Deutschlands Groß-Schlachter in der Krise
Politisch gewollt, für die Schlachtriesen ein Problem: Die Deutschen essen immer weniger Fleisch. Die Folge: Erste Schlachthöfe sind dicht – und es könnten weitere folgen.
Düsseldorf. Ende Juli ist Schluss. Dann macht Vion in Bad Bramstedt seinen wichtigsten Rinderschlachthof in Norddeutschland dicht. 3200 Tiere wurden hier zuletzt in der Woche geschlachtet. „Der seit Jahren rückläufige Rinderbestand in Norddeutschland sowie die Überkapazitäten am Schlachthofmarkt machen den Schritt notwendig“, sagt Vion-CEO Ronald Lotgerink. Die Niederländer sind der größte Rindfleischproduzent in Deutschland, schrieben aber zuletzt Verluste.
Die milliardenschwere Fleischbranche steht am Anfang einer historischen Konsolidierung. Immer mehr Schlachthöfe sind schlecht ausgelastet und schließen. „Auf dem Schlachtmarkt für Schweine gibt es weiterhin massive Überkapazitäten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu weiteren Schließungen kommt und damit Kapazität aus dem Markt genommen wird“, prophezeit Branchenexperte Klaus-Martin Fischer, Partner der Beratung Ebner Stolz.
Politisch ist das durchaus gewollt: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) möchte den Fleischkonsum drastisch senken – für mehr Klimaschutz und Tierwohl.
Doch die Rinderzüchter im Norden haben durch die Vion-Schließung nun ein Problem: „Wohin sollen wir unsere Bullen zum Schlachten bringen?“, fragt Landwirt Hans Karstens. Er leitet die Erzeugergemeinschaft NFZ, die gemeinsam mit Vion das Fleisch aus 450 Rinderbetrieben in Schleswig-Holstein vermarktet.
Wettbewerber Danish Crown soll nun für Vion lohnschlachten. Die Tiere müssten dann nach Husum oder bis Teterow in Mecklenburg-Vorpommern transportiert werden. „Hier im Norden wird Danish Crown in der Bullenschlachtung quasi zum Monopolisten“, kritisiert Karstens.
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Schlachter holen Sanierungsberater zu Hilfe
In anderen Regionen dagegen suchen viele Schlachthöfe händeringend Schlachtvieh. Die Landwirte aus dem Norden möchten ihre Tiere aber nicht so lange transportieren. In der Politik gibt es ohnehin Bestrebungen, die zulässige Transportdauer von maximal acht Stunden auf vier bis fünf Stunden zu senken.
Die kriselnden Großschlachter haben sich bereits Hilfe von Top-Sanierungsberatern geholt. Roland Berger trimmt Westfleisch auf Effizienz. Berger-Berater Wilhelm Uffelmann wurde am Donnerstag sogar zum designierten CEO von Westfleisch ernannt. McKinsey wiederum berate Tönnies und Vion, ist aus der Branche zu hören. Denn die Lage ist ernst. „Die Guten in der Schlachtbranche arbeiten derzeit mit einer schwarzen Null“, weiß Fischer. „Sie erwirtschaften pro Schwein etwa zwei bis drei Euro Gewinn, was äußerst knapp ist.“ Alle anderen seien in den roten Zahlen.
Die Großschlachter können ohne hohe Stückzahlen nicht wirtschaftlich arbeiten. Nie sind die Schlachtzahlen aber so stark gesunken wie 2022, wie das Statistische Bundesamt konstatiert. Es wurden knapp drei Millionen Rinder geschlachtet, 7,8 Prozent weniger als im Vorjahr.
Die Schweineschlachtungen sanken um 9,2 Prozent auf 47 Millionen Tiere. Mit dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland im September 2020 war der lukrative Asienexport weggebrochen. Und die Deutschen essen immer weniger Fleisch. Der Pro-Kopf-Verzehr lag 2022 bei 52 Kilo, neun Kilo weniger als 2018. Das zeigen Zahlen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE).
Die Abkehr vom Fleisch hat sich beschleunigt, seitdem die Preise massiv steigen. Die Erzeugerpreise für Schweinefleisch sind mit 2,50 Euro das Kilo auf einem Rekordhoch. Das liegt nicht nur an höheren Futter- und Energiekosten seit dem Ukrainekrieg. Es gibt auch immer weniger Schweine am Markt.
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Hohe Fleischpreise drücken die Nachfrage
Deren Zahl schrumpfte allein zwischen 2020 und 2023 um 18,5 Prozent auf 20,8 Millionen, wie die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) schätzt. Zeitgleich gab ein Fünftel der Höfe auf. Auch weil die Politik teure Stallumbauten für mehr Tierwohl fordert. „Wir Schweinehalter haben fürchterliche Jahre hinter uns, in denen wir viel Geld verloren haben“, sagt Landwirt Beringmeier.
Weil Schweine nun knapp sind, bekommt er derzeit zwar wenigstens gute Preise: „Wir können endlich Gewinn erwirtschaften.“ Doch die hohen Preise bergen auch Risiken. „Treiben die Schweinehalter den Preis noch weiter nach oben, kollabiert der ganze Markt“, warnt Experte Fischer. Wenn die Schweinepreise noch weiter steigen sollten, dann drohe die gleiche Entwicklung wie auf dem Rindfleischmarkt, fürchtet auch Marktführer Tönnies. „Da waren die Verbraucher nicht mehr bereit, die zu hohen Preise zu bezahlen.“
Die hohen Einkaufspreise für Fleisch drücken schon heute mächtig auf die Liquidität der Schlachter, so Fischer. Das zwingt sie, unrentable Standorte zu schließen. Tönnies hatte im März den Rinder-Schlachthof in Legden im Münsterland „vorübergehend stillgelegt“. Die Schlachtungen werden nach Badbergen verlegt. In Weißenfels in Sachsen-Anhalt, dem zweitgrößten Tönnies-Standort, schloss die Exportabteilung mit rund 140 Mitarbeitern.
In Weißenfels soll die Produktion stark gesunken sein, wie Brancheninsider berichten. Konkrete Angaben zur Auslastung macht das Unternehmen nicht. Aber: „Wir haben in Weißenfels wie in Sögel im Emsland eine von zwei Schichten gestrichen“, erklärt ein Sprecher, betont aber auch: „Es gibt derzeit keine Pläne, einen Standort zu schließen.“
Der Umsatz der Tönnies-Gruppe war 2021 um eine knappe Milliarde auf rund 6,2 Milliarden Euro gesunken. Seitdem schweigt das Familienunternehmen zu konkreten Umsatzzahlen.
An den Schlachtzahlen lässt sich aber eine Tendenz im Geschäft ableiten: Laut ISN schlachtete Marktführer Tönnies im vergangenen Jahr 14,8 Millionen Schweine, 7,5 Prozent weniger als 2021. Trotzdem konnte Tönnies den Marktanteil leicht auf 31,4 Prozent steigern – denn die meisten Konkurrenten verloren noch mehr Geschäft.
Die Nummer zwei, Westfleisch, büßte 2022 ein Zehntel der Schweineschlachtungen ein. Wegen des Effizienzprogramms erzielte die Genossenschaft aus Münster bei drei Milliarden Euro Umsatz aber immerhin einen Überschuss von 27 Millionen Euro nach einem Verlust im Vorjahr.
„Rohstoff Schwein ist und bleibt knapp“
Besonders hart ist Vion, die Nummer drei, von sinkenden Schweinebeständen betroffen. Die hiesigen Schlachtzahlen sanken 2022 um 17 Prozent. Der Jahresverlust des Konzerns stieg vor allem deshalb von 29 auf 108 Millionen Euro bei 5,3 Milliarden Euro Umsatz.
In Deutschland schließt Vion nicht nur Bad Bramstedt. Auch die Schweinezerlegung in Holdorf ist dicht. Die Zerlegung aus Landshut wurde verlegt. Brancheninsider fragen sich sogar, ob Vion auf Dauer seinen größten Schweineschlachthof in Emstek aufrechterhalten kann.
Der Betrieb in Niedersachsen ist auf 70.000 Tiere die Woche ausgelegt. Derzeit werden nur noch 35.000 bis 40.000 Tiere geschlachtet. Die zweite Schicht und mehrere Hundert Arbeitsplätze sind weggefallen. Vion sieht sich auf gutem Wege, den Standort weiter zu stabilisieren. „Eine Schließung steht aktuell nicht im Raum“, betont das Unternehmen auf Anfrage und tritt Branchenspekulationen entgegen: „Ein Rückzug aus Deutschland kommt nicht infrage.“
Wer auch immer den nächsten Schlachthof schließt: Die benachbarten Wettbewerber warten begierig darauf, ihre Schlachtplätze dann besser auszulasten. „Denn der Rohstoff Schwein ist und bleibt knapp“, betont Fischer.
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