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Einer Studie zufolge hat Deutschland bereits heute mit 1349 Stunden die mit Abstand kürzeste Jahresarbeitszeit der Welt.
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Erfolg im Job: Wie Sie in weniger Zeit mehr schaffen

Aus dem Handelsblatt-Archiv: Karriere machen, alle Aufgaben erledigen und trotzdem pünktlich in den Feierabend starten: Geht das? Und ob. Solange Sie nicht immer mehr arbeiten – sondern immer klüger. So klappt's.

  • In Deutschland ist ein Kulturkampf um die Arbeitszeit entbrannt. Die einen wollen weniger arbeiten und erhoffen sich dadurch ein besseres Leben. Die anderen fürchten Fachkräftemangel und Wohlstandsverluste und fordern sogar längere Arbeitszeiten.

  • Ein möglicher Ausweg aus dem Konflikt: mehr Arbeitseffizienz. Doch in Büro- und Managementjobs ist es gar nicht so leicht, in weniger Zeit mehr zu schaffen.

  • Top-Führungskräfte verraten, wie sie selbst gelernt haben, produktiver zu arbeiten – fünf Grundregeln sind dabei entscheidend.

Bertrand Russell beschäftigte sich am liebsten mit völlig unterschiedlichen Themen. In einem seiner berühmtesten Bücher, „Lob des Müßiggangs“, schrieb der britische Philosoph über die Vor- und Nachteile des Kapitalismus, das Verhältnis von Menschen und Insekten, den Charme unnützen Wissens oder die Ursprünge von Faschismus. Doch die Berühmtheit des Büchleins erklärt sich nicht mit der Vielfalt der Themen – sondern mit dem Inhalt des ersten Kapitels.

Darin schilderte Russell seine Utopie einer neuen Arbeitswelt, in der die Menschen nur noch vier Stunden am Tag arbeiten – eben so viel, dass das Geld zum Leben reicht, aber gleichzeitig genug Freizeit bleibt: „Dann wird es wieder Glück und Lebensfreude geben“, schrieb Russell, „statt der nervösen Gereiztheit und Übermüdung.“

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Erstmals erschienen ist das Buch bereits im Jahr 1935. Doch die Vision vom Vier-Stunden-Tag hat nichts von ihrer provokanten Kraft verloren. Insbesondere für die junge Generation steht sie für mehr Lebensqualität, weniger Umweltzerstörung, womöglich sogar für eine Rückbesinnung auf den eigentlichen Sinn des Lebens – worin immer der bestehen mag.

Im aktuellen „Randstad Workmonitor“ zum Beispiel sagten 58 Prozent der 18- bis 24-Jährigen, sie würden kündigen, wenn sie durch einen Job das Leben nicht genießen könnten. Mehr als jeder dritte Befragte hat genau deshalb schon mal eine Stelle geschmissen.

Andere sehen im Geträume von kürzeren Arbeitszeiten das Symptom einer dekadenten Gesellschaft, die eine grundlegende Wahrheit vergessen hat: Jeglicher Wohlstand muss zunächst erarbeitet werden, bevor er verteilt werden kann.

So wies Continental-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle in einem Gastbeitrag für die „Welt“ darauf hin, dass Deutschland bereits heute mit 1349 Stunden die mit Abstand kürzeste Jahresarbeitszeit der Welt habe, während es in den USA 1791 Stunden und in Polen 1830 Stunden seien: „Und wir diskutieren aktuell über die Vier-Tage-Woche, möglichst mit zwei Tagen Homeoffice zur verbesserten Work-Life-Balance“, schrieb Reitzle, „dabei stecken wir in einer Stagflation, haben eklatanten Fachkräftemangel und müssten ganz eindeutig mehr statt weniger arbeiten.“

Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Geht das, sich selbst ebenso zufriedenstellen wie Kunden, Auftraggeber oder Vorgesetzte – und trotzdem (oder gerade deswegen) pünktlich in den Feierabend starten? Oder in den gewonnenen Stunden einfach noch mehr leisten, wenn einem danach ist?

Effizienz im Job: Produktivität in den Arbeitsstunden im Fokus

Um die Antwort vorwegzunehmen: Ja, das geht. Dann nämlich, wenn man den Arbeitstag weniger danach bewertet, wie viele Stunden er umfasst, als vielmehr, wie effizient diese Stunden verbracht wurden.

Der amerikanische Autor und Berater Alex Pang hat für sein im Jahr 2020 erschienenes Buch „Shorter“ ein Jahr lang Unternehmen auf der ganzen Welt besucht. Softwareschmieden in Tokio, Werbeagenturen in London, Finanzdienstleister in San Diego, Kosmetikhersteller in Melbourne und Sternerestaurants in Kopenhagen.

So unterschiedlich die Branchen und Regionen auch waren, eines hatten die Unternehmen gemeinsam: Alle hatten die Arbeitszeit ihrer Angestellten radikal gekürzt. Manche waren auf eine Vier-Tage-Woche umgestiegen, andere auf einen Sechs-Stunden-Tag – aber niemand hatte den Beschäftigten das Gehalt gekürzt.

Die Ergebnisse seien eindeutig, sagt Pang: „Die Unternehmen waren produktiver, die Fluktuation war geringer, die Mitarbeiter zeigten sich kreativer und die Verkäufer engagierter.“ Wie kann das sein?

Die Antwort laut Pang: Es geht stets darum, Arbeitsabläufe zu verbessern – indem man sich auf die wirklich wichtigen Tätigkeiten konzentriert, Ablenkungen ignoriert, Zeitfresser eliminiert und Routineaufgaben automatisiert. „Dieses Umdenken mag zu Beginn Mühe kosten“, sagt Pang, „aber langfristig spart es Zeit und Geld.“

Das sieht man schon daran, dass die Menschheit einen Großteil der gewaltigen Wohlstandszuwächse der vergangenen Jahrhunderte nicht deshalb erreicht hat, weil sie immer länger gearbeitet hätte (das Gegenteil ist der Fall) – sondern weil die Effizienz zugenommen hat. Maschinen aller Art, aber auch mehr Bildung und eine immer klügere Organisation von Büros, Fabriken und Baustellen haben dafür gesorgt, dass mit weniger Arbeitseinsatz mehr Ertrag erzielt wird.

Effizienz im Job als Leitmotiv: Auf der Suche nach den Zeitfressern

Vieles spricht dafür, den Effizienzbegriff auch als Leitmotiv auf den persönlichen Arbeitsalltag zu übertragen. Effizienz hilft dabei, sich selbst (und andere) besser zu organisieren, Aufgaben schneller zu erledigen und Stress zu reduzieren.

Vor allem aber vergrößert Effizienz die individuelle Entscheidungsfreiheit: Wer effizient arbeitet, hat letztendlich mehr Zeit zur Verfügung – und die kann er oder sie nach eigenem Gusto nutzen. Der eine wird sie in persönliche Interessen stecken, die andere eine Weiterbildung machen, wieder andere werden schlichtweg in ihrem Beruf noch mehr wegschaffen. Früher Feierabend machen oder mehr leisten: Beides erscheint plötzlich möglich. Aber wie funktioniert das konkret?

Eine naheliegende Idee: einfach jene Unternehmerinnen und Unternehmer, Managerinnen und Manager fragen, die schon heute in ihrer Arbeitszeit ungewöhnlich viel gewuppt kriegen – wie lang diese Arbeitszeit auch immer sein mag.

So wie Olga Nevska. Als sie 2019 ihren Posten als Geschäftsführerin der Telekom Mobility Solutions antrat, waren die Strukturen noch, nun ja: anders. „Manchmal nahm ich an Meetings teil, deren Zielsetzung unklar war“, erzählt Nevska, „und mal fanden sie zu einem unangemessenen Zeitpunkt statt.“

Olga Nevska hat als Chefin der Telekom Mobility Solutions neue Regeln eingeführt. - Deutsche Telekom
Olga Nevska hat als Chefin der Telekom Mobility Solutions neue Regeln eingeführt. - Deutsche Telekom

Sie hat daher viel Zeit investiert, um die Zusammenarbeit zu verändern. Nach 16 Uhr finden Termine nur noch in absoluten Ausnahmefällen statt, freitags versucht Nevska ihren Kalender ganz frei zu halten. Das heißt nicht, dass sie nach 16 Uhr oder freitags faulenzt – sie nutzt diese Freiräume vielmehr, um sich vernünftig auf Termine vorzubereiten, was wiederum Zeit spart.

Natürlich erfordere dieses Vorgehen ständige Achtsamkeit und Disziplin, aber das sieht Nevska als Teil ihrer Verantwortung. „Für mich gibt es kaum etwas Schlimmeres als unorganisierte Führungskräfte“, sagt sie, „denn unter ihnen leidet immer die ganze Organisation.“

Der Volkswagen- und Porsche-Chef Oliver Blume hingegen hält wenig von bürokratisch-akribischen Vorbereitungen auf Meetings, wie sie etwa beim Onlineriesen Amazon zum guten Ton gehören. Und wenn etwas in einer Besprechung dann doch nicht den Reifegrad für eine CEO-Entscheidung hat? „Dann setze ich klare Erwartungen und gebe die Fragestellung ins Team zurück“, sagt Blume – mit einem konkreten Datum für einen Liefertermin.

Oliver Blume, Volkswagen- und Porsche-Chef, hält wenig von bürokratisch-akribischer Vorbereitung auf Meetings. - Reuters
Oliver Blume, Volkswagen- und Porsche-Chef, hält wenig von bürokratisch-akribischer Vorbereitung auf Meetings. - Reuters

Die Kommunikations- und Besprechungskultur ist ein Schlüssel zum effizienteren Arbeiten. Autor Alex Pang traf auf zahlreiche Unternehmer und Manager, die zumindest versuchten, hier etwas zu verändern. Motto: Lieber ein kurzes Treffen mit zu wenig Teilnehmern als ein langatmiges, bei dem die meisten Anwesenden ins gedankliche Exil entschwinden. Manche beendeten Besprechungen automatisch nach 20 Minuten, andere hielten sie im Gehen oder Stehen ab – was die Lust auf langatmige Wortmeldungen automatisch hemmt.

Einen ungewöhnlichen Trick wendet Miguel López an, um die Schlagzahl hoch zu halten: Die Uhr des Vorstandsvorsitzenden von Thyssen-Krupp geht stets fünf Minuten vor. „Eine kurze Taktung und schnelles Agieren sind wichtig für die Leistungsfähigkeit“, sagt López. Umgesetzt wird dieses Ziel vor allem mit kurzen Meetings, die zwischen 15 und 25 Minuten dauern. Denn die im Kalender eingeplante Zeit werde fast immer auch gänzlich verbraucht, so López: „Um den Fokus auf das Wesentliche zu lenken, reduziert man also die Zeit.“

Warum Effizienz so wichtig sei, erklärt der Thyssen-Krupp-Chef mithilfe eines Sportvergleichs: „Am Ende des Tages geht es für die Mannschaft ums Gewinnen – und nicht darum, nass geschwitzt zu sein, ohne sein Ziel erreicht zu haben. Führungskräfte sind dazu da, den Teams zum Gewinnen zu verhelfen.“

Dabei sei es auch wichtig, die Kommunikation möglichst transparent zu halten, auf jeder Ebene: Täglich um 18.30 Uhr wird der Vorstand für 15 Minuten zusammengeschaltet, um Updates zu teilen. Ebenso gibt es regelmäßige Zusammenkünfte der Top-50-Führungskräfte und auch der Top 500.

Um den Mitarbeiterkontakt auf allen Ebenen zu gewährleisten, existiert bei dem Industriekonzern zudem alle vier bis fünf Wochen das Format „Kaffee mit dem CEO“ – ein Termin, bei dem jeder Mitarbeiter ein kurzes Gespräch mit dem Konzernchef führen kann. López: „Menschen reden sowieso. Insofern ist es besser zu wissen, worüber sie reden – und sich an der Diskussion zu beteiligen.“

Miguel López wendet einen Trick an: Die Uhr des Chefs von Thyssen-Krupp geht stets fünf Minuten vor. - Reuters
Miguel López wendet einen Trick an: Die Uhr des Chefs von Thyssen-Krupp geht stets fünf Minuten vor. - Reuters

Nicht nur für López, auch für Autor Pang ist der bewusste Umgang mit der Zeit eine wesentliche Bedingung, um in weniger Stunden mehr zu schaffen. So, wie es Phasen geben sollte, die für Kommunikation reserviert sind, empfiehlt er, bestimmte Zeiten des Tages für konzentriertes Arbeiten zu blocken.

Darauf setzt auch Sascha Specketer. Der 43-Jährige ist Vertriebsleiter für Deutschland, Österreich und die Schweiz sowie Teil des Leadership-Teams von Invesco, einem der größten Vermögensverwalter der Welt. Aktuell ist die Firma für eine Summe von knapp 1,5 Billionen Dollar zuständig.

Da versteht es sich von selbst, dass die Angestellten nicht gerade wenig arbeiten und selten komplett abschalten – irgendeine Börse hat immer geöffnet und die Kunden brauchen mitunter schnelle Entscheidungen.

Doch gleichzeitig findet laut Specketer auch in der Finanzbranche ein Umdenken statt: „In einer Zeit, in der es bei der Geldanlage um Nachhaltigkeit geht, müssen wir mit den Angestellten ebenfalls nachhaltig umgehen – und mit uns selbst.“

Deshalb hat er in seinem Kalender zwei feste Blocker, dienstags und donnerstags von 15 bis 17 Uhr. Dann stellt er keine Termine ein, sondern nimmt sich Zeit für Themen außerhalb des Tagesgeschäfts, macht sich Gedanken über die strategische Weiterentwicklung oder Personalthemen – und notiert diese Gedanken bewusst.

Effizienz im Job: Klare Ziele für sich und andere

Noch akribischer plant Michael Wax diese Phasen der Konzentration und Reflexion. Jeder Morgen beginnt beim Chef des Berliner Logistik-Start-ups Forto mit dem „Journaling“, einer modernen Version des Tagebuchführens. In seinen Kalender schreibt Wax dann drei Themen, die er im Tagesverlauf erledigen möchte. „Das hilft mir, die Kontrolle zu behalten, bevor ich in die Mühle springe“, sagt der Unternehmer, dessen Firma seit der Gründung 2016 auf mehr als 900 Mitarbeiter an 21 Standorten gewachsen ist.

Michael Wax schreibt jeden Morgen drei Themen in seinen Kalender, die er im Tagesverlauf erledigen möchte.
Michael Wax schreibt jeden Morgen drei Themen in seinen Kalender, die er im Tagesverlauf erledigen möchte.

Und nicht nur über die Tagesziele führt der 32-jährige Buch. Um frühzeitig zu wissen, was ihn erwartet, macht Wax bereits im Oktober die Jahresplanung für das nächste Jahr – einschließlich Konferenzen, Reisen und Treffen des Verwaltungsrats.

Alle drei Monate nimmt Wax eine Bestandsaufnahme vor, die gern mal größere Veränderungen im Unternehmen zur Folge haben kann. „Ich spreche zudem alle sechs Wochen mit meinem Coach. Da geht es auch viel um Führungsfragen.“ Noch häufiger, nämlich alle zwei Wochen, nimmt er sich Zeit für Gespräche mit seinen Mentoren.

Das sind andere Start-up-Chefs, aber auch Vorstandsvorsitzende mit mehr Erfahrung und Investoren. „Als Chef verstehe ich es als meine Aufgabe, immer an mir zu arbeiten.“

Fast schon selbstverständlich ist für Wax: ausreichend schlafen, gesund essen und regelmäßig Sport treiben. Dafür hat er seine Laufschuhe genauso im Reisegepäck wie gesunde Snacks. Das Essen am Flughafen meidet er, verzichtet auf Koffein nach dem Mittagessen und Alkohol an Werktagen. Seine Teams, die sich in Singapur, Shanghai, Warschau und an vielen anderen Orten befinden, kennen die Bitte des Chefs, ihm am frühen Morgen beim gemeinsamen Laufen doch mal die Stadt zu zeigen.

Die Beispiele von Olga Nevska bis Michael Wax zeigen: Wenn Unternehmen wirklich effizienter arbeiten wollen, brauchen sie Führungskräfte, die ständig Strukturen hinterfragen – und gelegentlich sich selbst; die eine beinahe natürliche Abneigung gegen Zeitverschwendung haben; und die Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst nicht nur zulassen, sondern bestenfalls selbst vorleben. Nicht trotz ihrer herausgehobenen Position – sondern genau deswegen.

Thomas Roulet, Professor für Organisationstheorie an der Judge Business School der Universität Cambridge, bezeichnet diese Kompetenz als „well-being intelligence“. Frei übersetzt: die Fähigkeit, das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu verstehen, zu fördern und zu steigern.

Für Roulet eine entscheidende Führungskompetenz: „Manager müssen erkennen, wann Menschen mit ihrem Wohlbefinden zu kämpfen haben, und wissen, wann und wie sie helfen können.“

Dazu zählt für ihn, Stress, Angst oder Sorgen zu antizipieren, deren Ursachen zu hinterfragen und Ansätze zu entwickeln, um sie zu beseitigen – auf individueller wie auf institutioneller Ebene. Seit der Coronapandemie sei klar, dass derlei Themen nicht mehr Kür sind, sondern Pflicht: „Sowohl für das Wohlbefinden der Mitarbeiter als auch für den Erfolg der Unternehmen.“

Performance im Job ist wichtiger als Präsenz

Insofern kann sich Roman Gaida bestätigt fühlen. Vor fünf Jahren trat er seine neue Stelle bei einem internationalen Großkonzern an, wo er die digitale Transformation eines Geschäftsbereichs verantwortete, mit 170 Mitarbeitern in 30 Ländern. Gleichzeitig kommunizierte er von Beginn an, dass er bald Vater von Zwillingen würde und als Vater eine aktive Rolle spielen wolle: „Und das hat mir nicht geschadet.“

So kann man es auch ausdrücken. Genau genommen klettert Gaida demnächst die Karriereleiter nach oben und wird weltweiter Vertriebschef und Mitglied der Geschäftsführung bei Bürkert Fluid Control Systems.

Natürlich kennt auch Gaida das Vorurteil: Wer sich mehr Zeit für die Familie nimmt, arbeitet angeblich weniger. „Das halte ich für nachweislich falsch“, sagt er. „Ich zum Beispiel arbeite nicht weniger, nur anders.“

Wer nicht allzu verschwenderisch mit seiner Zeit umgehe, könne auch mal nachmittags die Kinder abholen. Gleichzeitig gebe es in jedem Unternehmen unterschiedliche Phasen. Da sei es völlig in Ordnung, in ruhigeren Zeiten auch mal weniger zu arbeiten, „solange ich als Führungskraft weiß: Wenn es drauf ankommt, kann ich mich auf die Mitarbeiter verlassen.“ Performance müsse endlich wichtiger werden als Präsenz.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für ihn keine individuelle Entscheidung, sondern „Teil einer gesunden Unternehmenskultur“. Gaida: „Und diese Unternehmenskultur können Führungskräfte jeden Tag positiv beeinflussen.“

Das versucht man auch bei der Boston Consulting Group (BCG). Als weltweit führende Unternehmensberatung stehen ihre Angestellten nicht zwingend im Verdacht, zu wenig zu arbeiten. Trotzdem stellt sich auch BCG auf veränderte Vorstellungen ein und entwickelt ständig neue Angebote – nicht nur das übliche Menü aus Teilzeitprogrammen oder bis zu acht Wochen zusätzlicher Auszeit pro Jahr.

Einmal im Halbjahr können die BCG-Berater nach Abschluss eines Projekts die sogenannten „Cool-down-Days“ in Anspruch nehmen – und während dieses Sonderurlaubs erledigen, was im Projektalltag zu kurz kommt: zwei Arbeitstage für Organisatorisches, drei Tage für Weiterbildungen oder Coachings.

„Wer viel leistet“, sagt Carolin Eistert, BCG-Partnerin und zuständig für Recruiting und Employer Branding, „der braucht Pausen.“ Richtig angewendet kosten diese bezahlten Pausen keine Arbeitseffizienz, sondern erhöhen sie sogar.

Ewige Versuchung Mikromanagement

Auch Henkel-Personalvorständin Sylvie Nicol gönnt sich inzwischen Auszeiten – was vor allem daran liegt, dass sie viel Wert auf Feedback legt, sowohl als Mutter wie auch als Managerin.

Zum einen beklagten ihre drei Kinder, dass sie dazu neige, „always on“ zu sein. Zum anderen bekam sie von einigen Mitarbeitern die Rückmeldung, dass sie teilweise zu viel kontrolliere. Heute gibt sie ihren Angestellten mehr Freiraum, sieht sich eher Coach ihrer Leute, nimmt sich selbst mehr Pausen und macht mehr Sport: „Ich weiß, dass die Welt auch nicht untergeht, wenn ich am Wochenende nicht arbeite oder im Urlaub auch mal offline bin.“

Sylvie Nicol, Henkel-Personalvorständin, legt viel Wert auf Feedback. - Henkel
Sylvie Nicol, Henkel-Personalvorständin, legt viel Wert auf Feedback. - Henkel

Sicher, ständige Erreichbarkeit durch Smartphones gab es schon vor der Coronapandemie. Aber seit ganz Deutschland in den Lockdown musste, spielen sich viele Arbeitstage nur noch zwischen Bett, Küche und Schreibtisch ab, sind die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben vollends verwischt. Ein Phänomen, das Arbeitsforscher als „Work-Life-Blending“ bezeichnen – und das das Abschalten umso mehr erschwert.

Dieses Problem kennt auch Janina Mütze. Die 32-Jährige ist Gründerin und Geschäftsführerin des Berliner Umfrageinstituts Civey. In ihren repräsentativen Umfragen erkennt sie seit einigen Jahren zwei deutliche Trends: Die Kurve „Zuversicht“ ist gesunken, die Kurve „Erschöpfung“ gestiegen. „Und das“, sagt Mütze, liege neben den vielen Krisen „auch an der weniger klaren Trennung zwischen Beruf und Privatleben“.

Auf das Grundgefühl dieser Erschöpfung müssten Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft neue Antworten finden. „Wir brauchen viel mehr Flexibilität“, sagt Mütze, „und wir brauchen vielfältige Formen der Entlastung.“

In den vergangenen Monaten hat sie deshalb Aufsichtsratsmandate abgegeben, hat bei Civey neue Strukturen eingezogen und konzentriert sich auf die Themen, bei denen sie am meisten bewirken kann.

Ihre Arbeitswoche beginnt meistens am Wochenende, wenn sie verschiedene digitale Kalender synchronisiert: den einen für private Termine und die Kinderbetreuung, den anderen für berufliche Zwecke. Die Technologie hilft ihr dabei, effizient zu arbeiten.

Man muss nur wissen, wie man sie richtig nutzt. Daran appelliert auch Buchautor Alex Pang. In seinen Gesprächen stellte er fest, dass die Automatisierung zeitaufwendiger Aufgaben und die Nutzung digitaler Tools die Zusammenarbeit wesentlich effizienter gestalten kann.

Bei der E-Mail-Kommunikation zum Beispiel sieht Pang noch viel ungehobenes Potenzial. Heißt konkret: nicht immer die ganze Abteilung „cc“ setzen, den Betreff prägnant formulieren, den Inhalt kurz halten. In manchen der von ihm besuchten Unternehmen checken die Mitarbeiter ihre E-Mails nur noch zweimal am Tag, einmal morgens, einmal abends.

Egal welchen Weg man wählt: Entscheidend ist der bewusstere Umgang mit der Technologie. Die digitalen Tools sollen den Arbeitsalltag nicht belasten – sondern erleichtern.

Effizienz auf der Arbeit: Fünf Regeln

So ergibt sich allmählich ein Gesamtbild, wie effiziente Führungskräfte arbeiten, sei es im Konzern, im Start-up oder in der Beratung, und wie dadurch effizientere Unternehmen entstehen können. Die Beispiele zeigen, auf welche fünf Faktoren es dabei besonders ankommt:

  • Den Versuchungen der digitalen Kommunikationsmittel zu immer mehr, noch breiter gestreuter und noch kurzfristigerer Kommunikation widerstehen.

  • Besprechungen bewusst kurz halten, und den Teilnehmerkreis auf jene beschränken, die für eine Entscheidung oder eine Information wirklich notwendig sind.

  • Der Versuchung zum Mikromanagement widerstehen, nur die wirklich wichtigen Entscheidungen an sich ziehen – und für diese vom Team beschlussreife Vorlagen einfordern.

  • Für sich selbst und das Unternehmen klare Ziele formulieren und festhalten, sei es auf den Tag, das Quartal oder das Jahr bezogen.

  • Keinen Präsentismus vorleben oder verordnen. Effiziente Unternehmen leben von einer Abwechslung zwischen Hochleistungs- und Regenerationsphasen.

Das alles klingt sehr viel einfacher, als es im Arbeitsalltag wirklich umzusetzen ist. Doch dafür ist das Ziel auch besonders verlockend. Mehr Effizienz, das bedeutet letztlich, mehr zu schaffen mit weniger, oft frustrierenden Reibungsverlusten.

Mehr Effizienz weist zudem den Weg aus einem gesellschaftlichen Dilemma: Wir haben uns an ein hohes und weiterwachsendes Wohlstandsniveau gewöhnt, das es künftig mit tendenziell immer weniger Erwerbstätigen zu erhalten gilt.

Mit den modernen Produktionsmethoden sei es möglich, dass alle Menschen behaglich und sicher leben können, schrieb Bertrand Russell vor beinahe 100 Jahren. „Wir haben es stattdessen vorgezogen, dass sich manche überanstrengen und die andern verhungern.“

Doch eines hat sich gegenüber Russells Zeiten verändert: Inzwischen haben die Industriestaaten die möglichen Effizienzgewinne durch Mähdrescher, Fließbandfertigung und CNC-Werkzeugmaschinen weitgehend ausgeschöpft. Dienstleistungen, die sich ungleich schwieriger automatisieren lassen als Landwirtschaft und Industrie, werden im Branchenmix immer wichtiger.

Auch deshalb ist die Arbeitsproduktivität – als wichtigstes Maß für die Effizienz der Arbeit – in Deutschland und vielen anderen westlichen Staaten zuletzt nur noch schleppend und schwankend gestiegen, wenn überhaupt.

Dieses Dilemma gilt es nun zu durchbrechen. Und jede Führungskraft, die sich an die fünf Erkenntnisse hält, kann ein kleiner Teil dieser Pioniertat sein.

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