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Die größten Fehler im Vertrieb

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Aus Angst, Umsätze zu verlieren, treffen Vertriebsleiter in der Rezession oft die falschen Entscheidungen. Drei simple Prinzipien helfen, sich auf das wirklich Wichtige zu konzentrieren – und selbst in der Krise zu wachsen.

Von Scott Edinger

Mein erster Job als Vertriebsleiter fiel mit der beginnenden Rezession im Jahr 2001 zusammen. Damals war gerade die Dotcom-Blase geplatzt, nach den Angriffen des 11. September verschlimmerte sich der Konjunktureinbruch. Doch obwohl sich die Wirtschaft offiziell im vierten Quartal des Jahres wieder erholte, stiegen die Arbeitslosenzahlen weiter an. Mein Unternehmen war kurz zuvor von einer Holdinggesellschaft übernommen worden, die ein starkes Wachstum erwartete – Wachstum, das zu jenem Zeitpunkt völlig unmöglich erschien. Ich hatte Angst. Angst vor der Zukunft. Angst zu versagen. Angst, meinen Job zu verlieren.

Auch die durch Covid-19 verursachte Situation löst eine Wirtschaftskrise aus, und viele Führungskräfte empfinden die gleiche Angst und Sorge wie ich damals. Starke Emotionen führen jedoch häufig zu schlechten Entscheidungen und Gewohnheiten in der Führung von Vertriebsorganisationen. Denn was in guten Zeiten funktionieren mag, ist in einem schwierigen Wirtschaftsumfeld womöglich unpassend. Es geht nicht darum, mehr vom Gleichen zu tun, sondern die Dinge anders anzugehen.

Glücklicherweise war der Gründer des Unternehmens, für das ich damals arbeitete, Neil Rackham. Der Vordenker der "Sales Effectiveness" engagierte sich nach wie vor für seine Firma, einen Anbieter von Vertriebstrainings. Er ließ das Managementteam an einigen Prinzipien teilhaben, die er aus seinen Forschungen während der Rezessionen der 80er Jahre abgeleitet hatte. Sie halfen uns, gut durch die Krise von 2001 zu kommen. Seitdem habe ich diese Prinzipien auch meinen Klienten ans Herz gelegt, die vor der Herausforderung standen, Wachstum in schwierigen Zeiten zu erreichen.

Die folgenden drei Fehler sind typisch für Vertriebsorganisationen in der Krise.

**Fehler 1:**

Wenn Führungskräfte Angst haben, fahren sie häufig die Zahl der Verkaufsgespräche hoch. Sie glauben, dass mehr Gespräche mit Kunden auch mehr Umsatz bringen. Das kann in einigen Fällen tatsächlich zutreffen, etwa wenn Sie ein günstiges Produkt anbieten und die Verkaufszyklen kurz sind. Doch wenn Sie ein anspruchsvolleres Produkt anbieten, das beispielsweise als Komplettlösung oder im Rahmen eines Beratungsansatzes verkauft werden muss, kann der Versuch, mehr Verkaufsgespräche einzufädeln, nach hinten losgehen.

In der Rezession von 2008 arbeitete ich mit einem Wiederverkäufer von IT-Produkten und -Dienstleistungen, der seine Verkaufsaktivitäten in einem großen Kraftakt verstärkt hatte. Tatsächlich stieg die Zahl der Aufträge um mehr als 11 Prozent, gleichzeitig sank jedoch der Gesamtumsatz um 6 Prozent. Der Grund: Weil die Vertriebler jeden Geschäftsabschluss vorantrieben, der ihnen möglich war, sank das durchschnittliche Auftragspotenzial der Kunden und auch die Auftragshöhe.

Anstatt die Verkaufsaktivitäten zu verstärken, sollten Sie daher lieber Ihre Strategie konsequent in der gesamten Vertriebsorganisation durchsetzen. Stellen Sie sicher, dass Ihr Vertriebsteam die optimalen Kunden betreut, sowohl bei Umfang, Budget, Angebotswert und anderen Faktoren, die für Ihr Unternehmen den erfolgversprechenden Kunden ausmachen. Lenken Sie alle Bemühungen auf eine begrenzte Zahl von herausragenden Verkaufschancen.

Aus einer ungünstigen Geschäftsaussicht wird niemals ein guter Kunde und wenn Vertriebler unter Druck handeln, sind sie oft nicht bereit, auch nur die kleinste Gelegenheit auszulassen, die ihnen ein wenig Umsatz verspricht. Statt leicht erreichbaren Zielen mit geringen Gewinnaussichten hinterherzujagen, sollten Sie Ihr Vertriebsteam darauf einschwören, nur aussichtsreiche Möglichkeiten herauszufiltern und zu verfolgen – und zwar in einer Größenordnung, die Ihnen hochwertige Lösungen möglich macht. Streichen Sie alle Aktivitäten, die lediglich beweisen sollen, dass Ihre Mitarbeiter fleißig arbeiten.

**Fehler 2:**

Angst manifestiert sich auch in der Einführung zusätzlicher und manchmal exzessiver Berichtspflichten. Wenn Führungskräfte ständig weitere Informationen darüber einfordern, was gerade passiert, geht es ihnen in Wirklichkeit um etwas anderes: Sie wollen die Kontrolle über eine Situation zurückgewinnen, die sich für sie beängstigend chaotisch anfühlt. In der Vertriebsorganisation jedoch ist eine solche Kontrolle illusorisch, oft auch kontraproduktiv. Wer neue Kennzahlen einführt, um die aktuelle Entwicklung besser verfolgen zu können, oder wer die Berichtsfrequenz bei Forecasts erhöht, löst oft einen unerwarteten Nebeneffekt aus: Umsatzbringende Aktivitäten kommen zum Stillstand. Denn wenn Unternehmen das Zeitbudget für interne Prozesse massiv erhöhen, bleibt neben dem Datensammeln und diversen Schleifen fürs Überprüfen und Überarbeiten weniger Zeit und Energie für die eigentliche Verkaufsarbeit und fürs Vertriebsmanagement. Dann geht es nicht mehr darum, den Vertriebserfolg zu erhöhen, sondern nur noch darum, diesen zu kontrollieren – was für das unternehmerische Ergebnis keinen großen Wert hat.

Stattdessen sollten Sie ein aussagekräftiges Dashboard mit Frühindikatoren einrichten, an dem Sie ablesen können, wie groß der Erfolg in jeder Phase des Verkaufsprozesses sein wird. Einige wenige Frühindikatoren haben eine hohe Aussagekraft, zum Beispiel neue Verkaufschancen in jeder Phase, Wert der Verkaufschancen in jeder Phase, Volumen der Verkaufschancen von einer Phase zur nächsten. Schätzen Sie ehrlich ein, wie oft Sie wirklich einen Zwischenbericht benötigen. Verlangsamen Sie Ihre Fahrt nicht, indem Sie die Flüssigkeitsstände in ihrem Auto alle 30 Kilometer überprüfen.

Während meines ersten Jobs als Vertriebsleiter bestand das neue Mutterunternehmen auf einer umfangreichen Berichterstattung für den Vertrieb. Zwar wuchsen wir in dieser Zeit, aber mir war klar, dass unproduktives Reporting unsere Schlagkraft verringerte. Denn wir konzentrierten uns vor allem darauf, Zahlenkolonnen in Tabellen hin- und herzuschieben, anstatt uns um Verkäufe zu bemühen, die den Gewinn hätten erhöhen können.

**Fehler 3:**

Wenn Führungskräfte Angst um ihre Umsätze haben, konzentrieren sie sich naturgemäß eher auf die späteren Phasen des Verkaufsprozesses – auf das, was viele kleinere Unternehmen als "close to cash" bezeichnen. Denn wer ums Überleben kämpft, dem erscheint es sinnvoll, alles zu tun, um die Geschäfte in Gang zu bringen. Doch wenn Sie sich nur auf die Spätphase konzentrieren – also den Moment bevor die Entscheidung unmittelbar ansteht –, lösen Sie damit womöglich einen doppelt negativen Effekt aus. Erstens bringt dies selten eine signifikante Auswirkung auf das Geschäftsergebnis, da Leistungen, Bedingungen und Preise bereits feststehen. Eine Ausnahme an der einen oder anderen Stelle kann Ihnen vielleicht helfen, das Geschäft abzuschließen. Oft ist es jedoch zu spät, um Änderungen von wirklichem Wert vorzunehmen. So werden Sie keinen großen Nutzen aus der Zeit ziehen, die Sie damit verbringen. Und zweitens werden sich die üblichen Negativreaktionen Ihrer Kunden auf zusätzlichen Druck in schwierigen Zeiten noch weiter verstärken.

Ein kurzsichtiger Fokus auf Umsätze in der Spätphase des Verkaufsprozesses führt außerdem dazu, dass Sie in der Frühphase wichtige Chancen verpassen. Hier versteckt sich das größte Potenzial, um die Geschäftstätigkeit zu stärken und die Auswirkungen einer Rezession zu minimieren. In den frühen Phasen können Sie zusätzliche Bedürfnisse aufspüren und so den Umfang des Geschäfts erweitern. Zudem kann es den Verkaufszyklus beschleunigen, wenn Sie bei den Entscheidungsträgern ein konzeptionelles Verständnis für Ihre Angebote und Lösungen schaffen.

Es ist das Anfangsstadium des Verkaufsprozesses, in dem Sie Werte schaffen und sich letztlich vom Wettbewerb abheben. Das wiederum wird Ihnen auch die Verhandlungen erleichtern, wenn es an der Zeit ist, verschiedene Bedingungen, Leistungen oder Preise zu prüfen. Daher sollten Sie sich auf die Chancen der Frühphase konzentrieren, in der Sie noch zahlreiche Aspekte auf Führungsebene beeinflussen können – von der Kundenstrategie über die Ressourcenverteilung bis hin zur Kundenbeziehung.

Es ist völlig normal, dass Führungskräfte Angst um ihre Umsätze und Reingewinne haben – besonders im Abschwung und erst recht in einer Krise wie der jetzigen. Statt sich aber von Angst leiten zu lassen, sollten Sie die genannten Prinzipien anwenden, um Ihre Vertriebsorganisation erfolgreich durch unsichere Zeiten zu steuern. Als Führungskraft habe ich in den Rezessionen der Jahre 2001 und 2008 die oben beschriebenen Techniken eingesetzt und damit ein zweistelliges Wachstum angestoßen. Die Gewinne der meisten unserer Wettbewerber dagegen gingen signifikant zurück. Die Prinzipien können auch Ihnen helfen, einen starken Vertriebsmotor aufzubauen, der Ihr Geschäft selbst in den schwierigsten Zeiten aufrechterhält. 

© HBP 2020

Der Autor

Scott Edinger ist Gründer der Beratungsgesellschaft Edinger Consulting Group mit Sitz in Tampa, Florida, und Autor des Buches "The Hidden Leader: Discover and Develop Greatness Within Your Company". Twitter: @ScottKEdinger

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