen mehr als ein Dutzend Tochterunternehmen im Portfolio, die Forschung als ihre Kernaufgabe sehen. Schwerpunkte sind Biotechnologie, Gentechnik, Künstliche Intelligenz, Glasfasernetze, Verkehrsmanagement und Drohnen. Bezahlt wird alles aus den Milliardengewinnen der Suchmaschine Google.
Das wohl größte Vorbild für Abenteurer wie Zuckerberg ist Amazon. Gründer Jeff Bezos investierte Jahr für Jahr zweistellige Milliardenbeträge in die Digitalisierung und Marktmacht - und vernachlässigte Gewinne und Dividenden. Viele Aktionäre spekulierten auf die Idee und trieben so die Aktie immer höher. Der Einsatz zahlte sich aus: Amazon verdiente in den letzten Geschäftsjahren Jahr für Jahr zweistellige Milliardensummen.
Amazon hat indes längst damit begonnen, sich zum zweiten Mal zu erfinden. Das boomende Kerngeschäft des Onlinehandels wächst nicht mehr und leidet unter Gewinneinbußen, ähnlich wie das Kerngeschäft bei Meta. Hohe Investitionen für immer neue Logistikzentren und steigende Kosten für immer mehr Mitarbeiter belasten die Bilanz. Im Gegenzug beschleunigt sich das Wachstum in der Sparte für Cloud-Computing.
Niemand gibt so viel für Forschung und Entwicklung aus wie Amazon. Im vergangenen Jahr waren es 56 Milliarden Dollar, 32 Prozent mehr als im Jahr davor. Seit Jahren ist Amazon unangefochtener Forschungsweltmeister. Ein Großteil der Gelder fließt in die Weiterentwicklung des Cloud-Services AWS, der Sprachassistentin Alexa und in das Projekt des kassenlosen Supermarktes.
Was der Handelsriese gerade erfolgreich praktiziert, ist auch Microsoft bereits gelungen. Lange Zeit hieß es, das von Bill Gates vor 47 Jahren gegründete Unternehmen habe gegenüber Google, Facebook und Co. den Anschluss verloren, weil sich der Konzern zu sehr an seine Erfolgsprodukte Windows und Office klammere - und so neue Trends und Wachstumsmärkte verpasse.
Ähnlich wie der einstige Handyriese Nokia in Europa galt Microsoft als Auslaufmodell. Doch unter Vorstandschef Satya Nadella hat sich Microsoft in Zukunftsbranchen wie der Cloud und der Künstlichen Intelligenz wieder weit nach vorn gearbeitet. Investoren honorierten die hohen Investitionen und hievten die Aktie von einem Allzeithoch zum nächsten.
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Mehrfachstimmrechte sichern die Mehrheit
So schmerzhaft der eingebrochene Aktienkurs und die Kritik an den hohen Ausgaben bei Meta aber auch sein mögen, eine unmittelbare Gefahr für Zuckerberg sind sie nicht. Eine Sonderstruktur mit Mehrfachstimmrechten macht seine Position als CEO bei Meta quasi unangreifbar. Zuckerberg allein entscheidet über die Zukunft des Unternehmens. Zweifel lässt er nicht gelten und konterte: „Ich denke, dass diejenigen, die geduldig sind und mit uns investieren, am Ende belohnt werden.“
Ähnlich komfortabel ist die Situation auch bei Amazon und Alphabet. Entweder sichern Mehrfachstimmrechte die Mehrheit oder hoher Anteilsbesitz der Gründer. Das macht kostspielige Forschung bei steigenden Verlusten ein Stück weit leichter durchsetzbar und damit auch weitgehend unangreifbar.
„Während sich die meisten Vorstände deutscher Konzerne kritischen Aktionärsfragen stellen müssen“, so Anlagechef Huber, hält Zuckerberg über die Unterteilung der Meta-Aktien in A- und B-Aktien mit Mehrfachstimmrechten, die alle bei Zuckerberg und engen Vertrauten liegen, die absolute Stimmrechtsmehrheit. Anders ausgedrückt: Er muss sich keine Sorgen machen, abgewählt zu werden.
Ähnliches gilt für Alphabet und die meisten jungen Techkonzerne. Sie konstruieren Börsengänge so, dass die Gründer die Stimmrechte behalten. Hier liegt der entscheidende Hebel für derart langfristige Projekte, wie sie Meta jetzt angeht – und wie sie in Deutschland, auch aufgrund fehlender finanzieller Mittel, nicht möglich sind.
Noch geht dem Facebook-Mutterkonzern das Geld nicht aus. Im vergangenen Jahr machte Meta bei einem Umsatz von 118 Milliarden Dollar einen Nettogewinn von 39 Milliarden Dollar – trotz der hohen Verluste mit dem Metaversum.
Bleibt die Frage, wofür genau Zuckerberg das viele Geld ausgibt. Der Meta-Konzern schlüsselt in seiner Bilanz die einzelnen Geschäftsbereiche nicht detailliert auf. Finanzchef David Wehner gab bei der Vorstellung der jüngsten Quartalszahlen jedoch einen kleinen Einblick in die Finanzen bei Reality Labs: „Die Ausgaben von Reality Labs stiegen um 24 Prozent auf vier Milliarden Dollar, was in erster Linie auf mitarbeiterbezogene Kosten und Ausgaben für Technologieentwicklung zurückzuführen ist.“ Zudem sei der Verkauf von VR-Brillen ein Kostentreiber.
Preis für VR-Brillen angehoben
Die VR-Brillen des Unternehmens sind das sichtbarste Zeichen nach außen für das Metaversum. Mit der Meta Quest 2 hat Zuckerberg VR-Brillen erstmals zu einem Massenphänomen gemacht. Rund 80 Prozent des globalen Marktes für VR-Brillen beansprucht Meta für sich, wie der Marktforscher Counterpoint ermittelt hat.
Die Quest 2 war für 299 Dollar auf den Markt gekommen. Laut Einschätzung von Branchenexperten liegt dieser Preis deutlich unter den Herstellungskosten. „Zuckerberg wollte sich die Dominanz auf dem Markt erkaufen“, sagte ein Branchenkenner.
Mittlerweile hat Meta den Preis für die Brille um 100 Dollar angehoben und ein neues Gerät mit verbesserter Leistung und einem Fokus auf Firmenkunden auf den Markt gebracht – für 1499 Dollar.
Der größte Kostenfaktor für Meta dürften aber die Personalkosten sein. Der Meta-Konzern gehört zu den Arbeitgebern im Silicon Valley, die die höchsten Vergütungen zahlen. Ein Gesetz in den USA – der sogenannte Dodd-Frank Act – verpflichtet große, börsengelistete Unternehmen, den Mittelwert der Firmenvergütungen offenzulegen. Dieser lag im Geschäftsjahr 2021 für Meta bei 292.785 Dollar. Umgerechnet ist das ein Jahresbruttogehalt von rund 300.000 Euro. Meta sagt, dass am Metaversum mehr als 10.000 Menschen arbeiten.
Der Trend geht steil nach oben, was die Kosten weiter treiben wird. Vor gut einem Jahr versprach Zuckerberg mit Blick auf den Standort Europa, er wolle in den nächsten fünf Jahren in der Europäischen Union 10.000 neue Arbeitsplätze im „Metaversum“ schaffen. Das war allerdings zu einer Zeit, als die Konzerngewinne und der Aktienkurs nur neue Höhen und noch keine Rückgänge kannten.
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