Grüne Transformation: Mit diesen Tricks wollen die EU und die USA ihren Subventionsstreit entschärfen
Die US-Regierung erwägt, der EU in zwei zentralen Punkten entgegenzukommen. Das ist vor allem für die deutsche Autoindustrie eine gute Nachricht.
Brüssel. Den Unterhändlern läuft die Zeit davon. Noch in diesem Jahr muss die US-Regierung festlegen, wie ihr großes Subventionsgesetz für die grüne Transformation, der Inflation Reduction Act (IRA), umgesetzt werden soll. Die Europäer begrüßen, dass die Amerikaner endlich gegen den Klimawandel vorgehen – fürchten aber, dass ihre Unternehmen systematisch benachteiligt werden.
Seit Wochen laufen Krisengespräche zwischen Brüssel und Washington. Nun, kurz vor Ablauf der Frist, zeichnet sich eine Lösung ab. Die US-Regierung erwägt, den Europäern in zwei Punkten entgegenzukommen, wie das Handelsblatt aus Verhandlungskreisen erfuhr: bei E-Autos und bei der Batterieherstellung.
Der IRA bietet üppige Subventionen für Elektroautos aus amerikanischer Produktion. Allerdings sind diese an Preis- und Einkommensgrenzen gekoppelt. Ausnahmen gelten für Nutzwagen. Die Idee der Unterhändler ist es nun, die Ausführungsbestimmungen so zu formulieren, dass Leasingfahrzeuge als Nutzwagen gelten.
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Damit könnten europäische Elektroautos, sofern sie in den USA geleast werden, Subventionen erhalten. Gerade die deutschen Autohersteller würden davon profitieren, sie zielen tendenziell auf eine gehobene Kundschaft ab und kämen daher für die normalen Kaufprämien im IRA ohnehin kaum infrage. Die Leasing-Lösung könnte einen großen Teil der europäischen E-Auto-Exporte abdecken, heißt es.
Im Bereich der Batterieproduktion gibt es die Überlegung, einen Rohstoffklub, den EU und USA gründen wollen, um ihre Abhängigkeit von kritischen Mineralien aus China zu verringern, de facto als Freihandelsabkommen anzuerkennen.
Damit hätten die Europäer eine ihrer wichtigsten Forderungen erreicht. Sie würden Ausnahmeregelungen erhalten, die der IRA für Kanada und Mexiko vorsieht. Mit beiden Ländern sind die USA in der nordamerikanischen Freihandelszone USMCA, ehemals Nafta, verbunden, weshalb sie vom IRA nicht benachteiligt werden.
400 Milliarden Dollar stehen für die grüne US-Wirtschaft bereit
Mit diesen beiden Auslegungstricks könnte es gelingen, die negativen Auswirkungen der amerikanischen Klimasubventionen auf die europäische Industrie zumindest in Grenzen zu halten. Der IRA verteilt Subventionen an amerikanische Unternehmen und Verbraucher, die auf grüne Technologien umsteigen.
Insgesamt umfasst der IRA 400 Milliarden Dollar, die hauptsächlich in Form von Steuerrabatten fließen sollen. Wer in den USA Windräder oder grünen Wasserstoff produziert, wer ein Elektroauto kauft oder sich Solarpanel aufs Dach stellt, wird künftig vom Staat belohnt – allerdings nur, wenn die Produkte, oder zumindest wesentliche Teile, in den USA gefertigt wurden.
Dass die Amerikaner ihr Subventionsgesetz grundsätzlich überarbeiten, hält die EU für unrealistisch. Im Kongress ist die Bereitschaft gering, das Paket wieder aufzuschnüren. Hinzu kommt: Im kommenden Jahr verlieren die Demokraten von US-Präsident Joe Biden ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus. Eine Einigung mit den Republikanern, denen an einer Klimaschutz-Kooperation mit Europa wenig liegt, wird kaum möglich sein.
Die Regelungen des IRA verstoßen aus europäischer Sicht offenkundig gegen das internationale Handelsrecht. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will einen Wirtschaftskrieg mit den USA aber unbedingt vermeiden, um die Zusammenarbeit bei der Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression nicht zu gefährden. Von Vergeltungszöllen gegen Importe aus den Vereinigten Staaten hält von der Leyen daher nichts.
Die EU werde auf die Milliardensubventionen der USA „in angemessener und wohl kalibrierter Weise reagieren“, sagte sie kürzlich in einer Rede. „Aber bedeutet dies, dass wir uns mitten in einem tatsächlichen Krieg auf einen kostspieligen Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten einlassen werden? Das ist nicht in unserem Interesse.“ Eine Klage vor der Welthandelsorganisation WTO schließt die Kommission zwar nicht aus, doch von der Leyen und ihre Berater sehen wenig Aussicht auf Erfolg.
EU will einen neuen Zukunftsfonds
Stattdessen arbeitet die Kommission daran, das Beihilferecht in Europa zu lockern. Da China und die USA im großen Stil Industriepolitik betreiben, dürften sich die Europäer mit ihren strengen Subventionsregeln nicht länger selbst fesseln, so die Brüsseler Überzeugung. Selbst die liberale Vizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager, die staatlichen Interventionen eigentlich skeptisch gegenübersteht, spricht sich für eine Reform des Beihilferechts aus.
Die veränderte weltwirtschaftliche Realität „erfordert eine weitere Vereinfachung der Kriterien für Investitionen“, schrieb Vestager diese Woche in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. Am heutigen Mittwoch hat die Kommission einen Fragebogen an die Mitgliedstaaten verschickt, um den Konsultationsprozess für die Reform zu starten.
Mit einer Lockerung der Vorschriften ist es aber wohl nicht getan. Vestager sieht die Gefahr, dass „reichere Mitgliedstaaten andere überbieten“, wenn die EU die Schleusen für Subventionen öffnet. Die wirtschaftlichen Gegensätze in Europa könnten sich dadurch verschärfen, was eine Gefahr für den Binnenmarkt darstellt. Diese Sorge treibt auch von der Leyen um.
Die Kommission will daher im kommenden Jahr einen Vorschlag für einen „Souveränitätsfonds“ ausarbeiten. Die Idee ist es, europäische Mittel für industriepolitische Projekte zur Verfügung zu stellen. Der Fonds könnte aus gemeinsamen Schulden, gemeinsamen Einnahmen oder aus dem EU-Haushalt gespeist werden.
Ob die Mitgliedstaaten dazu bereit sind, ist allerdings fraglich. Bundesfinanzminister Christian Lindner betonte vergangene Woche, dass er „keinen Anlass“ für neue europäische Gemeinschaftsschulden sehe. Auch die niederländische Finanzministerin Sigrid Kaag äußerte sich zurückhaltend. Auf Unterstützung trifft das Konzept der Kommission dagegen in Frankreich. Der Abstimmungsprozess im grün-geführten Bundeswirtschaftsministerium läuft nach Informationen des Handelsblatts noch. Teile des Hauses sehen den neuen EU-Fonds kritisch, andere befürworten hin.
Klar ist zumindest, dass sich die Europäer etwas einfallen lassen müssen – und zwar unter hohem Zeitdruck. „Wir können nicht zugucken, wie uns das ökonomische Genick gebrochen wird“, warnt Wirtschaftsminister Robert Habeck.
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