Huawei-Bann rückt wohl näher – Bund und EU schließen Schadenersatz aus
Telekom, Vodafone und Telefónica haben in ihren 5G-Netzen viele Komponenten aus China verbaut – und müssen diese wohl bald entfernen. Wer zahlt die Rechnung?
Berlin, Brüssel. Lange war es nur eine abstrakte Gefahr für die deutschen Mobilfunkkonzerne, nun wird sie konkret: Die Bundesregierung könnte noch in diesem Jahr den schrittweisen Ausbau chinesischer Technik von Huawei und ZTE aus den neuen, besonders schnellen 5G-Netzen anordnen. Nach Informationen des Handelsblatts wurden einzelne Bauteile dieser Hersteller als potenzielles Sicherheitsrisiko identifiziert.
Der Deutschen Telekom, Vodafone und Telefónica drohen hohe Kosten, manche Schätzungen gehen von mehreren Milliarden Euro aus. Dafür würden sich die Unternehmen wohl gern vom Steuerzahler entschädigen lassen. So hatte etwa Telefónica schon im März angekündigt, Schadenersatzansprüche prüfen und womöglich vor Gericht durchsetzen zu wollen.
Doch das zuständige Bundesinnenministerium gibt sich gelassen: Es sieht keine Grundlage für solche Forderungen. Wie das Handelsblatt erfuhr, begründete ein Ministeriumsvertreter dies kürzlich bei einer Sitzung des Digitalausschusses im Bundestag mit der geltenden Rechtslage. Demnach sieht das entsprechende Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI-Gesetz) für den Fall der Untersagung von kritischen – also sicherheitsrelevanten – Komponenten keine Entschädigung vor.
Auch die EU-Kommission lehnt Schadenersatzzahlungen ab, wie das Handelsblatt aus der Behörde erfuhr – schon aus wettbewerbspolitischen Gründen. Die Kommission verweist darauf, dass Netzanbieter, die ein vorausschauendes Risikomanagement betrieben haben, benachteiligt würden, wenn ihre Wettbewerber für Geschäftsbeziehungen zu „Hochrisiko-Anbietern“ wie Huawei und ZTE kompensiert würden. Mehrere EU-Staaten hätten den Einsatz chinesischer Netzkomponenten schon eingeschränkt, betont die Behörde, nach ihrer Kenntnis habe keines dieser Länder Ausgleichszahlungen bewilligt.
Dass die Entschädigungsfrage diskutiert wird, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Bundesregierung einen Ausschluss vorbereitet. Seit dem Frühjahr prüft Deutschlands oberste Cybersicherheitsbehörde, das BSI, alle kritischen Teile der Anbieter Huawei und ZTE, die schon im Netz verbaut sind. Ende August soll die Prüfung abgeschlossen sein. Auf Basis des Ergebnisses soll dann im Einvernehmen aller beteiligten Ministerien entschieden werden, wann, welche und wie viele der IT-Bauteile ausgebaut werden müssen.
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Huawei und ZTE können nicht als vertrauenswürdig gelten
Für die EU-Kommission ist klar: Huawei und ZTE können nicht als vertrauenswürdig gelten, da sie – wie andere Unternehmen in China auch – gesetzlich verpflichtet sind, mit den Staatsorganen der Volksrepublik zusammenzuarbeiten. „Ich kann nur betonen, wie wichtig es ist, die Entscheidungen über den Austausch von risikoreichen Anbietern aus 5G-Netzen zu beschleunigen“, sagte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton im Juni.
Auf Sicherheitsrisiken wies kürzlich das Innenministerium von Ressortchefin Nancy Faeser (SPD) hin. Es lägen „Anhaltspunkte“ vor, dass ein weiterer Einsatz von Netzwerkkomponenten der Ausrüster Huawei und ZTE „die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik voraussichtlich beeinträchtigen könnte“, sagte eine Ministeriumssprecherin dem Handelsblatt.
Innenministerium könnte mehrjährige Frist gewähren
Während Breton auf „unverzügliche“ Maßnahmen dringt, strebt das Innenministerium eine verhältnismäßige Lösung an. Dies könnte bedeuten, dass die Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica binnen einer Frist von womöglich mehreren Jahren bestimmte Komponenten durch alternative Produkte austauschen müssen. Eine endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen, aber mehrere Beamte bestätigten dem Handelsblatt, dass die Gespräche in diese Richtung laufen.
Im Fokus der regierungsinternen Beratungen stehen Bauteile des 4G-Netzes, die per Software-Update 5G-fähig werden und damit kritische Funktionen für den Netzbetrieb übernehmen. Die Befürchtung ist, dass dadurch Daten für Spionagezwecke gesammelt und im Extremfall das Handynetz manipuliert oder abgeschaltet werden könnte. ZTE und Huawei weisen diese Vorwürfe auf Nachfrage energisch zurück.
Spätestens mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der Schutz kritischer Infrastruktur für die Bundesregierung hohe Priorität. Dazu zählen die Mobilfunknetze, Gasleitungen und Stromtrassen. Das Innenministerium hat in dieser Woche den Entwurf für das Gesetz „zur Stärkung der Resilienz kritischer Anlagen“ in die Ressortabstimmung gegeben, weil die bisherige Rechtslage Lücken aufwies. Der Entwurf liegt dem Handelsblatt vor.
5G gilt als besonders kritisch: Das Netz kann große Datenmengen schnell und zuverlässig transportieren und könnte damit Technologien wie dem autonomen Fahren zum Durchbruch verhelfen. Schon die Vorgängerregierung hatte daher nach langen Diskussionen die Möglichkeit für einen Ausschluss von Komponenten nicht vertrauenswürdiger Hardware-Lieferanten geschaffen. Doch angewendet werden die Regeln erst jetzt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist erkennbar bemüht, die Entscheidung von sich fernzuhalten. Er verweist auf einen „bürokratischen Prozess“, der den Vorgaben des Gesetzes folge. Interessant ist, dass aus der Bundesregierung inzwischen der Hinweis kommt, dass die europäischen Netzausrüster Ericsson und Nokia nur geringe Marktanteile in China hätten. Das Argument könnte dazu dienen, einen Huawei-Bann gegenüber den Chinesen zu rechtfertigen.
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Telekom rüstet sich angeblich mit „Armageddon“-Szenario gegen Huawei-Verbot
Auch andere europäische Länder haben sich für einen schrittweisen Ausbau entschieden. Großbritannien etwa hat seinen Netzbetreibern eine Frist von sieben Jahren eingeräumt. Da die einzelnen Komponenten ohnehin regelmäßig ausgetauscht werden müssen, lässt sich die Kostenbelastung so erheblich reduzieren. Ähnlich geht Frankreich vor.
Da der Bund nach wie vor größter Anteilseigner der Deutschen Telekom ist, dürfte er an einer einvernehmlichen Lösung ein besonderes Interesse haben. Im Aufsichtsrat der Telekom fielen die beiden Vertreter des Bundes Insidern zufolge bislang nicht als Huawei-Kritiker auf. Dennoch können die Netzbetreiber kaum behaupten, sie seien nicht gewarnt gewesen.
Schon seit Jahren diskutieren die Berliner Ministerien über die Beteiligung chinesischer Technologieunternehmen an den 5G-Mobilfunknetzen und wägen eindringliche Warnungen der Geheimdienste gegen wirtschaftliche Interessen ab. Erst vor ein paar Tagen traft sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit Telekom-Chef Timotheus Höttges, um ihm die neue China-Strategie der Bundesregierung zu erläutern, die unter anderem darauf abzielt, kritische Infrastruktur besser zu schützen.
Die Netzbetreiber haben in den vergangenen Jahren weiter massiv Huawei-Teile verbaut. Die Produkte des Unternehmens gelten als technologisch führend und zugleich billig. Inzwischen sind fast 60 Prozent des deutschen 5G-Netzes mit Komponenten des chinesischen Konzerns bestückt, wie Daten der Analysefirma Strand Consult zeigen.
Antennen, Basisstationen und andere Bauteile der Hersteller Huawei, ZTE, Ericsson und Nokia sind nicht frei miteinander kombinierbar. Das bedeutet, dass ein Ausbau einer Komponente die Entfernung weiterer Hardware erforderlich machen kann.
Ein Huawei-Verbot könnte somit hohe Kosten für die Netzbetreiber auslösen. Gerade die Telekom wäre betroffen. In einem internen Dokument, über das das Handelsblatt vor drei Jahren berichtet hatte, wurde der Fall durchgespielt, dass der Konzern chinesische Ausrüster nicht länger in seinen Netzen verwenden darf.
In dem als „Armageddon“ bezeichneten Szenario wird davon ausgegangen, dass ein Ausbau bis zu fünf Jahre dauern und mindestens drei Milliarden Euro kosten würde. Die Telekom wollte sich seinerzeit zu dem Papier nicht äußern, dementierte den Inhalt jedoch nicht.
Ein Verzicht auf Netzwerkausrüstung von Huawei könnte den Ausbau der 5G-Netze verzögern. Das Wirtschaftsministerium rechnet für den Fall sogar mit „erheblichen Auswirkungen auf den Betrieb der Mobilfunknetze und die Erfüllung von Versorgungsauflagen“. So steht es in einem im Frühjahr erstellten vertraulichen Bericht des Ministeriums für den Wirtschaftsausschuss im Bundestag.
Verkehrsministerium bremst bei hartem Vorgehen gegen Huawei und ZTE
Tatsächlich aber wurden Störungen in anderen Ländern bislang nicht beobachtet. So hatte Dänemark bereits vor drei Jahren den Ausbau von chinesischen Bestandskomponenten angeordnet. Netzwerkprobleme gab es daraufhin nicht.
Die Furcht vor einem langsameren 5G-Netz-Ausbau gilt dennoch in Regierungskreisen als Erklärung dafür, dass vor allem das Verkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) sich einem harten Vorgehen gegen Huawei und ZTE widersetzt.
Für eine härtere Gangart gegen 5G-Zulieferer aus China plädiert auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber. Der Einschätzung von Verfassungsschützern, Huawei-Komponenten besser heute als morgen aus dem deutschen Mobilfunknetz auszubauen, „widerspreche ich überhaupt nicht“, sagte Kelber dem Handelsblatt. „Aus Datenschutzsicht kann es durchaus geboten sein, nicht europäische Produkte mindestens aus Kernelementen des deutschen Mobilfunknetzes zu entfernen.“
Deutsche Bahn hat wegen Huawei-Einsatz Ärger
Auch die Deutsche Bahn steht wegen des Einsatzes von Huawei-Technologie in der Kritik. Denn der Staatskonzern will sein unternehmenseigenes Netz maßgeblich mit Huawei ausstatten.
Der Bahn-Beauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer (FDP), bestätigte, dass die Bahn im Dezember entschieden habe, einen Auftrag über die Lieferung von 60 Prozent der Komponenten für das neue Netz an die Telekom-Tochter Business Solutions zu vergeben. „Diese Firma verwendet auch Technologie von Huawei“, erklärte Theurer in einer Antwort auf eine Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen. Die Antwort liegt dem Handelsblatt vor.
Der Bund sieht bei der Bahn wegen der aktuellen Rechtslage keine Möglichkeit zum Eingriff, wie eine Antwort des Verkehrsministeriums auf eine weitere Nachfrage von Röttgen zeigt. Für Betreiber von nicht öffentlichen Betriebsfunknetzen – wie in diesem Fall die DB Netz AG – bestehe derzeit weder eine Zertifizierungspflicht für kritische Komponenten noch eine Verpflichtung, den Einbau von kritischen Komponenten anzuzeigen, heißt es darin. Es mit dem neuen Gesetz zum Schutz kritischer Anlagen könnte sich das ändern.
Röttgen wirft der Bundesregierung vor, sich damit „absichtlich dumm“ zu stellen. „Als 100-prozentiger Eigentümer könnte der Bund auch ohne Gesetzgebung von der Deutschen Bahn AG verlangen, vertrauenswürdige Ausrüster zu nutzen“, so Röttgen. Zumal am Ende die Kosten nur stiegen, wenn Komponenten wieder ausgebaut werden müssten.
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