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Die Topmanager haben alle ihre eigene Strategie, um mit dem Druck umzugehen.
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VW, McKinsey, Celonis und Co.: Sieben Chef-Strategien, um die aktuelle Krise zu meistern

Dauerstress und große Belastung bringen selbst Topmanager irgendwann an ihr Limit. Mit welchen Routinen, Tools und Tricks bewahren sie einen kühlen Kopf?

  • Für Firmenlenker könnte der Druck momentan kaum höher sein: Inflation, Energiewende und Fachkräftemangel sind Krisen, die sich nicht so schnell beilegen lassen.

  • Um den Druck ohne Burnout zu überstehen, kommt es auf ein gutes Selbstmanagement an. Dabei haben die Topmanager unterschiedliche Strategien entwickelt: von positivem Denken über tägliche Routinen bis hin zu konsequenter Selbstoptimierung.

  • Der Chef der psychosomatischen Abteilung der Max-Grundig-Klinik behandelt erschöpfte Spitzenmanager. Warum es helfen kann, trotz Krise zu feiern und auch mal Schwäche zu zeigen.

Ist gerade viel los für Firmenlenker. Ukrainekrieg, Energiewende, Inflation, Rezession, Klimakrise, Pandemienachwehen, Digitalisierung der Geschäftsmodelle, Fachkräftemangel: alles gleichzeitig, alles gleich dringend. Nichts davon lässt sich als temporäres Problem abtun, für nichts gibt es die eine, naheliegende Lösung, die sich einfach durchexerzieren lässt.

Vorbei die Zeiten, in denen sich der Managementalltag unterteilen ließ in Krise und Normalität, in kurze Sprints, auf die dann wieder eine längere Phase unternehmerischer Alltag folgte. Spätestens seit dem Coronaausbruch Anfang 2020 ist gefühlt jeden Tag „Vuca“. Das Akronym steht für die englischen Begriffe Volatility (Volatilität), Uncertainty (Ungewissheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit) und soll die neuen Rahmenbedingungen der Unternehmensführung beschreiben.

Dabei geht es nicht nur um das Abwettern von Krisen. Hinter Vuca können sich auch unternehmerische Chancen verbergen, wenn zum Beispiel Konkurrenten unterwartet schwächeln oder sich durch politische Veränderungen plötzlich neue Märkte auftun. Diese Chancen gilt es nicht zu verpassen – das macht das Management in der Multikrise noch anstrengender.

Für Unternehmenslenker bedeutet das einen schwierigen Zielkonflikt: Sie müssen technologische und gesellschaftliche Entwicklungen weltweit im Blick haben. Doch gleichzeitig brauchen sie mehr denn je einen klaren Fokus auf die wirklich wichtigen Themen im eigenen Unternehmen.

Denn auch dort wird Veränderung von einem vorübergehenden Projekt zu einem Dauerzustand. Und bei alldem müssen sie auch noch an Körper und Geist gesund bleiben.

Diesem Konflikt zwischen Tiefe und Breite begegnen Managerinnen und Manager, Unternehmerinnen und Unternehmer mit höchst unterschiedlichen Strategien. Sieben besonders erfolgversprechende stellen wir Ihnen vor.

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1. Volkswagen-Lenker Oliver Blume: Totale Konzentration

Oliver Blume. Blume leitet seit 2022 die Porsche AG und die Volkswagen AG. Was hilft ihm in Krisenzeiten? - EPA-EFE
Oliver Blume. Blume leitet seit 2022 die Porsche AG und die Volkswagen AG. Was hilft ihm in Krisenzeiten? - EPA-EFE

Wenn Oliver Blume unterwegs ist, hat er immer seinen Jahres- und seine Monatskalender dabei – ausgedruckt auf A3. „Ich habe das auch digital“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG. „Aber ich will die Übersicht zusätzlich griffbereit haben.“ Seine Monatsagenda legt ihm seine Assistenz regelmäßig aktualisiert ins Büro.

Auch sonst mag es der Manager strukturiert: „Zu Beginn des Jahres frage ich mich, welche Ziele ich in diesem Jahr erreichen will. Auf dieser Basis setze ich die Prioritäten für die nächsten Monate. Das funktioniert wie ein Trainingsplan im Sport, mit Fokus und Disziplin.“

Blume ist ein Unikum in der deutschen Wirtschaft. Und das nicht nur wegen seines sehr analogen Kalenders. Als Chef von Volkswagen und Porsche ist der 54-Jährige der einzige CEO in Deutschland, der zwei Dax-Konzerne gleichzeitig führt. Entsprechend vollgepackt sind seine Tage. Auslandsreisen, Vorstandssitzungen, Strategiearbeit, externe Events: Jede Kategorie hat in Blumes Kalender ihre eigene Farbe – und jedes Unternehmen. Gelb ist Porsche, orange der Volkswagen-Konzern.

Montags ist er bei Porsche in Stuttgart – dort sind auch Haus und Familie. Dienstags stehen Konzernsitzungen an, meist in Wolfsburg. Nicht immer geht der Plan auf: „Mal bin ich vier Tage in Wolfsburg, mal nur zwei.“

Auf rund 70 Stunden komme er so etwa in der Woche, schätzt Blume. Für den Topmanager ist sein Kalender mehr als reine Struktur. Er ist ein Gerüst, das ihm Halt gibt, seine Prioritäten festzurrt.

Oliver Blume. Der VW-Chef verzichtet weitgehend auf Social Media und setzt auf persönlichen Kontakt. - imago images/ZUMA Wire
Oliver Blume. Der VW-Chef verzichtet weitgehend auf Social Media und setzt auf persönlichen Kontakt. - imago images/ZUMA Wire

Blume hat nach seinem Antritt als Volkswagen-Konzernchef einen Zehn-Punkte-Plan präsentiert. Darunter finden sich Punkte wie die finanzielle Robustheit oder das Chinageschäft des Konzerns ebenso wie der Bau neuer Batteriewerke und Nachhaltigkeit. Den Überblick muss Blume über alles haben, er selbst kümmert sich aber vornehmlich um „den strategischen roten Faden und die operativen Leitplanken, die alles zusammenhalten“.

Selbstmanagement im Topmanagement – das sei wie Fußball spielen auf Profiniveau, meint der Volkswagen-Chef: „Der Spielraum wird immer enger. Du hast immer weniger Zeit, die Bälle anzunehmen.“ VW und Porsche gleichzeitig führen, das sei wie Champions League spielen, und zwar durchgängig. „Da wird schnell gepasst und aus jeder Lage aufs Tor geschossen.“

Um fokussiert zu bleiben, verzichtet Blume auf so gut wie alles, was ihn ablenken könnte. Lesen? „Wenig. Nur morgens den Pressespiegel – das war’s.“ Facebook? LinkedIn? Eher nicht sein Ding: „Viele Führungskräfte nutzen diese Plattformen für die Kommunikation, ich setze da vor allem auf den persönlichen Kontakt.“

Bei vielen Themen verlässt er sich auf seine Teams. Dieses gegenseitige Vertrauen ist ihm wichtig. „Ich weiß genau, wo und wann ich reingehen muss – aus der Erfahrung heraus.“

Er kenne VW „wie seine Westentasche“, sagt Blume. Seit 30 Jahren ist er Angestellter im Volkswagen-Konzern, erst bei Audi und Seat, dann bei Porsche, Volkswagen und im Gesamtkonzern. Ein Vorteil, denn „jemand, der von außen reinkäme, bräuchte längere Zeit, bevor er ins Handeln käme“.

Andere nennen Blume „einen Systematiker“, der auch komplexe Dinge wie VWs ruckelige Autosoftware komplett durchdenke und dann schnell entscheide. Wo seine Vorgänger herumpolterten, schlägt Blume ruhigere, aber klare Töne an.

Er selbst sagt: „Meine Erfahrung zeigt, dass man wichtige Themen sorgfältig analysieren, aber dann beherzt entscheiden muss.“ Dass es Unwägbarkeiten gibt? „Ist in Zeiten wie diesen normal.“ Vom Gemüt her sei er Optimist. „Aber ich verschließe die Augen nicht vor der Realität.“

In der Coronapandemie hat Blume nach eigener Aussage keinen einzigen Tag im Homeoffice verbracht. Mit dem Porsche-Vorstand ist er damals jeden Morgen zusammengekommen, um sich ein Bild von der Lage zu verschaffen und zu entscheiden, wie es weitergeht.

Ähnlich lief es, als der Ukrainekrieg ausbrach. Blume geht davon aus, dass Unternehmen es in den kommenden Dekaden verstärkt mit Krisen zu tun haben werden – ob geopolitische Krisen, Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen oder Versorgungskrisen. Fest stehe dabei nur eines: „Als Unternehmen muss du vorbereitet sein und pragmatisch, flexibel und entschlossen agieren.“

2. Versicherungsmanagerin Sylvia Eichelberg: Positiv denken

Sylvia Eichelberg. Seit 2021 ist sie Vorstandsvorsitzende der Gothaer Krankenversicherung AG. - Gothaer
Sylvia Eichelberg. Seit 2021 ist sie Vorstandsvorsitzende der Gothaer Krankenversicherung AG. - Gothaer

Ausnahmekrisen wie der Ausbruch der Coronapandemie 2020 sind für Sylvia Eichelberg, heute Vorstandsvorsitzende der Gothaer Krankenversicherung, eine Herausforderung – kein Grund zur Panik. „Ich nehme Krisen ernst, aber als Managerin beeindrucken sie mich nicht“, sagt die 43-Jährige.

Im Februar 2020 verantwortete Eichelberg das Firmenkundengeschäft der Axa, Bereich Sachversicherung. „Um mich herum war plötzlich Chaos“, sagt sie. Ihre Kunden, darunter Restaurants, Hotels, Einzelhändler, hatten Angst. Inwieweit würden Eichelberg und ihr Team sie gegen das versichern, was da gerade geschah und noch geschehen würde? „Es gab existenzielle Fragen und Handlungsbedarf“, sagt Eichelberg. „Und das in einem Ausmaß, in dem ich es noch nicht erlebt hatte.“

Eichelberg aber ist es fremd, sich lange mit Grübeln oder „Was wäre, wenn ...“- Gedankenspiralen aufzuhalten – egal, wie schwierig die äußeren Umstände sind. „Ich lebe nicht in einer Problem-, sondern in einer Lösungswelt“, sagt sie.

Schon als Kind hätten ihre Eltern ihr dieses Mindset anerzogen. „Als ich Teenagerin war, hatten wir mal einen Wasserschaden, drei Wochen war die Küche nicht nutzbar“, erzählt sie. „Meine Mutter hätte deswegen unentspannt und schlecht gelaunt sein können, aber ich habe sie so nicht erlebt.“ Die Latte, ab der man in ihrer Familie etwas als Problem betrachte, liege hoch.

Zuletzt kam ihr diese Einstellung bei einer Dienstreise nach New York zugute. Am Flughafen war ihr Koffer verloren gegangen, kurz darauf stellte sie fest, dass sie auch ihre Kreditkarte vergessen hatte.

Sie brauchte dringend Geld, um sich für ihren Geschäftstermin am nächsten Tag Kleidung zu kaufen. „Es musste schnell gehen und ich wusste: Mein Mann ist schnell“, erzählt Eichelberg. „Also rief ich ihn an.“

Über Western Union überwies er ihr Geld, das sie mit ihrem Ausweis in einer nahen Filiale abholen konnte. Eine positive Erinnerung, so Eichelberg: Wieder habe sie ein Problem durch rationales Denken lösen können.

3. McKinsey-Partner Tobias Silberzahn: Kopf und Körper optimieren

Silberzahn is Co-Leiter der Innovation Practice und R&D Practice im Beratungsfeld Healthcare bei McKinsey.
Silberzahn is Co-Leiter der Innovation Practice und R&D Practice im Beratungsfeld Healthcare bei McKinsey.

„Micro Habits“, kleine Gewohnheiten, sind für Tobias Silberzahn der Schlüssel zum Wohlbefinden. Mit ihnen bewältigt er seine Arbeit als Unternehmensberater, ohne Stress zu verspüren. 15 bis 20 solcher Gewohnheiten pflegt er jeden Tag.

Zum Beispiel denkt Silberzahn morgens während des Duschens an Dinge, für die er dankbar ist: „So starte ich positiv gestimmt und losgelöst in den Tag.“ Bevor er mit der Arbeit beginnt, sagt er sich am Schreibtisch lautlos drei Sätze, die ihn den Tag über leiten sollen.

Etwa: „Heute möchte ich präsent sein und meinen Mitarbeitern gut zuhören.“ Im Rahmen dieser Mini-Meditation schreibt er sich eine Intention für den Tag auf. Freundlich und geduldig zu sein, zum Beispiel.

Vor gut zehn Jahren fühlte sich der promovierte Biochemiker „nicht gut, obwohl eigentlich alles bestens lief, beruflich wie privat“. Silberzahn war gerade mit Mitte 30 Partner bei McKinsey geworden und zum ersten Mal Vater. „Ich war nicht kurz vor dem Burn‧out, ich war jedoch häufig müde und wollte mich besser fühlen“, erinnert er sich.

Statt sich in Dankbarkeit zu üben, sei er morgens unter der Dusche in Gedanken den Tag durchgegangen – „und mir sind 35 Dinge eingefallen, die heute anstehen und was schiefgehen könnte. Entsprechend gestresst bin ich schon gestartet.“

Der heute 43-Jährige analysierte Ernährung, Schlaf und Fitness. Er probierte Atemübungen und Meditation. Über die Jahre entwickelte Silberzahn einen Lebensstil, der ihn „glücklicher und leistungsfähiger“ machte, wie er sagt. Heute leitet er neben dem Healthcare-Geschäft von McKinsey auch die Gesundheitsinitiative der Unternehmensberatung in Deutschland.

Silberzahn hat nicht nur seinen Kopf umgestellt, sondern auch seinen Körper. Zwischen 20 und 12 Uhr mittags fastet er. Unter der Woche verzichtet er auf Kohlenhydrate und Zucker. Zoom-Konferenzen nutzt er zum Spazierengehen. Im Schnitt schläft er mehr als sieben Stunden pro Nacht.

Silberzahn wiegt heute zwölf Kilo weniger als vor zehn Jahren. Seine Körperfunktionen überwacht er mithilfe eines interaktiven „Oura-Rings“.

Ob ihn dieses ausgefeilte Selbstmanagement nicht stresse? „Nein, ganz im Gegenteil, es gibt mir Struktur und Halt“, sagt Silberzahn. „Ich bin heute drei Mal glücklicher und auch leistungsfähiger als vor zehn Jahren. Ich schaffe in weniger Stunden mehr.“

4. Unternehmerin Kerstin Hochmüller: Eine resiliente Organisation bauen

Kerstin Hochmüller. Seit 2013 führt sie den Antriebsspezialisten Marantec. - Felix Niekamp-more.than.u.C.
Kerstin Hochmüller. Seit 2013 führt sie den Antriebsspezialisten Marantec. - Felix Niekamp-more.than.u.C.

Keine Frage, die Häufung an kurz aufeinanderfolgenden Krisen fordert auch die Unternehmerin Kerstin Hochmüller heraus. Seit 2013 führt sie den Antriebsspezialisten Marantec im ostwestfälischen Marienfeld mit 550 Mitarbeitenden und rund 100 Millionen Euro Umsatz. Seitdem hat sie Hierarchien abgebaut, klare Verantwortlichkeiten installiert und mehr Diskussionen und digitale Denkweisen angestoßen.

„Die Pandemie, fehlende Elektrobauteile, Lieferengpässe, Preissteigerungen, der Krieg in Europa – die Krisen folgen immer schneller aufeinander“, stellt sie fest und erntet genau jetzt die Früchte ihres in einem mittelständischen Unternehmen radikalen Wechsels des Führungsstils: „Je mehr Leute mitdenken können, wirklich involviert und informiert sind, desto besser und schneller können wir auf die Herausforderungen reagieren“, sagt die 55-jährige Unternehmerin, die nicht einmal einen Assistenten mit ihrer Terminplanung beauftragt: „Sonst wäre ich fremdgesteuert, und das hasse ich.“

Gerade in Krisen kann reines Top-down-Management in Schockstarren ausarten, weil alle auf Anweisungen warten. „Mit unserer Art der Organisation fördern wir Lösungen zutage, und Probleme werden als Herausforderungen verstanden, die gelöst werden müssen.“

Im Ergebnis muss Hochmüller nicht wissen, wie oft beispielsweise Antriebssteuerungen wegen mangelnder elektrischer Bauteile überarbeitet werden mussten, und sie kann sich mit ihrem Co-Geschäftsführer, der ebenso unternehmerisch wie sie denkt, um andere Projekte kümmern. Was sie aber weiß: „So schnell hätten wir in den ganzen Krisen mit einer anderen Organisation gar nicht reagieren können.“ Anja Müller

5. Celonis-Gründer Alexander Rinke: Klarheit durch Daten

Alexander Rinke. Zusammen mit Martin Klenk und Bastian Nominacher hat Alexander Rinke Celonis gegründet. - Celonis
Alexander Rinke. Zusammen mit Martin Klenk und Bastian Nominacher hat Alexander Rinke Celonis gegründet. - Celonis

Ein echtes Powerpoint-Verbot gibt es bei Celonis nicht. Aber ein Fan der Präsentationssoftware ist Alexander Rinke, der Mitgründer und Co-CEO des Münchener IT-Einhorns, auch nicht: „Powerpoint-Präsentationen erlauben es, oberflächlich zu bleiben. Mir ist es am liebsten, wenn die relevanten fünf oder sechs Erkenntnisse basierend auf Daten in einem kurzen Text zusammengefasst werden. Das zwingt zur Klarheit, und Klarheit ist das Ziel.“

Kein Wunder, dass der Data-Mining-Spezialist Celonis auch bei eigenen Geschäftsentscheidungen auf Daten setzt. Den Mythos vom krisengestählten Firmenlenker, der in turbulenten Zeiten aus dem Bauch heraus das Richtige tut, hält Rinke sogar für gefährlich: „Viele erfahrene Führungskräfte arbeiten nach dem Prinzip Mustererkennung. Sie denken: ‚Ah, die Situation kenne ich, da entscheiden wir so und so.‘ In volatilen Zeiten ist das problematisch, weil die althergebrachten Muster halt oft nicht mehr stimmen.“

Stattdessen hält Rinke es für wichtig, sich datenbasiert kontinuierlich zu fragen, ob man noch von den richtigen Annahmen ausgehe. Als Herausforderung sieht er die richtige Kombination aus Tiefe und Breite der Informationen. Rinke hat für sich selbst das Ziel, „mich im Unternehmen auf klare Prioritäten zu fokussieren und ein offenes Mindset beizubehalten“.

Zugleich müssten Führungskräfte in der aktuellen Lage viele periphere Entwicklungen im Blick behalten, „zum Beispiel geopolitische Veränderungen, die den Warenfluss beeinträchtigen können. Möglichst billig einzukaufen, egal wo, ist da womöglich nicht mehr die richtige Lösung.“

Rinke hat diesen Spagat für sich so gelöst: „Ich hinterfrage immer wieder, bei welchen Themen ich wirklich selbst in ein Meeting gehen muss und bei welchen das Team zum Einsatz kommt.“ Seine freie Zeit nutzt er, um viele Bücher und Zeitungen zu lesen. „Man kann auch Youtube-Videos schauen – Hauptsache, man geht mit offenen Augen und offenem Geist durch die Welt.“

Wie viele Gründer war er anfangs oft ungeduldig. Rinke: „Kurzfristig war manches zäh, langfristig haben wir doch einiges erreicht.“ Celonis brauchte sechs Jahre, um von drei auf 80 Beschäftigte zu wachsen. In den darauffolgenden sechs Jahren ging es dann von 80 auf 3000 Leute. Diese Erfahrung hat Rinke zu einer Einsicht verholfen, die auch in Krisen Gelassenheit schafft: „Man überschätzt eigentlich immer, was man kurzfristig erreichen kann, und unterschätzt, was man langfristig erreichen kann.“

6. Digitalexpertin Fränzi Kühne: Je simpler, desto besser

Fränzi Kühne. Kühne wurde 2017 als jüngste Aufsichtsrätin in ein börsennotiertes Unternehmen gewählt. - Marko Priske für Handelsblatt
Fränzi Kühne. Kühne wurde 2017 als jüngste Aufsichtsrätin in ein börsennotiertes Unternehmen gewählt. - Marko Priske für Handelsblatt

Zeitmanagement-Tools und Selbstorganisations-Apps? Nichts für Fränzi Kühne, Digitalchefin beim Schreibwarenhersteller Edding. Um Struktur in ihren Joballtag zu bringen, geht sie anders vor. „Meine To-do-Liste ist mein Posteingang“, sagt die 39-Jährige. Wenn der leer sei, habe sie alles geschafft. So gehe nichts unter. Und wenn ihr zusätzliche Aufgaben einfielen, schicke sie sich selbst eine Mail.

Kühnes Strategie, um die Dauerkrise zu bewältigen: Komplexität minimieren. Sehr klar war etwa ihre Haltung zu Beginn des Ukrainekriegs. Nach dem russischen Überfall traf man bei Edding die Entscheidung, sich aus dem Russlandgeschäft zurückzuziehen. „Die Entscheidung hat uns die Hälfte unseres geplanten Jahresergebnisses gekostet. Aber ich finde das richtig“, sagt sie.

Ihre Arbeit wie auch ihr Privatleben teilt Kühne so ein, dass sie keinen Berg an Aufgaben vor sich hat, sondern diese in einzelne Etappen aufteilt. So blockt sie sich regelmäßig Zeiten für Stillarbeit, aber auch für Sport – oder um ihre Kinder abzuholen.

Jeder Montag ist in ihrem Kalender außerdem komplett für ihre Teammitglieder reserviert: Die können sich den ganzen Tag über „Coffee Dates“ mit ihr buchen.

Kühnes Ausgleich zum Arbeitsstress ist ihr Leben mit ihrem Partner und den zwei Kindern. „Da ist alles sehr stabil, da ist mein Ruhepol“, sagt sie. Als auch diese Ruhe mit dem Ausbruch des Kriegs ins Wanken geriet, war sie besorgt, erzählt Kühne.

„Ich habe gemerkt: Das ist gerade existenzbedrohend für meine Familie. Am Anfang war ja noch nicht klar, wo angegriffen wird und was das für Deutschland heißt.“ Ihr Rezept dagegen ist wieder sehr simpel: viel Information, bevorzugt aus verlässlichen Nachrichtenquellen wie tagesschau.de oder Spiegel Online.

7. Berger-Chef Stefan Schaible: Nicht nur Business im Kopf haben

Als Global Managing Partner bei Berger führt Stefan Schaible das Unternehmen mit zwei weiteren Vorstandsmitgliedern. - picture alliance / SZ Photo
Als Global Managing Partner bei Berger führt Stefan Schaible das Unternehmen mit zwei weiteren Vorstandsmitgliedern. - picture alliance / SZ Photo

Wenn es Stefan Schaible eilig hat, nimmt er auch schon mal den E-Scooter, um das letzte Stück vom Bahnhof zum Termin zurückzulegen. Mit zerzaustem Haar, offenem Hemdkragen, breitem Lachen und festem Händedruck rauscht der 54-Jährige dann in Termine.

In den vergangenen Wochen und Monaten hatte es der Chef der Unternehmensberatung Roland Berger häufig sehr eilig. Sein Geschäft boomt wieder. Das hat interne Gründe, so haben sich die Berater nach einigen schwierigen Jahren neu aufgestellt. Und es hat externe Gründe.

Die Restrukturierung von Unternehmen und Institutionen, die, warum auch immer, in eine Krise geraten sind – das ist das Kerngeschäft von Roland Berger. Und Krisen gab es durch Pandemie und Ukrainekrieg viele im vergangenen Jahr: die Energiekrise, die Lieferkettenproblematik, Finanzierungsengpässe wegen steigender Inflation und Zinsen.

Entsprechend wichtig ist das Thema Selbstmanagement für Schaible. „Gerade in schwierigen Situationen muss man einen kühlen Kopf bewahren – und um das zu können, muss man auch auf sich selbst achten.“ Schaibles Rezept: den Fokus nicht ausschließlich auf die Arbeit legen, sondern genügend Inseln zum Abschalten schaffen.

Eine seiner wichtigsten Inseln ist Sport. Schaible schwimmt regelmäßig. So hält er nicht nur im übertragenen Sinne den Kopf über Wasser, sondern bekommt ihn auch „wieder frei“. Einen weiteren Ausgleich findet der Topmanager in der Kultur: „Ich lese viel – vor allem Romane und Inhalte, die nicht unbedingt etwas mit Management oder Wirtschaft zu tun haben.“

Daneben ist es ihm wichtig, „auch Freunde außerhalb des geschäftlichen Umfelds zu haben und diese Beziehungen zu pflegen“. Das eröffne andere Perspektiven. „Meine Überzeugung ist: Nur wer eine starke Verankerung außerhalb der Beratung hat, kann ein guter Berater oder eine gute Beraterin sein.“

Auch seinen rund 3000 Beschäftigten will er einen Rahmen schaffen, der einen individuellen Ausgleich zum Job erlaubt. Jeder Berater und jede Beraterin kann jedes Jahr das eigene Arbeitszeitmodell neu bestimmen – inklusive der Möglichkeiten, in Teilzeit zu gehen, ein Sabbatical einzulegen oder zusätzliche Urlaubstage zu nehmen.

Die Pandemie habe speziell im Beratungsumfeld auch positive Änderungen angestoßen, sagt Schaible. Virtuelle Termine seien nun allseits voll akzeptiert und das permanente Reisen oft nicht mehr notwendig. Gerade für Berater mit Familie sei das eine große Erleichterung: „Da schließe ich auch mich ein.“

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