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Jede neue Technologie braucht Menschen, die sie anwenden können. - dpa
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Berufliche Fortbildung: Warum der Umgang mit KI die neue Schlüsselqualifikation ist

Deutsche Arbeitnehmer liegen bei digitalen Fähigkeiten im internationalen Vergleich zurück. Wie Unternehmen ihre Beschäftigten fit machen und auch Bewerber ohne formalen Abschluss profitieren.

Kiel. Künstliche Intelligenz gilt als das wirtschaftliche Zukunftsthema Nummer eins. Microsoft investiert rund 3,2 Milliarden Euro in den Ausbau seiner deutschen KI-Infrastruktur, Bosch hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 1.000 KI-Patente angemeldet, die Nachfrage in Kernbranchen wie Autoindustrie, Maschinenbau, Pharma oder Finanzen nach den smarten Algorithmen ist hoch.

Was bei dem Hype oft übersehen wird: Jede neue Technologie braucht Menschen, die sie anwenden können. Und da sieht es in Deutschland mau aus. In Ländervergleichen zur Digitalisierung steht die reichste Nation Europas regelmäßig am unteren Ende der Tabelle.

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Laut Plänen der EU-Kommission sollen bis zum Ende des Jahrzehnts 80 Prozent der EU-Bevölkerung über grundlegende digitale Kompetenzen verfügen. Aktuell sind es im Durchschnitt 54 Prozent, hierzulande nur 49 Prozent. Auch um die Zahl der digitalen Fachkräfte in der EU bis 2030 auf mindestens 20 Millionen zu verdoppeln, müsse sich Deutschland bei der Weiterbildung mehr anstrengen, mahnt die Kommission.

Gerade bei der KI-Kompetenz ist noch viel Luft nach oben. Nur acht Prozent der deutschen Arbeitnehmer hätten in den vergangenen zwölf Monaten KI-Schulungsangebote erhalten, obwohl sich immerhin 20 Prozent eine KI-Weiterbildung wünschen, hat der Personaldienstleister Randstad ermittelt.

„Technologieaffine Nationen sind uns weit voraus“, sagt Randstad-Manager Patrick Wamelink. So habe in Indien 2023 bereits fast jeder vierte Beschäftigte KI-Kurse besucht. Das Marktforschungsinstitut Tren‧dence kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Demnach hat nur knapp ein Drittel aller Akademiker Zugang zu passenden Schulungsangeboten, bei Fachkräften ohne Studienabschluss sogar nur 11,5 Prozent.

Unternehmen werden selbst aktiv

Viele Unternehmen haben die mangelnden Weiterbildungsaktivitäten als Bremsklotz für die technologische Entwicklung ausgemacht – und investieren nun selbst. So hat Microsoft etwa, nicht ganz uneigennützig, in seinem 3,2 Milliarden schweren KI-Investitionspaket umfangreiche Fortbildungsmöglichkeiten gleich mitbudgetiert. Rund 1,2 Millionen Menschen in Deutschland sollen bis Ende kommenden Jahres die Chance haben, an KI-Schulungen des Softwareunternehmens teilzunehmen.

Über sein Tochterunternehmen LinkedIn bietet Microsoft beispielsweise einen kostenlosen Grundlagenkurs in generativer KI an. Wer alle sechs Online-Einheiten absolviert und dazu einen Test besteht, erhält ein beruflich verwertbares Zertifikat. Auf Englisch ist der neue Kurs bereits seit einigen Monaten verfügbar, in Kürze soll es ihn auch auf Deutsch geben.

Auch Google, die Amazon-Tochter AWS, Salesforce oder SAP kombinieren mit frei zugänglichen Onlinekursen gesellschaftliches Engagement mit eigenen Interessen. Auf kommerziellen digitalen Bildungsplattformen wie Coursera, edX, Skillshare, Udacity oder Udemy boomen die KI-Themen ebenfalls.

„KI-Fähigkeiten gehören aktuell zu den wertvollsten Fähigkeiten am Arbeitsmarkt“, sagt der Ökonom und Arbeitsmarktforscher Fabian Stephany, der an der Universität Oxford sowie am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin zu den Auswirkungen von KI auf Jobs und Gehälter forscht. Seine Ergebnisse stützt er unter anderem auf Daten einer großen US-Onlinebörse für Freelancer, wonach KI-Fähigkeiten in Honorarverhandlungen im Schnitt fünfmal so gut bezahlt werden wie andere Fähigkeiten.

Konkrete Fähigkeiten sind gefragt

Doch nicht nur für Freiberufler zahlt sich KI-Know-how aus. Stephany rechnet damit, dass sich das sogenannte Skill Based Hiring auch bei Festanstellungen zunehmend etablieren wird. Dabei fokussieren sich die Personalabteilungen vorrangig auf die Kenntnisse und Fähigkeiten der Bewerber, weniger auf Titel und Abschlüsse.

In den Bereichen Nachhaltigkeit und digitale Transformation sei schon jetzt zu beobachten, dass formale Bildungsabschlüsse nicht mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt halten könnten, so der Forscher. Sprich: In Disziplinen wie generative KI, Data-Science, Machine Learning oder Natural Language Models sind Meister und Master Mangelware.

Immer öfter werde in Stellenangeboten daher nicht mehr nach Titeln und Abschlüssen, sondern nach konkreten Fähigkeiten gefragt. Wer sie hat, bekommt den Job und wird besser bezahlt – egal, ob mit oder ohne Studium. Selbst in Deutschland, wo die Formalqualifikation in der Personalauswahl traditionell einen hohen Stellenwert hat, werde Skill Based Hiring stark zunehmen, erwartet Stephany.

Unternehmen stehen damit vor der doppelten Herausforderung, zum einen die für ihr Geschäft relevanten KI-Fähigkeiten zu definieren und zum anderen zu überprüfen, ob interne oder externe Kandidaten die geforderten Fähigkeiten besitzen oder im Rahmen einer Fortbildung erwerben können.

Sogenannte Micro Degrees, Teilnahmebescheinigungen oder Zertifikate von Weiterbildungsanbietern, könnten damit zur harten Währung für die berufliche Karriere werden. Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, schlägt Stephany einen dem Toefl-Test vergleichbaren Nachweis für KI-Kompetenzen vor. Der „Test of English as a Foreign Language“ gilt als objektives Standardmaß für Englischkenntnisse und wird jährlich millionenfach abgelegt.

Auch Beratungsfirmen positionieren sich mit Skill-Management-Lösungen. So kooperiert Accenture mit Workday, einem Anbieter von cloudbasierter Personalsoftware; die Personalberatung Kienbaum hat im Dezember die Digital Business University übernommen. Die private Wirtschaftshochschule mit Sitz in Berlin bietet berufsbegleitende Weiterbildungen zu Digitalthemen an, darunter sogenannte CAS-Abschlüsse.

Diese „Certificates of Advanced Studies“ liegen unterhalb eines akademischen Grads, werden aber europaweit anerkannt. Für Fabian Kienbaum sind solche Kurzstudiengänge ein effizientes Instrument, um Beschäftigte aus überholten Berufsfeldern für neue Aufgaben zu qualifizieren: „Wir können nicht darauf warten, dass die Politik handelt, wir müssen selbst vorangehen”, sagt der Co-CEO.

Die bevorstehenden Umwälzungen durch KI sind gewaltig: Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass Menschen aller Berufe und Branchen etwa 60 bis 70 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Aufgaben verbringen, die schon bald ein Algorithmus übernehmen könnte. Fach- und Führungskräfte müssen lernen, produktiv mit den smarten Maschinen zusammenzuarbeiten.

Die Unternehmensberatung BCG spricht in einer aktuellen Studie von „Centauren“ und „Cyborgs“: Erstere teilen ihre Aufgaben gemäß den jeweiligen Stärken zwischen Mensch und Maschine auf, Letztere weben die KI eng in ihre tägliche Arbeit ein und interagieren permanent mit smarten Maschinen.

Neue Arbeitsteilung betrifft auch hochqualifizierte Positionen

Diese neue Arbeitsteilung betrifft nicht nur Verwaltungsangestellte oder kaufmännische Sachbearbeiter mit einem hohen Anteil an Routinetätigkeiten, sondern auch hochqualifizierte Positionen wie Risikoanalysten, Finanzmanager oder Unternehmensberater. Auch im Lehrplan vieler Hochschulen ist das Thema KI angekommen. Laut einer Umfrage des Verbands GBC, einer Nonprofit-Vereinigung internationaler Business-Schools, steht generative KI bei drei von vier Wirtschaftsunis fest im Curriculum. Spezielle Kurse oder Vertiefungsrichtungen bietet allerdings nur ein Fünftel von ihnen an.

Brian Hill, Professor an der Pariser HEC, hat festgestellt, dass Studenten oft schlechtere Ergebnisse erzielen, wenn sie KI-Chatbots zur Unterstützung nutzen. Er folgert, dass Leistungen an der Mensch-KI-Schnittstelle besser erforscht werden sollten, und plädiert für mehr statt weniger KI im Hörsaal: „Eine der Fähigkeiten der Zukunft, die wir heute lehren müssen, besteht darin, sicherzustellen, dass KI-Bots wirklich helfen.“

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