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Karriere: Drei Schritte, um Klarheit zu finden, wohin Sie im Job streben

Eine persönliche Entscheidung steht an, und Sie fühlen sich hin- und hergerissen? Dann nutzen Sie Ihre widersprüchlichen Emotionen, um die richtige Karriereentscheidung zu treffen.

Von Brianna Barker Caza, Naomi B. Rothman, Jamie R. Strassman, Brittany Lambert

In den vergangenen Monaten haben die Corona-Pandemie, wirtschaft­liche Schwierigkeiten und beruf­liche Ungewissheit viele Menschen an einen Wendepunkt gebracht. An dieser Weggabelung müssen sie entscheiden, was sie als Nächstes tun und wer sie werden wollen.

Zeiten des Wandels rufen oft ambivalente Gefühle hervor: Wir erleben gleichzeitig positive und negative Emotionen zu ein und demselben Thema. Zwei Ichs treten in den Vordergrund: das persön­liche und das berufliche. Es entstehen Spannungen zwischen diesen beiden ­Persönlichkeiten und Zielkonflikte, die, wie die Wissenschaft zunehmend zeigt, unsere Ambivalenz noch verstärken.

Diese Ambivalenz kann unbequem sein, weil sie Gefühle der Zerrissenheit und des Konflikts in uns hervorrufen kann. Trotzdem kann sie sich positiv auf die Entscheidungsfindung auswirken – vor allem dann, wenn es um die Lösung komplexer Probleme geht. Studien haben gezeigt, dass Ambivalenz die Kreativität steigert. Wer gemischte Gefühle erlebt, sucht demnach häufiger Rat und engagiert sich aktiver in der Jobsuche. Das Erleben von Ambivalenz kann außerdem dazu führen, dass wir falsch eingeschlagene Wege korrigieren.

Ambivalenzen sind unbequem, und sie sind wertvoll: Sie wecken in uns die Neugier und Kreativität.

Unsere eigenen Studien zu Karriere, Identität und Ambivalenz sowie die Arbeiten anderer Forschender haben uns zu dem Schluss geführt, dass man sich seine Ambivalenz an beruflichen Wendepunkten durchaus zunutze machen kann, um die Karriere passender und erfüllender zu gestalten.

Oft bringen uns Wendepunkte dazu, frühere berufliche Entscheidungen neu zu überdenken. Die Anstöße dafür können ganz plötzlich von außen kommen (wie ein Beförderungsangebot oder der Verlust des Arbeitsplatzes), oder sie entstehen schleichend – wie lang anhaltender Stress, der irgendwann zu einem Kipppunkt führt. In beiden Fällen bieten sie die ­Gelegenheit, neu zu reflektieren und sich Fragen zu stellen wie: Worauf lege ich Wert? Was ist mir wichtig? Wer bin ich jetzt, und wer möchte ich sein? Wollen wir diese Fragen beantworten, sind wir gezwungen, uns mit der Komplexität unserer eigenen Identität auseinander­zusetzen – also mit den vielfältigen Selbstdefinitionen, die sich aus unterschied­lichen sozialen und beruflichen Rollen ergeben, aus verschiedenen Gruppen, denen wir angehören, und aus unseren vielen Eigenschaften sowie unseren Interessen.

Die Forschung zu Identitätskomplexität und Ambivalenz ist noch jung, doch ihre Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Identitätskomplexität Ambivalenz fördern kann. Denn jede Version unserer selbst kann ihre individuellen Ziele verfolgen, die zueinander in Konflikt stehen und somit ambivalente Gefühle hervorrufen. Es kann spannend sein, unsere komplexen Identitäten zu erforschen. Aber die widersprüchlichen Gefühle, die dieser Prozess auslöst, können auch Ängste wecken.

Viele finden Ambivalenz unangenehm, weil sie unserem Bedürfnis nach Beständigkeit widerspricht. Wir wollen dieses Unbehagen vermeiden oder möglichst schnell minimieren und reagieren daher manchmal suboptimal – etwa indem wir auf Grundlage unvollständiger oder stark vereinfachter Informationen eine impulsive Entscheidung treffen oder indem wir unsere Entscheidung möglichst lange hinausschieben.

Nehmen wir das Beispiel von Rachel. Sie ergatterte einen begehrten Job bei einer Topunternehmensberatung, merkte aber bald, dass es sie unglücklich machte, ständig unterwegs zu sein. Sie begann sich zu fragen: Will ich immer so weitermachen? Zunächst überlegte sie, was sie an ihrem Job mochte: ihre klugen, großzügigen Kolleginnen und Kollegen; die Möglichkeit, sich intellektuell weiterzuentwickeln; und die Anerkennung, die sie in ihrer Branche erfuhr. Das waren alles Dinge, die ihr berufliches Selbst unterstützten und ihr halfen, ihre Kar­riereziele zu erreichen.

Dann überlegte Rachel, was ihr an ihrer derzeitigen Situation missfiel: das Gefühl der Einsamkeit und Vergänglichkeit, hervorgerufen durch das häufige Reisen. Dass Flughäfen und das Wetter ihren Zeitplan bestimmten. Dass sie von ihrem Hund getrennt war und ständig in Restaurants essen musste. All diese Dinge be­lasteten ihr Privatleben und entfernten sie von ihren persönlichen Zielen.

Spitzten sich diese Spannungen zu – oft dann, wenn sie in einem verspäteten Flugzeug auf der Startbahn saß –, fühlte sie sich überfordert und war verunsichert. Sie bemühte sich, den latenten Konflikt zu ignorieren. Als ihr Chef sie jedoch aufforderte, sich um eine Beförderung zu bewerben, bat sie Woche für Woche um „etwas Bedenkzeit“. Nach monatelangem Hinauszögern verließ sie schließlich das Unternehmen.

Die Gefahr einer solchen Bewältigungsstrategie besteht darin, dass sich das Hinauszögern von Entscheidungen scheinbar (oder tatsächlich) monatelang hin­ziehen kann. Das hält uns davon ab, uns auf die Gegenwart zu konzentrieren, und kann uns letztlich die Lebenszufriedenheit rauben. Ambivalenzvermeidendes Handeln kann auch dazu führen, dass Menschen wichtige Facetten ihrer Persönlichkeit klein halten oder sogar opfern.

Aber die Ambivalenz, die sich an beruflichen Wendepunkten zuspitzt, muss nicht dysfunktional sein. Das zeigte eine Studie von Brianna Barker Caza, Co-Autorin dieses Artikels: Wer die eigene Komplexität zulässt, entdeckt Karrierewege, die weniger traditionell sind, aber besser zu einem selbst passen.

Die Arbeiten von Naomi Rothman – ebenfalls Co-Autorin – beleuchten, auf welche Weise das Sich-Einlassen auf Ambivalenz zu mehr Selbsterkenntnis und Authentizität führt. Sie fand heraus, dass Menschen, die häufig gemischte Gefühle und widersprüchliche Gedanken haben, zwar weniger Kontrolle über ihr Leben empfinden, aber auch ein höheres Maß an Aufgeschlossenheit, Neugier und der Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Rothmans Forschung zeigt ebenfalls, dass Ambivalenz mit einer umfassenderen Suche nach und Empfänglichkeit für andere Sichtweisen einhergeht. Sie korreliert mit einer geringeren Abwehrhaltung gegenüber dem Feedback anderer und damit einer höheren Urteilsgenauigkeit. Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten darüber hinaus, dass gemischte Gefühle mit erhöhter Kreativität einhergehen, weil sie den Menschen die Komplexität ihrer Situation vor Augen führen.

Wenn Sie lernen, Ihre Ambivalenzen zuzulassen, kann Sie das aufgeschlossener gegenüber unterschiedlichen beruflichen Optionen machen. Mit der Zeit werden Sie vielleicht sogar in der Lage sein, dieses Unbehagen als Zeichen des Wachstums zu sehen, hin zu einer authentischeren Lebens- und Arbeitsweise.

Und was ist nun der Trick? Wie können Sie Ambivalenz für sich nutzen, statt sich von ihr in die Irre führen zu lassen? Die folgenden Schritte helfen Ihnen, bessere Selbsterkenntnis zu gewinnen und Ihre innere Vielfalt anzuerkennen. Das kann Sie zu kreativen Problemlösungen an­regen und Schwarz-Weiß-Denken verhindern. Dank dieser Schritte können Sie Identitäten und Ziele miteinander vereinbaren, die auf Sie vielleicht zunächst gegensätzlich oder konkurrierend wirken. So können Sie mit der Zeit Ihr wahres – und vollständiges – Ich entfalten.

Schritt 1: Denken Sie in Ruhe nach

Tauchen Ambivalenzen auf, begegnen Sie ihnen zunächst mit Neugier. Halten Sie inne, und beobachten Sie, was Sie fühlen. Ambivalenz kann sich unangenehm anfühlen. Vielleicht werden Sie dieses Unbehagen auf Ihre gesamte Situation beziehen und es als Zeichen dafür werten, dass etwas schiefgelaufen ist oder Sie eine schlechte Entscheidung getroffen haben. Aber machen Sie sich bewusst: Das Unbehagen kann auch ein Leuchtfeuer sein, das Ihnen den Weg in eine bessere Zukunft weist.

Ihre Gefühle vermitteln Ihnen Informationen über sich selbst. Wenn Sie mehrere Emotionen zugleich empfinden, kann das bedeuten, dass Ihnen in diesem Augenblick mehrere Identitäten wichtig sind und dass gerade etwas für Sie Wertvolles verloren zu gehen droht. Nutzen Sie das kurze Innehalten, das eine Ambivalenz natürlicherweise erzeugt. Nähern Sie sich Ihren komplexen Gefühlen mit Neugier statt mit einem schnellen Urteil. Erkunden Sie, was Sie fühlen und warum Sie diese Gefühle haben.

So könnten Sie sich ein paar Notizen zu folgenden Fragen machen: Freuen Sie sich auf den Rollenwechsel, aber haben Respekt vor dem Umfang der notwendigen Weiterbildung? Sind Sie traurig da­rüber, Ihr aktuelles Team zu verlassen, aber auch stolz darauf, dass Ihre harte Arbeit Ihnen eine Beförderung eingebracht hat? Ist es Ihnen peinlich, dass Ihre Präsentation nicht erfolgreich war, gleichzeitig sind Sie aber erleichtert, nicht mehr mit diesen schwierigen Kunden arbeiten zu müssen?

Betrachten Sie dieses Nachdenken über sich selbst als das Erlernen einer Fähigkeit oder sogar einer neuen Sprache. Untersuchungen haben gezeigt, dass wir unsere Emotionen besser regulieren können, wenn wir sie mit ganz konkreten Begriffen beschreiben (bekannt als „emotionale Granularität“). Die Differenzierung verschafft uns ein besseres Verständnis für die Ursache der Emotion und kann eine kontextbezogene emotionale Regulierung erleichtern.

Tauschen Sie sich außerdem mit anderen über Ihre Ambivalenz aus – mit Menschen, die Sie unterstützen, die koope­rativ sind und auf Ihrer Seite stehen. Gemeinsam können Sie noch bessere, integrativere und innovativere Lösungen für komplexe Probleme finden.

Schritt 2: Lassen Sie sich Zeit

Unsere jüngsten Untersuchungen haben ergeben, dass die Vorteile der Ambivalenz verloren gehen, wenn (interner oder externer) Druck besteht, möglichst schnell zu einem Ergebnis zu kommen. Setzen Sie sich daher, wenn möglich, eine Frist in nicht allzu naher Zukunft, damit Sie genügend Zeit und Energie haben, um auf Ihre Gefühle zu hören und Ihre Optionen zu prüfen. Auf diese Weise können Sie die Informationen besser nutzen, die Sie aus Ihrer Ambivalenz gewinnen, und eine fundierte Entscheidung treffen.

Eine unserer Studienteilnehmerinnen zeigte uns jüngst, wie dies in der Praxis aussehen kann. Als ausgebildete Sozialarbeiterin war sie im gemeinnützigen Bereich tätig (was ein berufliches Ziel darstellte), schaffte es aber nicht, ihre Schulden aus Studienkrediten abzubezahlen (ein persönliches Ziel). Ihre Ziele erschienen ihr widersprüchlich, weshalb sie ihrer Situation ambivalent gegenüberstand. Sie fühlte sich festgefahren und wusste nicht, wie sie die Spannung auflösen sollte. Bevor sie sich für ihre nächsten Schritte entschied, führte sie Informationsgespräche in verschiedenen Bereichen, auch in Unternehmen. Was sie dabei lernte, erweiterte ihren Blick auf mögliche Karrierewege. Sie erkannte, dass sie ihre Arbeit auch in einem Unternehmen fortführen und so ihre Schulden abbezahlen konnte (ein integratives Ergebnis). Mit anderen Worten: Indem sie sich mit der von ihr empfundenen Spannung auseinandersetzte und mit anderen sprach, fand sie einen Weg, beide Ziele miteinander zu verbinden.

Schritt 3: Bleiben Sie gelassen

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Sie sich mit einer einzelnen Karriereentscheidung nicht für alle Zeiten festlegen. Betrachten Sie sie stattdessen als eine Entscheidung für den Moment. Das Gute an Karriereentscheidungen ist, dass sie oftmals rückgängig gemacht werden können und später immer noch andere Entscheidungen möglich sind.

Um diese Einstellung zu kultivieren, ist es hilfreich, sich mit Menschen auszutauschen, die in ihrer Karriere schon weiter vorangeschritten oder sogar im Ruhestand sind. Sie verfügen über die Weisheit der Rückblicks und können Ihnen dabei helfen, Ihre Karriere mit mehr Flexibilität anzugehen, in dem Bewusstsein, dass Sie sich mit keiner Entscheidung für immer festlegen. Neue Forschungsergebnisse über Generationsunterschiede in der Belegschaft deuten darauf hin, dass die Altersvielfalt die Entscheidungsfindung in Teams verbessert.

Wir sind weitgehend darauf konditioniert, Komplexität – sowohl bei unserer Iden­tität als auch bei unseren Gefühlen – in einem negativen Licht zu sehen. Ambivalenz deuten wir oft als Zeichen dafür, dass wir hin- und hergerissen sind, unsere Prioritäten nicht im Griff haben und uns nicht entscheiden können. Dies kann dazu führen, dass wir voreilige Karriereentscheidungen treffen, um Ambivalenz zu minimieren oder zu vermeiden. Doch die Wissenschaft zeigt, dass Ambivalenz eine Daseinsberechtigung hat, vor allem längerfristig betrachtet.

Lassen wir unsere gemischten Gefühle in unsere Entscheidungen einfließen, können wir befriedigendere, authentischere Karrieren gestalten. Es ermöglicht uns, Entscheidungen zu treffen, die unsere (manchmal scheinbar gegensätzlichen) Ziele und Identitäten vereinen, anstatt uns zu zwingen, uns zwischen ihnen zu entscheiden. Einfach ausgedrückt: Wer akzeptiert, dass berufliche Ambivalenzen zum Leben dazugehören, sieht darin eine Chance für weiteren Erfolg, nicht die Gefahr des Scheiterns. © HBP 2023

Autorinnen

Brianna Barker Cazaist Associate Professor für Management an der University of North Carolina in Greensboro. Sie untersucht Identitätsprozesse, zwischenmenschliche Beziehungen, Machtdynamiken und Widerstandsfähigkeit am Arbeitsplatz.

Naomi B. Rothmanist Associate Professor für Management am College of Business der Lehigh University in Bethlehem, Pennsylvania. Sie erforscht, ob, wann und warum emotionale Ambivalenz Entscheidungen, Beziehungen, Führung und Performance am Arbeitsplatz verbessert.

Jamie R. Strassmanist Doktorandin im Fachbereich Organizational Behavior der McCombs School of Business der University of Texas in Austin. Sie forscht zu Ambivalenz und Genderfragen am Arbeitsplatz.

Brittany Lambertist Assistant Professor für Management und Entrepreneurship der Kelley School of Business an der Indiana University in Bloomington. Mit ihrer Forschung beleuchtet sie, wie Beschäftigte angesichts komplexer Herausforderungen durch die moderne Arbeitswelt erfolgreich sein können.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der März-Ausgabe 2023 des Harvard Business managers.

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