Was Gründer von Spitzenmanagern lernen können
Viele Top-Manager beraten nach ihrer Karriere Start-ups. Das zahlt sich für Gründer aus, gerade jetzt in der Krise – wenn die Richtigen zusammenfinden.
Dieter Zetsche trägt ihn wieder, seinen Schnauzer. Nach einiger Zeit mit Vollbart sieht der 71-Jährige heute aus wie früher. Drahtige Statur, randlose Brille, Hemd und Sakko und der dichte, weiße Schnurrbart. Die Leute fragen ihn auf der Straße inzwischen wieder nach Selfies, erzählt Zetsche.
Im Geschäftsleben war der Mann, der 2019 nach 13 Jahren als Vorstandschef den Autobauer Mercedes-Benz verlassen hat, auch weiterhin gefragt – unabhängig von der Gesichtsbehaarung: „Bei elf oder zwölf Start-ups“, sagt Zetsche, sei er derzeit Investor, Berater, Mentor. Die Jungunternehmer arbeiten an Ladestationen, künstlicher Intelligenz, Telemedizin. Zetsche ist überzeugt: Gerade jetzt in der Krise kann und muss er den Gründern helfen. Wurden Start-ups vor wenigen Jahren noch mit Geld zugeschüttet, ohne Umsätze oder Kunden vorweisen zu können, brauche es heute meist beides, „um überhaupt Geld zu bekommen und nicht über die Wupper zu gehen“, so seine Erfahrung.
Zetsche ist bestens vernetzt. Er kennt potenzielle Kunden seiner Start-ups, Investoren, Partner, Zulieferer, Politiker. Kennt er sie nicht, funkt er sie „kalt“ an – und hat häufig Erfolg. Der Name Zetsche öffnet Türen. „Begleite ich die Gründer zu einem Meeting, kann das auf der anderen Seite eine Wirkung haben“, sagt Zetsche. Hat es gewiss. Und so ist die Liste von Ex-Managern, die sich heute als Mentoren von Gründern engagieren, lang: Gerhard Cromme, einst Co-Chef bei Thyssenkrupp und Aufsichtsratschef bei Siemens, sitzt im Beirat eines Start-ups. Ebenso Reinhard Ploss, der Infineon leitete. Die drei ehemaligen Vorstandschefs Jürgen Hambrecht (BASF), Wolfgang Reitzle (Linde) und Jim Hagemann Snabe (SAP) investierten in dasselbe Chemie-Start-up.
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Es geht dabei um mehr als die guten Kontakte. Helmut Schönenberger begreift solche Konstellationen als „fruchtbare und ambitionierte Lerngemeinschaften“. Er leitet in München das Gründungszentrum UnternehmerTUM. Gerade in turbulenten Zeiten könne ein erfahrener Manager Ruhe reinbringen, zu besser überlegten Entscheidungen raten, weiß Schönenberger. „Damit die Gründer einen kühlen Kopf bewahren.“ Und den brauchen sie derzeit mehr denn je: Die Krise trifft Jungunternehmer mit voller Wucht. Finanzierungsrunden fallen kleiner aus, große Firmen legen ihre Kooperationen auf Eis, die durchschnittliche Anzahl von Mitarbeitern in Start-ups ist gesunken – zum ersten Mal seit Jahren.
Erfolg garantieren die Erfahrungen der Manager keinesfalls: Das Start-up The Mobility House, bei dem der ehemalige VW-Chef Herbert Diess den Verwaltungsrat leitet, musste fast ein Drittel der Stellen streichen. Das Flugtaxiunternehmen Volocopter, wo Dieter Zetsche Gesellschafter und seit Herbst 2024 Aufsichtsratschef ist, musste Insolvenz anmelden und hat gerade erst alle Mitarbeiter freigestellt.
Worauf also kommt es an? Was können die Gründer gerade jetzt von den krisenerprobten Ex-CEOs lernen?
FOKUS, BITTE!
Miro Bogdanovic ist einer von Zetsches Gründern. 2019 hat er mit Viraj Tank das Start-up Linetweet gegründet. Die beiden Männer haben selbst bei Mercedes-Benz gearbeitet. Bogdanovic stellte Zetsches Sohn dort im Innovation Lab ein, so entstand der Draht zum CEO. 2022 besuchten die beiden Gründer Zetsche in dessen Haus in Frankreich, zum Kennenlernen. Und um über Linetweet zu berichten. Schon ging die Zusammenarbeit los.
Linetweet entwickelt KI, die vorhersagt, wie hoch das Kundenaufkommen in Filialen sein wird, Wartelisten erstellt und empfiehlt, wann wie viel Personal vor Ort sein sollte. Technisches Know-how erhoffen sich die Gründer von Zetsche nicht. Dafür aber umso mehr bei der Strategie. „Viele Gründer erliegen der Versuchung, in die Breite zu gehen und auch die nächste neue Sache noch auszuprobieren“, sagt Zetsche. „Das ist selten erfolgreich.“ Seine Software sei „quasi für jeden Händler interessant“, erzählt Bogdanovic, der es bei Banken, Autohäusern, Reisebüros, Versicherungen, Modehändlern probiert hat. Zetsche riet zur Fokussierung. Und so richtete sich Linetweet erst mal nur an Optiker und Hörakustiker, konnte Fielmann als Kunden gewinnen. Die Gründer beobachteten, wann der Andrang in den Filialen besonders groß war, wie lange die Mitarbeiter Kunden berieten, und fanden heraus, wie ihre Software den Personaleinsatz optimieren könnte. „Wir haben unser Wachstum selbst finanziert und haben jetzt viele neue Aufträge, die gute Umsätze versprechen“, sagt Bogdanovic.
Um Frank Mastiaux am Flughafen in Stuttgart kennenzulernen, hat Nils Aldag den Urlaub mit seiner Familie auf Mallorca unterbrochen – und damit dem ehemaligen Top-Manager imponiert. „Weil ich weiß, wie wenig Urlaub ein Unternehmer macht“, sagt Mastiaux. Vor drei Jahren war das. Aldag hatte von seinen Gesellschaftern gerade den Auftrag erhalten, einen Beiratsvorsitzenden für die von ihm mitgegründete Wasserstofffirma Sunfire zu finden. Und Mastiaux hatte nach zehn Jahren als CEO von EnBW entschieden, keine weitere Amtszeit mehr anzuhängen. 30 Jahre Energiewirtschaft, jetzt wollte er etwas anderes machen. Perfektes Timing.
Sunfire ist inzwischen eine Aktiengesellschaft mit gut 650 Mitarbeitern, Mastiaux Aufsichtsratschef und für Aldag „ein Partner, den ich bei Herausforderungen vertrauensvoll um Rat fragen kann“. Vor wichtigen Verhandlungen stellt er Mastiaux seine Taktik vor. Vor Terminen mit Politikern, Verbandschefs, Unternehmern, die Mastiaux kennt, sprechen die beiden durch: Wie tickt das Gegenüber? Welche Fragen könnten kommen? Wozu sollte Aldag besser ein paar Folien in der Hinterhand haben?
Das so wichtige Vertrauen für solche Gespräche speist sich nicht aus einem Treffen am Flughafen. Mindestens ein Mal die Woche sehen sich die beiden im Jour fixe. Angesetzt ist dieser Termin auf eine halbe Stunde. „Meist dauert er länger“, sagt Aldag, der dafür ein Dokument vorbereitet mit den wichtigsten Aufgaben und Entscheidungen, die in der jeweiligen Woche anstehen. Und dann gibt es noch den Austausch zwischendurch, „der nicht so lange warten kann“, wie Mastiaux sagt. Liest er etwa einen spannenden Artikel in der „Financial Times“, reißt er ihn heraus und schickt ein Foto davon an Aldag, der beteuert, das dann auch zu lesen – oder mindestens zu überfliegen.
Es ist völlig normal, nicht abschließend zu wissen, was die richtige Entscheidung istDIETER ZETSCHE, ehemaliger CEO bei Mercedes-Benz
„In der Wachstumsphase hatten wir wenig Luft, um unsere Prozesse zu professionalisieren“, sagt Aldag. Seit Mastiaux an Bord ist, hat der Gründer bestimmte Kennziffern stärker im Blick. Eine davon: LTIF, die Lost Time Injury Frequency, die die Häufigkeit von Unfällen in einem Unternehmen misst. „Das ist ein Leitindikator dafür, wie gut Unternehmen generell geführt werden“, so Mastiaux’ Erfahrung. „Wenn es eine schlechte Safety-Performance hat, ist das Unternehmen häufig auch an anderen Stellen schlecht gemanagt.“ Und das, so der ehemalige Top-Manager, würde nicht nur er so sehen, sondern viele Investoren. Der Wert, so betonen die beiden, war bei Sunfire stets vorbildlich. Nur kommunizierte die Firma ihn nicht. Mastiaux ordnete also an, dass der LTIF-Wert ganz vorne in Präsentationen prangt. Und er integrierte ihn in die variable Vergütung der Sunfire-Manager. „Attention to detail“ sei so eine Sache, die sich Aldag von seinem Berater abschaut: Mastiaux habe ein „brillantes Auge für wichtige Details“. Geht er Präsentationen am Tablet durch, markiert er handschriftlich die kleinsten Dinge.
Professionalisierung, sagt Experte Schönenberger, sei eine der zentralen Stärken der Manager: „CEOs, die große Konzerne geführt haben, wissen, wie internationale Geschäfte funktionieren, wie man die Produktion hochfährt, massive Stückzahlen produziert, vertreibt und die Strategie immer wieder anpasst.“
NUR KEINE ANGST!
Dieter Zetsche versucht, seinen Gründern auch die Angst zu nehmen. Gerade wichtige Entscheidungen wägten sie zu lange ab und verfolgten sie nicht mit voller Überzeugung, wenn sie sich einmal festgelegt haben. „Ich habe in meiner aktiven Zeit häufig Entscheidungen treffen müssen, wo 55 Prozent der Argumente für den einen Weg und 45 für den anderen sprachen“, sagt Zetsche. „Es ist völlig normal, nicht abschließend zu wissen, was das Richtige ist.“
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Er erzählt dann gerne eine Anekdote von einer vermeintlich falschen Entscheidung, die er bei Mercedes getroffen hat: Der Autobauer machte gute Geschäfte in Russland. Aus Angst, dass eines Tages „der Vorhang fällt“ und der Kreml nur noch Autos verkaufen lässt, die auch in Russland produziert wurden, ließ Zetsche in der Nähe von Moskau ein Mercedes-Werk bauen und eröffnete es 2019 mit dem damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier. „Gerechnet hat sich das Werk nicht“, sagt Zetsche. „Aber es war so etwas wie unsere Versicherung, die wir nie nutzen mussten“, sagt Zetsche. Im Zuge des russischen Angriffskriegs machte Mercedes das Werk dicht. Was Zetsche seinen Gründern so erklären will: „Sie werden Entscheidungen treffen, die im Nachhinein infrage gestellt werden können – und die doch nicht per se falsch sind. Wichtig ist, dass sie eine getroffene Entscheidung konsequent verfolgen.“
Auch Frank Mastiaux hat Aldag schon davon erzählt, wie er mal eine Verhandlung „so richtig verhauen hat“ – damit der Gründer es besser macht. Und manchmal, da wird es in der Zusammenarbeit noch persönlicher. Als Frank Mastiaux feststellte, wie viel Nils Aldag am Abend und am Wochenende arbeitete, gab er ihm den Rat: Jetzt ist mal gut! „Weil ich weiß, wie wichtig die Erholung ist“, betont Mastiaux. „Stellen Sie sich einen Saxofonisten vor, der nie atmet. Der läuft nach 90 Sekunden blau an und fällt um.“ Bis dahin könne er brillant gespielt haben. „Aber dann war’s das.“ An der „richtigen Stelle“ Luft zu holen, sei „entscheidend“.
