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Wir haben gelernt: Mobiles Arbeiten funktioniert. Aber klappt es auch auf Dauer? Kommunikation, Wissenstransfer, kreativer Austausch und die Datensicherheit lassen sich noch deutlich verbessern. Es gibt bereits Pioniere, von denen Unternehmen viel lernen können.

Von Prithwiraj (Raj) Choudhury

Schon vor dem Jahr 2020 kündigte sich in Unternehmen ein Trend an. Technik und digitale Vernetzung hatten sich so schnell und so weit entwickelt, dass viele Wissensarbeiter anfingen zu fragen: Müssen wir wirklich zusammen in einem Büro sitzen, um unsere Arbeit zu erledigen? Die Antwort auf diese Frage haben uns die Lockdowns während der Corona-Pandemie geliefert. Wir haben gelernt, dass sehr viele von uns tatsächlich nicht mit Kolleginnen und Kollegen vor Ort zusammensein müssen, um unsere Aufgaben zu erfüllen. Die vergangenen Monate haben bewiesen, dass Einzelpersonen, Teams, sogar ganze Unternehmen auch dann gute Leistungen erbringen können, wenn sie geografisch voneinander getrennt sind. Somit stehen wir nun vor neuen Fragen: Sind Unternehmen, die überwiegend oder sogar vollständig mobiles Arbeiten ermöglichen, die Zukunft der Wissensarbeit? Kann diese Art der Zusammenarbeit eine Dauerlösung sein?

Mobiles Arbeiten bietet Unternehmen und ihren Mitarbeitern zweifelsohne deutliche Vorteile. Unternehmen können ihre Immobilienkosten reduzieren oder sogar komplett streichen, die besten Talente überall auf der Welt rekrutieren und dabei Probleme bei der Einwanderung in bestimmte Länder umgehen. Zudem deuten Studien darauf hin, dass sich möglicherweise sogar die Produktivität der Arbeitnehmer erhöht. Die Angestellten profitieren von geografischer Flexibilität (sie können an ihrem Wunschort leben), müssen nicht mehr pendeln – und berichten von einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Allerdings gibt es nach wie vor Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der mobilen Arbeit. Einige sorgen sich, dass die Kommunikation darunter leidet. Weitere mögliche Problemfelder sind Wissensaustausch, Kontaktpflege, Kollegialität und Mentoring. Sorgen bereiten auch Leistungsbewertung und Vergütung sowie Datensicherheit und Regulierung.

Ich wollte besser verstehen, wie Führungskräfte die Vorteile mobilen Arbeitens nutzen können, während sie gleichzeitig die damit einhergehenden Herausforderungen überwinden und negative Auswirkungen vermeiden. Dafür habe ich mehrere Unternehmen untersucht, die sich für Modelle entschieden haben, bei denen alle oder fast alle Mitarbeiter mobil arbeiten. Dazu gehören unter anderen: das Patent- und Markenamt der Vereinigten Staaten (United States Patent and Trademark Office, USPTO) mit mehreren Tausend mobilen Mitarbeitern; die Rekrutierungsinitiative Tulsa Remote; das globale IT-Dienstleistungsunternehmen Tata Consultancy Services (TCS), welches angekündigt hat, bis 2025 zu 75 Prozent mobil aufgestellt sein zu wollen; Gitlab, das weltweit größte rein mobil arbeitende Unternehmen mit 1300 Angestellten; Zapier, ein Unternehmen, das Arbeitsabläufe automatisiert und dessen mehr als 300 Mitarbeiter in den Vereinigten Staaten sowie 23 weiteren Ländern alle bürounabhängig arbeiten; und Mobsquad, ein kanadisches Start-up-Unternehmen, das mobile Mitarbeiter einstellt und an amerikanische Unternehmen "verleiht".

Die Corona-Krise hat dazu geführt, dass eine wachsende Zahl an Führungskräften dafür offen ist, ihre Beschäftigten teilweise oder sogar vollständig mobil arbeiten zu lassen. Neben TCS haben Unternehmen wie Twitter, Facebook, Shopify, Siemens und die indische Staatsbank SBI mitgeteilt, dass sie beabsichtigen, die Mobilarbeit als dauerhafte Lösung einzuführen – selbst nachdem ein Impfstoff gegen Covid-19 verfügbar geworden ist. Wenn auch Ihr Unternehmen derzeit überlegt, das mobile Arbeiten als dauerhaftes Arbeitsmodell einzuführen, kann Sie dieser Artikel bei der Entscheidungsfindung unterstützen.

In den vergangenen Jahren haben viele Unternehmen immer mehr Mitarbeitern erlaubt, von zu Hause aus zu arbeiten. Die Unternehmen, die ich untersucht habe, haben sich für eine größere geografische Flexibilität entschieden: Sie ermöglichen einigen, wenn nicht sogar allen Mitarbeitern, völlig losgelöst von einem festen Bürostandort mobil zu arbeiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um neue oder langjährige Mitarbeiter handelt.

Das USPTO ist hierfür ein sehr gutes Beispiel: Die Führungsriege des Patent- und Markenamts entwickelte 2012 ein mobiles Arbeitsmodell, welches auf einem bereits existierenden Homeofficekonzept aufbaute (siehe dazu auch "Die Geschichte des Homeoffice"). Das Modell schrieb vor, dass Mitarbeiter an mindestens einem Tag in der Woche am Hauptsitz im Norden Virginias physisch anwesend sein mussten. Das neue Konzept für die Mobilarbeit sieht hingegen vor, dass Mitarbeiter zwei Jahre lang am Stammsitz arbeiten, bevor sie ins Homeoffice gehen können. Nach einer bestimmten Zeit dürfen sie dann an jedem Ort auf dem US-amerikanischen Festland leben und arbeiten. Allerdings müssen sie sich bereit erklären, die Reisekosten für regelmäßige Besuche im Hauptquartier – nicht mehr als zwölf Tage im Jahr – aus eigener Tasche zu bezahlen. Die Patentprüfer, die an diesem Programm teilnahmen, verteilten sich im gesamten Land und konnten so näher bei ihrer Familie sein, unter besseren klimatischen Bedingungen leben oder an Orte mit geringeren Lebenshaltungskosten ziehen.

Die meisten Unternehmen, die Homeoffice oder mobiles Arbeiten anbieten, haben trotzdem noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem oder mehreren festen Standorten – beim USPTO sind es zum Beispiel Praktikanten und Verwaltungsangestellte. Diese Unternehmen nutzen also teilmobile Arbeitskonzepte. Das von Corona erzwungene Experiment einer vollständig mobilen Arbeitnehmerschaft hat einige dieser Unternehmen dazu veranlasst, ihre strategische Ausrichtung zugunsten eines überwiegend mobilen Arbeitskonzepts zu ändern, bei dem weniger als 50 Prozent der Mitarbeiter an festen Bürostandorten arbeiten. Schon vor der Corona-Krise hatte eine kleinere Gruppe von Unternehmen diesen Trend noch einen Schritt weiter vorangetrieben, indem sie ihre Bürogebäude ganz abschafften, und alle Mitarbeiter, vom Neuzugang bis zum CEO, geografisch voneinander trennte. Gitlab macht sich dieses Modell maßstabsgerecht zu eigen: Die mobilen Mitarbeiter des Unternehmens sind in mehr als 60 Ländern in den Bereichen Vertrieb, Technik, Marketing, Personalmanagement sowie in Führungspositionen tätig.

Ich habe die vergangenen fünf Jahre damit verbracht, die Praktiken und Produktivitätsentwicklungen von Firmen mit mobilen Arbeitsmodellen zu untersuchen. Die Vorteile für Einzelpersonen, Unternehmen und die Gesellschaft sind eindeutig. Im Folgenden möchte ich sie kurz skizzieren.

Eine eindrucksvolle Erkenntnis meiner Arbeit ist, wie sehr Beschäftigte von mobilen Arbeitsmodellen profitieren. Viele erzählten mir, dass sie die Freiheit, überall auf der Welt leben zu können, als großes Plus betrachteten. Insbesondere für Mitarbeiter, deren Partner ebenfalls Karriere machen möchten, bedeutet dies eine große Erleichterung, da die Suche nach zwei geeigneten Jobs an einem Ort entfällt. Eine Patentprüferin sagte mir: "Ich bin mit einem Militärangehörigen verheiratet. Dies bringt häufige Umzüge und einschneidende persönliche Veränderungen mit sich. Viele Ehepartner haben in dieser Situation Schwierigkeiten, langfristig eine eigene Karriere aufzubauen. Das mobile Arbeiten ist das sinnvollste Arbeitskonzept, das mir bislang begegnet ist." Einige Studienteilnehmer berichteten von einer verbesserten Lebensqualität. So erzählte mir ein weiterer Mitarbeiter des USPTO: "Durch mein mobiles Arbeitsmodell können meine Kinder regelmäßig ihre Großeltern sehen und mit ihren Cousins spielen. Durch diese Nähe zu meiner Familie bin ich insgesamt zufriedener." Andere führten an, sie könnten nun näher an medizinischen Einrichtungen für ihre Kinder leben, ihrem Partner mehr entgegenkommen oder sich an wärmerem Wetter, schöneren Landschaften oder einem größeren Freizeitangebot erfreuen. Besonders Millennials schienen von der Idee fasziniert zu sein, dass sie durch das mobile Arbeiten als "digitale Nomaden" leben können, die trotz und während ihrer Berufstätigkeit die Welt bereisen.

Bereits vor der Pandemie hatten es sich einige Unternehmen wie der Reiseanbieter Remote Year zum Ziel gesetzt, diesen Lebensstil zu fördern. Inzwischen haben mehrere Länder wie Estland und Barbados eine neue Kategorie von Arbeitsvisa für solche mobilen Arbeitnehmer eingeführt. Einer der Patentprüfer erzählte hierzu: "Die [Mobilarbeit] wirkt sich sehr stark auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben aus. Ich lebe in meiner Lieblingsregion ... Ich habe mehr Zeit zum Entspannen."

Ein weiteres Thema, das häufig genannt wurde, waren die Lebenshaltungskosten. Da das USPTO die Gehälter nicht an den Wohnort der Mitarbeiter anpasst, berichtete mir ein Patentprüfer: "An meinem neuen Wohnort konnte ich ein großes Haus kaufen, das nur etwa ein Viertel dessen gekostet hat, was ich im Norden von Virginia dafür hätte ausgeben müssen." Einige Orte wie der Bundesstaat Vermont und die Stadt Tulsa im Bundesstaat Oklahoma (Sitz von Tulsa Remote) haben gemeinsame Anstrengungen unternommen, um mobile Arbeitnehmer anzulocken. Dazu werben sie mit der örtlichen Gemeinschaft und den geringeren Kosten. So beträgt die Durchschnittsmiete für eine Zweizimmerwohnung in San Francisco stolze 4128 Dollar im Monat – in Tulsa hingegen nur 675 Dollar.

Durch die Mobilität lösen Wissensarbeiter zudem andere Probleme, die bei der Suche nach einem guten Arbeitsplatz auftreten können, beispielsweise im Zusammenhang mit der Einwanderung. William Kerr, Susie Ma und ich haben kürzlich den Anbieter Mobsquad untersucht, der Coworkingspaces in Halifax, Calgary und anderen kanadischen Städten betreibt. Diese Büroflächen erlauben es qualifizierten Wissensarbeitern, das lästige US-Visa- und Greencard-System zu umgehen und stattdessen im Rahmen des kanadischen Einwanderungsprogramms "Global Talent Stream" im Schnellverfahren eine Arbeitserlaubnis für Kanada zu erhalten. Auf diese Weise können sie weiterhin für Unternehmen und Kunden in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern arbeiten, während sie in Kanada leben und Steuern zahlen.

Einer der Ingenieure, mit denen wir gesprochen haben, war in die Vereinigten Staaten gezogen, nachdem er in seinem Heimatland im Alter von 12 Jahren die weiterführende Schule abgeschlossen hatte. Mit 16 schrieb er sich an einer amerikanischen Universität ein, wo er innerhalb von drei Jahren Abschlüsse in Mathematik, Physik und Informatik erwarb. Mit 19 Jahren wurde er im Rahmen des freiwilligen praktischen Jahres (Optional Practical Training) von einem Medizintechnikunternehmen angestellt. Allerdings erhielt er anschließend nicht das notwendige H-1B-Visum und musste mit seiner Abschiebung rechnen. Mobsquad verlegte ihn nach Calgary, von wo aus er weiter für seinen Arbeitgeber tätig sein konnte.

Aus Gesprächen mit weiblichen Angestellten von BRAC, einer der größten nicht staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen der Welt mit Hauptsitz in Bangladesch, erfuhr ich, dass Frauen, deren Kulturen das Reisen an entfernte Orte oder das Delegieren von Hausarbeit missbilligen, karrieretechnisch von mobilen Arbeitsmodellen profitieren. Eine Interviewpartnerin erklärte mir: "Früher musste ich morgens sehr zeitig aufstehen und für meine generationenübergreifende Familie drei Mahlzeiten vorkochen. Durch die Mobilarbeit kann ich die Hausarbeit über den Tag verteilen, ich bekomme mehr Schlaf und bin produktiver."

Bei meinen Recherchen entdeckte ich zahlreiche Vorteile für Unternehmen und Organisationen. Zum Beispiel erhöht mobiles Arbeiten das Engagement der Beschäftigten– eine wichtige Erfolgskennzahl für jedes Unternehmen. 2013, ein Jahr nach Umsetzung des mobilen Arbeitskonzepts, führte das USPTO bei einer Umfrage der US-Bundesregierung die Liste der besten Arbeitgeber an.

Arbeitnehmer sind darüber hinaus nicht nur glücklicher, sondern auch produktiver. Als Cirrus Foroughi, Barbara Larson und ich die Umstellung von Homeoffice auf mobiles Arbeiten beim USPTO analysierten, stellten wir fest, dass sich die individuelle Produktivität der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen um 4,4 Prozent erhöht hatte. Dies ließ sich anhand der Zahl von Patenten, die sie jeden Monat prüften, gut nachvollziehen. Die Umstellung führte auch dazu, dass sich die Prüfer größere Mühe gaben. Natürlich sind weitere Untersuchungen nötig, um festzustellen, ob auch andere Unternehmen in ähnlicher Weise von Konzepten zum mobilen Arbeiten profitieren würden.

Einige Vorteile der Mobilarbeit sind offensichtlicher als andere. Weniger Mitarbeiter im Büro bedeuten einen geringeren Platzbedarf und niedrigere Immobilienkosten. Das USPTO schätzt, dass es so im Jahr 2015 Kosten in Höhe von 38,2 Millionen Dollar einsparen konnte. Durch mobile Arbeitskonzepte vergrößert sich zudem das potenzielle Angebot an Talenten, da auch Arbeitnehmer in Betracht kommen, die weiter entfernt leben. Dies ist einer der Hauptgründe dafür, warum TCS sogenannte sichere, grenzunabhängige Arbeitsbereiche (Secure Borderless Workspaces, SBWs) eingeführt hat: So will das Unternehmen sicherstellen, dass bei jedem Projekt die Mitarbeiter mit den passendsten Fähigkeiten eingesetzt werden – unabhängig davon, wo sie sich befinden. Der CEO des Unternehmens, Rajesh Gopinathan, bezeichnet dieses Modell als "Talente in der Cloud". Eine weitere Führungskraft erzählte uns, dass TCS durch das Modell potenziell in der Lage sein wird, Nischenarbeitsmärkte wie Osteuropa zu erschließen. Diese verfügen aktuell über ein großes Angebot an qualifizierten Finanzanalysten und Datenwissenschaftlern. Zudem kann mobiles Arbeiten auch die Fluktuation innerhalb eines Unternehmens verringern. Einige Mitarbeiter des USPTO erklärten, dass ihre Motivation, härter zu arbeiten und länger beim Unternehmen zu bleiben, nun höher sei, weil sie sich an ihrem bevorzugten Standort sehr wohl fühlten, sich gleichzeitig aber des begrenzten Jobangebots vor Ort bewusst seien. Auch die Führungskräfte von Gitab nannten Mitarbeiterbindung als ein positives Ergebnis der Entscheidung, das Unternehmen in ein reines Fernarbeitsunternehmen umzuwandeln. Ihrer Meinung nach beläuft sich der Nettovorteil, einschließlich der Produktivitätssteigerungen und Einsparungen bei den Immobilienkosten, auf 18.000 Dollar pro Jahr – je Mitarbeiter.

Schwellenländer, Kleinstädte und ländliche Gebiete leiden allzu oft unter der Abwanderung von Fachkräften. Unternehmen, die mobil arbeiten, könnten diesen Trend umkehren. So wurde Tulsa Remote gegründet, um möglichst unterschiedliche, motivierte und gemeinschaftsorientierte Neuankömmlinge in eine Stadt zu locken, die sich noch immer von den historischen Rassenunruhen vor einem Jahrhundert erholt. Mit dem Versprechen einer Prämie von 10.000 Dollar für die Umsiedlung nach Tulsa erhielt das Unternehmen zwischen 2019 und 2020 mehr als 10.000 Bewerbungen auf gerade einmal 250 Stellen. Obum Ukabam war einer der erfolgreichen Bewerber. Neben seiner neuen Arbeit als Marketingmanager bleibt ihm genug Zeit für die Tätigkeit als Mentor und Coach eines örtlichen Highschooldebattierteams. Die talentierten Neuankömmlinge unterschiedlicher ethnischer Herkunft tragen dazu bei, die Stadt multikultureller zu machen. Parallel dazu haben beispielsweise die Umstellungen beim USPTO und bei TCS bewirkt, dass viele Menschen in ihre Heimatstädte zurückgekehrt sind.

Und von der Mobilarbeit profitiert auch die Umwelt. Im Jahr 2018 pendelten US-Amerikaner im Durchschnitt pro Strecke 27,1 Minuten – insgesamt also etwa 4,5 Stunden pro Woche. Der Wegfall solcher Pendelstrecken – vor allem dort, wo die meisten Menschen mit dem Auto zur Arbeit fahren – führt zu einer erheblichen Verringerung der CO2-Emissionen. Das USPTO schätzt, dass seine mobilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jahr 2015 durch den Wegfall der Arbeitswege etwa 84 Millionen Kilometer weniger gefahren sind. Das entspricht einer Einsparung von mehr als 44.000 Tonnen Kohlendioxid.

Büros – mit Besprechungs- und Pausenräumen sowie der Möglichkeit, sich formell und informell auszutauschen – gehören schon sehr lange fest zu unserer Arbeitswelt. Es ist schwer vorstellbar, wie eine Arbeitswelt ohne sie aussehen würde. Und es gibt legitime Hürden auf dem Weg zu einem rein mobilen Arbeitskonzept, das nicht nur umsetzbar, sondern auch erfolgreich ist. Das durch Corona notwendig gewordene Experiment des rein mobilen Arbeitens hat jedoch vielen Wissensunternehmen und ihren Mitarbeitern gezeigt, dass diese Hürden überwindbar sind, wenn man ihnen nur Zeit und Aufmerksamkeit schenkt. Entsprechend konnte ich in den Unternehmen, die ich untersucht habe, mehrere Beispiele für Best Practices beobachten.

Wenn Mitarbeiter geografisch voneinander getrennt arbeiten, wird die synchrone Kommunikation schwieriger. Programme wie Zoom, Skype, Microsoft Teams und Google Hangouts können für diejenigen, die in derselben oder einer ähnlichen Zeitzone arbeiten, hilfreich sein – nicht aber für diejenigen, die weiter entfernt voneinander leben. Im Rahmen meiner Studie mit Jasmina Chauvin und Tommy Pan Fang konnte ich bei einem großen globalen Unternehmen beobachten, dass das Kommunikationsvolumen – vor allem bei den Produktionsmitarbeitern – um 9,2 Prozent zurückging, wenn sich die Überschneidung der jeweiligen Bürozeiten aufgrund der Umstellung auf Sommer- oder Winterzeit um ein oder zwei Stunden verringerte. War die zeitliche Überschneidung größer, führten die Mitarbeiter der Abteilung Forschung und Entwicklung öfter ungeplante, synchrone Telefonate. Die Planung von Teammeetings ist ein noch schwierigeres Unterfangen. Nadia Vatalidis von der Abteilung People Operations bei Gitlab erzählte, dass es fast unmöglich war, einen gemeinsamen Termin für eine wöchentliche Telefonkonferenz zu finden, weil die Teammitglieder in Manila, Nairobi, Johannesburg, Raleigh und Boulder saßen.

Unternehmen mit mobilen Arbeitsmodellen müssen sich daher mit asynchronen Kommunikationsformen vertraut machen, sei es über eine Plattform wie Slack, ein maßgeschneidertes firmeninternes Portal oder sogar ein gemeinsam genutztes Google-Dokument, in das geografisch verstreute Teammitglieder ihre Fragen und Kommentare hineinschreiben. Dieser Ansatz setzt voraus, dass Sie darauf vertrauen können, dass andere Teammitglieder in anderen Zeitzonen bei der ersten Gelegenheit antworten. Wenn das gegeben ist, haben solche Tools den Vorteil, dass Mitarbeiter eher bereit sind, frühzeitig ihre Ideen, Pläne und Dokumente zu teilen, und sich über zeitnahes Feedback freuen. Der Druck, ein bereits makelloses Arbeitsergebnis zu präsentieren, ist geringer als bei formelleren, synchronen Teamsitzungen.

Gitlab bezeichnet diesen Prozess als "Problemlösung ohne Schuldzuweisung". Die Unternehmensleitung ist sich bewusst, dass Mitarbeiter, die an eine Arbeitskultur mit E-Mails, Telefongesprächen und Besprechungen gewöhnt sind, Schwierigkeiten haben könnten, ihre alten Gewohnheiten abzulegen. Dieses Problem löst das Unternehmen durch Schulungen während der Einarbeitungsphase und darüber hinaus.

Das Telearbeitsunternehmen Zapier stellt im Rahmen seiner Initiative "Zap Pal" jedem neuen Mitarbeiter eine erfahrene Patin an die Seite. Diese führt mit dem neuen Kollegen mindestens einen Zoom-Call als Einführung und meldet sich während des ersten Monats regelmäßig. Für das synchrone Brainstorming setzt das Unternehmen auf Videoanrufe und Onlinewhiteboards wie Miro, Stormboard, Ipevo Annotator, Limnu und Mural. Die Mitarbeiter sind aber auch aufgefordert, die sogenannten Channels der Kommunikationsplattform Slack als asynchrones Mittel zur Problemlösung zu nutzen.

Kollegen, die geografisch getrennt voneinander arbeiten, können nicht kurz beim anderen anklopfen, um Fragen zu stellen oder sich Hilfe zu holen. Die Forschungen von Robin Cowan, Paul David und Dominique Foray haben gezeigt, dass ein großer Teil des Wissens am Arbeitsplatz nicht aufgeschrieben wird (selbst wenn es aufgeschrieben werden kann) und stattdessen "in den Köpfen" gespeichert wird. Dies ist ein Problem für alle Unternehmen – ganz besonders aber für die, die mobil aufgestellt sind. Einige der Unternehmen, die ich untersucht habe, lösen dieses Problem durch eine transparente und leicht zugängliche Dokumentation.

Bei Gitlab haben alle Teammitglieder Zugang zu einem "Arbeitshandbuch", von einigen Mitarbeitern bezeichnet als "der zentrale Ablageort für alles Wissen darüber, wie wir das Unternehmen führen". Es besteht derzeit aus 5000 durchsuchbaren Seiten. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden dazu ermutigt, es zu ergänzen; sie werden darin geschult, eine neue Themenseite zu erstellen, eine bestehende Seite zu bearbeiten, ein Video einzubetten und so weiter. Vor Meetings erstellen die Organisatoren Tagesordnungen, die auf entsprechende Abschnitte verlinken, damit die Teilnehmer Hintergrundinformationen lesen und Fragen stellen können. Anschließend werden die Aufzeichnungen der Meetings auf dem Youtube-Kanal von Gitlab veröffentlicht, die Tagesordnungen bearbeitet und das Handbuch aktualisiert, um alle getroffenen Entscheidungen widerzuspiegeln.

Manche Mitarbeiter sehen in einem solchen zusätzlichen Dokumentationsaufwand vielleicht eine "Strapaze"; das extrem hohe Maß an Transparenz, das für das Gedeihen eines Unternehmens, dessen Teams mobil arbeiten, erforderlich ist, könnte auf sie abschreckend wirken. Thorsten Grohsjean und ich haben in der Vergangenheit argumentiert, dass ranghohe Führungskräfte daher mit gutem Beispiel vorangehen müssen, indem sie Wissen kodifizieren (also systematisch zusammenfassen), Informationen frei austauschen und gleichzeitig erklären, dass dies notwendige Kompromisse sind, um die geografische Flexibilität zu ermöglichen.

Eine ähnliche Idee sieht vor, Transkripte zu erstellen, Folien öffentlich zu posten und Videoseminare, Präsentationen und Meetings aufzuzeichnen. Auf diese Weise kann ein Wissensdepot angelegt werden, das Einzelpersonen nach Belieben asynchron ansehen können. Der US-amerikanische Fachverband Academy of Management (AOM) war aufgrund der Pandemie gezwungen, seine Jahreshauptversammlung 2020 virtuell abzuhalten. Hierzu kuratierte AOM insgesamt 1120 vorab aufgezeichnete Sessions. Der aus dieser Maßnahme resultierende Wissenstransfer zu Wissenschaftlern und Gelehrten – insbesondere in Schwellenländern – war letztendlich deutlich größer, als er es bei einer Veranstaltung vor Ort, typischerweise in Nordamerika, gewesen wäre.

Eine weitere große Sorge, die sowohl von Führungskräften als auch von Beschäftigten geäußert wird, bereitet die Gefahr, dass sich Mitarbeiter sozial und beruflich isoliert fühlen könnten – abgeschottet von ihren Kolleginnen und dem Unternehmen selbst. Diese Gefahr wird für Unternehmen gesehen, in denen ein Teil der Mitarbeiter an einem gemeinsamen Standort arbeitet und ein anderer Teil nicht. Untersuchungen von Cecily D. Cooper und Nancy B. Kurland haben gezeigt, dass sich mobile Mitarbeiter oft von dem büroüblichen Informationsfluss abgeschnitten fühlen. Ohne die Möglichkeit zu kurzen persönlichen Nachfragen könnten Vorgesetzte zudem Anzeichen für einen drohenden Burn-out oder ein dysfunktionales Team übersehen.

Auch wenn es Videokonferenzen gibt, bei denen immerhin Körpersprache und Gesichtsausdrücke sichtbar sind, wird befürchtet, dass virtuelle Kollegen weniger enge Freundschaften eingehen, da sie sich seltener von Angesicht zu Angesicht treffen. Priyanka Sharma arbeitet als Technology Evangelist bei Gitlab, ihre Aufgabe ist es also, andere für neue Technologien zu begeistern. Sie erzählte mir: "Ich war im Büro immer sehr gesellig. Daher war ich sehr nervös, als ich zum ersten Mal in Erwägung gezogen habe, mobil zu arbeiten. Ich machte mir Sorgen, dass ich mich zu Hause sehr einsam fühlen und mir dieses Gefühl von Gemeinschaft fehlen würde." Houda Elyazgi, Führungskraft im Marketingteam von Tulsa Remote, äußerte sich ähnlich: "Die Telearbeit kann einem Menschen das Gefühl geben, stark isoliert zu sein, besonders wenn dieser Mensch introvertiert ist. Soziale Kontakte müssen eigentlich immer absichtlich herbeigeführt werden. Und dann muss man die ganze Zeit ,online' sein, selbst wenn man entspannen möchte. Das ist anstrengend."

Im Rahmen meiner Forschung habe ich eine Reihe von Richtlinien analysiert, die entworfen wurden, um solche Probleme anzugehen und die Kontaktpflege sowie die Verbreitung der Unternehmensnormen zu erleichtern. Viele Unternehmen mit mobilen Arbeitsmodellen nutzen moderne Technologien, um virtuelle Kaffeeküchen und "geplant-zufällige Begegnungen" zu ermöglichen. Dabei organisiert ein Verantwortlicher, dass Gruppen von Mitarbeitern online chatten. Einige nutzen KI- und Virtual-Reality-Tools, um Kollegen an verschiedenen Orten wöchentlich zu Chats zusammenzubringen. Das Technologie-Start-up Sike Insights verwendet beispielsweise Daten über individuelle Kommunikationsstile sowie KI, um mithilfe von Chatbots auf der Kommunikationsplattform Slack sogenannte Slackbot Buddies, also virtuelle Freunde, zusammenzubringen. Ein anderes Unternehmen, über das ich aktuell forsche, ist der Immobilienvermittler Exp Realty. Er erzeugt mithilfe der Virtual-Reality-Plattform Virbela einen Ort, an dem sich geografisch vertreute Teammitglieder als Avatare treffen können.

Sid Sijbrandij, Mitbegründer und CEO von Gitlab, erzählte mir: "Pixar hat seine Toilettenräume zentral platziert, damit sich die Mitarbeiter öfter begegnen – aber warum soll man sich auf solche Zufälle verlassen? Warum nicht gleich einen Schritt weitergehen und die informelle Kommunikation tatsächlich organisieren?" An den daraus entstehenden Get-togethers nehmen oft leitende Angestellte und Topführungskräfte teil. Als ich sie meiner Kollegin an der Harvard Business School, Christina Wallace, beschrieb, gab sie ihnen einen schönen Namen: "Community Collisions" – übersetzt in etwa "gemeinschaftliche Zusammenstöße". Solche Zusammentreffen haben Unternehmen schon immer "einfädeln" müssen: Studien, die bis zu Thomas J. Allens Arbeit am MIT in den 70er Jahren zurückreichen, belegen: Die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitnehmer, die sich auf demselben Campus befinden, zufällig aufeinandertreffen, ist gering, wenn sie durch eine Wand, ein Stockwerk oder ein Gebäude voneinander getrennt sind.

In Bezug auf die Interaktion zwischen Menschen auf verschiedenen hierarchischen Stufen hat meine Forschung zwei Probleme mit einfachen Lösungen aufgezeigt. Iavor Bojinov, Ashesh Rambachan und ich stellten fest, dass die hochrangigen Führungskräfte eines globalen Unternehmens oft in solchem Maße beansprucht waren, dass sie ihren virtuellen Arbeitnehmern kein Einzelmentoring anbieten konnten. Deshalb haben wir ein Frage-Antwort-System eingeführt, bei dem die Arbeitnehmer im Rahmen einer Umfrage ihre Fragen stellten und die Führungskräfte ihnen asynchron antworteten. Leitende Angestellte eines anderen globalen Unternehmens sagten mir, dass sie Schwierigkeiten hätten, sich vor der Kamera wie sie selbst zu fühlen. Während junge Kollegen "ihr Leben auf Instagram lebten", fiel es ihren älteren Kollegen schwerer, sich virtuell einzubringen. Dieses Unternehmen führte daraufhin Coachingsitzungen ein, damit sich diese Führungskräfte bei Meetings in Microsoft Teams wohler fühlten.

Eine andere Lösung, um für mehr Kontakt zu sorgen, sind, "zeitlich befristete Standortveranstaltungen", bei denen alle Mitarbeiter dazu eingeladen werden, einige Tage persönlich mit ihren Kollegen zu verbringen. Vor Corona veranstaltete Zapier solche Treffen zweimal im Jahr. Das Unternehmen bezahlte Flüge, Unterkunft und Verpflegung der Mitarbeiter, teilte den Teams ein bestimmtes Budget für gemeinsame Aktivitäten zu und übergab allen Teilnehmern zudem noch 50 Dollar, damit sie ihren daheimgebliebenen Lieben ein kleines Präsent als Dankeschön kaufen konnten.

Carly Moulton, die leitende Kommunikationsspezialistin des Unternehmens, erzählte mir: "Ich persönlich habe mich mit vielen der Menschen angefreundet, mit denen ich gemeinsam zum und vom Flughafen reise. Die Veranstalter teilen uns je nach Ankunfts- und Abflugzeit in zufällige Gruppen ein. Ich war bislang immer mit Leuten in einer Gruppe, mit denen ich normalerweise nicht arbeite – da ist es schön, wenn eine bestimmte Zeitspanne dafür vorgesehen ist, dass man sich miteinander unterhält." Schließlich habe ich beim USPTO eine weitere Möglichkeit kennengelernt, die Kollegialität zu fördern: Mehrere mobil arbeitende Patentprüfer haben freiwillig "Telearbeitsgemeinschaften" gegründet, sodass sich eine Handvoll von ihnen in regelmäßigen Abständen treffen kann.

Eine in North Carolina lebende Gruppe beschloss zum Beispiel, Treffen auf einem Golfplatz abzuhalten, um Kontakte zu knüpfen, über die Arbeit zu sprechen und Probleme gemeinsam zu lösen. Ein anderer Manager führte eine "virtuelle Mahlzeit" ein, bei der er jedem mobil arbeitenden Teammitglied jede Woche zur selben Zeit eine Pizza nach Hause liefern ließ, die dann bei einer gemeinsamen Videokonferenz verspeist wurde.

Wie kann eine Führungskraft Mitarbeiter, die sie nie persönlich trifft, einschätzen und bewerten, insbesondere in Bezug auf wichtige Softskills wie zwischenmenschliche Fähigkeiten? Unternehmen, die ausschließlich mobil arbeitende Mitarbeiter beschäftigen, bewerten diese anhand der Qualität ihrer Arbeitsergebnisse, der Qualität der virtuellen Interaktionen und des Feedback von Kunden und Kollegen. Zapier verwendet für Auskünfte seines Kundendienstes beispielsweise die Helpdesk-Software Help Scout; ein Merkmal der Software ist, dass Kunden anschließend mitteilen können, wie zufrieden sie mit der erhaltenen Auskunft waren, und diese mit "sehr gut", "in Ordnung" oder "nicht gut" bewerten können.

Im Frühjahr und Sommer 2020, als viele Teams plötzlich zur virtuellen Arbeit übergehen mussten, wurde ich gefragt, ob Führungskräfte Software verwenden sollten, um die Produktivität ihrer Arbeitnehmer nachzuvollziehen und herauszufinden, ob jemand faulenzt. Ich bin absolut kein Freund dieses Ansatzes, der sehr an die Dystopie des George Orwell erinnert. In seinem Konzept für die Mobilarbeit hat sich das USPTO nach einer Überprüfung durch das Amt des Generalinspekteurs des US-Handelsministeriums mit dessen Vorwürfen von "Prüferbetrug" und "Anwesenheitsmissbrauch" befasst. Diese Vorwürfe bezogen sich entweder auf überhöhte Angaben zu geleisteten Arbeitsstunden oder auf Unregelmäßigkeiten in den Zeitprotokollen über abgeschlossene Arbeiten, zum Beispiel durch "Backloading", also das Verschieben von Aufträgen am Ende eines Quartals. Weder das eine noch das andere hatte Einfluss auf die Metrik, anhand deren die Leistung gemessen wurde: die Anzahl der geprüften Patente. Nichtsdestotrotz mussten von da an alle mobilen Mitarbeiter des USPTO bestimmte IT-Werkzeuge des Unternehmens nutzen. Dazu gehörte beispielsweise das Einloggen in ein virtuelles privates Netzwerk (VPN), das Einschalten einer Anwesenheitsanzeige sowie die Nutzung einheitlicher Messagingdienste. Als wir jedoch die Daten aus der Zeit vor und nach dieser Intervention verglichen, stellten wir fest, dass diese Maßnahmen keinen Einfluss auf die durchschnittliche Leistungserbringung hatten.

Die Frage, wie die Vergütung von mobilen Arbeitnehmern erfolgen soll, ist eine aktive Debatte. Wie bereits erwähnt, ist es von Vorteil, an einem Ort mit niedrigeren Lebenshaltungskosten zu wohnen, während man weiterhin das verdient, was man an einem teureren Ort bekommen würde. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass das Unternehmen es so handhabt wie das USPTO und die Löhne nicht an den Wohnort anpasst. Automattic, die Muttergesellschaft von Wordpress, ist ein weiteres, rein mobil aufgestelltes Unternehmen. Dessen Gründer, Matt Mullenweg, erzählte mir, dass sein Unternehmen den Ansatz verfolge, unabhängig vom Standort die gleichen Löhne für die gleichen Aufgaben zu zahlen. Gitlab und andere Unternehmen zahlen jedoch unterschiedliche Löhne für unterschiedliche Standorte, wobei die Erfahrung des Arbeitnehmers, die Art des Arbeitsvertrags sowie die ausgeführten Aufgaben berücksich-tigt werden.

Es muss noch näher untersucht werden, welcher dieser Ansätze optimal ist. Dennoch lässt sich jetzt schon sagen, dass Unternehmen, die ihre Löhne vom Standort abhängig machen, Gefahr laufen, hoch qualifizierte mobile Mitarbeiter an Konkurrenten zu verlieren, die eine andere Strategie verfolgen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage, in welcher Währung mobile Mitarbeiterinnen ihren Lohn erhalten sollten: in der Währung des Landes, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, oder in der lokalen Währung, um angesichts schwankender Wechselkurse langfristig an allen Standorten einheitliche Löhne zu gewährleisten.

Mehrere Führungskräfte sagten mir, dass die Cybersicherheit einen Schwerpunkt für mobile Arbeitsmodelle und Unternehmen darstelle. "Was würde passieren, wenn der mobile Mitarbeiter die Kundendaten auf seinem Bildschirm abfotografieren und an einen Konkurrenten schicken würde?", fragte einer von ihnen. Die CIOs einiger Unternehmen mit Richtlinien für die Telearbeit nannten als weiteres zentrales Anliegen die Verwendung privater, schlecht geschützter Geräte durch Mitarbeiter im Homeoffice.

Mobil aufgestellte Unternehmen müssen tatsächlich mehr leisten, um Mitarbeiter-, Unternehmens- und Kundendaten zu schützen. Mit der Umstellung auf ein überwiegend mobiles Arbeitsmodell ist etwa das Unternehmen TCS von der "Perimetersicherung", bei der das IT-Team versucht, jedes einzelne Gerät zu schützen, zur "transaktionsbasierten Sicherung" übergegangen. Dabei analysieren Algorithmen des maschinellen Lernens alle ungewöhnlichen Aktivitäten auf Mitarbeiterendgeräten. Mobsquad, der kanadische Anbieter, der es US-amerikanischen Unternehmen ermöglicht, Mitarbeiter ohne Visum weiterzubeschäftigen, hat die Infrastruktur seiner Client Security, also der Lösungen zum Schutz von Endgeräten, für die mobilen Arbeiter nachgebaut. Die Mitarbeiter nutzen somit die Cloud, E-Mail und Hardware der Kunden, arbeiten aus Sicherheitsgründen jedoch in den Büroräumen von Mobsquad.

Die von mir untersuchten Unternehmen, die überwiegend oder vollständig mobil aufgestellt sind, experimentieren alle mit einer breiten Palette von Lösungen zum Schutz von Kundendaten und nutzen dazu Predictive Analytics, Datenvisualisierung und Computervision.

Der Übergang eines Unternehmens zu einem überwiegend oder vollständig mobilen Arbeitsmodell erfordert in manchen Fällen auch die Auseinandersetzung mit regulatorischen Hürden. Zu Beginn der Pandemie, als TCS gezwungen war, vollständig mit mobilen Modellen zu arbeiten, musste das Unternehmen mit der NASSCOM (India's National Association of Software and Service Companies) und den indischen Behörden zusammenarbeiten, um quasi über Nacht die Gesetze so zu ändern, dass Callcentermitarbeiter von zu Hause aus arbeiten durften. Andere Gesetze mussten so angepasst werden, dass die TCS-Mitarbeiterinnen ihre Laptops und andere Geräte, die sie für ihre Arbeit brauchen, aus den Büros in den indischen "Sonderwirtschaftszonen" mitnehmen konnten.

Irfhan Rawji, der Gründer und CEO von Mobsquad, musste eng mit der kanadischen Regierung kooperieren, um sicherzustellen, dass die Wirtschaftsmigranten, die von dem Unternehmen für den Umzug nach Kanada ausgewählt worden waren, ihre Arbeitserlaubnis für das Land im Schnellverfahren erhielten und in das Modell integriert werden konnten.

Jedes Unternehmen, das vollständig mobil aufgestellt ist und darüber nachdenkt, Mitarbeiter weltweit einzustellen, muss die örtlichen Arbeitsgesetze in Bezug auf Einstellung, Vergütung, Rente, Urlaubs- und Krankheitstage berücksichtigen.

Für einige Organisationen wie Produktionsunternehmen ist ein mobiles Arbeitsmodell derzeit natürlich nicht umsetzbar – obwohl sich das mit weiteren Fortschritten im Bereich des 3-D-Drucks, der Automatisierung, digitaler Zwillinge und anderer Technologien ändern könnte. Mit der richtigen Strategie, den richtigen organisatorischen Abläufen und Technologien, und – allem voran – der richtigen Führung könnten jedoch viel mehr Unternehmen, Teams und Funktionen, als man annehmen würde, zu einem überwiegend oder vollständig mobilen Modell übergehen.

Meine laufenden Forschungen mit Jan Bena und David Rowat legen zum Beispiel nahe, dass neu gegründete Wissensunternehmen, insbesondere in der Technologiebranche, gut aufgestellt sind, um von Anfang an ein mobiles Arbeitskonzept umzusetzen. Betrachten wir beispielsweise das rein nach mobilen Modellen arbeitende Unternehmen Exp Realty aus der Immobilienbranche: Wir fanden heraus, dass geringere Immobilien-, Energie- und andere Fixkosten dazu führen könnten, dass das Start-up höher bewertet wird, wenn sich die Gründer zum Exit entschließen sollten.

Meine Studien über das USPTO und TCS deuten darauf hin, dass auch große und gestandene Unternehmen erfolgreich zu einem teilweise oder überwiegend mobilen Arbeitsmodell übergehen können. Hier stellt sich nicht die Frage, ob es möglich ist, von jedem Ort aus mobil zu arbeiten, sondern was nötig ist, damit es möglich wird.

Die kurze Antwort auf diese Frage lautet: Führung. "Wenn alle leitenden Führungskräfte im Büro arbeiten, dann zieht es auch die Arbeitnehmer an diesen Ort, damit persönliche Interaktionen möglich sind", sagte mir ein mobiler Mitarbeiter in einer mittleren Führungsposition. Wenn die Führungskräfte hingegen mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie selbst zu mobilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden – dann könnten sich rein mobil arbeitende Unternehmen tatsächlich als das Arbeitsmodell der Zukunft entpuppen.  © HBP 2021

Wir unterscheiden hier bewusst zwischen "Homeoffice" und "mobilem Arbeiten", da es in Deutschland rechtliche Unterschiede zwischen beiden Arbeitsformen gibt.

Der Autor

Prithwiraj (Raj) Choudhury ist Außerordentlicher Professor für Betriebswirtschaft an der Harvard Business School. Seine Forschung konzentriert sich auf die Arbeit der Zukunft – und insbesondere darauf, wie sich mobile Arbeitskonzepte auf deren Geografie auswirken.

Kompakt

Der Wandel Die Lockdown-Phasen während der Corona-Pandemie haben bewiesen, dass es nicht nur möglich, sondern vielleicht sogar von Vorteil ist, wenn Wissensarbeiter mobil arbeiten. Erleben wir nun den Wandel hin zu einem langfristigen, rein mobilen Arbeitsmodell?

Die ProblemeStudien belegen, dass die Arbeit im Homeoffice sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber zahlreiche Vorteile bietet. Dazu zählen unter anderem eine gesteigerte Produktivität und größeres Engagement. Arbeiten fast alle Mitarbeiter mobil, ergeben sich allerdings auch Herausforderungen für die Kommunikation, den Wissensaustausch, die Sozialisation, Leistungsbewertung, Datensicherheit und mehr.

Die LösungImmer mehr Unternehmen entwickeln Richtlinien für die Mobilarbeit – somit entstehen auch Beispiele für Best Practices. Die Erfahrungen von Gitlab, Tata Consultancy Services, Zapier und anderen Unternehmen zeigen, wie die Risiken, die mit diesem Arbeitsmodell einhergehen, bewältigt werden können.

Die Geschichte des Homeoffice

Der Grundstein für die Umstellung vom traditionellen Arbeitsmodell mit einem gemeinsamen Arbeitsort hin zum Homeoffice-Modell wurde bereits in den 70er Jahren gelegt. Damals gab es politische Initiativen zur Einführung der Telearbeit, nachdem das Ölembargo 1973 zu einem starken Anstieg der Benzinpreise geführt hatte. Pendeln wurde dadurch deutlich teurer.

Die Initiativen erlaubten es Angestellten, nicht mehr in ihren Büroräumen anwesend sein zu müssen, sondern ihre Wohnung, Coworkingspaces oder andere Gemeinschaftsbereiche wie Cafés oder öffentliche Bibliotheken zum Arbeiten zu nutzen – ob an einzelnen Tagen, regelmäßig auf Teilzeitbasis oder in Vollzeit. Voraussetzung war jedoch, dass sie ihr Büro in regelmäßigen Abständen aufsuchten.

Die flexible Zeiteinteilung ermöglichte es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ihre Kinder von der Schule abzuholen, Besorgungen zu machen oder mittags Sport zu treiben, ohne dass man ihnen vorwerfen konnte, sich vor der Arbeit zu drücken. Sie hatten tagsüber mehr Zeit zur Verfügung, da sie weniger pendeln mussten, und nahmen laut Studien weniger Krankheitstage in Anspruch.

Technische Neuerungen wie PCs, Internet, E-Mail, Breitbandanschlüsse, Laptops, Mobiltelefone, Cloud- Computing und Videotelefonie verbreiteten das Konzept des Homeoffice dann Anfang des 21. Jahrhunderts in vielen Branchen.

Dieser Beitrag erschien in der Februar-Ausgabe 2021 des Harvard Business managers.

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