Der CEO-Lebenszyklus
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Die Amtszeiten von CEOs sind so unterschiedlich wie sie selbst und die Unternehmen, die sie leiten. Dennoch lassen sich fünf typische Phasen unterscheiden. Das Wissen darum erleichtert die Arbeit von Boards und Topmanagern gleichermaßen.
Von****James M. Citrin, Claudius A. Hildebrand, Robert J. Stark
CEOs geht es wie allen anderen Managern auch: Nicht immer läuft alles glatt. Und so erleben auch Spitzenleute viele, bisweilen sehr schnell aufeinanderfolgende Phasen mit Höhen und Tiefen. Für die Boards kann das zu einer Zwickmühle werden: Wie sollen sie unterscheiden, ob es sich bei enttäuschenden Ergebnissen nur um eine kurze Schwächephase des CEOs handelt oder um ein längerfristiges Problem? Und: Wie sollte ein Board am besten reagieren? Sogar wenn ihr CEO hervorragende Zahlen abliefert, ergeben sich daraus für die Mitglieder des Boards Fragen. Etwa jene, woher sie wissen sollen, wann die Frau oder der Mann an der Spitze den Zenit überschritten hat und es Zeit wird, über die Nachfolge nachzudenken.
Es gibt nur wenige Daten, die Hinweise darauf liefern, wie sich die Leistung von CEOs über längere Zeit hinweg entwickelt. Die Spitzenleute selbst, Boardmitglieder und Investoren füllen dieses Wissensvakuum häufig mit Anekdoten, Vermutungen und Faustregeln. Als wir CEOs nach der idealen Amtsdauer befragten, nannten viele die Zahl, die der durchschnittlichen Verweildauer der Standard-&-Poor's-500-Unternehmen, also der größten 500 börsennotierten US-Firmen, aus dem Jahr 2017 entspricht: gut sieben Jahre. Boardmitglieder hielten im Schnitt eine Amtszeit von 9,5 Jahren für optimal. Diese Einschätzung deckt sich mit einer anderen weitverbreiteten Überzeugung: nämlich, dass die Leistung von CEOs nach dieser Zeitspanne allmählich stagniert.
Aber: Worauf gründen sich diese Einschätzungen eigentlich? Wir haben auf diese Frage keine überzeugende oder gar belegbare Antwort gefunden. Es scheint sich dabei also um nicht viel mehr als gängige Faustregeln zu handeln.
Um den typischen Verlauf der Werte, die ein Topmanager während seiner Amtszeit schafft, besser zu verstehen, haben wir das CEO-Lebenszyklus-Projekt ins Leben gerufen. Unser Forscherteam zeichnete die jährliche Leistung während der gesamten Laufbahn von 747 S&P-500-Führungskräften auf. Grundlage waren die Finanzkennzahlen der Unternehmen. Zudem fragte unser Team 41 CEOs und Boardmitglieder in persönlichen Gesprächen nach ihren Erfahrungen. Die Studie zeigt ein überraschendes Muster aus Gegen- und Rückenwind, dem CEOs häufig ausgesetzt sind. Die Ergebnisse stellen zudem einige der gängigen Ansichten zur Amtszeit von CEOs und ihrer Wertschöpfung auf den Kopf. Sie legen nahe, dass sich manche Boards nach einem oft vorhersagbaren und nur vorübergehenden Leistungseinbruch zu schnell von einem starken CEO trennen. Andere Boards dulden mittelmäßige Leistungen hingegen allzu lange.
Das Wissen um dieses Muster – und die Umstände, durch die sich die Leistung häufig verschiebt – kann Boards und CEOs in einen ganz neuen Dialog miteinander bringen. Wenn Boards die typischen Stadien kennen, in denen Wertschöpfung durch den CEO entsteht, können sie ihrer Verantwortung besser gerecht werden. Etwa, indem sie ihre Spitzenkräfte im jeweiligen Stadium bestmöglich unterstützen und ihr Augenmerk auf den nachhaltigen Erfolg der Unternehmen richten. Den CEOs wiederum kann die Kenntnis der Muster helfen, Vertrauen und Transparenz im Umgang mit Boardmitgliedern aufzubauen. Das Wissen kann auch dazu dienen, mit Erwartungshaltungen besser umzugehen und sich den wechselnden Bedingungen der Amtszeit leichter anzupassen. Darüber hinaus gibt es Hinweise, wie die richtige Antwort auf die – wie ein CEO uns gegenüber sagte – "unglaublich schwierige Frage" lautet: "Bist du immer noch der Richtige für die kommende Aufgabe?"
Es gibt keine zwei CEO-Amtszeiten, die gleich verlaufen (siehe Kasten "Die fünf Stadien der CEO-Amtszeit" oben). Jede Führungskraft schlägt eigene Wege ein und trifft auf jeweils besondere Umstände. Dennoch haben wir fünf unterschiedliche Stadien der Wertschöpfung identifiziert, die CEOs typischerweise durchlaufen. Sie beruhen auf dem Vergleich der Leistung von CEOs auf Basis ihrer Amtsdauer – und nicht etwa auf Kalenderjahren. Zusätzlich haben wir den unterschiedlichen Mix der verschiedenen Umstände analysiert.
Die meisten CEOs erreichen in ihrem ersten Jahr ein überdurchschnittliches Ergebnis. Sie starten mit voll aufgeladenem Akku in ihren Job und mit der Bereitschaft, die Führung zu übernehmen. "In den meisten Fällen wollte die betreffende Person die Position unbedingt haben und hat sich im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, wie sie das Unternehmen führen und mit neuer Energie erfüllen will", beschrieb ein Boardmitglied diese Phase. Die Begeisterung über die Veränderung lässt Börsenkurse steigen und eint Investoren, den Board und das Unternehmen.
Während dieser Anfangsphase lernen CEOs, mit konkurrierenden Prioritäten umzugehen: Sie stellen fest, welche ihrer Aufgaben besonders viel Aufmerksamkeit benötigen und welche der unterschiedlichen Interessenvertreter ihre wertvolle Zeit verdienen. Dabei ist für den späteren Erfolg entscheidend, wie viel der oder die neue CEO tatsächlich in dieser Phase lernt – oder ob er oder sie lediglich erfolgreich die anfallenden Aufgaben bewältigt. In Anbetracht der vielen Anforderungen ist das Risiko groß, dass die neue Spitzenkraft im Ausführungsmodus hängen bleibt. Wer hingegen bewusst die Fähigkeiten entwickelt zu reflektieren, sich zurückzunehmen und angesichts der gewonnenen Erfahrungen neu auszurichten, erweitert sein Instrumentarium als CEO. Er oder sie erkennt bestimmte Muster leichter und kann schneller handeln.
Die meisten CEOs, die neu in dieser Position sind, finden sich an einem Ende des Gesundheitsspektrums von Unternehmen wieder. Entweder sie haben ein gesundes Unternehmen mit soliden Abläufen und einer klar definierten strategischen Richtung übernommen. Oder sie sind nun für ein angeschlagenes verantwortlich, das in der Krise steckt und eine Neuausrichtung braucht.
Für CEOs in gesunden Unternehmen gilt: Weniger ist mehr. Für den Anfang sollte ihr Ziel sein, den bewährten Weg fortzusetzen. Diejenigen, die ein Unternehmen aus der Krise führen sollen, müssen stattdessen beherzt handeln. So unterschiedlich ihr Vorgehen auch ist: Beide Gruppen erleben in dieser Zeit eine Art Flitterwochen, deren Optimismus die Aktienkurse in überdurchschnittliche Höhen treibt.
Beim Rückblick auf diese Phase erkennen manche CEOs, dass die großartigen finanziellen Ergebnisse in ihrem ersten Jahr möglicherweise unrealistisch hohe Maßstäbe gesetzt haben. Etliche glauben gar, dass sie damit letztlich die Saat für spätere Probleme gelegt haben. Ein Topmanager erinnerte sich: "Die Börse schoss über das Ziel hinaus, viele kurzfristig orientierte Anleger kauften unsere Aktien. Als CEO kann man sich in solchen Phasen nicht hinstellen und sagen: 'Wissen Sie was? Unser Börsenkurs ist überbewertet.' Als die Normalität zurückkehrte und die Leistungen wieder realistisch eingeschätzt wurden, hieß es, wir würden (im zweiten Jahr) hinter unserer anfänglichen Leistung zurückbleiben."
Nach der Begeisterung des Honeymoons schwingt das Pendel normalerweise zurück. Dabei wird der Richtungswechsel häufig eher durch enttäuschte Erwartungen angestoßen als durch ernsthafte Probleme. Manchmal handelt es sich auch einfach nur um eine unerwartete Herausforderung, die mehr negative Aufmerksamkeit auf sich zieht, als sie verdient. Ein CEO drückte es einmal so aus: "Irgendwann in den ersten 12 bis 18 Monaten läufst du in eine Kreissäge."
CEOs sollten um die Häufigkeit von Einbrüchen im zweiten Jahr wissen – nicht zuletzt, um die Erwartungen während einer möglichen Abschwächung besser zu managen. "Selbst wenn du meinst, eigentlich zu viel zu kommunizieren, kommunizierst du wahrscheinlich immer noch nicht genug", lautete der Kommentar eines Boardmitglieds zu diesem Themenkomplex. CEOs und Boards können diese frühe Phase der Leistungsabschwächung nutzen und zu einer Chance machen: etwa, indem sie enger zusammenarbeiten, die strategische Ausrichtung weiter verfeinern und – was am wichtigsten ist – Vertrauen aufbauen. Diese Phase eignet sich auch sehr gut dazu, Anpassungen vorzunehmen, wo sie erforderlich sind. Wenn die Mitglieder des Boards erkennen, dass sich ihr CEO in diesem Stadium befindet, fällt es ihnen leichter, Ruhe zu bewahren. Der Board kann so die einmal vereinbarte Richtung weiterhin besser unterstützen und fühlt sich nicht veranlasst, das Management zum Aktionismus zu drängen.
Ein großer Leistungsabfall jedoch, bei dem CEO und Board sich nicht genügend aufeinander einstellen können, bildet oft die Grundlage für zukünftige Schwierigkeiten. Unsere Daten zeigen, dass CEOs, die im zweiten Jahr einen sehr großen Einbruch erleben, mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit in späteren Jahren aus dem Amt gedrängt werden.
Besonders erfolgreiche CEOs sagten uns, dass ihnen die vollständige Transparenz gegenüber dem Board, dem Führungsteam und den Investoren geholfen habe, durch das zweite Jahr zu kommen. Sie holten wertvolles Feedback ein und bemühten sich in Einzelgesprächen aktiv um Verbündete. Durch diese vertrauensbildenden Maßnahmen blieb viel vom anfänglichen Wohlwollen erhalten, selbst als die Leistung abfiel. Boards sollten in dieser Phase durchaus kritische Fragen stellen, dies jedoch auf konstruktive, unterstützende Weise. Der Dialog kann helfen, die Erwartungen – sowohl positive als auch negative – besser mit der Realität in Einklang zu bringen.
Wenn sie den Einbruch im zweiten Jahr überstehen, erreichen die meisten CEOs danach eine Phase mit Rückenwind. Allmählich zahlen sich die Schritte aus, die sie in den ersten beiden Jahren eingeleitet haben. Der Board konnte aus nächster Nähe beobachten, wie der CEO mit dem Leistungsabfall umgeht. Investoren sehen positive Entwicklungen und signalisieren Unterstützung. "Sie haben das Vertrauen Ihres Teams gewonnen, und die gemeinsame Bewältigung der Krise hat Sie zusammengeschweißt", sagte uns ein CEO über diese Zeit.
In diesem Stadium arbeiten CEOs hart für die Zukunft. Sie haben inzwischen dem gesamten Unternehmen ihren Stempel aufgedrückt: Die strategische Richtung ist festgelegt, die Unternehmenskultur entwickelt sich weiter, im Board herrscht positive Dynamik. Für einige CEOs ist dies der ideale Zeitpunkt, Fusionen und Übernahmen anzugehen. Jetzt können sie außerdem mit Ideen experimentieren und die Saat für neue Initiativen legen: sei es in Forschung und Entwicklung, bei Produktzyklen oder bei der Weiterentwicklung der Strategie. In diesem Stadium findet all dieses sogar häufig weitgehend unter dem Radar der anderen Interessenvertreter statt. Es ist allerdings eine Phase, so beschrieb es ein CEO, in der "sich Ihr Handeln und Arbeitsaufwand nicht sofort im Erfolg abbildet. Dies wird öfter kurzfristig vom Markt bestraft". Doch inzwischen sollte der CEO genug Erfahrung haben, um mit solchen Reaktionen umgehen zu können.
CEOs, die sich nicht vollständig von dem Einbruch im zweiten Jahr erholt haben, werden möglicherweise vom Board zunehmend unter Druck gesetzt. Ein Mitglied sagte uns: "Im dritten oder vierten Jahr stellt der Board die wirklich unangenehmen Fragen." CEOs, die in dieser Phase unter Druck gerieten, erzählten uns, sie hätten sich damals gewünscht, gleich zu Beginn eine stärkere Beziehung zu den Mitgliedern des Boards auch außerhalb des Direktorenzimmers aufgebaut zu haben. Viele erfolgreiche CEOs haben genau dies getan und weder Kosten noch Mühen gescheut, um Boardmitglieder persönlich auf Reisen zu treffen oder zu besuchen.
Gegen Ende dieser Phase laufen CEOs Gefahr, einen blinden Fleck zu entwickeln. Selbstvertrauen kann dann sehr schnell in übermäßiges Selbstbewusstsein umschlagen. Besonders wenn Spitzenmanager einige sehr erfolgreiche Jahre hinter sich haben. Manche werden dann ruhelos. Sie vermissen die ständigen Beförderungen und Jobwechsel, die sie auf dem Weg in ihre Position erlebt haben. Andere erkennen, welche Belastungen die Aufgabe für ihr eigenes Leben und das ihrer Familie mit sich bringt. Etliche beginnen, sich auf die Frage ihres Vermächtnisses zu konzentrieren. Sie denken viel über die Sinnhaftigkeit ihres Handelns nach – auch ihre Gespräche drehen sich zunehmend darum. Etliche CEOs verlieren in dieser Phase auch das Interesse, größere und aufwendige Investitionen anzustoßen. Vor allem wenn sie davon ausgehen, dass das Investment erst Gewinn abwerfen wird, wenn sie selbst nicht mehr im Amt sind.
Auf die Erholungsphase folgt häufig eine längere Zeit der Stagnation mit mittelmäßigen Ergebnissen. Die Leistung ist vielleicht nicht wirklich schlecht – und wird in manchen Fällen durch einen wachsenden Markt kaschiert –, doch viele CEOs haben Schwierigkeiten, Resultate auf dem Niveau der früheren Jahre zu erreichen. Auf ein starkes Jahr folgen möglicherweise einige schwächere. Weil die Boards nicht absehen können, ob ein enttäuschendes Jahr tatsächlich auf schwerwiegende Probleme am Horizont hinweist, üben sich manche von ihnen in Geduld. Andere handeln schnell und setzen ihren CEO ab. Wie unsere Daten zeigen, verließen viele CEOs ihre Unternehmen in dieser Phase – und kommen der durchschnittlichen Amtszeit damit ziemlich nahe.
Wenn ein CEO seinen Job behält, steigt das Risiko der Selbstzufriedenheit. Und das nicht nur beim CEO, sondern im Board genauso wie im Rest des Unternehmens. Jetzt, da sie fest im Sattel sitzen, lockern manche Chefs die Zügel. Sie verstricken sich in Aktivitäten außerhalb des Unternehmens – übernehmen Mandate in Boards, halten Reden, engagieren sich für Wohltätigkeitszwecke – und lassen sich dadurch von ihrer Arbeit ablenken. Allmählich fordern die Jahre an der Spitze ihren Tribut: Das erforderliche Energielevel ist enorm, und der Druck, permanent mit der sich rasant verändernden Welt mithalten zu müssen, hinterlässt Spuren.
Einige Boardmitglieder verwiesen auf die Gefahr, dass erfolgsverwöhnte CEOs anfangen, weniger kühn zu denken. Viele tun sich auch schwer damit, ihre Entscheidungen zu hinterfragen. Zu Beginn ihrer Amtszeit haben sie die Beschlüsse ihrer Vorgänger unter die Lupe genommen und revidiert. Jetzt sind sie so lange auf dem Posten, dass sie ihre eigenen Weichenstellungen überdenken und möglicherweise verändern müssten. Das stellt für viele eine echte Herausforderung dar.
Jene CEOs, die in diesem Stadium Höchstleistungen erbringen, akzeptieren die Notwendigkeit zur ständigen Veränderung. Sie konzentrieren sich weiter auf das Geschäft und stellen den Status quo permanent infrage. "Die Selbstzufriedenheit habe ich am meisten gefürchtet", gestand einer von ihnen. "Innerhalb des Unternehmens gingen die Leute davon aus, dass wir weiter immerzu großartige Ergebnisse hervorbringen würden ... Ich musste ihnen sagen: 'Nein, so läuft das nicht. Wir müssen immerzu neue Wege finden, die Dinge anzugehen.'" Manche Führungskräfte entwickeln hingegen die gegenteilige Geisteshaltung. Ihr Motto: "Was nicht kaputt ist, muss auch nicht repariert werden." So versäumen sie, ihre Strategie gründlich genug zu überdenken. Und selbst, wenn der CEO sich über die Notwendikeit einer Kehrtwende im Klaren ist: Oftmals ist es auch die Trägheit des Boards, die erforderliche Veränderungen ausbremst oder verhindert. Ein weiterer Faktor für verschleppte Entscheidungen ist die Unsicherheit darüber, was verändert werden sollte und wie. Manchmal ist sie so groß, dass es am Ende zu spät ist. Ein Boardmitglied hatte beispielsweise beobachtet, dass viele CEOs "defensiv werden, wenn ihre Leistung anfängt abzufallen. Damit tun sie sich jedoch keinen Gefallen." Stattdessen sollten die Männer und Frauen an der Spitze lieber nach neuen Chancen für ihr Unternehmen Ausschau halten.
Manche CEOs und Boardmitglieder beschreiben diese Phase als eine Zeit aufgeschobener Belohnungen, in der sie zugunsten langfristiger Entwicklungen bewusst auf kurzfristige Gewinne verzichten. Dieses Vorgehen hat das Potenzial, das gesamte Unternehmen umzugestalten. Häufig hat es auch deutliche Auswirkungen auf das Geschäftsmodell.
Sehr oft bleibt der Druck auf CEOs und Boards, Visionen und Zeitpläne einzuhalten und weiterhin kurzfristige Gewinne zu erzielen, jedoch bestehen. Verzögerungen bei M&A-Aktivitäten oder bei der Entwicklung neuer Produkte, verlängerte Integrationsphasen oder verpasste Synergiezielvorgaben steigern die Anforderungen an die Unternehmensführung zusätzlich. Außerdem beeinträchtigen diese Entwicklungen die Aktienrendite und gefährden so die Transformation und ihre potenziellen Gewinne. Ein CEO beschrieb es so: "Es ist eine schmerzhafte Phase, wenn der Niedergang von Produkt A beginnt, Sie aber nicht über das neue Produkt B sprechen können, das ihm folgt. Sie wissen, dass es Tolles zu erzählen gäbe, dürfen aber noch nichts sagen."
Um zu verhindern, dass die Falle der Selbstzufriedenheit zuschnappt, müssen Boards die folgende Frage beantworten: Ist unser CEO ein Sprinter oder ein Marathonläufer? Denn fast alle schlagen sich in diesem Stadium der Amtszeit ihres CEOs mit der Frage herum, ob sie jemand Neues ins Unternehmen holen oder am langfristigen Engagement des Amtsinhabers festhalten sollten.
Unsere Daten zeigen, dass die Leistung häufig in einem Jahr, in dem ein wichtiges Ereignis stattfindet, nach oben ausschlägt. Dabei kann es sich etwa um eine bedeutende Übernahme, eine technische Innovation, die Umwälzung in einem Produktzyklus oder die Expansion in einen neuen geografischen Markt handeln. Dem Renditehoch gehen oft eher schwache Ergebnisse voraus – und häufig dümpeln die Ergebnisse auch in den Folgejahren vor sich hin.
In den Boards fragen sich dann viele, ob dem CEO womöglich die Ideen ausgegangen sind. Ein Mitglied sagte: "Manche Leute wissen genau, wie sie das Schiff in den ersten Jahren steuern müssen. Ich möchte sie nicht als Eintagsfliegen bezeichnen – aber solche CEOs haben oft Schwierigkeiten, wenn es in die späteren Runden geht." Dennoch gehen Boards bei der potenziellen Führungsnachfolge häufig zögerlich vor. "Der Nachteil eines CEO-Wechsels erscheint einem Board gewaltig", begründete ein Mitglied das unentschiedene Verhalten. Unsere Daten legen jedoch nahe, dass Boards konsequent handeln sollten: Entweder müssen sie die Nachfolge beschleunigen oder den CEO vor dem Druck von außen schützen.
CEOs, die der Selbstzufriedenheitsfalle entgehen, erleben danach häufig Jahre, in denen sie besonders viel Wert schaffen. Ihr langfristiges Engagement und ihre Fähigkeit, sich selbst und das Unternehmen neu zu erfinden, tragen nun Früchte. Einige CEOs beschrieben einen Schwungradeffekt: Projekte und Investitionen, die zu Beginn noch keine Ergebnisse hervorgebracht hatten, fingen nun an, sich auszuzahlen. Jetzt zeigt sich deutlich, dass sich das Vertrauen des Boards in die Frau oder den Mann an der Spitze gelohnt hat. Die CEOs verfügen nun über ein tiefes institutionelles Wissen, haben das Unternehmen durch komplette Geschäftszyklen geführt und etliche Krisen gemeistert. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf ein gutes Jahr ein weiteres gutes folgen wird, nimmt stetig zu. Diese CEOs haben gelernt, ihr Unternehmen durch komplexe Situationen zu navigieren und die unterschiedlichen Interessen der Stakeholder dabei zu berücksichtigen. "Wenn Sie bis in die goldenen Jahre hinein überleben, heißt das, dass ... Sie nicht nur das Unternehmen gut geleitet haben. Es bedeutet auch, dass Sie Ihren Board genauso gut im Griff hatten wie alle anderen Interessenvertreter, die Ihre Amtszeit hätten infrage stellen können", sagte uns ein CEO. Viele der langjährigen CEOs, die wir interviewten, motivierte die Aussicht, ein Vermächtnis zu hinterlassen.
Ihre besondere Leistung lässt sich zum Teil durch unsere Stichprobe erklären. Die meisten CEOs erreichen diese Phase erst gar nicht, weil sie bereits aus dem Rennen ausgestiegen sind. Manche, weil ihre Leistung nicht mehr den Erwartungen entsprach, andere aus gesundheitlichen oder persönlichen Gründen. Es sind also nur die stärksten Führungspersönlichkeiten, die länger als zehn Jahre dabeibleiben. Als wir unsere Daten mit anderen Fachleuten diskutierten, fragten uns einige, ob die außergewöhnliche Leistung der goldenen Jahre möglicherweise genau darauf zurückzuführen ist: auf die Tatsache nämlich, dass diese CEOs überhaupt bis dahin im Amt waren, während schwächere Führungspersönlichkeiten längst ausgesiebt worden waren.
Unsere Forschung belegt jedoch, dass hier andere Faktoren am Werk sind. Als wir die Fluktuationsraten in unserer Datensammlung untersuchten, stellten wir fest, dass die CEOs die Position jahrein, jahraus in gleichbleibender Anzahl verließen. Wenn allein die Fluktuation die Aufs und Abs erklären würde, würden wir auch korrespondierende Bewegungen bei der Leistung beobachten. Überdies zeigte sich, dass jene CEOs, die bis in die zweite Dekade hinein dabeiblieben, im Laufe ihrer Amtszeit ein ähnliches Muster von Höhen und Tiefen aufwiesen. Ihre lange Ägide war nicht einfach nur eine Funktion ihrer Leistung: Ihre Glaubwürdigkeit und das vertrauensvolle Verhältnis, das sie mit Board und Investoren aufgebaut hatten, halfen ihnen, auch in schwierigen Jahren den Kurs zu halten.
In diesem Stadium wird der Zeitpunkt für die Nachfolge zu einer Schlüsselfrage für Boards und CEOs. Sehr leistungsstarke CEOs können häufig besser entscheiden, wann sie abtreten sollten. "Wenn man zehn oder mehr Jahre erfolgreich ist, wird es für Vertreter des Boards sehr schwer, einem in die Augen zu sehen und zu sagen: ,Sie müssen jetzt gehen'", sagte uns ein CEO. "Daher könnten Sie eigentlich noch einige Zeit im Amt bleiben. Es besteht jedoch die Gefahr, dass Sie Ihren Job irgendwann nicht mehr so gut machen, wie jemand anderes es machen würde. Ich wollte lieber während einer Hochphase aufhören." Auch wenn Unternehmen und Investoren von einem leistungsstarken Langzeit-CEO profitieren: Der lange Erfolg des amtierenden Spitzenmanagers kann die Nachfolgeplanung erschweren. Eine aktuelle Studie des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) bestätigt unsere Ergebnisse. Auch PwC kommt zu dem Schluss, dass langjährige CEOs bessere Leistungen erbringen als andere. Wenn ein solch legendärer CEO ersetzt wird, fallen die Leistungen des Nachfolgers überproportional häufig enttäuschend aus. Entsprechend hoch ist deshalb auch die Wahrscheinlichkeit, mit der der Board die Reißleine zieht.
Die Boards von Unternehmen stehen stärker unter Druck als jemals zuvor. Aktivistische Investoren sind inzwischen geübt darin, deutlichen Einfluss auszuüben und Boards auf Trab zu halten. Indexfonds, die keine Anteile verkaufen können, wenn sie mit der Führung oder der Kontrolle eines Unternehmens unzufrieden sind, nutzen ihren Einfluss zunehmend, um Boards für die Leistung des CEOs verantwortlich zu machen. Dieser Druck von außen verstärkt die Wahrscheinlichkeit von konfliktträchtigen Dynamiken zwischen CEO und Boardmitgliedern. Kein Wunder also, dass sich viele CEOs zu wenig unterstützt und missverstanden fühlen. Auch das Selbstverständnis von Boards und ihrer Funktion hat sich erweitert: Viele streben inzwischen an, Mehrwert bei unternehmenswichtigen Entscheidungen zu Strategie, Personal und Kultur beizusteuern.
Die von uns identifizierten fünf Phasen ermöglichen es CEOs und Boards, bei Diskussionen über Risiken und Chancen im jeweiligen Stadium ihrer Amtszeit leichter auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Unser Modell kann den Boards helfen, die Leistung von CEOs im größeren Zusammenhang zu betrachten und so ein Überreagieren in Momenten des Zweifels zu verhindern. Genauso kann es ein zu langes Tolerieren von Mittelmäßigkeit unterbinden. Außerdem kann es helfen, bei der Nachfolgeplanung zusammenzuarbeiten und den idealen Zeitpunkt für das Ende einer Amtszeit zu finden. 
© HBP 2020
Die Autoren
James M. Citrin leitet den Geschäftsbereich CEO-Nachfolge von Spencer Stuart in Nordamerika. Zudem gehört er zum Führungsteam des Geschäftsbereichs Boards-Services. Claudius A. Hildebrand ist Mitglied des Bereichs Leadership Advisory Services und CEO-Nachfolge von Spencer Stuart. Robert J. Stark ist einer der Leiter der CEO-Nachfolge-Beratung von Spencer Stuart in Nordamerika.
