Westliche Artikel wie das Apple-Smartphone werden in Moskau immer noch verkauft. - Foto: imago/ITAR-TASS
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Apple, Miele, Mercedes: Wie westliche Waren trotz Sanktionen weiter nach Russland gelangen

Wegen des Kriegs dürfen westliche Unternehmen keine sanktionierten Waren mehr nach Russland liefern. Über Drittländer landen sie trotzdem dort. Ein Milliardenmarkt.

Riga, Düsseldorf. Westliche Produkte gelangen weiterhin nach Russland, obwohl sich viele Firmen aus dem Land zurückgezogen haben. Russland hat sogenannte Parallelimporte von mehr als 50 Warengruppen legalisiert. So nennt man Importe ohne Zustimmung des Herstellers, die meist über Drittländer abgewickelt werden, die keine Sanktionen verhängt haben.

Ein entsprechendes Gesetz der Staatsduma von Ende Juni gilt vorerst bis Jahresende. Die Rechtsgrundlage hatte Russland schon im März durch eine Verordnung geschaffen.

Auf der Liste der so zugelassenen Produkte stehen auch viele deutsche Hersteller: Autos und Ersatzteile von Mercedes, Volkswagen, Tesla, ZF oder Continental, Haushaltsgeräte von Miele und Philips, Smartphones von Apple und Samsung, Klebstoffe von Henkel oder Produkte, die für den Betrieb von Produktionsanlagen oder Zügen nötig sind, wie sie etwa Siemens oder Bosch produzieren.

Russland: Importe werden zum Imagerisiko für Apple, Miele und Mercedes

Für westliche Unternehmen drohen Parallelimporte zum Reputationsrisiko zu werden. Sie haben sich offiziell aus dem russischen Markt zurückgezogen, dennoch sind ihre Produkte dort weiter erhältlich.

Das Gesetz „ist selbstverständlich nicht in unserem Sinn“, räumt ZF auf Anfrage ein. Die Situation wird erschwert, weil Firmen nur eingeschränkte Handhabe darüber haben, wenn Waren über Parallelmärkte in ein Land gelangen.

Russland will vor allem Produkte kaufen, die es nicht selbst produzieren kann, nach denen die Bevölkerung aber verlangt. Der Plan scheint vorerst aufzugehen: „Die Parallelimporte funktionieren“, sagte der russische Handelsminister Denis Manturov am Montag. Tatsächlich bemerken das auch erste Firmen. So stellt Miele bei den Waren, die über Drittstaaten nach Russland verkauft werden „eine deutlich zunehmende Tendenz“ fest, „vor allem über nicht-autorisierte Webshops“.

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Parallelimporte könnten ein Drittel der traditionellen Einfuhren ersetzen

Wie Miele haben sich über 800 westliche Unternehmen nach Zählung der Yale-Universität aus Russland zurückgezogen oder liefern nicht mehr dorthin. Mit Parallelimporten, die auch Grauimporte genannt werden, will Moskau politisch Stärke demonstrieren: Betroffen sind vor allem Firmen, die ihr Russlandgeschäft eingestellt haben oder sanktioniert sind.

Seit Montag stehen auch BMW und Lego auf der Liste. Das Maschinenbauunternehmen Wilo oder der US-Batteriehersteller Duracell wurden gestrichen, weil sie weiter den russischen Markt beliefern. Moskau hatte angekündigt, die Liste regelmäßig anzupassen.

„Parallelimporte können den Effekt der Sanktionen beeinflussen“, sagt Sanktionsexpertin Maria Shagina vom Londoner Thinktank International Institute for Strategic Studies (IISS). Laut russischen Experten, die von einer staatlichen Nachrichtenagentur zitiert werden, können diese 30 bis 40 Prozent der bisherigen Einfuhren ersetzen. Russland will jährlich Waren im Wert von 100 bis 120 Milliarden Dollar über Graumärkte importieren.

Quelle: Otkritie Research
Quelle: Otkritie Research

Eigentlich sind Importe über Graumärkte im internationalen Handel verboten. „Händler und Distributoren dürfen Produkte nicht günstig im Ausland einkaufen und dann im Inland verkaufen. Damit soll das Preislevel der verschiedenen Länder geschützt werden“, sagt Julia Pfeil, Partnerin der Kanzlei Dentons.

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Firmen haben kaum Handhabe gegen Parallelimporte durch Russland

Dass russische Groß- und Einzelhändler nun Produkte aus anderen Staaten importieren, dagegen können sich westliche Firmen kaum wehren. Man habe „keine wirksame Handhabe gegen diesen Beschluss“, heißt es etwa von Bosch. Tatsächlich können Unternehmen russischen Händlern nicht verbieten, ihre Produkte in anderen Staaten zu kaufen. Eine Klage in Russland anzustreben hat kaum Aussicht auf Erfolg, schließlich ist das Vorgehen in dem Land nun legalisiert.

Der Reputationsexperte Bernhard Bauhofer rät betroffenen Firmen sich „nochmals klar gegen das Vorgehen Russlands auszusprechen“. Sie sollten versuchen, ihre Vertriebskanäle zu kontrollieren. Genau das machen die Unternehmen auch. So steht Siemens „im Austausch mit den Behörden in den an Russland grenzenden Ländern, um eine Verstärkung der Ausfuhrhürden zu erreichen, soweit das rechtlich möglich ist“. Miele lehne Aufträge ab, falls Anhaltspunkte für einen Weiterverkauf nach Russland bestehen.

Und ZF habe „Kunden und Distributoren auf die Einhaltung der geltenden exportkontrollrechtlichen Regelungen hingewiesen“. Was der Autozulieferer meint: Firmen haben mit Zwischenhändlern oft vertraglich vereinbart, dass sie Waren nicht in dritte Länder liefern dürfen. „Distributoren droht ansonsten eine Strafe oder die Kündigung ihres Vertrags“, sagt Juristin Pfeil. Allerdings könnten Hersteller in der Praxis gerade in entfernteren Ländern nicht bei jedem einzelnen Produkt nachvollziehen, was die Distributoren tatsächlich mit den Waren machten, so die Expertin.

Quelle: Russische Zollbehörde/ITC
Quelle: Russische Zollbehörde/ITC

Zudem haben Zwischenhändler ein wirtschaftliches Interesse, nach Russland zu liefern, weil sie dort einen Mangel bedienen und russische Händler entsprechend bereit sind, mehr Geld dafür zu zahlen. So kommen die Produkte doch in Russland an – laut Fachleuten vor allem über Länder wie China, Hongkong, Indien, die Türkei, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und weitere Länder des Nahen und Mittleren Ostens.

Parallel importierte Produkte sind für viele Russen zu teuer

Doch die umstrittenen Importe über Drittländer lösen Russlands Probleme durch die Sanktionen nur bedingt. Das beginnt beim Preis: „Waren aus Parallelimporten sind deutlich teurer, denn es ist schwer, die entsprechenden Lieferketten neu aufzubauen“, sagt Alexander Libman, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Die Güter müssen abseits der offiziellen Routen nach Russland kommen, denn viele Logistiker liefern nicht mehr in das Land.

Ökonomen gehen davon aus, dass parallel importierte Waren mindestens 20 Prozent mehr kosten. „Wegen des hohen Preises können sich nur vermögende Menschen die parallel importierten Produkte leisten“, sagt Jens Böhlmann, Experte beim Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Die breite Masse profitiere nicht.

Die deutschen Haushaltsgeräte landen aktuell über Umwege in Russland. - Quelle: imago images
Die deutschen Haushaltsgeräte landen aktuell über Umwege in Russland. - Quelle: imago images

Zudem seien die Güter nur in eingeschränkter Menge verfügbar. „Auf Parallelimporten kann man keine Lieferketten aufbauen“, sagt Janis Kluge, Russlandexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Sie helfen lediglich, das Gefühl der Isolierung bei den Endkunden etwas zu mindern.“

Experten warnen, dass durch die neuen Regelungen auch vermehrt Plagiate oder Produkte von schlechterer Qualität ins Land kommen. „Es wird schwieriger sein, gefälschte Waren zu entdecken, weil die Importeure keine Genehmigungen an der Grenze vorlegen müssen“, schreibt Elizaveta Pyatunina von der Kanzlei Rödl und Partner in einem aktuellen Blogbeitrag. Fraglich ist auch, wer bei Produktfehlern haftet und wer die Garantie übernimmt, schließlich haben die Hersteller die Waren nicht selbst nach Russland gebracht.

Russische Händler bieten Waren aus Graumärkten an

Ungeachtet dessen bieten erste Händler in Russland Produkte aus Graumärkten an: Die Elektronik-Handelskette Swjasnoj hat ihre Produktpalette um mehr als 100 Artikel erweitert, offeriert nun Smartwatches von Samsung, iPhones von Apple oder die Spielekonsole PlayStation. Auch andere Handelsketten und Online-Marktplätze haben angekündigt, wieder westliche Waren anzubieten – vor allem Haushaltsgeräte, Elektronik, Kosmetik und Kleidung.

Doch nur weil die Produkte in Russland ankommen, heißt das längst nicht, dass sie dort auch funktionieren: 10.000 der 50.000 Samsung-Handys, die im Mai nach Russland eingeführt wurden, konnten nicht aktiviert werden – allesamt Importe über Graumärkte, wie ein Moskauer Branchendienst berichtet. Wenn Handys mit einer gesperrten SIM-Karte eingeführt werden, funktionieren sie üblicherweise nur in dem Land, für das sie ursprünglich gedacht waren.

Um solche Probleme künftig zu vermeiden, haben russische Unternehmen bereits erste Stellen für Spezialisten für Parallelimporte ausgeschrieben, teilt das russische Jobportal Headhunter mit. Beworben werden die Jobs mit überdurchschnittlich hohen Gehältern.

Mitarbeit: Martin Buchenau, Axel Höpner, Anja Müller, Stefan Menzel, Roman Tyborski

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