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Strommasten im Sonnenuntergang. Ende Juni gab es massive Preisschwankungen am Strommarkt. - Foto: Moment/Getty Images
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Chaos an der Strombörse verursachte Schäden in Millionenhöhe

Ende Juni kam es aufgrund eines technischen Defekts zu Preissteigerungen von bis zu 400 Prozent. In der Wirtschaft wächst die Kritik am Börsenbetreiber.

Berlin, Düsseldorf. Das Chaos an der Strombörse Ende Juni hat vielen Unternehmen einen Verlust in Millionenhöhe eingebracht. Insgesamt könnte sich die Schadensumme laut Schätzungen von Marktteilnehmern auf fast 350 Millionen Euro belaufen.

Eine technische Störung an Europas größter Strombörse Epex hatte innerhalb eines Tages für Preissprünge von mehr als 400 Prozent gesorgt. Betroffen war vor allem der sogenannte Day-Ahead-Handel: Dort wird an einem Börsentag Strom für den Folgetag gehandelt.

Für viele Industriekunden wurde das zu einem gewaltigen Problem. Ihre Lieferverträge basieren oft nur zum Teil auf vorab eingekauften Strommengen zu festen Preisen. Große Abnehmer wie Chemiekonzerne und Stahlhersteller kaufen einen nicht unerheblichen Teil oft erst kurz vorher zu aktuellen Preisen ein.

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Chaos an Strombörse: Schaden hätte in die Milliarden gehen können

Wer für den Schaden der Unternehmen aufkommt, ist bislang unklar. Wie das Handelsblatt aus Branchenkreisen erfuhr, bereiten erste Firmen bereits eine Klage gegen den Handelsplatz mit Sitz in Paris vor.

„Grundsätzlich tragen Marktteilnehmer zwar die üblichen Risiken, die mit der Strombeschaffung auf dem Spotmarkt verbunden sind“, sagt Jana Michaelis, Anwältin bei der auf Energierecht spezialisierten Kanzlei Rosin Büdenbender. Technische Probleme, die ihre Ursache bei der Börse haben, zählten allerdings nicht zu diesen Risiken.

Zu der Frage, ob bereits erste Schadenersatzforderungen gestellt wurden, wollte sich die Epex auf Anfrage nicht äußern.

Die Kritik einiger Stromhändler an dem Börsenbetreiber geht sogar noch weiter. Sie fordern ein besseres Krisenmanagement und warnen: An einem Tag im Winter, wenn weniger Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht und die Liquidität im Markt geringer ist, hätte der Schaden leicht in die Milliarden gehen können.

Stahlproduktion: Viele Unternehmen kaufen einen Teil der benötigten Strommenge erst kurzfristig ein. - Foto: Patrick Pleul/dpa
Stahlproduktion: Viele Unternehmen kaufen einen Teil der benötigten Strommenge erst kurzfristig ein. - Foto: Patrick Pleul/dpa

Grund für den außergewöhnlichen Preissprung war laut Aussage der Epex Spot ein technischer Fehler. In der Folge entkoppelte die Börse Strommärkte in Deutschland, Österreich, Dänemark, Frankreich und anderen europäischen Ländern.

Normalerweise wird der Strom länderübergreifend gehandelt. Nun gab es für jedes Land eine gesonderte Auktion. Die Preise bildeten sich so, als wäre Deutschland eine Insel, die sich komplett selbst mit Strom versorgen muss, ohne Importe aus den Nachbarländern. Das sorgte dafür, dass die Preise von 90 Euro die Megawattstunde am Vortag auf zwischenzeitlich 2325 Euro sprangen.

„Es gab zu keiner Zeit eine physische Verknappung am Strommarkt“, erklärt Tobias Federico vom Energieanalyseunternehmen Energy Brainpool.

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Andere Börsen zeigten deswegen auch normale Preise an. So kostete die Megawattstunde Strom beispielsweise auf dem nordeuropäischen Handelsplatz Nord Pool am selben Tag im Mittel 95 Euro, während sie an der Epex im Schnitt für 492 Euro verkauft wurde.

Zahlreiche Unternehmen wie das Elektrostahlwerk Feralpi nahe Dresden schalteten ihre Maschinen für mehrere Stunden ab, um den Rekordstrompreisen zu entgehen. Dadurch seien Fixkosten im sechsstelligen Bereich entstanden, sagte Werksdirektor Uwe Reinecke dem Handelsblatt: „Es wäre aber deutlich mehr Schaden entstanden, wenn wir produziert hätten. Das wäre in den siebenstelligen Bereich gegangen.“

Feralpi-Werksdirektor Uwe Reinecke: Durch das Strompreischaos sind Fixkosten im sechsstelligen Bereich entstanden. - Foto: Feralpipi
Feralpi-Werksdirektor Uwe Reinecke: Durch das Strompreischaos sind Fixkosten im sechsstelligen Bereich entstanden. - Foto: Feralpipi

Nicht jeder hatte diese Möglichkeit. „Viele Stromlieferverträge haben den Epex-Börsenpreis als Basis und das ist dann Grundlage des physischen Liefervertrages“, sagt Experte Federico.

Die Aufregung unter betroffenen Unternehmen ist groß. „Wir hatten Glück. Die Preise hätten unter anderen Umständen auch auf 4000 Euro die Megawattstunde springen können. Preise, die viele nicht hätten bezahlen können und einige in die Insolvenz getrieben hätten“, berichtet ein Insider.

Schuld daran sei der Umgang der Epex mit dem Vorfall. Der finanzielle Schaden, so der Vorwurf, hätte leicht verhindert werden können. Etwa, indem man mit einrechnet, dass der physische Handel zwischen den Ländern nach wie vor stattfinden konnte. So aber habe der Markt einfach nicht die realen Preise widergespiegelt.

Während die einen Millionen Euro Verlust gemacht haben, gibt es allerdings auch viele Unternehmen, die dank der Preissprünge mehrere Millionen innerhalb weniger Stunden verdienen konnten, weil sie ihren Strom zu extrem hohen Preisen verkauft haben. Öffentlich sprechen will darüber allerdings niemand.

Epex bittet Händler um Verständnis

Die Strombörse Epex Spot betont, die Ursachen für die Panne behoben zu haben. Die „problematische Funktionserweiterung“, die den Fehler ausgelöst habe, sei noch am selben Tag deaktiviert worden, sagte eine Sprecherin. Man sei daher zuversichtlich, dass das ursächliche technische Problem „vollständig behoben wurde und sich daher nicht wiederholen wird“.

Außerdem arbeite man an Vorschlägen, um die gesamte Kopplung mit dem Markt zu verbessern. Im Zentrum stünden dabei die „Kommunikation mit dem Markt, Backup-Verfahren und -Lösungen, Deadlines und Zeitpläne“.

Die Sprecherin betonte, man habe die Marktteilnehmer umfassend über die Vorgänge informiert, unter anderem durch ein Schreiben des Vorstandsvorsitzenden, in dem die Verbesserungsmaßnahmen erläutert wurden. So soll eine Taskforce gegründet werden, die mit den Börsenmitgliedern zusammen nach besseren Lösungen sucht. Die Vorschläge sollen mit Marktteilnehmern und den zuständigen Regulierungsbehörden diskutiert werden. Das Schreiben liegt dem Handelsblatt vor.

„Die Anwendung unseres Back-up-Plans zur Entkopplung von A bis Z hat insgesamt Ineffizienzen aufgezeigt, die beseitigt werden müssen“, gab Epex-Chef Ralph Danielski in dem Brief an Händler und Mitglieder der Börse zu.

„Wir erwarten von der Börse, dass sie ein Risikomanagement entwickelt, das solche Fehler in Zukunft vermeidet“, formuliert ein betroffener Unternehmer sehr deutlich.

Maximilian Rinck, Strommarktexperte beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), empfiehlt allenfalls moderate Anpassungen: „Die grundsätzlichen Regeln des börslichen Stromhandels funktionieren gut und müssen nicht geändert werden", sagte Rinck. Die Kopplung der europäischen Strommärkte schaffe einen Mehrwert in ganz Europa.

Allerdings mache die wachsende Komplexität des Börsenhandels es notwendig, die operativen Prozesse robuster aufzustellen. „Der Entkopplungsfall sollte die Ausnahme darstellen, ja im Prinzip nur noch als Ultima Ratio stattfinden“, sagte Rinck.

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