Kündigung, Abfindung, Urlaub: Diese Arbeitsrecht-Mythen können teuer werden
Kündigung per E-Mail reicht aus? Einige weit verbreitete Irrtümer können erhebliche juristische Folgen haben und für Arbeitgeber richtig teuer werden. Zwei Fachanwälte klären auf.
Düsseldorf. Mariam El-Ahmad hält einen Kugelschreiber in die Kamera des Videocalls: „Den hier brauchen Sie für eine Kündigung“, sagt die Anwältin für Arbeitsrecht. Ihre Berliner Kanzlei Rotwang Law vertritt viele Start-ups, die ursprünglich glaubten, Mitarbeiter per Mail oder gar WhatsApp kündigen zu können.
Doch das ist nur einer von zahlreichen Irrtümern, denen Arbeitsrechtler in ihrem Alltag begegnen. Angestellte und Arbeitgeber fühlen sich im Recht, vertrauen auf Mythen, wissen oft aber zu wenig über die tatsächliche Rechtslage.
Ob Abfindungen, Bonuszahlungen, Kündigungsfristen, Fortbildungskosten oder Urlaub in der Elternzeit: Die Arbeitsrechtler Mariam El-Ahmad und Pascal Croset erklären fünf Mythen, denen sie besonders häufig begegnen – und klären auf.
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Mythen im Arbeitsrecht: „Wenn ich gekündigt werde, steht mir eine Abfindung zu“
Ihre Mandanten glauben Rechtsanwältin El-Ahmad zufolge häufig, ihnen stünde bei Kündigung eine Abfindung rechtlich zu. Sie führt das darauf zurück, dass Abfindungen in Deutschland häufig gezahlt werden. Das geschehe jedoch meist nur, um Gerichtsprozesse zu verhindern – der Anspruch auf eine Abfindung sei „einer der krassesten Mythen überhaupt“.
Tatsächlich gibt es in Deutschland keinen Anspruch auf eine Abfindung. Sie ist Verhandlungssache. Pascal Croset sagt: „Es hängt vor allem vom Arbeitgeber ab, ob er bereit ist, eine Abfindung zu zahlen.“ In der Praxis hätten Arbeitnehmer die Summe häufig „geistig bereits in ein neues Auto investiert“, erzählt der Rechtsanwalt.
Das kann voreilig sein. Doch die Unternehmen brauchen durchaus triftige Gründe, um Angestellte zu entlassen. „In Deutschland gilt ein dauerhafter Arbeitsplatz als sozial sicherer als ein Bündel Geldscheine zum Abschied“, sagt El-Ahmad. Häufig verlieren Arbeitgeber Verfahren vor Arbeitsgerichten aber und müssen Mitarbeiter dann weiter beschäftigen: „Die mildere und kostenschonendere Alternative ist die Abfindung.“
„Wenn es keine Zielvereinbarung gibt, steht mir kein Bonus zu“
30.000 Euro zusätzlich am Jahresende – Führungskräfte erhalten oft einen jährlichen Bonus für das Erreichen der mit dem Unternehmen vereinbarten Ziele. Doch was ist, wenn es keine Zielvereinbarung gibt?
Führungskräften steht dann dennoch ein Bonus zu. „Wenn im Arbeitsvertrag ein Bonus festgeschrieben wurde, aber keine Ziele vereinbart wurden, dann haben die Mitarbeiter einen Anspruch auf Schadenersatz“, sagt El-Ahmad. Der Schadenersatz kann dann die Bonuszahlung ersetzen.
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Das Bundesarbeitsgericht hat 2007 geurteilt, dass der Arbeitgeber eine Initiativpflicht zum Abschluss der Zielvereinbarung hat. Dennoch kann der Schadenersatzanspruch geringer ausfallen, „wenn der Arbeitnehmer nicht um Ziele gebeten hat“, sagt El-Ahmad. Zudem müssen die Ziele realistisch und transparent festgehalten sein, sonst steht der Führungskraft ebenfalls Schadenersatz für den entgangenen Bonus zu.
„Kündigung per E-Mail oder WhatsApp reicht aus“
Der häufigste Irrglaube bei Kündigungen: Unternehmen glauben, dass sie Mitarbeiter auch digital wirksam kündigen könnten. Croset sagt: „Das ist unwirksam. Das Gesetz schreibt die Schriftform vor.“
El-Ahmad führt aus: „Eine Kündigung muss handschriftlich auf Papier unterschrieben und im Original an den Mitarbeiter zugestellt werden.“ Besonders Start-ups würden jedoch dazu neigen, digital zu kündigen. Zuletzt habe sie eine frühere Angestellte eines Start-ups vertreten, das ihr per E-Mail gekündigt hatte. Die Kündigung war unwirksam. Erst drei Monate später klagten die Anwältin und ihre Mandantin. Das Unternehmen musste noch drei Gehälter zahlen: „Dieser Formfehler hat das Start-up fast 50.000 Euro gekostet.“
Dabei war die Mandantin ursprünglich zu El-Ahmad gekommen, um ihren früheren Arbeitgeber wegen einer angeblichen Diskriminierung auf Schadenersatz zu verklagen. „Sie hatte gar nicht die Fantasie dazu, dass eine Kündigung per E-Mail unwirksam ist“, erzählt El-Ahmad. Am Ende gab es keine Schadenersatzklage – aber trotzdem eine fünfstellige Summe aufs Konto der Arbeitnehmerin.
„Wenn ich kündige, muss ich meine Fortbildungskosten zurückzahlen“
30.000 Euro Fortbildungskosten hatte eine große deutsche Fluggesellschaft für einen Piloten im Master-Studium übernommen. Dieser wollte nun „kündigen, hatte aber Angst, dass er die Kosten dafür zurückzahlen muss“, erzählt El-Ahmad. Die Fluggesellschaft hatte zwar eine schriftliche Nebenabrede zur Rückzahlung der Kosten geschlossen. Doch diese war unwirksam.
„Unternehmen müssen genau festlegen, wie Arbeitnehmer bei eigener Kündigung diese Kosten zurückzahlen“, mahnt El-Ahmad. Im Prinzip funktioniert es wie ein Kredit: Arbeitgeber müssen mit jedem Monat, den der Mitarbeiter nach der Fortbildung im Unternehmen bleibt, den Rückzahlungsbetrag verringern.
Denn dem Arbeitgeber steht es zu, vom neuen Know-how des Mitarbeiters zu profitieren – allerdings nur für eine bestimmte Zeit. Denn irgendwann überwiegt das Recht des Angestellten auf Berufsfreiheit den Anspruch des Arbeitgebers.
Arbeitsrechtsanwalt Croset sagt: „Nach unserer Erfahrung sind die meisten Rückzahlungsvereinbarungen unwirksam, weil sie zu lange Bindungsfristen vorsehen.“
„Wenn ich in Mutterschutz/Elternzeit bin, erwerbe ich keinen Urlaubsanspruch“
Wer in Elternzeit oder in Mutterschutz ist, erwirbt weiterhin Urlaub. „Das Bundesurlaubsgesetz ist nicht an die Arbeitsleistung geknüpft“, erklärt Fachanwältin El-Ahmad. „Man muss sich den Urlaub nicht verdienen.“
Gleichwohl ist es Arbeitgebern möglich, den Urlaub in der Elternzeit zu kürzen – nicht aber im Mutterschutz. „Optimalerweise geben Arbeitgeber die Kürzungserklärung gleich mit der Bestätigung der Elternzeit ab“, rät Croset den Unternehmen.
Allerdings können Arbeitgeber nicht willkürlich den Urlaub kürzen, sondern je vollem Monat nur ein Zwölftel des Jahresurlaubs. Die Anwältin sagt: „Viele Arbeitgeber gehen davon aus, dass der automatisch gekürzt ist, aber das ist nicht so.“
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