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Das ethische Unternehmen

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Trotz aller Complianceprogramme kommt es immer wieder zu Skandalen in der Wirtschaft. Die Forschung zeigt: Regeln und Strafen halten Mitarbeiter nicht von Verstößen ab – wohl aber eine Kultur, die ethisches Verhalten mit sozialer Anerkennung verknüpft.

Von****Nicholas Epley, Amit Kumar

Vom Dieselskandal bei Volkswagen über die irreführenden Verkaufspraktiken von Wells Fargo bis hin zu Ubers Übergriffen auf die Privatsphäre: Weltweit überschreiten Unternehmen regelmäßig die Grenzen des Erlaubten. Durch unethisches Verhalten nimmt ihr Ansehen Schaden, die Arbeitsmoral der Mitarbeiter sinkt, und es entstehen Regulierungskosten. Nicht zuletzt beeinträchtigt es das Vertrauen in die Wirtschaft allgemein. Insgesamt gesehen sind es nur wenige Manager, die sich zum eigenen Vorteil über Regeln hinwegsetzen. Und die meisten Unternehmen haben Maßnahmen ergriffen, um Vergehen auf den unterschiedlichen Ebenen zu verhindern. Die wiederholten Skandale zeigen jedoch, dass dies nicht reicht.

Maßnahmen zur Förderung ethischen Verhaltens beruhen häufig auf falschen Annahmen darüber, wie es zu Verstößen kommt. Daher sind sie nicht so wirksam, wie sie sein könnten. Complianceprogramme gehen gegen Fehlverhalten zunehmend mit juristischen Mitteln vor; sie stellen die individuelle Verantwortung in den Mittelpunkt. Also schulen Unternehmen ihre Mitarbeiter in richtigem Verhalten und bestrafen die schwarzen Schafe für ihre Vergehen.

In der Verhaltensforschung ist jedoch ausreichend belegt, dass selbst wohlmeinende und gut informierte Menschen in ihrem ethischen Handeln beeinflussbarer sind, als man gemeinhin annimmt. Wenn Menschen beispielsweise sehen, wie sich ein potenzieller Notfall anbahnt, helfen sie wesentlich eher, wenn sie allein sind. Andernfalls gehen sie davon aus, dass die anderen sich des Problems schon annehmen werden oder dass diese besser qualifiziert sind, um mit der Situation richtig umzugehen. Manchmal nehmen sie Ereignisse auch deshalb nicht als Notfall wahr, weil niemand sonst alarmiert oder besorgt zu sein scheint.

Schon kleine Veränderungen im Kontext können sich erheblich auf das Verhalten auswirken. Allerdings neigen Menschen in solchen Situationen dazu, den Einfluss des Kontexts nicht zu erkennen. Stanley Milgrams berühmte Gehorsamkeitsexperimente zeigen das eindrücklich. Dabei befahl eine Autoritätsperson Studienteilnehmern, einem anderen Menschen immer stärkere Elektroschocks zuzufügen. Die Probanden gingen bei der Schwere der Schocks weit über das hinaus, was andere Befragte zuvor von sich selbst erwartet hätten. Forscher haben gelernt: Der Kontext ist nicht nur mächtig. Er ist mächtiger als erwartet.

Wer eine ethische Kultur aufbauen will, darf ethisches Verhalten nicht einfach nur als eine Frage von Überzeugungen angehen – es handelt sich vielmehr um eine Frage der Gestaltung. Unseren Erkenntnisse zufolge gibt es dabei vier wichtige Gestaltungsmerkmale: explizite Werte, durchdachte Entscheidungen, zielführende Anreize und soziale Normen.

Strategien und Methoden sollten in klar definierten Prinzipien verankert sein, die sich innerhalb einer Organisation gut verbreiten lassen. Ein sorgfältig ausgearbeitetes Mission-Statement kann dabei helfen – vorausgesetzt, es wird richtig eingesetzt. Führungskräfte können sich darauf stützen, wenn sie neue Strategien entwickeln oder Projekte in die Wege leiten. Wenn sie sich in ihrer Kommunikation mit Mitarbeitern darauf beziehen, können sie den Stellenwert ethischen Verhaltens stärken. Es sollte für eine Belegschaft ohne Mühe erkennbar sein, wie ethische Grundsätze die Geschäftspraktiken eines Unternehmens beeinflussen. Die Mitarbeiter werden sich wahrscheinlich anders verhalten, wenn sie glauben, dass die Organisation sich vom Ethos eines Mr Rogers, des stets freundlichen US-TV-Moderators, leiten lässt, als wenn sie denken, dass sich ihr Arbeitgeber am gierigen Banker Gordon Gekko aus dem Kinofilm "Wall Street" orientiert.

Tatsächlich stellte sich bei einem Experiment heraus: 70 Prozent der Teilnehmer, die mit einem Partner zusammen ein Wirtschaftsspiel spielten, handelten zum beiderseitigen Vorteil, wenn es "Community-Spiel" hieß. War der Name "Wall-Street-Spiel", kooperierten lediglich 30 Prozent. Dieser enorme Effekt trat auf, obwohl die finanziellen Anreize identisch waren.

Ein Mission-Statement sollte einfach, kurz, umsetzbar und emotional stimmig sein. Die meisten Mission-Statements von Unternehmen jedoch sind zu lang, um sich daran zu erinnern; zu wohlfeil, um sie überhaupt zu benennen; zu offensichtlich auf die Aufsichtsbehörden zugeschnitten; oder zu weit von der täglichen Arbeit entfernt, um die Beschäftigten sinnvoll anzuleiten. Ein Mission-Statement darf nicht nur aus Worten auf Papier bestehen. Es muss für die Strategie relevant und auch für die Praxis bei Einstellungen, Entlassungen, Beförderungen und den operativen Betrieb maßgeblich sein. Nur so lassen sich ethische Prinzipien in der gesamten Organisation verankern.

Im Mission-Statement des Outdoorspezialisten Patagonia steht beispielsweise unter anderem "das beste Produkt herstellen", "keinen unnötigen Schaden anrichten" und "das Geschäft nutzen, um die Umwelt zu schützen". Die Initiative "Worn Wear" setzt diese Mission um: Die Mitarbeiter helfen Verbrauchern, Kleidung zu reparieren oder zu recyceln. Patagonia veröffentlicht auf seiner Website auch eine eigens entwickelte standardisierte Kennzahl. Sie bewertet die Auswirkungen der Lieferkette auf die Umwelt. Der Onlineschuhhändler Zappos gibt an, sein wichtigster Wert sei, den Kunden ein "WOW durch Service" zu bieten, indem er ihnen Respekt entgegenbringt und ihre Würde achtet. Das Unternehmen erhebt deshalb auch nicht, wie lange ein durchschnittliches Telefongespräch im Kundenservice dauert (obwohl dies Standard in der Branche ist). Die Mitarbeiter sollen so lange mit den Kunden sprechen können, wie es nötig ist. Mission-Statements wie diese helfen dabei, Mitarbeitern die Werte eines Unternehmens klar zu vermitteln.

Die meisten Menschen haben weniger Schwierigkeiten, sich zu merken, was richtig oder falsch ist, als bei ihren Entscheidungen ethische Erwägungen zu berücksichtigen. Fehlverhalten lässt sich daher leichter in einer Kultur eindämmen, die ethisches Handeln in den Mittelpunkt stellt. Wahrscheinlich wissen Sie, dass es nicht richtig ist, die Einstellungschancen anderer zu beeinträchtigen. Aber Sie denken vermutlich nicht an den Schaden, den Sie Ihnen unbekannten Bewerbern zufügen, wenn Sie einem Freund, Familienmitglied oder ehemaligen Mitstudenten zu einem Job in Ihrem Unternehmen verhelfen. Menschliches Verhalten wird von dem geleitet, was das Gehirn unmittelbar zuvor beschäftigt hat. Und diese Gedanken können maßgeblich durch den Kontext beeinflusst werden. Falls Sie jemand daran erinnert, dass Ihre Unterstützung für einen Freund die Chancen von Ihnen unbekannten Menschen beeinträchtigt, werden Sie es sich wahrscheinlich zweimal überlegen, ob Ihre Fürsprache angebracht ist.

Mehrere Experimente legen diesen Schluss nahe. In einem von ihnen sollten die Teilnehmer ein Formular ausfüllen, das auch einen Ehrenkodex enthielt. Stand der Kodex am Anfang – rückte er also ethisches Verhalten beim Ausfüllen des Formulars direkt in den Fokus –, machten die Teilnehmer ehrlichere Angaben, als wenn er erst am Ende kam. Ein weiteres Beispiel ist ein großes Feldexperiment mit rund 18.000 Auftragnehmern der US-Regierung. Ein zusätzliches Kästchen zum Ankreuzen, mit dem die Unternehmer ihre Ehrlichkeit bei der Steuererklärung bestätigten, brachte im Vergleich zur Formularvariante ohne dieses Kästchen ein Umsatzsteuerplus von rund 1,6 Millionen US-Dollar in einem Quartal ein. In einem anderen Experiment übernahmen MBA-Studenten die Rolle von Finanzberatern. Einige von ihnen sollten zu Beginn eine Ethik-Checkliste ausfüllen. Aus dieser Gruppe empfahlen deutlich weniger Teilnehmer Fonds, die sich später als die betrügerischen Madoff-Feeder-Fonds herausstellten. Wenn ethisches Verhalten stark im Bewusstsein verankert war, dachten die Studenten intensiver darüber nach, ob der angebotene Fonds nicht doch zu gut war, um wahr zu sein.

Ein Gegenbeispiel ist Enron. Das Unternehmen war dafür berüchtigt, sich pausenlos auf seinen Aktienkurs zu konzentrieren. Es zeigte die aktuelle Notierung sogar in seinen Fahrstühlen an. Sein ehemaliger CFO Andy Fastow gab später über seine eigenen Verfehlungen zu Protokoll: "Ich wusste, dass es falsch war ... Aber ich dachte nicht, dass es illegal war ... Die Frage, die ich mir hätte stellen sollen, war nicht: ,Wie lautet die Regel?', sondern: ,Wie lautet das Prinzip?'" Leute, die in einer ethischen Kultur arbeiten, werden routinemäßig zum Nachdenken angeregt. Dabei fragen sie eher "Ist es richtig?" als "Ist es legal?".

Es ist eine Binsenweisheit, dass Menschen das tun, wofür sie belohnt werden. Was auch bedeutet, dass die Belohnung für ethisches Verhalten eine offensichtliche Lösung für viele ethische Probleme darstellt. Das mag zunächst einfach klingen (bezahlen Sie Menschen doch einfach dafür, dass sie ethisch korrekt handeln). Aber finanzielle Anreize haben ihre Grenzen. Incentiveprogramme müssen unterschiedliche Belohnungen bieten, um ihre Wirksamkeit zu entfalten.

Neben ihrem Einkommen legen Mitarbeiter Wert darauf, etwas Sinnvolles zu tun, einen Beitrag zu leisten und für ihren Einsatz respektiert oder geschätzt zu werden. In einem Experiment stieg die Wahrscheinlichkeit, dass Krankenhausmitarbeiter die richtige Routine beim Händewaschen einhielten, wenn ein Schild über dem Waschbecken sie an die Folgen für andere erinnerte ("Händehygiene verhindert, dass Patienten mit Krankheiten angesteckt werden"). Sie war sogar höher, als wenn das Schild auf Folgen hinwies, die die Mitarbeiter persönlich betrafen. Dennoch können Führungskräfte leicht die Bedeutung von Anreizen übersehen, die nicht finanzieller Natur sind. Manager im Kundenservice eines "Fortune"-500-Unternehmens unterschätzten in einer Befragung teilweise erheblich, wie wichtig diese Art Anreize für ihre Mitarbeiter war.

Ethische Kulturen richten finanzielle Anreize nicht nur an den gewünschten Ergebnissen aus. Sie bieten auch explizit Möglichkeiten, Nutzen für andere zu stiften – und belohnen diejenigen, die dies tun, mit Anerkennung, Lob und Bestätigung. Wenn Ihre Mitarbeiter beispielsweise das Leben anderer durch ihr Handeln spürbar verbessern und Sie dies entsprechend herausstellen, wird das zu weiterem ethischen Verhalten anregen. Es kann sogar zu einer Verbesserung der Leistung führen, weil die Belohnung mit ethischer Motivation einhergeht. In einem Experiment konnten Vertriebsmitarbeiter eines großen Pharmaunternehmens einen kleinen Preis an Kollegen vergeben – einen "prosozialen Bonus" also, der anderen zugutekam. Diese Beschäftigten leisteten deutlich mehr als diejenigen, die den Bonus für sich selbst nutzen konnten.

Dieser Ansatz kann noch zusätzliche Vorteile für die Personalarbeit haben. Menschen unterschätzen häufig, wie positiv es sich auf ihr eigenes Wohlbefinden auswirkt, wenn sie auf prosoziale Weise mit anderen umgehen. Sie unterschätzen außerdem, wie positiv sich ihr Verhalten auf andere auswirkt.

Ein Feldversuch mit Piloten von Virgin Atlantic belegt dies. Die britische Fluggesellschaft wollte ihre Piloten dazu bringen, weniger Treibstoff zu verbrauchen. Deshalb entwarf sie ein Bonussystem, bei dem die Piloten den Bonus an eine Wohltätigkeitsorganisation ihrer Wahl vergeben konnten. Die Verbesserung bei der Arbeitszufriedenheit war enorm: Sie war in etwa vergleichbar mit dem Zugewinn an Wohlbefinden, den jemand verspürt, der gerade eine Krankheit überstanden hat. Unternehmen, die prosoziale Anreize setzen, erreichen damit, dass ihre Mitarbeiter glücklicher, zufriedener und loyaler werden. Eine Kultur, die auf ethisches Verhalten achtet, bewirkt nicht nur Gutes – sie fühlt sich auch gut an.

Die meisten Führungskräfte erkennen intuitiv, wie wichtig der "Umgangston an der Spitze" ist, um ethische Standards in einer Organisation zu setzen. Leicht zu übersehen ist hingegen der "Umgangston in der Mitte", der tatsächlich mehr Einfluss auf das Verhalten in der Belegschaft hat. Gute Führungskräfte bringen gute Mitarbeiter hervor; wenn die Mitarbeiter auf den mittleren Ebenen der Organisation allerdings von Kollegen umgeben sind, die lügen, betrügen oder stehlen, werden sie ihr Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit daran anpassen. Und zwar vollkommen unabhängig davon, was ihre Vorgesetzten sagen. Sogenannte deskriptive Normen – die Art, wie sich die Menschen im Umfeld verhalten – haben typischerweise den größten sozialen Einfluss.

In einem von einer britischen Regierungsbehörde durchgeführten Feldexperiment wurden 13 Versionen eines Schreibens an säumige Steuerzahler verschickt. Sie stellten unterschiedliche Dinge in den Vordergrund: etwa moralische Grundsätze, Geldstrafen oder wie einfach es im Grunde sei, Steuern zu entrichten. Am wirkungsvollsten war die Briefversion, die das Verhalten des Empfängers mit dem seiner Mitbürger verglich: "Neun von zehn Menschen in Großbritannien zahlen ihre Steuern pünktlich. Sie gehören momentan zu der sehr kleinen Minderheit, die noch nicht gezahlt hat."

Die Macht sozialer Normen wird oft unterschätzt. Als Forscher herausfinden wollten, wie sich die Energieeffizienz einer bestimmten Gruppe von Menschen in Kalifornien am besten steigern ließe, befragten sie dazu zunächst rund 1000 Einwohner des US-Bundesstaates. Die Befragten sollten schätzen, welcher Ansatz besonders wirkungsvoll sein würde. Dabei standen unterschiedliche Herangehensweisen zur Auswahl: Aufrufe zum Umweltschutz; solche, die persönliche finanzielle Vorteile in den Vordergrund rückten; oder wiederum andere, die auf die positiven gesellschaftlichen Auswirkungen und soziale Normen abhoben (etwa: Wie viel Prozent der Nachbarn haben durch den Einsatz von Ventilatoren statt Klimaanlagen schon Energie eingespart?).

Die Umfrageteilnehmer erwarteten, dass der Aufruf zum Umweltschutz am überzeugendsten sein würde. Die soziale Norm schätzten sie als am wenigsten erfolgversprechend ein. Wenig später verschickten die Forscher je einen der vier Appelle an rund 1000 andere Einwohner. Dabei stellte sich heraus, dass es die soziale Norm war, die mit Abstand für die stärkste Reduzierung des Energieverbrauchs sorgte.

Führungskräfte können eine ethische Kultur fördern, indem sie die positiven Dinge hervorheben, die ihre Mitarbeiter tun. Es besteht eine natürliche Neigung, sich auf abschreckende Beispiele oder "ethische schwarze Löcher" zu konzentrieren. Dies kann den Eindruck erwecken, Fehlverhalten sei viel öfter an der Tagesordnung, als es tatsächlich der Fall ist – und so potenziell die Häufigkeit unethischen Verhaltens verstärken. Wenn Sie mehr ethische Normen schaffen wollen, sollten Sie sich in Ihrem Unternehmen auf "leuchtende ethische Vorbilder" konzentrieren: Menschen, die das Mission-Statement in die Praxis umsetzen oder sich vorbildlich verhalten.

Ein Topmanager, der in seiner Organisation eine ethische Kultur aufbauen will, muss das Umfeld so gestalten, dass es immer wieder an ethische Prinzipien erinnert. Ethisches Handeln muss durch formelle und informelle Anreize belohnt werden und sich im Unternehmensalltag wiederfinden. Der Weg dahin ist im Detail von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Hier sind einige Beispiele:

Erste Eindrücke wirken außerordentlich stark. Viele Mitarbeiter haben schon im Einstellungsprozess erfahren, welche Werte im Unternehmen wichtig sind. Bewerbungsgespräche gelten als Möglichkeit, die besten Kandidaten zu identifizieren. Aber mit ihnen beginnt auch die Integration in die Firmenkultur. In einem "Fortune"-100-Unternehmen etwa zielen die Fragen im Bewerbungsgespräch auf einen der zentralen Werte ab, etwa die Kundenorientierung. Gemäß einem Leitfaden werden die Bewerber über diesen Wert informiert. Danach müssen sie Folgendes beantworten: "Erzählen Sie uns, wie Sie einmal einen unerfüllten Kundenwunsch entdeckt und dann erfüllt haben." Wir wissen nicht, ob diese Frage geholfen hat, die Kandidaten zu identifizieren, die mit Kunden gut und respektvoll umgingen. Aber das war auch nicht das vorrangige Ziel. Wer im Bewerbungsgespräch Werte hervorhebt, zeigt, dass sie für den Arbeitgeber wichtig sind. Ein derartiges Vorgehen gehört zu einem umfassenderen System dazu, in dem die Aufmerksamkeit auf ethischem Handeln liegt.

Unternehmen können Ethik auch in Leistungsbewertungen einbinden. Damit unterstreichen sie die Bedeutung des Themas. Es gibt ihnen auch die Gelegenheit, gutes Verhalten zu belohnen und zu fördern. Bei Johnson & Johnson basiert die 360-Grad-Bewertung jeder Führungskraft auf den vier Komponenten des bekannten Unternehmenscredos. Der US-Konsumgüterkonzern betont darin den hohen Stellenwert, den er dem Einsatz für Geschäftspartner, Mitarbeiter, Gemeinwesen und Aktionäre beimisst. In einer Version der Evaluierung wurde jede Führungskraft an den folgenden Gesichtspunkten gemessen: "unterstützt uns dabei, unser Credo zu fördern", "stellt sich Verhalten entgegen, das entweder unethisch ist oder dem nahekommt" und "schafft ein Umfeld, in dem kompromisslose Integrität die Norm ist".

Finanzielle Anreize mit ethischem Handeln in Einklang zu bringen klingt zunächst einfach – erweist sich in der Praxis jedoch oft als kniffelig. Hier kann ein Mission-Statement helfen. Die Fluggesellschaft Southwest Airlines nutzte eine sogenannte Executive-Scorecard, um die Vergütung an ihre vier Kernwerte zu binden: "Es kommt auf jeden einzelnen Mitarbeiter an", "Es kommt auf jeden einzelnen Flug an", "Es kommt auf jeden einzelnen Kunden an" und "Es kommt auf jeden einzelnen Aktionär an". Jeder dieser Werte wird durch eine objektive Größe gemessen: "Es kommt auf jeden einzelnen Mitarbeiter an" etwa durch freiwillige Fluktuation, "Es kommt auf jeden einzelnen Flug an" anhand von Pünktlichkeit. Die Scorecard zeigt, wie der Geschäftserfolg mit den ethischen Werten zusammenhängt. Sie hilft, den Fokus der Mitarbeiter auf diese Werte zu lenken. Und sie weist auf die Verhaltensweisen hin, die für die Umsetzung nötig sind.

Führungskräfte können ethisches Verhalten belohnen, indem sie ihren Mitarbeitern zeigen, wie positiv sich deren Arbeit auf andere auswirkt. Sie können ethisches Verhalten anerkennen, indem sie es in Präsentationen und Veröffentlichungen erwähnen. Sie können auch innerhalb der Organisation Gelegenheiten schaffen, die dazu einladen, sich gegenüber Kollegen ethisch zu verhalten.

Ein Beispiel liefert ein Feldexperiment, das vor Kurzem stattfand: Manager sollten bestimmten Kollegen vier Wochen lang auf fünf unterschiedliche Arten etwas Gutes tun. Dadurch stieg nicht nur die Anzahl der in der Organisation beobachteten freundlichen Verhaltensweisen. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe erhöhte sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Nutznießer der netten Gesten anderen Mitarbeitern gegenüber besonders freundlich und hilfsbereit verhielten. Das zeigt: Ethisches Handeln kann ansteckend sein. Das freundliche Verhalten verbesserte in dem Experiment auch das Wohlbefinden – sowohl bei den Mitarbeitern, die freundlich zu anderen waren, als auch bei den Adressaten. Das vielleicht wichtigste Ergebnis war jedoch, dass depressive Symptome in beiden Gruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe drastisch zurückgingen. Dieser Effekt hielt mindestens drei Monate über das einmonatige Experiment hinaus an.

Kein Unternehmen wird je perfekt sein – weil Menschen nicht perfekt sind. Auch in einigen der in diesem Artikel genannten Unternehmen ist es zu schweren ethischen Verstößen gekommen. Menschen sind nicht ausschließlich gut oder ausschließlich böse. Aber sie sind in der Lage, sowohl gut als auch böse zu handeln. Daher sollten Unternehmen das Arbeitsumfeld so gestalten, dass es den Mitarbeitern sehr einfach gemacht wird, gut zu sein. Das bedeutet, sich sorgfältig mit den Kontexten auseinanderzusetzen, in denen die Beschäftigten sich bewegen.

Unternehmen müssen ethische Grundsätze in Strategien und Richtlinien verankern, ethisches Verhalten immer wieder in den Vordergrund rücken und es durch eine Vielzahl von Anreizen belohnen. Es gilt, ethische Normen in den Alltag einzubinden und ihre Umsetzung jeden Tag aufs Neue anzustoßen. Ein Unternehmen wird dadurch nicht automatisch zu einer Organisation, in der statt Menschen nur noch Engel unterwegs sind. Aber es kann den Menschen dabei helfen, sich so ethisch zu verhalten, wie es ihnen möglich ist. 

© HBP 2020

Die Autoren

Nicholas Epley ist Professor für Verhaltenswissenschaften an der Business School der Universität von Chicago und Autor des Buchs "Machen wir uns nichts vor! Wie wir erkennen, was andere wirklich denken" (Ullstein 2014). Amit Kumar ist Assistant Professor für Marketing und Psycho- logie an der Universität von Texas in Austin.

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