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Karriere: So starten Sie erfolgreich in den neuen Job

Eine neue Rolle oder ein neuer Arbeitgeber können der Karriere einen Schub verleihen. Doch viele Führungskräfte scheitern am Wechsel. Sie übersehen den wichtigsten Faktor: ihre Kontakte.

Von Rob Cross, Greg Pryor und David Sylvester

Ob eine Beförderung, der Wechsel des Arbeitgebers oder neue Herausforderungen im alten Job – berufliche Veränderungen können nicht nur ein Schub für die Karriere sein, sie bieten Menschen auch die Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln. Jeder weiß, worauf es beim Start in einer neuen Position ankommt: Bringe deine Erfahrung und deine Talente ein, verschaffe dir innerhalb der Firmenhierarchie Respekt (dein Team eingeschlossen), und sieh zu, dass du gleich in den ersten Monaten ein paar wichtige Erfolge erzielst, um zu zeigen, was du kannst.

In der extrem kollaborativen und dynamischen Arbeitswelt von heute sind erfolgreiche Positionswechsel jedoch keine Selbstverständlichkeit mehr. Das gilt selbst für die Qualifiziertesten und Engagiertesten unter uns. Allzu häufig bringen Führungskräfte und Mitarbeitende nach einer Veränderung nicht die Leistung, die andere von ihnen erwarten. Studien des US-Marktforschungsunternehmens Gartner legen nahe, dass 49 Prozent aller Mitarbeiter, die innerhalb ihrer Organisation aufsteigen, bis zu 18 Monate nach ihrer Beförderung unterdurchschnittliche Leistungen erbringen. 27 bis 46 Prozent der Führungskräfte, die eine neue Aufgabe übernehmen, gelten zwei Jahre nach ihrem Wechsel entweder als Versager oder als Enttäuschung, zeigt ein Report der Unternehmensberatung McKinsey.

Wir reden über Managerinnen und Manager, die über die erforderlichen Fähigkeiten und die nötige Erfahrung verfügen. Die wissen, welche Ziele das Unternehmen verfolgt. Die danach ausgewählt wurden, dass sie zur Kultur des Hauses passen. Wie kann es dann sein, dass sie sich in ihren neuen Rollen nicht rasch ­bewährt haben?

Um Antworten zu finden, haben wir die Beziehungen und Kommunikationsmuster von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in mehr als 100 Unternehmen untersucht. In 20 dieser Firmen haben wir Interviews mit insgesamt 160 Führungskräften geführt. Unseren Analysen zufolge gibt es eine Voraussetzung für erfolgreiche Wechsel, die häufig übersehen wird: die Fähigkeit, interne Netzwerke effektiv zu nutzen. „Fast Mover“ – die Personen, die in einer neuen Rolle die größte Produktivität, Innovationskraft und Motivation an den Tag legen – knüpfen vom ersten Tag an weitreichende Kontakte, die für beide Seiten von Vorteil sind und für Motivation sorgen. Konkret heißt dies:

  • Sie knüpfen zügig ein breites Netzwerk,

  • erzeugen Anziehungskraft auf andere,

  • finden heraus, wie sie Mehrwert beisteuern können, welche Kompetenzen ihnen fehlen und wer ihnen helfen kann, diese Lücken zu füllen,

  • vergrößern ihren Einfluss

  • und legen Wert auf Kontakte, die ihr persönliches Wohl maximieren.

Meistens müssen Führungskräfte Vernetzung und Austausch selbst in die Hand nehmen. In einer 2021 erhobenen Umfrage des Institute for Corporate Productivity (i4cp) aus Seattle gaben lediglich 43 Prozent der Befragten an, dass ihr Unternehmen Beschäftigten beim Start in einer neuen Position die nötige Orientierung und Unterstützung gebe. Lediglich ein Viertel hatte den Eindruck, dass ihr Arbeitgeber Jobwechsler ermutigte, frühzeitig Kontakte zu knüpfen oder Netzwerke aufzubauen, um Kompetenzlücken zu schließen. Damit verschenken Arbeitgeber Potenzial. Unternehmen und Führungskräfte können Mitarbeitern in neuen Positionen helfen, und zwar durch ein sorgfältig ausgearbeitetes Programm, das ihnen fünf Strategien an die Hand gibt.

In diesem Artikel erklären wir, warum erfolgreiche Übergänge nicht nur für die eigene Karriere, sondern auch für das Unternehmen wichtig sind, wie Netzwerke in Zeiten zunehmender Kooperation an Bedeutung gewinnen und wie Sie die Praktiken der Fast Mover selbst anwenden können.

Positionswechsel sind in Unternehmen an der Tagesordnung – und sie finden in den unterschiedlichsten Formen statt. Vor allem Millennials und Angehörige der Generation Z wechseln ihren Job deutlich häufiger als frühere Generationen. Das IBM Institute for Business Value befragte im Januar 2021 insgesamt 14.000 Personen in neun Ländern und kam zu dem Ergebnis, dass im Vorjahr etwa 20 Prozent der Arbeitnehmer freiwillig ihren Arbeitgeber gewechselt hatten. Als Gründe nannten sie zum Beispiel den Wunsch nach ortsunabhängigem Arbeiten sowie nach einer Tätigkeit, die mehr Sinn stiftet. Mehr als 25 Prozent gaben an, sich noch im selben Jahr einen neuen Job suchen zu wollen. Bei einer Untersuchung des US-Softwarekonzerns Microsoft von 30.000 Beschäftigten in 31 Ländern waren sogar 40 Prozent bereit für einen Wechsel.

Auch innerhalb von Unternehmen ist die Veränderungsbereitschaft gestiegen. So zeigt eine Untersuchung von i4cp, dass 64 Prozent der Unternehmen derzeit einen Kulturwandel bewusst vorantreiben oder gerade abgeschlossen haben. Dabei haben in fast der Hälfte dieser Firmen Führungskräfte auf allen Ebenen ­gewechselt oder das Unternehmen verlassen. Nach Daten von Gartner ist derzeit jede dritte Führungskraft von einem Positionswechsel betroffen.

Zwar rühmen sich viele Unternehmen ihrer Onboardingprogramme. Doch in einer anderen Umfrage von i4cp sagten nur 44 Prozent der Befragten, dass die Einarbeitung externer Neuzugänge die erhofften Ergebnisse erziele. Und 88 Prozent gaben an, dass es für Beschäftigte, die intern befördert oder versetzt wurden, keinerlei Onboardingprogramm gab.

Nach Angaben des amerikanischen Markt- und Meinungsforschungsinstituts Gallup sind die Kosten, einen Mitarbeiter zu ersetzen, in der Regel 1,5- bis 2-mal so hoch wie sein Gehalt – je nach Seniorität und Kompetenzen. Legt man Kündigungsquoten aus der Zeit vor der Pan­demie zugrunde (konkret: aus dem Jahr 2017), bedeutet das für US-Unternehmen Belastungen von fast einer Billion Dollar jährlich.

Und das ist noch vorsichtig gerechnet. Erstens legen Studien nahe, dass die Zahl der freiwilligen Abgänge steigen wird, weil Beschäftigte in der Zeit nach Corona neue Möglichkeiten und mehr Flexibilität suchen. Und zweitens berücksichtigen Gallups Berechnungen nicht, welche Netzwerkeffekte abwandernde Mitarbeiter haben können.

So rechnet das Institut damit, dass ein 100-köpfiges Unternehmen, das seinen Beschäftigten ein durchschnittliches Jahresgehalt von 50.000 US-Dollar zahlt, für Neueinstellungen mit jährlichen Kosten zwischen 666.000 und 2,6 Millionen US-Dollar kalkulieren muss. Bei Connected Commons, einem von Rob Cross gegründeten Forschungsnetzwerk, haben wir herausgefunden, dass die negativen Folgen eines gescheiterten Positionswechsels weit über Personalsuche und Vergütung hinausgehen. Wenn Beschäftigte nicht die gewünschte Leistung erbringen und das Unternehmen verlassen, leidet die Produktivität des gesamten Teams.

Unserer Forschung zufolge sind von einem Mitarbeiter durchschnittlich fünf bis zwölf Kolleginnen und Kollegen abhängig. Nehmen wir einmal an, dass eine Mitarbeiterin geht und sich dies unmittelbar auf fünf ihrer Kollegen auswirkt. Jede dieser Personen erbringt nun 5 Prozent weniger Leistung, und das über sechs Monate hinweg (drei Monate, um einen Ersatz zu finden, und weitere drei Monate, um den Neuzugang einzuarbeiten). Dann kostet dies das Unternehmen mindestens noch einmal 845.000 US-Dollar (einen kostenlosen Rechner finden Sie unter: network-toolkit.com/connectedtalent).

Findet sich jemand in seiner neuen Rolle nicht zurecht – ohne gleich das Unternehmen verlassen zu müssen –, löst das einen negativen, meist unsichtbaren Dominoeffekt aus. Tut sich zum Beispiel ein neuer Teamleiter schwer, erbringen seine direkten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laut Gartner durchschnittlich 15 Prozent weniger Leistung als bei einem Teamleiter, dessen Wechsel erfolgreich verlaufen ist. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass Teammitglieder kündigen oder demotiviert sind, in diesem Fall 20 Prozent höher. Auch die Produktivität der anderen Führungskräfte im Unternehmen sinkt, wenn ihre Arbeit eng mit der des Jobwechslers verknüpft ist.

Genauso wichtig wie die Häufigkeit und die Folgen von Positionswechseln ist, was im Arbeitsalltag geschieht. Viele Unternehmen setzen auf fach- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit, um noch agiler zu werden.

In einer Umfrage von Gartner aus dem Jahr 2017 gaben 67 Prozent der Unternehmen an, auf kollaborative Geschäfts­modelle zu setzen, um die digitale Transformation zu meistern. Entsprechend stuften sie Kooperationsfähigkeit direkt nach der Innovationskraft als wichtigste Kompetenz ihrer Belegschaft ein. In einer anderen Umfrage sagten 82 Prozent der Unternehmen, ihre Beschäftigten könnten ihre Ziele nur erreichen, wenn sie eng mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiteten. In wieder einer anderen Umfrage erklärte die Hälfte der Befragten, dass der Koordinations- und Kooperationsbedarf in ihrem Bereich innerhalb der vergangenen drei Jahre zugenommen habe. Lediglich 16 Prozent sahen einen sinkenden Aufwand.

Unsere eigenen Studien (aus der Zeit vor der Pandemie) legen nahe, dass die Zusammenarbeit selbst in Positionen, die bereits ein hohes Maß an Interaktionen aufweisen, noch einmal spürbar gestiegen ist. So verbringen die meisten Führungskräfte und Wissensarbeiter mindestens 85 Prozent ihrer Zeit mit kollaborativer Arbeit – sie telefonieren, sitzen in Meetings oder schreiben E-Mails. Das mobile Arbeiten hat diesen Wert noch einmal um fünf bis acht Stunden pro Woche gesteigert. Viele Beschäftigte arbeiten morgens früher und abends später, weil sie mit neuen Technologien zu kämpfen haben oder sich unter Druck fühlen, jederzeit erreichbar zu sein.

Unternehmen haben auch andere Erwartungen an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Laut Gartner stufen Arbeitgeber die „Netzwerkleistung“ – die Effektivität, mit der ein Mitarbeiter die Leistung anderer fördert und selbst von der Leistung anderer profitiert – heute genauso hoch ein wie die Fähigkeit zu selbstständigem Arbeiten. Vor zehn Jahren maßen sie Ersterem lediglich ein Drittel dieser Bedeutung zu. Trotzdem gaben nur 20 Prozent der von i4cp befragten Unternehmen an, dass ihr Onboardingprozess neue Mitarbeiter dabei unterstützt, interne Kontakte zu knüpfen. Das muss sich ändern.

Unsere Analysen zeigen, dass es 10 bis 15 Prozent der Beschäftigten in einer neuen Position gelingt, in einem Viertel bis einem Drittel der üblichen Zeit ein breites Netzwerk aufzubauen. Dazu gehörten auch Personen, die am Anfang über wenige oder gar keine Kontakte verfügten. Die Mitglieder dieser Gruppe waren schneller produktiv, innovativer, motivierter und verließen ihre Unternehmen seltener.

Wenn Sie heute den Job wechseln, haben Sie nicht länger den Luxus, das Networking glücklichen Zufällen zu über­lassen. Um erfolgreich zu sein, müssen Sie – und die Leute, die Ihre Einarbeitung übernehmen – gezielt vorgehen.

Wenn Sie heute den Job wechseln, haben Sie nicht länger den Luxus, das Networking glücklichen Zufällen zu überlassen.

Schnell ein Netzwerk aufbauen

Fast Mover verschaffen sich so zügig wie möglich einen Überblick über die informellen Hierarchien im Unternehmen. Und sie sichern sich die Unterstützung wichtiger Meinungsführer, die bereichsübergreifend Einfluss nehmen und Menschen motivieren können.

Sehen wir uns das Beispiel einer Führungskraft an – nennen wir sie Holly –, die die Personalplanung ihres Dienstleistungsunternehmens optimieren sollte. Sie war dafür nicht offiziell befördert ­worden, dennoch hatte ihre neue Aufgabe eine hohe Relevanz. Holly erkannte schnell, dass sie mit den Leuten sprechen musste, die sich bereits seit Längerem mit dem Thema beschäftigten, hilfsbereit waren und sich nicht scheuten, ungewöhnliche Ideen zu äußern. Innerhalb von sechs Wochen traf sie sich mit Dutzenden Personen aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens, um das Geschäftsumfeld und die Abläufe kennenzulernen. Dabei erfuhr sie auch, welche Sorgen ihre Gesprächspartner am meisten umtrieben. Am Ende der Treffen bat sie ihr jeweiliges Gegenüber immer darum, ihr weitere Personen zu empfehlen, mit denen sie sprechen oder zusammenarbeiten sollte.

Einmal lud Holly beispielsweise einige Vertreter der Personalabteilung zu einer Diskussionsrunde ein, um über die Abläufe in der Personalarbeit zu reden. Sie bat alle Anwesenden, ihr aus den einzelnen Geschäftsbereichen jeweils ein oder zwei Personen zu nennen, die gut vernetzt und hilfsbereit waren oder in Meetings etwas bewegen konnten. Anschließend traf sie sich mit den genannten ­Personen und fragte sie, wie sie den Personalbedarf einschätzten. Ihr gelang es, schnell ein breites Netzwerk aufzubauen, das ihr eigenes Team, die gesamte Personalabteilung sowie Verantwortliche anderer Geschäftsbereiche, Funktionen und Standorte umfasste. Die Mitglieder dieses Netzwerks besaßen alle das Potenzial, ihr Vorhaben entweder deutlich voranzubringen oder negativ zu beeinflussen. Holly machte sich daran sicherzustellen, dass ihr Einfluss ausschließlich positiv sein würde.

Zugleich erkannte sie, dass ihr Erfolg nicht nur von der Unterstützung und dem Vertrauen wichtiger Stakeholder, Kunden und Führungskräfte sowie ihres Teams abhing. Sie musste auch bestimmte Personen für sich gewinnen, die auf den ersten Blick nicht so wichtig erschienen.

Dazu zählten etwa die Stellvertreter der Team-, Abteilungs- oder Bereichsleiter. Diese halfen Holly, die Ziele, die Motivation und die Interessen ihrer Vorgesetzten zu verstehen. Sie verschafften ihr ebenso einen Einblick in die Terminkalender und die jeweilige Arbeitsbelastung. Holly knüpfte auch Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen in funktionalen und unterstützenden Rollen, die für ihr Vorhaben wichtig sein konnten. Und sie suchte sich Personen, die ihr als Sparringspartner sowie als Informationsquelle über Chancen im Unternehmen und die Ansichten anderer dienen konnten.

Anziehungskraft erzeugen

In ihrem 2010 erschienenen Buch „The Power of Pull“ beschreiben John Hagel III, John Seely Brown und Lang Davison, wie Menschen, die Gleichgesinnte für ihre Vorhaben gewinnen und „glückliche Zufälle ermöglichen“, davon nicht nur selbst profitieren, sondern auch ihr Unternehmen voranbringen. Wer einmal wie Holly Kontaktfreude signalisiert hat, möchte, dass die Leute auf einen zukommen, Rat geben und neue Ideen vorschlagen, einen in Projekte einbeziehen und zur nächsten Position verhelfen.

So fiel uns auf, dass Holly beim Erweitern ihres Netzwerks besonders darauf achtete, Fragen zu stellen und zuzuhören, um die Denkweise, die Bedürfnisse und Ziele ihres jeweiligen Gegenübers besser zu verstehen. Sie arbeitete zudem daran, echte Beziehungen aufzubauen, indem sie Interesse für die beruflichen und persönlichen Vorlieben der Person zeigte und nach Gemeinsamkeiten suchte. Und sie sorgte dafür, dass ihre Gesprächspartner sich wohlfühlten, indem sie ihren Status anerkannte, ihre Beiträge wertschätzte und sich sichtlich darum kümmerte, sich für ihre Unterstützung zu revanchieren.

Holly und andere Fast Mover wissen zudem um die Bedeutung von Bescheidenheit. Wenn wir uns beruflich verändern und neue Bekanntschaften machen, neigen viele von uns dazu, sich über Gebühr selbst darzustellen. Wir beschreiben unsere Fähigkeiten, unsere Erfahrungen und erklären ungefragt, wie wir Mehrwert schaffen wollen. Stattdessen sollten wir lieber durch unsere Handlungen unser Können unter Beweis stellen.

Ein Beispiel dafür ist Meredith. Sie ist Managerin bei einem Hersteller von Industrieverpackungen und wechselt dort häufig die Position – weniger weil sie um eine Versetzung oder Beförderung gebeten hat, sondern weil andere ihr Können schätzen. Meredith sagte uns: Bevor sie anderen von ihren Erfahrungen oder ihrer Expertise erzählt, fragt sie sich immer, ob dies der anderen Person helfen werde – oder ob sie sich lediglich selbst in ein ­besseres Licht rücken will. Sei Letzteres der Fall, lasse sie es lieber bleiben.

Erfolgreiche Jobwechsler passen ihre Ansätze und Ideen an neue Mitglieder ihres Netzwerks an. Als Meredith einmal eine neue Rolle übernahm, stellte sie fest, dass ihre Kolleginnen und Kollegen dort konsensorientierter waren als sie selbst. Damals wollte sie erreichen, dass das Unternehmen künftig Kartonagen aus Brasilien bezieht. Bei der Entscheidung waren Kosten, Qualitätsaspekte und Nachhaltigkeitsfragen abzuwägen. Statt allein vorzupreschen oder eine Mehrheitsentscheidung herbeizuführen, bemühte sich Meredith, einen Konsens herzustellen und alle mit ins Boot zu holen.

Am schnellsten erzeugen Sie natürlich Anziehungskraft, wenn Ihre Ideen nicht nur Ihnen, sondern auch allen anderen Beteiligten Erfolg versprechen. Meredith vernetzte sich daher mit dem Verantwortlichen für Nachhaltigkeit im Unternehmen. Dieser war zunächst gegen ihre Idee, weil das FSC-Siegel für nachhaltige Forstwirtschaft in Brasilien häufig gefälscht wird. Meredith sagte, sie verstünde den Einwand. Aber sie argumentierte, dass das Unternehmen dank einer neuen Anti-Fett-Beschichtung für den brasilianischen Karton auf die Kunststoffverkleidung bei Lebensmittelverpackungen verzichten könne. Der Nachhaltigkeitsmanager betrachtete dies als großen Gewinn für sein Anliegen, daher änderte er seine Meinung und stellte sich hinter Merediths Plan. Nicht nur das: Er war so beeindruckt von ihrem Wissen und ihrer Flexibilität, dass er zu einem guten Freund und Berater wurde, der häufig mit Fragen, Informationen und Vorschlägen zu ihr kam.

Ein gängiger Rat an Jobwechsler lautet, die eigene Geschichte überzeugend zu präsentieren und an ihrer Wirkung auf andere zu arbeiten. Fast Mover hingegen – so unsere Erfahrung – halten es anders: Sie kooperieren mit anderen und schreiben gemeinsam eine Erfolgsgeschichte.

Schwächen kompensieren

Vielleicht sind Sie Expertin für eine Schlüsseltechnologie, können sehr gut motivieren oder haben eine andere besondere Kompetenz. Doch das muss nicht unbedingt dem entsprechen, was gerade gefragt ist. Nutzen Sie Ihre Kontakte zu Vorgesetzten, Mitarbeitern und internen Kunden, um herauszufinden, was andere von Ihnen in der neuen Position erwarten.

Nutzen Sie Ihre Kontakte, um herauszufinden, was von Ihnen in der neuen Position erwartet wird.

Eine Managerin, mit der wir gesprochen haben, fühlte sich in ihrer neuen Vorstandsrolle zunächst komplett überfordert, weil es in den Meetings um sehr technische Fragen ging. „Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte“, berichtete sie. „Ich dachte, ich würde diese Fachsprache niemals beherrschen.“ Doch dann habe sie der CEO beruhigt. Sie müsse das nicht alles wissen, sagte er. Er habe sie für die Rolle ausgewählt, weil sie gut Impulse setzen und Erfolge kommunizieren könne.

Zugleich habe er sie darauf hingewiesen, dass sie bei Bedarf ihr Netzwerk um Unterstützung bitten müsse. Positionswechsel lassen zwangsläufig Kompetenzlücken entstehen. Den meisten von uns gelingt es jedoch nicht, diese zu erkennen, oder wir versuchen, sie zu verbergen. Fast Mover machen sich dagegen bewusst, wie sie am besten Mehrwert beisteuern können, und arbeiten dann an ihren Schwächen, die sie dabei behindern. Oder sie finden Personen, die mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten genau diese Lücken füllen können. Das ist oft der schnellere und effektivere Weg.

Ein Beispiel hierfür ist Gary, der aufgrund seiner Expertise in einer bestimmten Produktlinie seines Unternehmens in eine leitende Position befördert wurde. Er war bereits seit 20 Jahren für seinen Arbeitgeber tätig, und obwohl er sich ­weiter in seinem Fachbereich bewegte, musste er feststellen, dass er mit manchen Begriffen, die seine neuen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verwendeten, nichts anfangen konnte. Anstatt Verständnis vorzutäuschen, erstellte er eine Liste mit 33 Begriffen, die er gehört und nicht verstanden hatte. Dann bat er sein Team um Hilfe. Vor allem eine Formulierung veränderte seinen Blick auf die Produktlinie: „But is it A and K?“, kurz für „But is it awesome and kewl [cool]?“. Die Frage war zwar eher scherzhaft gemeint. Sie spiegelte aber die sehr reale Sorge der Beschäftigten wider, ob das Unternehmen in der Lage sei, seine Fabriken für junge Arbeitskräfte attraktiver zu machen.

Einfluss vergrößern

Fast Mover finden sich nicht nur schnell in ihre neue Rolle ein. Sie setzen auch Großes zügig um, indem sie die Macht derer nutzen, die sie kennen – und zwar sowohl für die Ideenfindung als auch für die Umsetzung. Das heißt: Erst bitten sie innovationsfreudige Menschen aus dem ganzen Unternehmen um Ideen, wie sich drängende Probleme lösen lassen. Dann gewinnen sie einflussreiche Personen dafür, gemeinsam mit ihnen diese Ideen umzusetzen und bekanntzumachen.

Ein Arzt, den wir hier Calvin nennen, zeigt, wie Sie so schnell an Einfluss gewinnen können. Calvin leitete die Palliativstation einer Uniklinik, die kurz zuvor in ein größeres Gesundheitsunternehmen integriert worden war. Dort war man wenig vertraut mit Calvins Arbeit, der Palliativmedizin, bei der es darum geht, die Schmerzen von Todkranken zu lindern, statt ihnen eine aggressive Behandlung zur Heilung zukommen zu lassen. Calvin befürchtete, seine Station könnte geschlossen werden, und begann, sein Netzwerk in dem frisch fusionierten Unternehmen auszubauen. Ein Kontakt führte zum nächsten. Schnell kam er mit Spe­zialisten der Onkologie und Geriatrie ins Gespräch, die von seiner Arbeit fasziniert waren. Auch in der Kommunikations­abteilung fand er Verbündete.

Durch die Gespräche kam Calvin eine Idee: Warum nicht die internen Publikationen, Vorträge, Medieninterviews und sonstigen PR-Werkzeuge nutzen, um auch anderen im Unternehmen die Palliativmedizin näherzubringen? Da er seine Beziehungen gezielt geknüpft hatte und wie Holly und Meredith eine gewisse An­ziehungskraft ausübte, halfen ihm seine neuen, in Fragen der Kommunikation erfahrenen Kontakte auch bei der Umsetzung: Sie schrieben Pressemitteilungen, redigierten seine Blogbeiträge, arrangierten Interviews mit Medienvertretern und trainierten mit ihm öffentliche Auftritte.

Fast Mover wie Calvin gewinnen vier Typen einflussreicher Personen für ihre Vorhaben. Da wären erstens die gut Vernetzten, die über große informelle Netzwerke verfügen, um Ideen zu verbreiten und sich die Unterstützung bestimmter Gruppen zu sichern. Zweitens gibt es die Brückenbauer, die Verbindungen zu verschiedenen Bereichen und Standorten haben und Silos aufbrechen können. Dann sind da drittens die Motivatoren, die bei jeder Interaktion Leidenschaft und Begeisterung wecken, wodurch sie das gesamte Unternehmen für eine Idee ein­nehmen können. Und viertens gibt es die Skeptiker, die zu allem erst einmal Nein sagen. Die Argumente dieser Leute sollten Sie aber unbedingt in Betracht ziehen – zum einen, um die Idee zu optimieren, zum anderen, um sie vielleicht doch noch für die eigene Sache zu gewinnen.

Calvins Networking bewahrte nicht nur seine Station vor der Schließung. Ihre Mitglieder wurden zugleich auch gefragte Ansprechpartner für Ärztinnen und Ärzte aus dem gesamten Unternehmen.

Persönliches Wohl maximieren

Trotz des Stresses, der mit einem Positionswechsel und dem Aufbau eines Netzwerks einhergeht, achten Fast Mover auch auf ihr körperliches und geistiges Wohlbefinden. Ihr Netzwerk ist groß, doch sie lassen weder zu, dass die Qualität der Beziehungen darunter leidet, noch dass sie zu viele Kooperationsanfragen aus der Ruhe bringen. Sie suchen sich Personen, die sie verstehen, motivieren, sich ihnen anpassen und für sie einen Gewinn darstellen – und umgekehrt genauso. Und sie umgeben sich mit Menschen, die ihre eigenen Kompetenzen sinnvoll ergänzen, sodass sie selbst mehr Zeit und Raum für Aufgaben haben, die wichtiger, sinnstiftender und ausbaufähiger sind.

Ein sorgfältig aufgebautes Netzwerk von Unterstützern schützt Fast Mover vor einigen der Herausforderungen, die ihre neuen Rollen mit sich bringen. So erzählte uns Jerome, ein Experte für Marketinganalysen zu Konsumgütern, der mit einer neuen Aufgabe betraut worden war: „Wenn ich an einer Stelle nicht weiterkomme, gibt es sechs oder sieben Personen, an die ich mich wenden kann … Ist das Problem eher intellektueller oder strategischer Natur, habe ich wieder andere Leute, die ich um Rat bitten kann.“ Ein anderer Jobwechsler berichtete uns, er habe einen größeren Kreis aus Personen aufgebaut, „die mich und meine Geschichte kennen … fast wie ein persönlicher Beirat“. Er wisse, „dass ich jederzeit zum Telefon greifen und mit jemandem sprechen kann“.

Achten Sie darauf, dass einige Ihrer neuen Kontakte Vorbildcharakter haben und Ihnen Wege aufzeigen, wie Sie Ihre Work-Life-Balance verbessern können. Ein Ingenieur und Projektmanager, den wir hier Barry nennen, berichtete uns, er habe durch das Networking in seiner neuen Rolle Menschen kennengelernt, die Beruf und Familie erfolgreich unter einen Hut bringen. Dies habe ihn dazu animiert, sein eigenes Verhalten zu überdenken: „Wenn ich sie sehe, denke ich: ,Das kannst du auch haben. Du musst nur entsprechend handeln.‘“ Mittlerweile macht er früh Feierabend, um dem Berufsverkehr zu entgehen, bleibt am Wochenende offline und engagiert sich im Vorstand einer Schule in seiner Gemeinde.

Unternehmen sollten sicherstellen, dass jeder Beschäftigte, der eine neue Position übernimmt, eine vernünftige Chance hat, sich schnell in diese Rolle einzufinden und etwas zu bewegen – sprich ein Fast Mover zu werden. Damit das gelingt, müssen die Führungskräfte dem Networking eine größere Bedeutung beimessen. Sie müssen verstehen, wie wichtig Kontakte in der mobilen Arbeitswelt von heute sind und wie sie funktionieren.

Viele Unternehmen behaupten zwar, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Aufbau ihrer Netzwerke zu unterstützen. Am Ende organisieren sie doch nur einzelne Zusammenkünfte und regen die neuen Kollegen dazu an, sich in ­externen Vereinigungen zu engagieren. Oder sie gehen von der Prämisse aus: Je größer das Netzwerk, desto besser. Doch dem ist nicht so. Einige der erfolgreichsten Fast Mover knüpfen ganz bewusst nur Kontakte zu kleineren Gruppen, bestehend aus äußerst hilfreichen Personen.

Unternehmen können Jobwechslern den Übergang erleichtern, indem sie regeln, dass in Meetings Erfahrungswissen ausgetauscht wird oder dass sich Tandems aus neuen und erfahrenen Mitarbeitenden bilden. Onboardingprogramme sollten bis weit ins erste Jahr hinein andauern. Unternehmen können in Schulungen auch Führungskräfte aus verschiedenen Abteilungen zusammenbringen, „Kontakt-Audits“ durchführen, um Mitarbeitende beim Aufbau ihrer Netzwerke zu unterstützen, und sie darauf hinweisen, wenn sie beim Networking ineffizient vorgehen. Zudem können sie Coaches und Mentoren einsetzen, die Best Practices empfehlen und verbreiten.

Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Netzwerken nicht allein lassen. Sie sollten ihnen vielmehr zeigen, wie sie zügig Verbindungen knüpfen können, die sie wirklich voranbringen. © HBP 2022

Autoren

Rob Crossist Professor für Global Leadership am Babson College, einer Business School in der Nähe von Boston, Gründer des Forschungsnetzwerks Connected Commons und Autor des Buches „Beyond Collaboration Overload“ (Harvard Business ­Review Press 2021).

Greg Pryorist Senior Vice President und People and Performance Evangelist bei Workday, einem US-An­bieter von Personal- und Finanzsoftware für Unternehmen.

David Sylvesterleitet den Bereich Executive ­Recruiting and Onboarding bei Amazon Web Services, der Cloud-Sparte des Internetkonzerns.

Kompakt

Das Problem Beschäftigte, die intern die Position wechseln oder bei einem neuen Arbeitgeber anfangen, bleiben häufig hinter den Erwartungen zurück. Studien zufolge erbringen 27 bis 49 Prozent von ihnen nicht die gewünschte Leistung.

Die Forschung Analysen von Jobwechslern in 100 Unternehmen aus verschiedenen Branchen zeigen: Diejenigen, die interne Netzwerke knüpfen und erfolgreich nutzen, finden sich am schnellsten in ihrer neuen Rolle zurecht und bringen herausragende Leistungen.

Die Strategien Diese sogenannten „Fast Mover“ nutzen fünf Strategien: Sie knüpfen zügig ein breites Netzwerk. Sie erzeugen Anziehungskraft auf andere, indem sie motivieren und begeistern. Sie finden heraus, welchen Mehrwert sie beisteuern können und wer die Kompetenzen kompensieren kann, die ihnen selbst fehlen. Sie nutzen ihr Netzwerk, um ihren Einfluss zu vergrößern. Und sie legen Wert auf Beziehungen, die ihnen beruflich und persönlich guttun.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der November-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

Karriere: So starten Sie erfolgreich in den neuen Job

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