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Arbeitszeiten als Berater. Eine Woche im Büro, eine beim Kunden, eine auf Zoom. - Getty [M]
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McKinsey, BCG, Bain: So hart ist der Berateralltag nach der Pandemie

Consultingfirmen können sich vor Aufträgen kaum retten. Doch ihr Image hat in der Pandemie an Glanz verloren – was sich auch bei der Fluktuation zeigt.

Düsseldorf, Berlin. Vor etwa einem Monat hat Markus Huber* ein Laufband unter seinen Schreibtisch geschoben. Wenn er gerade nicht mit einem Kunden per Video telefoniert, spaziert der Unternehmensberater darauf ein paar Kilometer – und arbeitet weiter. „So habe ich wenigstens etwas Bewegung, wenn ich so viel am Rechner sitze. Das merkt man sonst irgendwann.“ Huber ist Mitte 20. Manchmal gebe es Wochen, in denen er 16 Stunden am Tag arbeite.

Auch wenn seine Schilderungen nach Plackerei klingen: Seinen Job macht der junge Consultant gerne. Trotzdem will er nicht mit Klarnamen in diesem Text auftauchen.

Oft reihe sich bei ihm ein Zoom-Meeting an das nächste, sagt Huber. Im Homeoffice würden die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben stark verschwimmen. „Statt Teamdinner gibt es jetzt abends öfter Fertigessen.“ Kaum Reisen, wenig Austausch: So sieht er aus, der Arbeitsalltag in Deutschlands Topberatungen nach fast drei Coronajahren. Darunter leiden auch sie: die Beratungen selbst.

Hohe Belastung durch Personalmangel bei McKinsey, Bain und Co.

Die McKinseys, Bains und KPMGs im Land stehen vor einem Problem: Ihre Umsätze steigen, doch Personal für die vielen Aufträge fehlt. Gleichzeitig hat ihr Image als Arbeitgeber in der Pandemie an Glanz verloren. Im diesjährigen Trendence-Ranking, einer Befragung unter 16.000 Akademikern, sind Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Strategieberatungen weit abgeschlagen.

Am beliebtesten sind demnach die Boston Consulting Group (BCG) auf Platz 30 und Deloitte und McKinsey (beide auf Platz 38). Namen wie EY, KPMG, PwC oder Roland Berger tauchen in der Top-50-Liste erst gar nicht auf. Bei Absolventen sind die Beratungen etwas beliebter.

Ronja Ebeling, Beraterin zu Themen der sogenannten Generation Z, also der Generation der Unter-30-Jährigen, sagt: „Aktuell ist es für Beratungsunternehmen einfacher, neue Aufträge für sich zu gewinnen als qualifizierte Mitarbeitende langfristig zu halten.“ Je früher die Unternehmen von ihrem hohen Arbeitspensum wegkämen, umso attraktiver würden sie für die junge Generation, sagt die Autorin des Buchs „Jung, besorgt, abhängig“.

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"Das Wohlbefinden unserer Kolleginnen und Kollegen haben höchste Priorität.“ Bei Bain habe man während der Hochphase der Coronapandemie „eine leichte Erhöhung der individuellen Arbeitsbelastung festgestellt“. Seit 2021 sehe man aber wieder Werte wie vor der Pandemie.

Auch in Sachen Fluktuation unterstreichen die Beratungen lieber ihren Personalaufbau in den wirtschaftlich starken Pandemiejahre

Fluktuation bei Unternehmensberatungen auf Acht-Jahres-Hoch

Fragt man bei den großen Namen der Branche nach, scheint in Sachen Arbeitslast alles in Ordnung. BCG betont: „Die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Kolleginnen und Kollegen haben höchste Priorität. “Bei Bain habe man während der Hochphase der Coronapandemie „eine leichte Erhöhung der individuellen Arbeitsbelastung festgestellt“. Seit 2021 sehe man aber wieder Werte wie vor der Pandemie.

Auch in Sachen Fluktuation unterstreichen die Beratungen lieber ihren Personalaufbau in den wirtschaftlich starken Pandemiejahren statt ihre Abgänge. Roland Berger etwa beschäftigt nach eigenen Aussagen seit Corona 30 Prozent mehr Menschen – trotz Fluktuationsraten von 15 bis 20 Prozent.

Auch Accenture, BCG, Bain und McKinsey haben ihre Mitarbeiterzahlen zuletzt steigern können. BCGs Fluktuation liege seit der Pandemie „in der üblichen Größenordnung“, heißt es. Bei McKinsey stieg die Zahl der Abgänger. 2021 lag die Quote bei 17 Prozent, 2020 noch bei 13. Bei Bain sei die Quote immerhin leicht rückläufig, nachdem man virtuelle Teamevents und regelmäßige Firmenupdates etabliert habe. Accenture nennt keine Fluktuationsquote.

Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr stieg die Fluktuation in der Branche laut Lünendonk um 2,6 Prozent auf einen Durchschnittswert von 13,3 Prozent. Seit Beginn der Erhebungen vor acht Jahren ist das der höchste Wert.

Lünendonk-Chef Jörg Hossenfelder sieht die großen Namen der Branche gut positioniert. Auf der anderen Seite steige wegen des Marktwachstums und der demografischen Entwicklung die Zahl der Abwerbungen durch Headhunter.

„Der persönliche Veränderungswunsch ist in der Pandemie unter Beratern stark gewachsen“, sagt Hossenfelder. Viele hätten verstanden: Auch woanders lässt sich ordentlich Geld verdienen und trotzdem so etwas wie eine Work-Life-Balance etablieren.

„Dass man schon mal bis 23 oder 24 Uhr E-Mails bearbeitet, war auch vor Corona nicht unüblich“, sagt Heinrich Rusche, Ex-McKinsey-Berater, der unter dem Namen „Firm Learning“ inzwischen eine Karriereberatung für Berufseinsteiger anbietet.

Große Beratungen zeigen Unterschiede in der Flexibilität

Seit der Pandemie fehle vielen Consultants Zeit im Flieger oder Taxi, in denen nicht permanent die volle Aufmerksamkeit gefordert sei. „Es ist viel Zoom und Teams und wenig Aussicht, dass sich daran etwas ändert“, fasst Rusche den Branchensound zusammen. Zudem sei oft erst kurzfristig klar, wie häufig man in einem Projekt zu Hause, im Büro, oder beim Kunden arbeite.

Rusche hat deshalb vor einigen Wochen Berater zu ihren Arbeitsbedingungen befragt. Die Antworten, die den Ex-Consultant erreichten, zeigen, wie unterschiedlich die Firmen mit der Präsenzfrage umgehen. Ein BCG-Berater aus München antwortete etwa: „Die Arbeitsstunden sind in etwa genauso wie vor Corona.“ Er arbeite aber mehr vom Büro aus mit Kollegen – verteilt über mehrere europäische Standorte. Homeoffice sei noch immer „eine eher ungewöhnliche Sache“ bei BCG – von Freitagen abgesehen.

Ex-Berater Rusche. E-Mails bis 24 Uhr. - privat
Ex-Berater Rusche. E-Mails bis 24 Uhr. - privat

Ein Berufsanfänger bei einem der größten Wirtschaftsprüfer in Italien schrieb: „Niemand aus meinem jungen Team hat jemals für eine Dienstreise ein Flugzeug betreten.“ Aktuell herrsche 100 Prozent Flexibilität, er komme ein- bis zweimal die Woche ins Büro – auch weil das Gebäude nicht mehr für 100 Prozent der Leute ausgelegt sei.

Von einem Deloitte-Berater in Bayern heißt es: „Teilweise sind bei mir im Team die Leute durchgehend im Homeoffice.“ In Präsenz komme man nur für Kick-off-Termine, Workshops oder spezielle Events zusammen. Da seine Kunden eine ähnliche Regelung fahren, käme er selbst damit gut klar.

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Unternehmensberatungen setzen seit Corona unterschiedlich stark auf Homeoffice

Jahrzehntelang folgten Berater einem klaren Wochentakt: Montagfrüh ging es in den Flieger zum Kunden. Donnerstagabends flog man zurück, Freitag war Bürotag. Inzwischen ist die klassische Beraterwoche jedoch passé.

Mal kommen die Consultants in ihren eigenen Räumen in Präsenz zusammen. Andere Beratungen setzen stärker auf Remotework oder hybride Modelle, wieder andere sind wie früher oft vor Ort. Das Modell hängt in erster Linie vom Kunden und dessen Homeoffice-Vorliebe oder -Abneigung ab. „Eine klassische oder typische Aufteilung gibt es in der Form nicht“, bestätigt auch McKinsey. Die Beratung sieht darin einen „positiven Beitrag für die Work-Life-Balance“.

Nur: Ist das wirklich so?

Thomas Rigotti, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sagt: „In vielen Beratungen herrscht ein toxisches Arbeitsklima.“ Die Erwartung sei, immer verfügbar und präsent zu sein – egal ob im Büro oder virtuell. Rigotti: „Wer da nicht mitgeht oder das System hinterfragt, überlebt nicht lange.“

Mehr Flexibilität könnte in der Tat Entlastung und Rückzugsräume schaffen, sagt der Psychologe. Aber: „Es kommt auf die Planbarkeit an“ – und darauf, ob die neuen Freiräume „vornehmlich genutzt werden, um sie weiter mit Arbeit zu füllen“, wie Rigotti sagt. Immer wieder kurzfristig das Setting wechseln, dazu Arbeitsverdichtung – das ist Stress, der sich über kurz oder lang auf die Gesundheit auswirke, sagt der Experte.

Die großen Beratungen betonen, dass sie „das optimale Modell“ (McKinsey) vor jedem Projekt im Dialog mit den Kunden und Teams besprechen. BCG erstellt beispielsweise mindestens eine Woche vor Projektstart eine Art Fahrplan, damit alle Beteiligten wissen, wer wann wo verfügbar ist. „Damit machen wir sehr gute Erfahrungen“, sagt Lukas Haider, Partner in Wien und zuständig für die Positionierung von BCG als Arbeitgebermarke in Zentraleuropa.

Fakt ist: Die Beratungen sind sich des Belastungsthemas bewusst und versuchen gegenzusteuern. Alle großen Namen der Branche bieten inzwischen flexible Arbeitszeitmodelle mit reduzierter Wochenarbeitszeit an. Dazu kommen Trainings zum Führen und Arbeiten auf Distanz, um die Mitarbeitergesundheit zu fördern. Auch Auszeiten wie ein Sabbatical sind weit weniger verpönt als noch vor einigen Jahren.

Arbeitszeit bei Unternehmensberatung BCG: Grünes Licht bis 22 Uhr

Bei BCG können Berater nach einem Projekt sogenannte Cool-Down-Days in Anspruch nehmen, zwei Tage für Organisatorisches, drei Tage für sich selbst. Ein wöchentlicher „Pulse-Check“ soll zudem die individuelle Arbeitsbelastung nachhalten. Dazu gehört auch ein Ampelsystem für bessere Arbeitszeiten – mit grünem, gelbem und rotem Lämpchen je nachdem, wie lange es geht. Jeder Berater trägt dort seine Arbeitszeit selbst ein.

Das Problem, das eine ehemalige BCG-Mitarbeiterin jedoch schildert: In einem Projekt sei die Ampel rot gewesen bei einer Arbeitszeit bis Mitternacht, gelb bei einer Zeit bis 23 Uhr. Grünes Licht gab es bis 22 Uhr. „Solche Arbeitszeiten sollten in keinem Unternehmen akzeptabel sein.“

BCG bestätigt den Umstand auf Nachfrage – allerdings mit Einschränkungen. Das grüne Licht bis 22 Uhr gelte nur von Montag bis Mittwoch, den arbeitsintensivsten Beratertagen. An Donnerstagen und Freitagen springe die Ampel früher auf Gelb.

Außerdem handele es sich beim Pulse-Check um eine Selbsteinschätzung, in der Pausen- und Anfangszeiten nicht erfasst würden. BCG-Partner Haider erklärt auf Nachfrage, dass im Wiener Büro die Arbeit in der Regel um neun Uhr starte. Was selbst bei zwei Stunden Pause bis 22 Uhr immer noch knapp elf Stunden Arbeitszeit bedeuten würde. „Wir haben kein Nachwuchsproblem.“ (*Name geändert)

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