Ghosting im Job – Bewerber versetzen Unternehmen immer häufiger
In Unternehmen greift ein beängstigender Trend um sich: Bewerber tauchen ab, teilweise sogar nach fester Zusage. Der Grund fürs Ghosting ist naheliegend – und lässt sich nur bedingt umkehren.
Düsseldorf. Bewerbung abschicken und danach wochen- oder monatelang nichts hören? Das Phänomen Ghosting kennen viele Leute, die auf Jobsuche sind. Ganz offensichtlich ist das Problem aber kein einseitiges.
So sagt mehr als die Hälfte der Personaler in deutschen Unternehmen, dass in den vergangenen zwölf Monaten kommentarlose Kontaktabbrüche zugenommen haben – und zwar auf Kandidatenseite. Für diese Zahl haben die Jobbörse Indeed und der Marktforscher Appinio insgesamt 400 Recruiterinnen und Recruiter in Deutschland befragt. Das Handelsblatt konnte die Auswertung vorab einsehen.
Demnach hat die große Mehrheit der befragten Personaler (90 Prozent) schon einmal Ghosting von Bewerberseite erlebt. Ein Viertel der Personaler macht mindestens einmal pro Woche diese Erfahrung (26 Prozent), rund jeder Zwölfte verliert sogar täglich den Kontakt zu einem Jobsuchenden (acht Prozent).
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Ghosting im Job: Wenn Mitarbeiter am ersten Arbeitstag abtauchen
Aus Unternehmenssicht beängstigend ist außerdem, wann im Bewerbungsprozess Kandidaten kommentarlos abspringen. So wurden 18 Prozent der Personaler selbst nach einer festen Zusage eines Kandidaten geghostet. Sieben Prozent haben sogar erlebt, dass ein neuer Mitarbeiter ohne Vorankündigung an seinem ersten Arbeitstag nicht antrat.
Ghosting meint den kommentarlosen Kontaktabbruch einer Seite – etwa beim Dating oder bei der Jobsuche. Im Arbeitskontext galten bislang Bewerber als Hauptleidtragende dieses Phänomens. So zeigte eine Stepstone-Befragung schon 2018, dass jeder zweite Bewerber auch 45 Tage nach Versand seiner Unterlagen keine qualifizierte Rückmeldung bekommt.
„Nun hat sich das Blatt gewendet“, sagt Tim Verhoeven, Recruiting-Experte bei Indeed. Heißt: Kandidatinnen und Kandidaten brechen immer häufiger den Kontakt zu Unternehmen ab.
Der Grund ist laut Verhoeven einfache Marktlogik: Aufgrund des Fachkräftemangels hätten „Bewerberinnen und Bewerber oft die Wahl zwischen mehreren guten Optionen“. Früher sei es umgekehrt gewesen: Die Unternehmen konnten sich oftmals den oder die beste Kandidatin aussuchen. Diese Zeiten sind offensichtlich vorbei, wie die Indeed-Befragung nahelegt.
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Videointerviews sorgen für größere Unverbindlichkeit von Bewerbern
Auch andere Personalexperten bestätigen den Trend. „Vor allem zu Beginn des Rekrutierungsprozesses kann es vorkommen, dass jeder weitere Kontaktversuch fehlschlägt und Kandidatinnen oder Kandidaten wie vom Erdboden verschluckt sind“, beobachtet Alexander Wilhelm, Managing Partner im Frankfurter Büro der Personalberatung Intersearch Executive.
Der Headhunter beobachtet inzwischen sogar bei Führungskräften das Ghosting-Phänomen. Seiner Meinung nach habe es die zunehmende Zahl der Videointerviews seit Beginn der Coronapandemie Kandidaten erleichtert, potenzielle Arbeitgeber als Karriereoption wieder zu verwerfen. Das sieht auch Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin des Bundesverbands der Personalmanager, so: „Der Aufwand, der für Bewerber mit den nun zumeist virtuellen Gesprächen einhergeht, ist seit der Pandemie gesunken.“
Fakt ist: Wer kurz vor Jobantritt abspringt, ob angekündigt oder kommentarlos, macht sich damit nicht nur unbeliebt. Er oder sie muss unter Umständen sogar mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen. „Das gilt vor allem, wenn im Arbeitsvertrag eine Vertragsstrafe vereinbart ist“, sagt Tobias Werner, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Weigelt, Ziegler & Werner Rechtsanwälte in Berlin, der etwa einmal im Monat ein Fall von Bewerber-Ghosting auf den Tisch bekommt. Üblich seien Strafen in Höhe von einem halben Monatsgehalt.
Werner rät Arbeitgebern bei Ghosting so früh wie möglich zu kündigen. „Unentschuldigtes Fehlen ist eine klare Pflichtverletzung – da können Arbeitgeber gerade direkt am Anfang des Arbeitsverhältnisses schon nach ein paar Tagen die fristlose Kündigung aussprechen.“
Ghosting im Job verhindern – durch schnelleres Recruiting
Unternehmen, die nicht auf die neue Lage reagieren, „werden sicherlich weiterhin und noch häufiger unangenehme Ghosting-Erfahrungen machen“, sagt Indeed-Experte Verhoeven. Am effektivsten sei es, an der Schnelligkeit im Recruiting zu drehen.
So sind die beliebtesten Methoden gegen Ghosting laut der Befragung eine raschere Rückmeldung nach einem Einstellungsgespräch (37 Prozent) oder nach Eingang der Bewerbung (36 Prozent). Immerhin: Nach einem vorübergehenden Ghosting haben es 20 Prozent der Befragten schon erlebt, dass sich ein Kandidat doch noch zurückgemeldet hat.
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