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Resilienz: Was Sie gegen Stress im Job tun können

Mehr machen und mehr schaffen sind zwei unterschiedliche Dinge. Wie Sie gelassen und trotzdem effektiv arbeiten.

Von Alice Boyes

Auch wenn der Job vielen von uns Freude bereitet: Die meisten Menschen wollen arbeiten, um zu leben und nicht leben, um zu arbeiten. Das ist nicht zuletzt Selbstschutz – denn für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit brauchen wir neben der Arbeit noch genügend Zeit für unsere Familie und Freunde, für Hobbys und Entspannung.

Umso wichtiger ist es, eine Strategie zu entwickeln, die hilft, den Stress im Job gar nicht erst übermächtig werden zu lassen. Die folgenden Tipps können Ihnen dabei helfen:

1. Überzeugungen hinterfragen

Wenn uns Kolleginnen und Kollegen berichten, wie viele Überstunden sie in ein Projekt gesteckt haben und wie unermüdlich sie auch sonst bei der Arbeit sind, kann dies Schuldgefühle und Angst ­auslösen – sogar bis hin zu körperlichen Reaktionen.

Ein Kollege erzählte mir kürzlich zum Beispiel, wie viele Podcastinterviews er gegeben hatte, um für sein neuestes Buch zu werben. Sofort hatte ich ein schlechtes Gewissen – ich hatte nämlich längst nicht so viel getan, um meine eigene Neuveröffentlichung anzupreisen. Noch Stunden später hatte ich Herzrasen, wenn ich an das Gespräch dachte.

Wie aber wappnen wir uns gegen solche Ängste und ihre Auslöser? Meiner Erfahrung nach hilft es, Glaubenssätze aufzudecken und über Bord zu schmeißen. Deshalb habe ich mir nach der Unterhaltung mit dem anderen Autor gesagt: „Mein Kollege ist überzeugt, dass er unheimlich viel Kraft aufbieten muss, um erfolgreich zu sein. Wenn ich jedoch in mich hineinhorche, stelle ich fest: Ich sehe das anders.“ So konnte ich mich von der Überzeugung verabschieden, dass es Überengagement braucht, um Ziele zu erreichen.

Wenn das nicht reicht, versuchen Sie, noch konkreter zu werden. Stellen Sie sich Ihren Ängsten. Sie könnten sich beispielsweise sagen: „Ich habe Angst, dass ich nicht mithalten kann, wenn ich nicht mindestens genau so viel Einsatz zeige wie die anderen. Das habe ich erkannt. Jetzt ist es wichtig, dass ich eine Lösung finde, die mich nicht überfordert und die mir hilft, erfolgreich zu sein, ohne mich zu sehr zu stressen.“

Als mein Autorenkollege über seine vielen Podcastauftritte sprach, schwärmte er nicht davon, wie interessant und bereichernd die Interviews gewesen seien. Es klang eher so, als wären ihm die Gespräche eine schwere Last gewesen. Das tat mir leid für ihn. Ich möchte mich auf Interviews freuen und durch den Austausch mit anderen zu neuen Denkanstößen inspiriert werden.

Außerdem verfolge ich einen anderen Ansatz. Anstatt 100 Podcastinterviews zu geben, wähle ich jene 20 Podcasts aus, die vermutlich am ehesten zu Buchverkäufen führen werden. Danach entscheide ich mich noch für fünf bis zehn weitere Podcast-Interviews, von denen ich hoffe, dass sie mich in erster Linie persönlich weiterbringen werden.

Mein Beispiel zeigt, wie hilfreich es war, meinen eigenen Überzeugungen treu zu bleiben. Auch Sie sollten Ihre Werte identifizieren und klar formulieren. Die meisten von uns sind davon überzeugt, dass uns Gleichheit, Gerechtigkeit, Effizienz, Großzügigkeit, Mut, Unabhängigkeit, Herausforderung, Zusammenarbeit und Abenteuer guttun. Aber jeder von uns setzt seine Prioritäten anders und hat unterschiedliche Vorstellungen dazu, wie Leben und Karriere am besten aussehen sollten. Wenn Ihnen etwa Mut besonders wichtig ist, sollten Sie überlegen, wie Sie Ihre Aufgaben im Joballtag couragiert angehen können. Denken Sie nicht nur darüber nach, was Sie gern tun möchten, wenn Sie Freizeit haben. Versuchen Sie darüber hinaus auch, Erfüllung in Ihrer Arbeit zu finden.

Vertrauen Sie außerdem darauf, dass dieser werteorientierte Ansatz zu den Ergebnissen führen wird, die Sie anstreben. Mit zunehmender Erfahrung und Experimentierfreude werden Sie lernen, während Ihrer Arbeit und für Ihre Karriere „genug“ zu tun, anstatt Ihre Leistung an der Zahl der Stunden zu bemessen, die Sie dafür investieren.

Einstein hat nicht versucht, bei der Ar­beit „phänomenal“ oder „spitzenmäßig“ zu sein. Tatsächlich führen ständige Überforderung und Überanstrengung in der Regel nicht zu großen Erfolgen. Vielmehr geht es darum, tiefere und persönliche Ziele im Arbeitsumfeld zu verfolgen: Zusammenhänge zu erkennen, komplexe Probleme zu lösen oder einen positiven Einfluss auf Mitmenschen auszuüben. Sie können natürlich auch über konkrete Dinge wie Verkaufsziele nachdenken. Aber Sie sollten darüber hinaus nicht vergessen, was Ihnen am Herzen liegt und sich auf jene Aufgaben konzentrieren, die Sie auch persönlich voranbringen.

Eine weitere Möglichkeit, sich aus dem Hamsterrad zu befreien, besteht darin, Ihre Arbeit als ein Handwerk umzudefinieren – und sich das Ziel zu setzen, Ihre Fähigkeiten zu verfeinern. Egal, ob Sie Lehrer, Buchhalter oder Managerin sind: Auf diese Weise lernen Sie Ihre Arbeit noch einmal neu kennen und entdecken womöglich neue, spannende Facetten Ihrer Tätigkeit. Vielleicht gehen Sie dadurch auch häufiger auf Kolleginnen und Kollegen zu, um neue Handgriffe von ihnen zu lernen und sich Feedback einzuholen. Dies alles wird Sie vermutlich nicht zu mehr, sondern zu wichtigerer Arbeit motivieren, die es Ihnen ermöglicht, Ihre Ziele zu erreichen.

Denken Sie an Menschen, die den von Ihnen angestrebten Erfolg bereits erreicht haben, ohne ständig davon zu berichten, wie sehr „überbelastet“ und „erschöpft“ sie sich dabei fühlen. Auch wenn viele ihren Stress vor sich hertragen, als wäre Überbelastung eine Auszeichnung: Es ist keine. Wenn jemand wirklich erschöpft ist, ist dies ein Problem, das gelöst werden sollte.

Ich spreche hier nicht davon, Vorbilder wie Prominente oder Vorstandsvorsitzende zu finden, die Sie bewundern, aber nicht persönlich kennen. Eine effektivere Strategie für die Suche nach Vorbildern ist, sich innerhalb und außerhalb Ihres beruflichen Umfelds umzusehen. Wer inspiriert Sie, weil er oder sie ohne unnötigen Stress gute Leistung erzielt? Welche Ansätze verfolgen diese Menschen? Was können Sie von ihnen lernen und für sich selbst umsetzen?

Wenn Verhaltensweisen bestärkt werden, verstärken sie sich. Wenn sie hingegen ignoriert werden, können sie zunächst zunehmen, ebben dann aber ab. Wenn Ihnen ein Kollege nach Feierabend eine E-Mail schickt und Sie darauf antworten, ermutigen Sie ihn, noch mehr nach Dienstschluss zu arbeiten. In der Folge wird er dies auch von Ihnen erwarten. Deshalb sollten Sie Versuche, Sie in der Freizeit zu stören, von Anfang an ignorieren. Ihr Kollege wird zunächst vielleicht versuchen, Sie dazu zu bringen, seinen Aufforderungen nachzukommen, aber nach einer Weile wird er aufgeben.

Wenn Ihre Chefin Sie dazu auffordert, zusätzliche Aufgaben außerhalb der Arbeitszeiten zu erledigen, ist dies ein Zeichen für eine ungesunde Arbeitskultur. Machen Sie Ihre Grenzen klar. Wenn Ihre Chefin nicht locker lässt oder Mehrarbeit mit Nachdruck einfordert, sollten Sie sich überlegen, ob Sie nicht lieber in einem anderen Team oder in einem anderen Unternehmen arbeiten wollen.

Suchen Sie sich ein Umfeld, in dem Chefs realistische Erwartungen haben, anstatt zu versuchen, sie zu belehren. Wie Adam Grant, Psychologe und Professor an der Wharton School, sagt: „Es ist nicht Ihre Aufgabe, einen toxischen Arbeitsplatz von Grund auf zu ändern.“

Wir alle stehen unter Druck, ständig mehr zu leisten. Doch im Streben nach beruflichem Erfolg und persönlicher Erfüllung ist Überarbeitung Ihr Feind, nicht Ihr Freund. © HBP 2022

Autorin

Alice Boyesist klinische Psychologin, sie arbeitet heute als Autorin, Bloggerin und Kolumnistin. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus ihrem aktuellen Buch „Stress-Free ­Productivity“ (Ebury Edge 2022).

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Oktober-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

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