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„Brauchen mittelfristig eher mehr Gas aus Russland“ – Deutsche Wirtschaft bangt sich um die Energieversorgung

Der schwelende Konflikt Russlands mit der Ukraine ist für viele deutsche Firmen ein Geschäftsrisiko. Energiesicherheit steht deshalb ganz oben auf der Sorgenliste der Industrie.

Ulrich Bettermann, Verwaltungsratschef des Mendener Befestigungstechnikherstellers OBO Bettermann, hat sich einen neuen Lieferanten gesucht. In 14 Tagen werde sein Unternehmen das erste Mal seit der Gründung 1911 Flüssiggas aus dem Wüstenstaat Katar importieren. Bettermann fürchtet, nicht mehr genug Gas zu bekommen, sollte der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskalieren.

Das Familienunternehmen hat einen Notfallplan ausgearbeitet, „damit die Großverzinkereien im sauerländischen Menden und in Ungarn nicht einfrieren“, sagt der Manager. In Ungarn nutzt OBO Bettermann inzwischen auch Holzhackschnitzel als Energiequelle, das will Bettermann jetzt auch in Deutschland prüfen. „Deutschland hat sich zu abhängig vom russischen Gas gemacht.“

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Dass sich die Bundesregierung nicht vor dem Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 besser mit seinen europäischen Partnern abgestimmt habe, beurteilt er im Nachhinein als Fehler.

So wie Bettermann geht es derzeit vielen Unternehmern, die sich fragen, welche Auswirkungen ein bewaffneter Konflikt in der Ukraine auf ihr Geschäft haben könnte. Dabei steht eine sichere Energieversorgung ganz oben auf der Agenda vieler Wirtschaftsvertreter.

Derzeit deckt Deutschland rund 55 Prozent seines Gasbedarfs mithilfe von russischen Lieferanten. Sollten die ihre Lieferungen etwa aufgrund von Sanktionen einstellen müssen, drohen energieintensiven Unternehmen wie OBO Bettermann ernste Schwierigkeiten.

„Wir brauchen mittelfristig eher mehr Gas aus Russland“

Schon jetzt ächzen viele Firmen unter den zuletzt stark gestiegenen Strompreisen, die seit dem vergangenen Jahr um etwa ein Drittel zugelegt haben. Sollten Gaslieferungen aus Russland ausbleiben, könnte das die Preise weiter steigern. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich etwa beim Weizenpreis beobachten: Der hat in Erwartung eines Krieges zuletzt spürbar zugelegt, weil sowohl Russland als auch die Ukraine in großen Mengen Weizen exportieren.

Entsprechend vorsichtig beurteilen Wirtschaftsvertreter wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Denn in Zukunft werde die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas eher noch wachsen, meint etwa der frühere Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Klaus Mangold, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Die deutsche Energiepolitik stehe wegen des gleichzeitigen Ausstiegs aus der Kohle- und der Kernenergie mit dem Rücken zur Wand, so der Multimanager. Solange es keinen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine gebe, solle Deutschland daher an dem Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 festhalten.

Klaus Mangold: Der Manager gehört zu den erfahrensten Russland-Kennern der deutschen Wirtschaft.
Klaus Mangold: Der Manager gehört zu den erfahrensten Russland-Kennern der deutschen Wirtschaft.

Ähnlich äußert sich auch Mangolds Nachfolger Oliver Hermes, der zugleich den Vorstandsvorsitz des Dortmunder Pumpenherstellers Wilo innehat. „Die letzten Monate haben uns sehr deutlich gezeigt, dass wir im Zuge der Energiewende auf Erdgas angewiesen bleiben“, so Hermes in einem persönlichen Gastbeitrag, den er kürzlich auf der Unternehmenswebseite von Wilo veröffentlichte. „Wir brauchen daher mittelfristig eher mehr als weniger Gasimporte aus Russland.“

In der Ukraine ist Risikomanagement gefragt

Energiesicherheit steht deshalb ganz oben auf der Sorgenliste der deutschen Industrie. Als Handelspartner spielt die Ukraine für die deutsche Wirtschaft insgesamt nur eine untergeordnete Rolle. Aber viele Firmen haben dort Werke und Mitarbeiter, die von einem Kriegsausbruch direkt betroffen wären.

So geht die Deutsch-Ukrainische Industrie- und Handelskammer davon aus, dass in dem Land etwa 2000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung aktiv sind. Deutsche Firmen wie BASF, Metro und Kärcher haben demnach rund 50.000 Arbeitsplätze geschaffen, die größtenteils mit Einheimischen besetzt sind. Wer noch deutsche Mitarbeiter in der Region hat, muss sie derzeit ohnehin ausfliegen – allein schon aus Versicherungsgründen.

Trotzdem läuft die Produktion mit einheimischen Arbeitskräften weiter. Viele der ansässigen Unternehmen haben sich schon länger auf den Ernstfall vorbereitet, nachdem Russland vor einigen Jahren die Halbinsel Krim in einer Nacht-und-Nebel-Aktion annektierte. Aus Sicht von Alexander Markus, Geschäftsführer der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer, sei die Aufregung vor allem außerhalb des Landes zu spüren, nicht innerhalb. „Die Firmen in der Ukraine sind seit 2014 mit einer schwierigen Situation konfrontiert“, so der Kammerchef mit Blick auf den Beginn des Konflikts. „Das zählt für sie zum Risikomanagement.“

Entsprechend gelassen sind viele Unternehmen geblieben, als Russland vor einigen Tagen mit Truppenübungen in Grenznähe begonnen hat. So teilt etwa der unterfränkische Gipsproduzent Knauf mit, das Werk des Unternehmens nahe der ukrainisch-russischen Grenze im Donbass laufe derzeit ohne Einschränkungen. „Wir hoffen sehr, dass sich bald eine diplomatische Lösung in dem Konflikt finden lässt“, hofft Jörg Schanow, Geschäftsleiter für die Bereiche Personal und Recht bei Knauf.

Preise könnten steigen

Auch der Handelskonzern Metro hofft nach eigenen Angaben auf eine diplomatische Lösung, um eine weitere Eskalation abzuwenden. Das Unternehmen hat in der Ukraine 26 Großhandelsmärkte und hat damit im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Umsatz von 790 Millionen Euro gemacht. In den Stores und der Hauptverwaltung beschäftigt Metro 3400 Mitarbeiter. Wie bei Knauf handelt es sich dabei ausschließlich um lokales Personal.

Bis auf einige international gefragte Top-Marken wird der weitaus größte Teil der Waren innerhalb der Ukraine beschafft. Deshalb empfindet sich Metro in der Ukraine als sehr stark „inländisches Unternehmen“, ist also in einer anderen Situation als deutsche Unternehmen, die ihre Waren in die Ukraine exportieren oder von dort für andere Märkte beziehen. „Wir setzen weiterhin stark auf diplomatische Bemühungen aller Seiten, um eine weitere Eskalation abzuwenden.“

Wer hingegen wichtige Lieferanten in der Ukraine hat, könnte im Falle eines Konflikts mit Lieferschwierigkeiten konfrontiert sein. So haben mehr als 400 Firmen in den USA und Europa mindestens einen direkten Zulieferer in der Ukraine, so eine Erhebung des Supply-Chain-Start-ups Interos. Schon jetzt lässt die Kriegsgefahr etwa den Weltmarktpreis für Weizen steigen, also ein Produkt, das sowohl Russland als auch die Ukraine in großen Mengen exportieren.

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