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Viele Unternehmen rufen ihre Mitarbeiter zurück ins Büro – und sorgen so für miese Stimmung. - Foto: imago images
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„Über manche Homeoffice-Regelungen kann ich nur lachen“

Der JP-Morgan-Chef schimpft übers Homeoffice – und etliche Firmen beordern ihre Leute zurück ins Büro. Ist das sinnvoll? Das zeigt nun eine neue Studie.

Bei Jamie Dimon hatte sich offenbar eine Menge Ärger angestaut. In einer Mitarbeiterversammlung motzte der Chef der US-Bank JP Morgan jüngst über Mitarbeiter, die im Homeoffice arbeiten: Diese Arbeitsweise stünde der Kreativität im Weg, beeinträchtige Entscheidungsfindung und Effizienz. „Erzählt mir nicht den Scheiß, dass es funktioniert, am Freitag von zu Hause aus zu arbeiten. Ich rufe freitags viele Leute an und nicht eine verdammte Person geht ran“, schimpfte Dimon. Seit der Pandemie arbeite er sieben Tage „jede verdammte Woche“, komme dafür ins Büro und frage sich: „Wo sind alle anderen? Sie sind hier und da, und in Zoom-Meetings.“

Am Homeoffice stört sich der 68-Jährige offenbar schon länger: Anfang Januar berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg, dass JP Morgan plane, die Arbeit am heimischen Schreibtisch nicht länger zu dulden und die Mitarbeiter wieder an fünf Tagen die Woche ins Büro zu holen.

Und damit ist die US-Bank nicht allein. Die großen Techfirmen in den USA beordern ihre Mitarbeiter schon seit einer ganzen Weile zurück ins Büro. In einer Befragung der Unternehmensberatung KPMG gaben fast 80 Prozent der teilnehmenden CEOs in den USA an, dass ihre Mitarbeiter, die vor der Pandemie nur im Büro gearbeitet hätten, in drei Jahren auch wieder dort arbeiten werden. Nur 17 Prozent können sich vorstellen, dass diese Mitarbeiter langfristig im Homeoffice und im Büro arbeiten.

Und auch hierzulande verschwindet diese Auffassung offenbar aus mehr und mehr Chefetagen: Bei der Deutschen Bank sorgte der Plan, die wöchentlichen Homeofficetage zu senken, für Unruhe in der Belegschaft. Ebenso knatschte es deswegen beim Softwarekonzern SAP. Und auch beim Onlinehändler Otto, der zu Beginn des Jahres eine Anwesenheitspflicht von 50 Prozent einführte.

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Der Wunsch, die eigenen Mitarbeiter zu sehen, ist aus der Perspektive der Chefs häufig nachvollziehbar. Und da viele nicht von allein kommen, ist eine Anwesenheitsquote vermeintlich besonders effektiv.

Und doch stellt sich die Frage, was diese Quoten wirklich bringen. Macht eine Büropflicht die Mitarbeiter produktiver? Arbeiten sie dann kreativer? Tauschen sie sich häufiger aus? Sind sie zufriedener?

Johanna Bath, Professorin für Betriebswirtschaft an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen, hat eben diese Fragen gerade in einer Forschungsarbeit untersucht. Mit einem Kollegen befragte sie fast 1400 Beschäftigte in Unternehmen mit und ohne Anwesenheitsquote. Und die Quote wirkt offenbar: Die Mitarbeiter der Unternehmen mit einer Präsenzpflicht kamen im Schnitt 3,1 Tage pro Woche ins Büro, die Mitarbeiter ohne Pflicht nur 2,4 Tage.

Doch nur weil die Beschäftigten im Büro anwesend sind, arbeiten sie nicht besser, wie es sich viele Chefs erhoffen. Johanna Bath konnte zeigen: Die Mitarbeiter in Unternehmen ohne Quote fühlten sich produktiver, bewerteten den Informationsfluss im Unternehmen positiver, schätzten ihre eigenen Karrierechancen besser ein – und planen deutlich seltener, ihren Arbeitgeber zu verlassen, als die Mitarbeiter mit einer Büropflicht. Und: „Je strenger die Quote, je enger die Vorgaben, desto seltener würden Beschäftigte ihren Arbeitgeber weiterempfehlen“, betont Forscherin Bath.

Ihr Urteil: „Zu enge Homeoffice-Vorgaben sind kontraproduktiv.“ Und doch sei sie nicht „per se gegen eine Quote“. Denn die Forscher beobachteten in der Untersuchung auch: In Unternehmen ohne Büropflicht leide „der informelle und persönliche Austausch“, wie Bath sagt.

Die zufälligen Gespräche an der Kaffeemaschine oder der Plausch auf dem Flur finden viel seltener statt. „Das ist gerade in Berufen, die viel Kreativität und Austausch erfordern, eine Gefahr“, meint Bath. Bei Architektinnen und Grafikdesignern, im Marketing und Medienhäusern etwa. Ja, hier könne eine Büropflicht helfen, sagt die Wissenschaftlerin.

Tipps für die Arbeit im Homeoffice

  • Disziplin: Ganz gleich, ob man als zu Hause für eine Firma oder als Selbstständiger für die eigene Tasche arbeitet, muss klar sein: Es gibt auch im Homeoffice klare Arbeitszeiten und definierte Pausen. Sie müssen den Familienmitgliedern und allen anderen potentiellen Störenfrieden klar machen, dass Sie während der Arbeitszeit nicht zur Verfügung stehen. Und vor allem sich selbst! Das klappt oft gut durch die passende Kleidung: Ziehen Sie sich so an, als ob Sie ins Büro gingen.

  • Leistungsspitzen nutzen: Nicht jeder Mensch arbeitet zur gleichen Tageszeit am besten. Dies ist eine große Chance der Heimarbeit: Wer abends, wenn die Kinder schlafen, zu Hochtouren aufläuft, kann sich dann den wichtigen Aufgaben zuwenden und dafür morgens eine Stunde länger schlafen oder Unwichtigeres erledigen.

  • Das eigene Büro: Wer zu Hause arbeitet, braucht ein eigenes Büro, das für die Familie oder Mitbewohner während der Arbeit tabu ist. Freiberufler sollten im Zweifelsfall darüber nachdenken, ein Büro oder Coworking Space anzumieten.

  • Ausstattung: Nur wer sich nicht mit Pannen am Computer herumschlagen muss, kann effektiv arbeiten. Daher sollten Sie als Freiberufler selbst für leistungsfähige IT sorgen oder beim Arbeitgeber durchsetzen, dass Ihr Heimbüro vernünftig ausgestattet ist.

„Aber sie sollte nicht zu streng ausfallen: Es gibt Studien, die zeigen, dass Mitarbeitende, die vom vernetzten Arbeiten profitieren, ohnehin von sich aus im Schnitt häufiger ins Büro kommen als andere Mitarbeiter.“

Verschiedene Befragungen von Unternehmen und Mitarbeitern in Deutschland zeigen, dass das Homeoffice in der Breite noch nicht auf dem Rückzug ist, wie die Rückholaktionen vieler Firmen vermuten lassen. Der Anteil der Arbeitszeit, den die Arbeitnehmer in den eigenen vier Wänden verbringen, ist stabil. Im Schnitt.

Denn es gibt eben jene Mitarbeiter, die seit Monaten nicht im Büro waren. Die offenbar nichts motiviert, mal wieder zur Arbeit zu pendeln. „Dann braucht es Führungskräfte, die mit Feingefühl herausfinden, aus welchen Gründen, die Mitarbeiter nicht kommen und wie sich das ändern ließe“, rät Bath.

Die BWL-Professorin plädiert für Vorgaben, die Flexibilität ermöglichen und sich nicht auf den immergleichen Zeitraum einer Arbeitswoche beschränken: „Ich kenne etwa Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern bloß vorgeben, dass sie ein Viertel ihrer jährlichen Arbeitszeit im Büro sein sollen.“ Die Teams könnten dann frei entscheiden, wie sie das organisieren wollen, um die Arbeitsweise an die Bedürfnisse der Beschäftigten anzupassen. Das sei, so erklärt Bath, vor allem charmant für Mitarbeiter, die weit vom Firmensitz entfernt wohnen und die lieber mal mehrere Tage innerhalb einer Woche ins Büro kommen und in der Nähe übernachten, aber dann mehrere Wochen am Stück nicht da sind.

Außerdem würden solche Regelungen auch berücksichtigen, dass eine Arbeitswoche in vielen Jobs schlecht planbar sei und viele Aufgaben spontan dazu kämen. „In einer Woche stehen viele wichtige Meetings an, die Präsenz erfordern. In der Woche drauf stille, konzentrierte Arbeit, die viele Beschäftigte am liebsten im Homeoffice erledigen“, sagt Bath.

Ihre Beobachtung: „Je höher eine Person in der Hierarchie steht, desto größer ist häufig der Wunsch nach mehr Büropräsenz der Mitarbeiter.“ Und die Manager ganz oben würden dann für alle bestimmen, dass fünf Tage Büro am besten sind, weil es ja auch ihre persönlich bevorzugte Arbeitsweise ist. So wie JP-Morgan-Chef Dimon, der ausdrücklich erwähnte, dass er an sieben Tagen die Woche „reinkomme“. Der Unterschied: „Ein Manager lebt vom ständigen Austausch. Mitarbeiter in der IT und im Marketing müssen an manchen Tagen an Computercode oder Werbetexten schreiben, und zwar in Ruhe.“

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Und so haben manche Manager Anwesenheitsregelungen erdacht, über die Johanna Bath „nur lachen“ kann. Bei Dell etwa: Das US-Unternehmen ordnete vor wenigen Wochen an, dass für Mitarbeiter, die weniger als eine Stunde für den Weg ins Büro benötigen, eine Präsenzpflicht gelte. Wer auch nur wenige Minute länger unterwegs wäre, darf im Homeoffice bleiben. „So können Sie im Jahr 2025 nicht mit Mitarbeitern umgehen“, sagt Bath. Auch weil es nicht zur Strategie des Unternehmens passe. „Dell stellt nun mal Rechner für die Arbeit unterwegs und auch zu Hause her. Es ist völlig absurd zu sagen: Wir verkaufen zwar Produkte für die Arbeit im Homeoffice, aber ihr, liebe Mitarbeiter, dürft nicht von zu Hause aus arbeiten. So eine Botschaft ist kaum zu vermitteln“, betont Bath, während sie selbst in die Kamera ihres Dell-Rechners blickt.

Noch etwas deutlicher wird das am Beispiel des US-Unternehmens Zoom, das in der Coronapandemie überhaupt erst populär wurde, weil Menschen auf der ganzen Welt mit der Software von zu Hause aus virtuelle Meetings veranstalteten – und so den Betrieb in vielen Firmen aufrechterhielten. Mitte 2023 beorderte Zoom Angestellte, die in 80 Kilometer Umkreis eines Büros wohnen, an zwei Tagen die Woche wieder an den vermeintlich richtigen Schreibtisch.

DIESE JUNGEN, ARMEN LEUTE

In seiner Wutrede führte Jamie Dimon noch ein Argument gegen das Homeoffice an, das Johanna Bath durchaus nachvollziehen kann: Gerade die junge Generation werde dadurch, dass so viele im Homeoffice sind, abgehängt, meint Dimon.

Weil es eben nicht so leicht ist, da Kontakte zu knüpfen. Weil man auch nach Wochen und Monaten im neuen Job noch Leute kennenlernt. Weil man sich bei der virtuellen Arbeit nur mühsam einen Ruf innerhalb der Firma aufbaut.

Vielleicht fallen Managerinnen und Managern ja noch kreativere Mittel als eine Büropflicht ein, um wieder alle Beschäftigten häufiger in die Firma zu holen.

„Über manche Homeoffice-Regelungen kann ich nur lachen“

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