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„Brillant verhandelt“: UBS kauft sich laut Experten erstaunlich günstig eine riesige Marktmacht

In der Schweiz wächst der Vorwurf, dass Regierung und Aufseher den UBS-Managern im Ringen um Credit Suisse nicht gewachsen waren. Erste Investoren prüfen eine Klage.

Nach der historischen Notfusion der beiden Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse wächst die Empörung über den Deal. Der niedrige Kaufpreis für die Credit Suisse, der Totalverlust für Gläubiger bestimmter Nachranganleihen sowie die historisch einmaligen Staatsgarantien ärgern Banker, Kunden und Investoren.

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Am Sonntagabend hatten Schweizer Nationalbank (SNB), Finanzaufsicht Finma und die Schweizer Regierung nach teils schwierigen Verhandlungen mit der UBS eine Lösung für die Krise der Credit Suisse präsentiert. Die UBS übernimmt demnach den einstigen Rivalen für drei Milliarden Franken. Das entspricht weniger als der Hälfte des Börsenwerts vom vergangenen Freitag.

Zuvor hatten wachsende Unsicherheiten in der Finanzbranche, die von einigen Bankenschieflagen in den USA ausgehen, sowie offenbar unbedachte Äußerungen eines saudischen Großaktionärs der Credit Suisse einen Absturz des Aktienkurses sowie einen Kundenexodus ausgelöst.

Es ist die erste staatlich erzwungene Großbankenfusion seit der Finanzkrise 2008. Sie formt nicht nur einen neuen Bankgiganten auf dem europäischen Kontinent mit einer Bilanzsumme von 1,7 Billionen Dollar, also mehr als dem doppelten des Schweizer Bruttoinlandsprodukts. Sondern sie beschert der UBS auch Staatsgarantien in historisch einmaligem Ausmaß für den Notkauf.

Der bekannte deutsche Banker Leonhard Fischer, früher Mitglied der Geschäftsleitung der Credit Suisse, sagte dem Handelsblatt: „Die UBS hat einen gigantischen Deal gemacht.“ Eine Staatsbeteiligung sowie eine kontrollierte Verwertung der Einzelteile der Bank wären die bessere Lösung gewesen – sowohl für den Finanzplatz als auch für die Mitarbeiter der Credit Suisse. Ein anderer Banker mit viel M&A-Erfahrung sagt: „Das ist der schmutzigste Deal, den ich je gesehen habe. Es ist eine Schande für die Schweiz.“

Credit Suisse: Verluste durch Staatsgarantien gedeckt

Der Deal sieht vor, dass ausstehende nachrangige Anleihen, sogenannte „Additional Tier 1“, mit einem Volumen von 16 Milliarden Franken abgeschrieben werden. Die AT1-Anleihen waren nach der Finanzkrise 2008 eingeführt worden. Diese Wertpapiere sind nachrangige Anleihen, die in Aktien umgewandelt oder abgeschrieben werden können, wenn eine Bank saniert werden muss oder zahlungsunfähig wird. Sie dienen damit als zusätzlicher eigenkapitalähnlicher Puffer für Krisenzeiten.

Um kurzfristige Verwerfungen zu verhindern, stellt die SNB zudem beiden Banken unbesicherte Kreditlinien im Umfang von bis zu 200 Milliarden Franken zur Verfügung. Zudem garantiert der Schweizer Staat für Verluste im Umfang von bis zu neun Milliarden Franken in Verbindung mit einem Derivateportfolio der Credit Suisse, welches die UBS abwickeln will.

Die Ethos-Stiftung, die eine Reihe von Pensionskassen unter den Aktionären vertritt, kritisiert diese Zugeständnisse der Schweizer Regulierer als „ungeheure Verschwendung, für die Aktionärinnen und Aktionäre sowie die gesamte Schweizer Wirtschaft“. Es würden alle Optionen geprüft – „auch juristische“ –, um die Verantwortung für das Debakel zu klären.

Die UBS wirbt bei den eigenen Anteilseignern für die Übernahme: Verluste im Umfang von 25 Milliarden Franken seien durch die Abschreibung der AT1-Anleihen sowie der Staatsgarantien abgedeckt, heißt es in einer internen Präsentation. In der Vermögensverwaltung rücke man weltweit auf Platz zwei hinter Morgan Stanley vor, im Geschäft mit Profikunden europaweit auf Platz drei.

Doch dieser relativen internationalen Größe steht eine schon fast unheimlich anmutende Dimension in der Schweiz gegenüber: Dort steigt die neue Großbank zum unumstrittenen Champion auf: Mit einem Kreditportfolio von mehr als 300 Milliarden Franken und Kundeneinlagen über 330 Milliarden Franken kommt keine andere inländische Bank an die neue UBS heran. Die kombinierte Bank vereint zudem Analysten zufolge 25 Prozent des Schweizer Hypothekarmarkts auf sich.

Diese neue Marktmacht hat sich die UBS aus Sicht von Experten erstaunlich günstig erkauft: Der Kaufpreis von rund drei Milliarden Franken, bezahlt in eigenen Aktien, liegt knapp 60 Prozent unter der Marktkapitalisierung der Credit Suisse zu Börsenschluss. Allein das Schweizgeschäft der Credit Suisse wurde im Fall eines Börsengangs als eigenständiges Unternehmen von Analysten zuletzt mit bis zu zehn Milliarden Franken bewertet.

Noch unverständlicher ist aus Sicht von Investoren und Bankexperten, dass die AT1-Anleihen der Credit Suisse in Eigenkapital abgeschrieben werden. Deren Inhaber gehen dadurch leer aus. Der Schuldenabbau stärkt jedoch das Eigenkapital der Credit Suisse, die sich nun die UBS einverleibt. Fischer bringt es so auf den Punkt: „Die UBS zahlt keine drei Milliarden für die Credit Suisse – sie bekommt 13 Milliarden für die Übernahme.“

Große Sorgen um die Finanzstabilität der Credit Suisse

Dass eine Gruppe von Anleihegläubigern höhere Verluste erleidet als die Aktionäre, ist bei Unternehmenspleiten extrem unüblich. Normalerweise haften Eigentümer als Erste. Dass es im Fall der Credit Suisse nun von den Schweizer Behörden anders gehandhabt wurde, sei ein Entgegenkommen des Staates gewesen, glaubt ein Investor. So habe man die UBS von der ungeliebten Übernahme überzeugen wollen.

Fischer kritisiert: „Es findet ein Vermögenstransfer statt, von Credit-Suisse-Anleihegläubigern hin zu UBS-Aktionären.“ Die UBS habe „brillant verhandelt“ und sich durchgesetzt. Das zeige auch der Umstand, dass die Prüfung des Deals durch die Wettbewerbsbehörden wegfällt. „Die UBS kann einen Wettbewerber eliminieren und bekommt auch noch Geld dafür“, fasst der frühere Credit-Suisse-Manager das Verhandlungsergebnis zusammen.

Die Ethos-Stiftung kritisiert „dass gewisse strategische Optionen, wie die Abspaltung und der Börsengang der Schweizer Bank von Credit Suisse, nicht weiterverfolgt wurden, als dies noch möglich war.“ Sie fordert die Aufseher und die Politik auf, im Nachgang darauf zu bestehen, das Schweiz-Geschäft der Credit Suisse abgespalten wird.

Die für Finanzen zuständige Bundesrätin Karin Keller-Suter hatte am Sonntagabend den Deal noch als bestmögliche Lösung präsentiert. „Das ist kein Bail-out, sondern eine privatwirtschaftliche Lösung“, hatte sie auf einer Pressekonferenz betont. Und Thomas Jordan, Chef der Schweizerischen Nationalbank, ergänzte: „Ein Konkurs hätte schwere Konsequenzen für nationale und internationale Finanzstabilität und damit auch für die Schweizer Volkswirtschaft nach sich gezogen.“

Zunehmend kristallisiert sich heraus, dass die Credit Suisse bereits am Freitag faktisch zahlungsunfähig war. Ein Unternehmer, der intensive Geschäftsbeziehungen zu beiden Geldhäusern pflegt, sagt mit Blick auf die Credit Suisse: „Es ist erschreckend, wie schnell eine Bank in die Pleite getrieben werden kann.“

UBS-Verwaltungsratschef Colm Kelleher, dessen Haus den Notkauf der Credit Suisse lange skeptisch gesehen hatte, sprach offen von einer „Notrettung“ der Credit Suisse. „Es ist ein historischer Tag und ein Tag, von dem wir gehofft hatten, dass er nicht kommen würde.“ An der Solidität der größten Schweizer Bank ändere sich nichts: „Wir sind uns der Bedeutung einer starken Bilanz bewusst, und die UBS bleibt felsenfest.“

Bedenken angesichts einer möglichen Monopolstellung der UBS in der Schweiz wies Kelleher zurück: Die Stabilität des Finanzsystems sei nun wichtiger als die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs zwischen den größten Banken des Landes.

Anke Reingen, Analystin bei RBC Capital Markets sagt: Langfristig sehe die Übernahme auf dem Papier attraktiv aus. Die Integration der Credit Suisse sei jedoch kurzfristig eine „strategische Ablenkung“ für das UBS-Management.

UBS: Integration der Credit Suisse wird zur Herkulesaufgabe

Der UBS-Führung stehen arbeitsreiche Jahre bevor: Sie will bis 2027 jährlich acht Milliarden Franken einsparen. Damit verbunden dürfte der Abbau Tausender Stellen sein. UBS und Credit Suisse kommen zusammen bislang auf weltweit 125.000 Mitarbeiter. Kelleher sagte, es sei noch zu früh, den Stellenabbau zu beziffern. Doch er deutete bereits einen Kahlschlag im Investmentbanking an.

Analyst Johann Scholtz von Morningstar schrieb, die UBS könne einen radikalen Umbau deutlich besser umsetzen als die CS selbst. Doch selbst für den Fall, dass der Umbau teurer wird als geplant, hat der neue Schweizer Bankgigant der eidgenössischen Regierung umfangreiche Sicherheiten abgerungen.

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