Personalsuche: „Ghosting ist ein branchenübergreifendes Phänomen“
Wenn der neue Kollege an seinem ersten Arbeitstag nicht auftaucht, hat oft auch der Arbeitgeber Schuld. Dabei lässt sich Ghosting vermeiden – ganz ohne Vertragsstrafe.
Was bei der Partnersuche verletzend ist, wird für Unternehmen richtig teuer. Auch in der Arbeitswelt greift Ghosting um sich. Gemeint ist das Phänomen, dass Bewerber gegen Ende der Verhandlungsphase plötzlich untertauchen. Es kommt sogar immer häufiger vor, dass neue Beschäftigte zwar den Arbeitsvertrag unterzeichnen, die Stelle aber nie antreten oder sofort wieder kündigen, beobachtet Kirill Mankovski, CEO von Softgarden, einem Anbieter von Bewerbermanagementsoftware. Mittlerweile könnten Firmen bei der Personalsuche erst aufatmen, wenn die Probezeit überstanden sei, warnt der Experte.
Softgarden hat in einer Umfrage herausgefunden, dass mehr als jeder zehnte Jobsuchende schon einmal einen Arbeitsvertrag unterschrieben, die Stelle aber nicht angetreten hat. Zusätzlich gab etwas mehr als jeder Fünfte an, einen neuen Job bereits während der ersten 100 Tage gekündigt zu haben – fast doppelt so viel wie noch 2018.
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Vor der Gefahr, von Bewerbern oder neuen Beschäftigten sitzengelassen zu werden, ist generell kein Unternehmen sicher. „Ghosting kommt immer öfter vor und ist ein branchenübergreifendes Phänomen“, sagt Emine Yilmaz, Bereichsleiterin Festanstellung beim Personalberater Robert Half Deutschland. Der Grund dafür sind die veränderten Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt. In der Softgarden-Umfrage begründeten 41 Prozent der „Ghoster“ ihr Verhalten mit einem besseren Jobangebot.
„Arbeitskräfte sind heute in Deutschland so knapp wie nicht mehr seit dem Wirtschaftswunder“, gibt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zu bedenken. Für ihn bedeutet Ghosting deshalb nicht unbedingt, dass die Manieren schlechter geworden sind. „Schließlich gibt es vielfach heute erst die Bedingungen, unter denen Ghosting überhaupt möglich ist“, sagt der Forscher. Manchmal ist für ihn schlicht Gedankenlosigkeit im Spiel. Außerdem falle eine Absage nicht jedem Menschen leicht, gibt Yilmaz zu bedenken: „Ghosting ist im Prinzip eine Vermeidungshaltung.“
Klagen über eine angeblich unzuverlässige jüngere Generation sind dabei laut den Experten unangebracht. „Bei Klischees zur Generation Z sollte man vorsichtig sein“, findet Weber. Statistisch lasse es sich jedenfalls nicht belegen, dass junge Menschen häufiger kündigen oder sich weniger als andere für den Job engagieren. Auch zwischen Akademikern und Nicht-Akademikern ist der Ghosting-Anteil laut der Softgarden-Umfrage fast gleich. Einen deutlichen Unterschied gab es laut der Erhebung allerdings zwischen den Geschlechtern. Männer neigten demnach deutlich stärker zum plötzlichen Kontaktabbruch. 13 Prozent von ihnen hatten ihren potenziellen Arbeitgeber schon mal geghosted. Bei den Frauen waren es nur sieben Prozent.
Das sind Gründe für Ghosting
Häufig sind laut den Experten Arbeitgeber nicht unschuldig, wenn sie von Bewerbern sitzengelassen werden. „Unternehmen benötigen mitunter Monate, um auf eine Bewerbung zu reagieren – das ist entschieden zu lang“, kritisiert Yilmaz.
Dahinter stecke auch der Anspruch, den 100-Prozent-Kandidaten zu finden. Während sich Firmen alle Optionen offenhielten, hätten Bewerber häufig schon ein anderes Angebot vorliegen oder fühlten sich durch den langen Prozess nicht ernst genommen. Dieser frühe Vertrauensverlust könne sich später rächen, gibt die Expertin zu bedenken: „Die Wahl einer neuen Anstellung hat immer emotionale Komponenten.“
Um Ghosting zu vermeiden, sollten Unternehmen mit einem guten Bewerber in Kontakt bleiben, bis derjenige tatsächlich da ist. In der dualen Ausbildung oder durch lange Kündigungsfristen von Führungskräften könne schon mal ein Jahr bis zum ersten Arbeitstag vergehen, gibt Mankovski zu bedenken. Da könne es schnell passieren, dass ein Konkurrent doch noch mit einem besseren Angebot dazwischen grätsche. „Wenn der Bewerber plötzlich andere Vorstellungen hinsichtlich des Gehalts, Position und Aufgabe hat, die ihn erwartet, kann dies ein erstes Warnsignal sein“, erklärt Yilmaz.
Auch bei Stellenausschreibung und im Vorstellungsgespräch lassen sich Weichen stellen, um Ghosting oder sofortigen Absprung zu verhindern. Firmen sollten alle Mittel ausschöpfen, um das attraktivste Angebot vorzulegen, rät Yilmaz und verweist allein im IT-Bereich auf mehr als unbesetzte 130.000 Stellen.
Zugleich ist es nach Ansicht von Softgarden-CEO Mankovski wichtig wie nie, ein realistisches Bild des Jobs zu vermitteln – inklusive möglicher Schattenseiten: „Wer als Arbeitgeber das Paradies verspricht, aber dann eine Arbeitsmühle des Grauens liefert, zahlt am Ende drauf, weil die Kandidaten wieder abspringen.“
Führungskräfte sind dabei laut Mankovski in den ersten 100 Tage besonders gefragt. „Sie müssen verstehen, dass in einem kandidatenorientierten Markt Mitarbeitende nicht einfach 'da' sind, sondern auch in dieser Phase für das Unternehmen gewonnen werden müssen“, unterstreicht er. „Arbeitgeber müssen im Kopf die Recruitingphase bis zum Ende der Probezeit ausdehnen.“ Daran hapert es in der Praxis aber immer noch häufig. „Vielen fehlt ein professioneller Onboarding-Prozess“, moniert Yilmaz.
Rechtliche Schritte gegen Ghosting?
Manche Unternehmen sichern sich sogar juristisch gegen Ghosting ab – etwa, indem der Arbeitsvertrag eine Kündigung vor dem ersten Arbeitstag ausschließt oder eine Vertragsstrafe vorsieht, sollte der Arbeitnehmer die Stelle nicht antreten. Ghostende Arbeitnehmer würden häufig ignorieren, dass das Arbeitsrecht nicht nur Beschäftigte, sondern auch Unternehmen schützt, sagt Yilmaz. Dass Firmen einen Ghoster für die kostspielige Personalsuche haftbar machen, dürfte laut der Expertin hingegen kaum vorkommen. „Rechtlich bindend ist der Arbeitsvertrag“, betont sie. Für alles, was davor passiere, gebe es keine rechtliche Grundlage für Strafen.
Manchmal ist der Absprung vor Jobantritt unvermeidlich. Yilmaz rät in dem Fall, transparent mit der Situation umzugehen: „Nehmt den Telefonhörer in die Hand und kontaktiert eure Ansprechpartner. Das ist besser als eine unpersönliche Absage per Mail.“ Denn am Ende könne Abtauchen nach hinten losgehen. „Der Arbeitgeber, den man einmal geghostet hat, kann später in der beruflichen Laufbahn doch noch einmal interessant sein“, warnt die Expertin.
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