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CEO-Nachfolge: Worauf Sie bei der Auswahl achten sollten, um Hochstapler und Betrüger auszusortieren

Fahren unter Alkoholeinfluss, kleine Unkorrektheiten, Hang zum Luxus. Das persönliche Verhalten kann früh anzeigen, ob CEOs zum Betrug ­neigen. Zwei Merkmale sollten die Alarmglocken schrillen lassen.

Von Aiyesha Dey

Am 19. November 2018 wurde Carlos Ghosn, damals Chairman des japanischen Autoherstellers Nissan, direkt nach der Landung seines Firmenjets auf dem Flughafen von Tokio verhaftet. Die japanischen Behörden beschuldigten ihn einer Reihe von Finanzvergehen bei Nissan. Einer der Vorwürfe lautete, Ghosn habe fünf Millionen US-Dollar unterschlagen, ein anderer, er habe seine Vergütung über einen Zeitraum von insgesamt acht Jahren um knapp 80 Millionen US-Dollar zu niedrig angegeben.

Für Ghosn, der 1999 zu Nissan gekommen war und das Unternehmen vor der Pleite bewahrt hatte, war dies ein atemberaubender Abstieg. Der Wirtschaftslenker hat brasilianische, französische und libanesische Wurzeln (sowie drei Staatsbürgerschaften) und fing als Außenseiter bei Nissan an. Über die Jahre war er zu einem der renommiertesten Topmanager Japans aufgestiegen. Die Öffentlichkeit nannte Ghosn bewundernd „Mr Fix it“. Er wurde in Manga-Comics gefeiert und sogar vom damaligen Kaiser Akihito mit einer Medaille ausgezeichnet.

Nach seiner Festnahme bezeichnete Ghosn die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen als „unbegründet und substanzlos“, konstruiert von Rivalen innerhalb Nissans. Anstatt sich dem Prozess zu stellen, heuerte der gefallene Star einen ehemaligen Elitesoldaten an und entkam, versteckt in einem Musikkoffer, per Privatjet in den Libanon. Dort lebt er bis heute, ein Mann auf der Flucht.

Ghosns Geschichte schockierte die Wirtschaft. Hätte jemand diese Entwicklung kommen sehen können? Tatsächlich gab es sehr wohl Anzeichen. 2014 und 2016 veranstaltete Ghosn im Schloss von Versailles rauschende Geburtstagspartys für sich und seine Frau, möglicherweise auf Firmenkosten. Er und seine Familie erwarben eine 37-Meter-Jacht sowie Luxuswohnungen in Tokio, Paris, Rio de Janeiro, Amsterdam, Beirut und New York. Ghosn hat in Weingüter und zeitgenössische Kunst investiert. Und obwohl er eine Vergütung erhielt, die viermal so hoch war wie die seines Amtskollegen bei ­Toyota, beschwerte er sich bei Nissan immer wieder, unterbezahlt zu sein.

Ein lockerer Umgang mit Geld, das Streben nach einem hohen Einkommen und die offensichtliche Missachtung von Regeln wie zum Beispiel der Spesenpolitik des Unternehmens sind Verhaltensweisen, die Kontrollgremien wie Boards oder Aufsichtsräte als Warnzeichen betrachten sollten. In einer Reihe von Studien habe ich in den vergangenen zehn Jahren gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen versucht, persönliche Verhaltensweisen von Führungskräften zu identifizieren, die sich abseits ihres Jobs beobachten lassen und auf eine Neigung zu ethischem Fehlverhalten hindeuten.

Wir sind auf zwei Charakterzüge gestoßen, die mit verdächtigen Handelsaktivitäten, Rechnungslegungsverstößen und übermäßiger Risikobereitschaft einhergehen: ein Hang zum Materialismus und eine Tendenz zu Regelverstößen. Zudem haben wir neuartige Methoden entwickelt, mit denen Unternehmen frühzeitig Führungskräfte erkennen können, die diese Verhaltensweisen an den Tag legen.

Das Privatleben von Topmanagern unter die Lupe zu nehmen ist eine eher ungewöhnliche Methode zur Betrugs­prävention. Um unethisches Verhalten zu verhindern, setzen Boards, Aufsichts­behörden und Investoren bislang vor ­allem auf systemische Lösungen in Form von Gesetzen und Regulierungen, große und gut ausgestattete Complianceabteilungen, eine strengere Aufsicht sowie Meldemechanismen wie Whistleblower-Hotlines. Dieses Vorgehen deckt sich mit der ökonomischen Theorie, nach der Menschen rationale Wesen sind, die auf Anreize und Regeln auf ähnliche Weise reagieren.

Meine Studien legen jedoch eine völlig andere Sichtweise nahe: Wir sollten davon ausgehen, dass die Persönlichkeit von Topführungskräften ihr Verhalten wesentlich beeinflusst und dass ihr privates Verhalten durchaus Auswirkungen auf ihr Handeln in der Organisation haben kann. Wenn das zutrifft, sollten Unternehmen gerade bei der Besetzung von Spitzenpositionen den Charakter der Kandidatinnen und Kandidaten genau unter die Lupe nehmen. Wobei der Schwerpunkt darauf liegen sollte, zu überprüfen, ob die Person Anzeichen von Materialismus zeigt oder sich in der Vergangenheit wiederholt über Regeln hinweggesetzt hat. Diese Signale zu ignorieren und den Spitzenposten mit jemandem zu besetzen, dessen Verhalten abseits des Büros Anlass zur Sorge gibt, kann ein Unternehmen einem unnötigen Risiko aussetzen.

Die Anfänge meiner Forschung reichen 20 Jahre zurück. Damals – wir sprechen von den frühen 2000ern – arbeitete ich gerade an meiner Promotion. Es war die Zeit großer Unternehmensskandale, die unter anderem die US-Konzerne Enron, Worldcom und Tyco in die Krise stürzten oder ganz zu Fall brachten. Die Vereinigten Staaten reagierten darauf mit der Verabschiedung des Sarbanes-Oxley Act, einem Gesetz, das Unternehmen einer strengeren Kontrolle durch Aufsichtsbehörden und Boards unterwarf. Doch schon wenige Jahre später folgte eine weitere Welle von Skandalen, diesmal unter anderem bei der Bank Wells Fargo und dem Immobilienfinanzierer Countrywide.

Unternehmen gaben bereits große Summen für interne Kontrollen aus, die Aufsichtsbehörden stützten sich auf strengere Gesetze, um die Überwachung zu verbessern. Doch weder das eine noch das andere schien kriminelles Handeln zu verhindern. Ich fragte mich zunehmend: Sollten wir – statt uns auf Systeme und Kontrollmechanismen zu konzentrieren – eher die Personen in den Blick nehmen, die diese Unternehmen führten?

Im Zuge dieser Skandale begann die Wissenschaft, sich stärker mit der Frage zu befassen, wie sich das Verhalten einzelner Führungskräfte auf den Unternehmenserfolg auswirken kann. Befördert wurde dieses Unterfangen durch eine 2003 veröffentlichte bahnbrechende Arbeit von Marianne Bertrand und Antoinette Schoar, in der die beiden Wissenschaftlerinnen argumentierten: Der persönliche Stil von Führungskräften be­einflusst wichtige Entscheidungen und die Performance ihrer Unternehmen. Das gilt auch dann, wenn die Personen den Arbeitgeber wechseln. Andere Forscher begannen die Risikobereitschaft und das narzisstische Verhalten von CEOs zu untersuchen – respektive die Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung und den Erfolg von Unternehmen.

Vor diesem Hintergrund nahm ich mit meiner Kollegin Abbie Smith, heute Professorin an der University of Chicago, und Robert Davidson, Professor an der Virginia Tech University, die Arbeit auf. Gemeinsam analysierten wir den Lebensstil von CEOs, deren Unternehmen in Skandale verwickelt waren. Dabei stellten wir fest, dass übermäßiger Konsum mit Fehlverhalten korrelieren kann. So gab zum Beispiel der Vorstandschef von Tyco, Dennis Kozlowski, 6000 US-Dollar für einen Duschvorhang und 15.000 US-Dollar für einen Schirmständer für eine New Yorker Wohnung aus. Kozlowski wurde später in 22 Fällen angeklagt und verbrachte sechseinhalb Jahre im Gefängnis.

Uns interessierte auch, inwiefern Personen in hochrangigen Positionen zu Regelverstößen tendieren. In einer 2007 erstellten Studie hatten die Wirtschaftswissenschaftler Ray Fisman und Edward Miguel herausgefunden, dass die Bediensteten der Vereinten Nationen, die in New York City die meisten Knöllchen für Falschparken erhielten, tendenziell aus Ländern mit besonders hoher Korruption kamen. Das brachte uns auf die Frage, ob skandalanfällige Führungskräfte ebenfalls zu kleineren Vergehen wie zum Beispiel Verkehrsdelikten neigten. Und so begannen wir, sowohl Regelverstöße als auch materialistisches Verhalten bei CEOs eingehender zu untersuchen.

Regelverstöße. Kriminologischen Studien zufolge glauben Menschen, die sich selbst über geringfügige Regeln hinwegsetzen, dass Einschränkungen für sie nicht gelten. Mithilfe privater Ermittler durchforsteten wir Gerichtsakten und durchleuchteten mehr als 1000 amerikanische Führungskräfte aus verschiedenen Branchen. Unsere Ergebnisse: 18 Prozent der CEOs waren wegen Verstößen belangt worden. Dazu zählten kleinere Verkehrsdelikte, Fahren unter Alkoholeinfluss, Ruhestörung, Drogendelikte, grob fahrlässiges Verhalten, häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe.

Als Erstes wollten wir herausfinden, ob es zwischen den Regelbrüchen dieser Führungskräfte und unternehmerischem Fehlverhalten einen Zusammenhang gab. Wir begannen mit der naheliegendsten Frage: Kommt es eher zu Betrügereien in der Finanzberichterstattung, wenn Unternehmen von Personen geführt werden, die straffällig geworden sind? Und: Steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der (oder die) CEO respektive CFO persönlich in den Betrug verwickelt ist, wenn er (oder sie) bereits in der Vergangenheit eine Straftat begangen hat?

Wenig überraschend ließen sich beide Fragen mit Ja beantworten. So verglichen wir zwei Gruppen: Unternehmen, in denen es bereits Betrugsfälle gegeben hatte, und Firmen, die in dieser Hinsicht keine Auffälligkeiten zeigten, ansonsten aber mit der ersten Gruppe vergleichbar waren. Dabei stellten wir fest, dass Unternehmen, die von Personen mit krimineller Vergangenheit geführt wurden, doppelt so häufig in Betrugsfälle verwickelt waren und ihr CEO siebenmal so häufig persönlich dafür verantwortlich gemacht wurde. Selbst kleinere Delikte des CEOs wie Verkehrsverstöße kamen in Unternehmen, die von Betrugsfällen betroffen waren, deutlich häufiger vor.

Wenn CEOs privat straffällig geworden sind, kommt es im Unter­nehmen eher zu Betrug.

Die Ergebnisse waren faszinierend. Uns war bewusst, dass Betrug in Unternehmen eher die Ausnahme ist. Daher untersuchten wir, ob sich das gleiche Muster auch bei einer gängigeren Art wirtschaftlichen Fehlerverhaltens zeigen würde. Wir prüften, ob strafrechtlich bereits auffällig gewordene Führungskräfte eher zu Insiderhandel neigen – einem lukrativen Geschäft, das in den USA nicht zwingend illegal ist, aber oft so gute Renditen und ein so gutes Timing aufweist, dass die Vermutung naheliegt, die betroffene Person habe auf unfaire Weise von Insiderinformationen profitiert.

Unser Ergebnis: Führungskräfte, die in der Vergangenheit gegen Gesetze verstoßen hatten – was sowohl schwerwiegende Straftaten als auch kleinere Verkehrsdelikte umfasste –, erzielten deutlich höhere Gewinne aus dem Kauf oder Verkauf von Aktien ihres Unternehmens als bislang nicht straffällig gewordene Personen. Mehr noch: Je schwerer die Verstöße gewesen waren, desto stärker stieg auch der Profit, den diese Managerinnen und Manager bei ihren Geschäften machten – und zwar erheblich.

Als Nächstes wollten wir wissen, ob Insiderhandel durch strenge Corporate-Governance-Mechanismen wie sogenannte Blackout-Perioden (Phasen, in denen Topmanager keine Aktien des eigenen Unternehmens handeln dürfen), den prüfenden Blick großer institutioneller Anleger und unabhängige Köpfe im Board oder Aufsichtsrat verhindert werden kann. Wir stellten fest, dass diese Instrumente zwar die Gewinne von Topführungskräften schmälerten, die Knöllchen erhalten hatten, aber kaum einen oder gar keinen ­Effekt auf Personen hatten, die schwere Straftaten begingen. Strikte Governance und formale Überwachungssysteme halten zumindest die schlimmsten Übeltäter anscheinend nicht im Zaum. Das sind schlechte Nachrichten für Boards und Aufsichtsbehörden, die hoffen, opportunistischem Insiderhandel und anderem unerwünschten Verhalten durch solche Instrumente vorzubeugen.

Materialismus. Gleichermaßen interessierten uns materialistische CEOs. Dabei bedeutet Materialismus für uns nicht zwingend, viele und teure Dinge zu besitzen. Unsere Definition zielte mehr auf ein eifriges Streben nach Reichtum und Luxus – ungeachtet der Kosten für andere.

Materialistische Führungskräfte zu erkennen ist nicht einfach, da die meisten CEOs über beträchtliche Besitztümer verfügen. Eine Möglichkeit besteht jedoch darin, zu untersuchen, ob eine Person im Vergleich zu Kollegen oder Nachbarn übermäßig viel besitzt.

Nach sorgfältiger Analyse wählten wir drei Verhaltensweisen aus, die sich als ­Indikator für Materialismus eignen und mithilfe von Daten nachvollziehen lassen: Erstens der Besitz eines Eigenheims, das im Vergleich zum Median der Häuser in der Umgebung mehr als das Doppelte wert ist. Zweitens: Besitz eines Autos, das über 75.000 US-Dollar kostet (was zum Zeitpunkt unserer Studie einen extrem hohen Preis für ein Auto darstellte), und, drittens, Besitz eines Bootes mit einer Länge von mehr als sieben Metern. Von den CEOs in unserer Stichprobe erfüllten 58 Prozent eines oder mehrere dieser Kriterien, weshalb wir sie als materialistisch einstuften. Die übrigen 42 Prozent klassifizierten wir als bescheiden.

Zuerst untersuchten wir, ob es eine Verbindung zwischen Betrugsfällen und einer Neigung zum Materialismus gab – und wurden fündig: In Unternehmen, die von Personen geführt wurden, deren persönliche Ausgaben exzessiv waren, wurde das Kontrollumfeld schrittweise geschwächt. Konkret gab es in diesen Unternehmen mehr aktienbasierte Anreize (die Führungskräfte dazu verleiten können, Kapitalmärkte durch überhöhte Unternehmensergebnisse zu täuschen). Es wurden dort auch mehr materialistische CFOs ernannt, die Kontrolle durch den Board und interne Mechanismen war schwächer als in anderen Unternehmen. All diese Rahmenbedingungen schufen eine Umgebung, die eine betrügerische Finanz­berichterstattung begünstigte. Wir stießen auf mehr Betrugsfälle (durch Führungskräfte, die nicht den CEO-Posten inne­hatten) und mehr unbeabsichtigte Fehler in der Rechnungslegung.

Im nächsten Schritt konzentrierten wir uns auf Banken, weil deren Geschäfts­modell die Analyse der Risikobereitschaft erleichtert. In einer Stichprobe von knapp 300 Banken zeigte sich, dass Institute mit materialistischen CEOs über ein vergleichsweise laxes Risikomanagement verfügten und deshalb eher Gefahr liefen, ein deutlich schlechteres Ergebnis einzufahren als Unternehmen mit sparsamen CEOs. Weiter stellten wir in Banken mit materialistischen CEOs eine Verschlechterung der Unternehmenskultur fest, was dazu führte, dass Beschäftigte während der Finanzkrise 2007 bis 2009 Gelegenheiten zum Insiderhandel aggressiver ausnutzten. Zugleich brachten materialistische CEOs ihren Unternehmen aber auch höhere Gewinne ein als ihre bescheideneren Kolleginnen und Kollegen.

Im Rahmen einer anderen Studie wollten wir wissen, wie der Materialismus der Führung die Performance des Unternehmens im Bereich Corporate Social ­Responsibility (CSR) beeinflusste. Das Ergebnis: Unternehmen mit materialistisch veranlagten CEOs wurden von CRS-­Ratingagenturen schlechter bewertet als Unternehmen mit bescheidenen Führungsverantwortlichen (etwa aufgrund geringerer Spenden für wohltätige Zwecke oder des Ausstoßes gesundheitsgefährdender Schadstoffe). Das deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien, wonach materialistisch veranlagte Personen kein Interesse am Wohlergehen anderer Menschen und an der Umwelt zeigen.

Wenn ich mit Führungskräften, Boardmitgliedern und Investoren über diese Ergebnisse spreche, reagieren sie häufig enorm überrascht. Einige interessiert im ersten Moment vor allem, wie die Wissenschaft an Informationen über die kriminelle Vergangenheit und das Privateigentum von CEOs gelangen kann. Dann erkläre ich ihnen, dass private Ermittler zum Beispiel in den Vereinigten Staaten legal Einsicht in viele öffentliche Register nehmen können.

Boardmitglieder und andere Personen, die an Entscheidungen über Nachfolge und Besetzungen im Management be­teiligt sind, veranlassen unsere Ergebnisse häufig dazu, ihre Due Diligence zu hinterfragen. Zwar lassen sie bei externen Kandidatinnen und Kandidaten in der Regel Hintergrundchecks durchführen (die manchmal auch die Sichtung von Gerichtsakten beinhalten). Bei Personen jedoch, die bereits im Unternehmen sind und vor einer Beförderung in den Vorstand stehen, geschieht dies eher selten. So erzählte mir eine Führungskraft: „Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns nicht einmal. Uns interessiert nicht, was die Person in ihrem Privatleben tut – aber wahrscheinlich sollte es das.“

Andere Personen, die von unseren Ergebnissen erfahren, sagen häufig, diese deckten sich mit dem, was sie über prominente CEOs gelesen oder gehört hätten. Steve Jobs war zum Beispiel dafür bekannt, sich über Regeln hinwegzusetzen, die er als lästig empfand: Er weigerte sich, ein Nummernschild an seinem Auto anzubringen, und stellte seinen Wagen auf dem Firmengelände von Apple gern auf Parkplätzen ab, die für Behinderte re­serviert waren. Jobs wurde zwar nie wegen unternehmerischen Fehlverhaltens belangt, allerdings war Apple in einen Skandal verwickelt, bei dem es um die Rückdatierung seiner Aktienoptionen ging.

Ein anderes Beispiel ist die Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes, die Anfang 2022 des Betrugs an Investoren schuldig gesprochen (und im November zu elf Jahren Haft verurteilt) wurde. Sie hatte die Welt hinsichtlich der Wirksamkeit neuer Bluttests getäuscht. Im Verlauf des Gerichtsprozesses, währenddessen Holmes offenbar auf einem 135 Millionen US-Dollar teuren Anwesen lebte, argumentierte die Staatsanwaltschaft, ihr ausschweifender Lebensstil sei ein Motiv für ihr kriminelles Verhalten.

Auch die Aufsichtsbehörden zeigten ­Interesse an unserer Arbeit. 2016 war ich ein Jahr lang für die US-Börsenaufsicht, die Securities and Exchange Commission (SEC), tätig – sie hatte mich unter anderem wegen meiner Forschungsarbeiten eingestellt. Die SEC geht davon aus, dass Anlegerverluste steigen, je länger ein Fall von Wirtschaftskriminalität unerkannt bleibt. Deshalb ist ihr sehr daran gelegen, Betrugsfälle so früh wie möglich aufzudecken. Zu diesem Zweck möchte sie in Zukunft besser vorhersagen, wo es zu Betrügereien kommen könnte, anstatt darauf zu warten, dass die Vergehen irgendwann ans Licht kommen. Das ist zum Beispiel durch Finanzmodelle möglich, mit denen sich Unternehmen identifizieren lassen, deren Finanzberichte Ähnlichkeiten mit früheren Betrugsfällen aufweisen. Zusätzlich das Verhalten von Spitzenkräften oder ihre privaten Fehltritte unter die Lupe zu nehmen könnte ein weiteres vielversprechendes Instrument der Vorhersage sein. Aufgrund datenschutzrecht­licher Bedenken und anderer ethischer Fragen sind die Aufsichtsbehörden damit jedoch bisher vorsichtig.

Unterdessen geht die Forschung weiter. 2021 haben zwei Kollegen und ich ein ­gemeinsames Papier zur Wirkung von Anreizen für Whistleblower in Unternehmen veröffentlicht. Wir haben herausgefunden, dass – entgegen mancher Kritik – staatliche Belohnungen (wie es sie beispielsweise in den Vereinigten Staaten gibt) durchaus helfen können, Betrugsfälle aufzudecken, ohne dass dadurch die Zahl wertloser Hinweise zunimmt. In einem anderen Projekt arbeite ich weiter an neuen Wegen und Methoden, um materialistische und bescheidene CEOs besser zu unterscheiden. Interessant wäre zum Beispiel die Frage, ob philanthro­pisches Engagement das übermäßige Geldausgeben durch Führungskräfte ausgleicht – und dieses großzügige Verhalten ein Gegengewicht zum Materialismus darstellt?

Ich hoffe, im weiteren Verlauf meiner Studien klarere Antworten auf derlei Fragen geben zu können. Doch so viel kann ich bereits heute sagen: Kontrollgremien sollten Kandidatinnen und Kandidaten für den Spitzenjob nicht allein wegen zu schnellen Fahrens oder eines teuren Eigenheims ablehnen. Es ist jedoch ratsam, diese Umstände als Warnsignale zu betrachten, vor allem wenn der Regelverstoß erst kürzlich oder bereits mehrfach stattgefunden hat. Denn die Daten zeigen: Das Risiko ist zu groß, als dass es ignoriert werden sollte. © HBP 2023

Kompakt

Das ProblemUm Betrug im Topmanagement zu verhindern, setzen Boards, Aufsichtsbehörden und Investoren auf Gesetze, Complianceabteilungen und Whistleblower. Studien zeigen jedoch: Die Persönlichkeit spielt eine wichtige Rolle. Das private Verhalten von CEOs wirkt sich auch im Unternehmen aus.

Die LösungZwei Charakterzüge gehen mit verdächtigen Handelsaktivitäten und übermäßiger Risikobereitschaft einher: Materialismus sowie eine Tendenz zu Regelverstößen. Schnelles Fahren unter Alkoholeinfluss oder der Besitz einer Jacht sollte kein Ausschluss­kriterium bei der Suche nach ­Topmanagern sein, jedoch als Warnsignal betrachtet werden.

Autorin

Aiyesha Deyist Associate Professorin für Betriebs­wirtschaftslehre an der Harvard Business School in Boston (USA).

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Februar-Ausgabe 2023 des Harvard Business managers.

CEO-Nachfolge: Worauf Sie bei der Auswahl achten sollten, um Hochstapler und Betrüger auszusortieren

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