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So verhindern Sie nach einer Kündigungswelle den Totalausfall

Wenn Mitarbeiter kündigen, müssen die verbliebenen Kollegen deren Aufgaben oft noch zusätzlich übernehmen. Drei Strategien, die ausgedünnte Teams vor Erschöpfung und Überlastung bewahren.

Von Margaret M. Luciano

Viele Menschen haben ihre berufliche Entwicklung während der Pandemie in andere Bahnen gelenkt: Sie haben sich im Job umorientiert, Weiterbildungen angefangen oder einen kompletten Neustart gewagt. Für jene, die den Wechsel vollziehen, ist dies oft mit freudiger Erwartung und neuen Impulsen verbunden. Ihre ehemaligen Kollegen sind allerdings oft weit weniger glücklich über die Entwicklung: Sie müssen die anstehenden Aufgaben nun zumindest eine Weile lang mit weniger Leuten bewältigen.

Auch für Führungskräfte sind Kündigungen – vor allem von mehreren Teammitgliedern – eine große Herausforderung. Wenn Abteilungen von 50 Köpfen auf 35 schrumpfen oder ein Team aus zehn Mitgliedern nur noch aus sieben besteht, reicht es nicht aus, Aufgaben umzuverteilen. Die Rekrutierung von neuem Personal könnte in der Theorie Abhilfe schaffen, scheitert jedoch immer häufiger am Arbeitskräftemangel.

Drei Maßnahmen können Chefs und Chefinnen helfen, mit dem Dilemma fertig zu werden und ihre Teams gleichzeitig vor Erschöpfung zu bewahren.

Auch die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kapitulieren, wenn sie an zu vielen Projekten gleichzeitig arbeiten müssen. Bei meinem ehemaligen Arbeitgeber, einem globalen Versicherungsunternehmen, wurde eine besonders leistungsstarke Kollegin damit beauftragt, sich an zehn verschiedenen Projekten zu beteiligen. Sie verteilte ihre Arbeitszeit zu gleichen Teilen auf die jeweiligen Aufgaben. Wenig überraschend, dass die Sache schiefging: Es entstand ein kaum zu lösender Terminwirrwarr. Die Teams, mit denen sie zusammenarbeitete, waren frustriert. Die Ergebnisse blieben deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Wenn mehrere Mitarbeitende kündigen und Stellen unbesetzt bleiben, ist es essenziell, Projekte zu priorisieren und terminlich nach hinten zu schieben. Muss etwa das Systemupgrade wirklich jedes Jahr durchgeführt werden – oder reicht es, wenn es alle zwei Jahre erfolgt? Was nicht aufgeschoben werden kann, muss mit noch mehr Sorgfalt geplant werden. Hätte meine damalige Kollegin ihre Projekte nacheinander bearbeiten können und zeitliche Puffer gehabt, wären ihre Leistungen sicher herausragend gewesen.

Als Vorgesetzter ist es verlockend, die knappen Ressourcen an sich zu reißen und dafür zu streiten, dass die eigenen Projekte Vorrang bekommen und mit dem Wunschpersonal besetzt werden. Planen Sie jedoch lieber realistisch und in Abstimmung mit den anderen Führungskräften. Achten Sie darauf, dass sich Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich auf ihre Arbeit konzentrieren und in jedem Projekt ihr Bestes zeigen können.

In der traditionellen Wirtschaftslehre wird betont, wie wichtig es ist, ein breit gefächertes Portfolio an Kunden und Produkten zu haben. So können Risiken minimiert und das eigene Unternehmen stärker und sicher aufgestellt werden. In der Tat kann es gefährlich sein, sich nur auf wenige Großkunden zu konzentrieren. Wenn Sie jedoch nicht genügend Zeit haben, allen Ihren Kunden ausreichend Aufmerksamkeit zu widmen, werden wichtige Kunden unzufrieden und sich schließlich von Ihrem Unternehmen abwenden.

In vielen Branchen wie etwa der Vermögensverwaltung, bei Versicherungsunternehmen und im Gesundheitswesen ist die Zahl der Verträge, Kunden oder Patienten, die ein einzelner Mitarbeiter betreuen soll, erheblich gestiegen. Manchmal hat sie sich verdoppelt oder sogar verdreifacht. Einer meiner Kunden, ein Vermögensverwalter, sollte vor rund zwei Jahren 60 Klientinnen und Klienten pro Woche anrufen. Die neuen Vorgaben des Unternehmens verlangten von ihm, wöchentlich 246 Anrufe zu schaffen. Damit blieben weniger als zehn Minuten pro Kunde und Telefongespräch. Zeit für andere Aufgaben, wie etwa die Akquise neuer Kundinnen und Kunden oder Marktforschung, hatte er nicht mehr. Es liegt auf der Hand, dass er seinen Kundenstamm nicht mehr zufriedenstellend betreuen konnte. Um sein Pensum bewältigen zu können, machte er beinahe täglich mehrere Überstunden. Als er schließlich das Gefühl hatte, dem Druck nicht mehr länger standzuhalten, kündigte er seinen Job.

Manchmal bedeutet die Priorisierung bestimmter Kunden, dass Sie anderen kündigen müssen. Es gibt jedoch auch weniger drastische Maßnahmen, die Sie testen können. Müssen Kunden tatsächlich einmal pro Woche persönlich kontaktiert werden – oder tut es auch ein Anruf im Quartal, wenn er von automatisierten wöchentlichen E-Mails oder monatlichen Newslettern flankiert wird? Überlegen Sie auch, ob Ihnen Algorithmen oder Filter in Excel helfen können herauszufinden, welche Kunden zu welchem Zeitpunkt Priorität haben sollten. Sie könnten sich zum Beispiel auf jene Kunden beschränken, deren Investments gerade besonders von Marktschwankungen betroffen sind. Im Idealfall lässt sich die Arbeitsbelastung Ihres Teams dadurch reduzieren und gleichzeitig der Kundenstamm erhalten. Wenn dies nicht funktioniert, sollten Sie Ihren besonders wichtigen Kunden Vorrang einräumen und einen Teil Ihres Kundenportfolios hintanstellen.

Suchen Sie nach Maßnahmen, die die tägliche Arbeit Ihrer Mitarbeiter verbessern und sich schnell umsetzen lassen. Gibt es Möglichkeiten, die Daten­eingabe zu automatisieren, indem sie Papierformulare durch elektronische ersetzen, die Kunden selbst ausfüllen können? Könnten Mitarbeitende etliche Stunden einsparen, wenn sie statt manueller Berechnungen Formeln in Excel nutzten oder bessere Vorlagen zur Ver­fügung stünden? Könnten drei Genehmigungsstufen auf eine reduziert werden? Oder der Betrag für genehmigungspflichtige Projekte erhöht werden? Würde ein Projektleiter Arbeitszeit einsparen, wenn es einen zentralen Dokumentenspeicher gäbe und er Informationen nicht mehr aus unzähligen Mails zusammentragen müsste?

Wenn es Aufgaben gibt, die weniger häufig anfallen, Ihren Mitarbeitenden aber das Leben schwer machen – wie etwa monatliche Finanzberichte – sollten Sie diese Aufgaben so weit wie möglich entschlacken. Vielfach hilft es, Mitarbeiter aus einer anderen Abteilung hinzuzuziehen oder externe Fachkräfte einzusetzen, um das eigene Team zu entlasten. Stellen Sie auch andere Abläufe auf den Prüfstand: Prozessverbesserungen können kostspielig sein – sie sind jedoch oft billiger, als laufend neue Mitarbeiter einzustellen.

Aufgrund von Personalmangel sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre Grenzen hinaus belastet. Für Unternehmen, die mit einer Notbesetzung arbeiten, ist es spätestens jetzt Zeit, ihre Prozesse zu überdenken und zu vereinfachen. Auch die richtige Priorisierung kann für Entlastung sorgen. Unternehmen sollten diskutieren und entscheiden, welche Kunden und Produkte heute aber auch in Zukunft besonders wichtig für sie sind. Das Ziel bei alldem ist klar: Teammitglieder mit weniger Projekten zu betrauen – anstatt mit mehr. Das verbessert nicht nur die Arbeitsergebnisse. Es sorgt auch dafür, dass ssich die Mitarbeiter besser fühlen und ihrem Arbeitgeber nicht so schnell den Rücken kehren. © HBP 2022

Autorin

Margaret M. Lucianoist Professorin für Management und Organisation am Smeal College of Business an der Pennsylvania State University.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Oktober-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

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