Bis zur Lohngerechtigkeit in Deutschland ist es noch ein langer Weg ©Getty

Equal Pay: “Die Politik muss sich mit der Wirtschaft anlegen, damit Frauen gleich bezahlt werden”

Ihr Kampf gegen Lohnungleichheit beim ZDF hat Rechtsgeschichte geschrieben. Journalistin Birte Meier erklärt, wie Deutschland beim Thema Lohngleichheit vorankäme.

Das Interview führte Kristina Appel

Birte Meier ist seit 2022 als Investigativjournalistin bei RTL tätig - ©Sebastian Pfütze
Birte Meier ist seit 2022 als Investigativjournalistin bei RTL tätig - ©Sebastian Pfütze

Zuvor arbeitete Birte Meier als Reporterin beim ZDF-Investigativmagazin Frontal 21, wurde für ihre Recherchen mehrfach ausgezeichnet und war Stipendiatin im Thomas-Mann-Haus in Los Angeles. Seit 2015 versucht die Journalistin, deutsche Gerichte davon zu überzeugen, dass ihre ehemalige Arbeitgeberin, das ZDF, sie als Frau schlechter bezahlte als ihre männlichen Kollegen. 2020 errang sie einen Sieg, der über die Medienbranche hinaus bedeutsam ist. Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass das Entgelttransparenzgesetz, nach dem man Auskunft über die Gehälter in einem Unternehmen erhalten kann, auch für arbeitnehmerähnliche Beschäftigte gilt. Meier hat alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht durchkämpft. Der Klageweg ist aber noch nicht beendet. Am 1. März 2023 erschien ihr Buch Equal Pay Now! beim Goldmann Verlag.

XING News: Was rätst Du Frauen, die den Verdacht hegen, dass sie schlechter vergütet werden als ihre männlichen Kollegen?

Birte Meier: Sie sollten sich drei Fragen stellen: Macht der Kollege einen vergleichbaren Job? Wenn ja, verdient er mehr? Wenn ja, gibt es dafür einen guten Grund? Wenn es den nicht gibt, dann ab zum Betriebsrat, zur Gewerkschaft, zum Anwalt oder der Anwältin.

Also nicht erst einmal eine Anfrage nach dem Entgelttransparenzgesetz stellen und abwarten?

Nein. Man ist geneigt zu glauben: „Da liegt wahrscheinlich ein Versehen vor und das melde ich und dann wird es auch korrigiert.“ Das ist Unsinn. Arbeitgebende nehmen sich vielleicht dieses „Recht“ heraus, mit Lohndiskriminierung Geld zu sparen. Du kannst davon ausgehen, dass sie sich das nicht einfach nehmen lassen. Ich würde mich unbedingt beraten lassen.

Wo hole ich mir am besten Beistand?

Sprich mit der Rechtsschutzversicherung, kläre, ob die Gewerkschaft zahlt oder eine NGO wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die mich unterstützt. Und suche Dir gegebenenfalls Mitstreiter·innen. Dann zieh’ los und mache einen Schlachtplan mit Deiner Anwältin oder Deinem Anwalt.

In Österreich unterstützt der Staat Frauen bei Klagen gegen Lohnungleichheit. Braucht es das in Deutschland auch?

Das Tolle ist, in Österreich muss man gar nicht direkt vor Gericht ziehen. Ein Äquivalent zur Antidiskriminierungsstelle hat dort zunächst die Möglichkeit, zu schlichten. Das ist sehr viel niederschwelliger als bei uns. Würden sich mehr Frauen wehren, wenn es nicht so unglaublich aufwändig wäre? Ich denke, ja. Denn wenn Du Dir einmal Deinen Lohnverlust ausgerechnet und vor Augen geführt hast, was für eine Unverschämtheit das ist, dann ist es schwer, diese Sache auf sich beruhen zu lassen.

Von welchen Ländern könnte sich Deutschland noch etwas in Sachen Lohngleichheit abschauen?

Das Paradebeispiel ist Island. Hier werden die Unternehmen in die Pflicht genommen und alle müssen sich zertifizieren lassen, gleich zu bezahlen. Unternehmen, die das Zertifikat nicht erbringen, werden mit hohen Strafen sanktioniert.

In Großbritannien setzt man dagegen auf „Naming & Shaming“, man stellt also Firmen öffentlich an den Pranger. Wie effektiv ist das?

Die Regierung des Vereinigten Königreichs stellt eine Internetseite zu Verfügung, auf der Firmen ab einer spezifischen Größe ihre aktuellen Lohnlücken veröffentlichen müssen. Das hat zu intensiven Diskussionen geführt, weil etwa die Finanzbranche, in der man nun ganz sicher nicht eine höhere Entlohung mit höheren körperlichen Anforderungen begründen kann, eine eklatante geschlechtsbedingte Lohnlücke vorwies. Das hat zu sehr viel Bewusstsein und Aufmerksamkeit in Gesellschaft und Politik geführt.

Du hast am Thomas Mann Haus in Kalifornien geforscht. In den USA, so scheint es, sind Klagen gegen den Arbeitgeber an der Tagesordnung.

Ja, Amerikaner·innen klagen schneller – vor allem aber gibt es dort die Sammelklage. Das deutsche Entgelttransparenzgesetz ist ein zahnloser Tiger. Aber die Sammelklage verleiht dem US-Tiger riesige Zähne.

Was kann Kalifornien also, was Deutschland nicht kann?

Kalifornien hat sein sehr starkes Lohntransparenz- und ein Lohngleichheitsgesetz. In den USA sind es die Unternehmen, die in die Verantwortung genommen werden, denn die verursachen die ungleiche Bezahlung schließlich auch. Über diesen Weg kommt man sicher schneller ans Ziel. Solch ein Gesetz braucht es auch in Deutschland.

Eins haben alle diese Lösungen gemeinsam: Sie nehmen Politik und Unternehmen in die Pflicht und nicht die Betroffenen, wie hier in Deutschland. Ist das der Hebel für zukünftige Verbesserungen?

Dreh- und Angelpunkt ist natürlich die Politik. Die neue EU-Richtlinie zu Lohngleichheit ist eine große Chance! Wenn sie wie geplant im Frühling verabschiedet wird, muss sie innerhalb von drei Jahren, also bis 2026, in ein deutsches Gesetz umgesetzt werden. Es ist wichtig, dass da alle ganz genau draufschauen, denn es darf nicht noch einmal ein so zerfleddertes Gesetz wie das originale Entgelttransparenzgesetz entstehen, das seinen Nutzen nur vorgaukelt, aber Frauen dem gerechten Lohn keinen Schritt näherbringt.

Die Politik muss sich mit der Wirtschaft anlegen?

Natürlich muss sie das, damit einzelne Frauen das nicht mehr tun müssen. Wir brauchen Fachkräfte! Wir wollen Frauen in den Arbeitsmarkt bringen! Aber dann vergüten wir sie nicht fair? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Die Wirtschaft muss hören: Was ihr da tut, ist nicht nur nicht zukunftsweisend, sondern auch rechtswidrig.

Was können Einzelne tun, wenn Kolleg·innen gegen ihre Arbeitgeber klagen?

Lasst sie nicht im Regen stehen! Wenn sie zum Beispiel fragen, ob ihr etwas bezeugen könnt, etwa dass ihre Tätigkeit gleichwertig ist, macht das! Verteidigt sie, wenn Gerüchte kursieren oder wenn man versucht, sie an den Rand zu drängen. Wenn eine Frau im Rahmen des Entgelttransparenzgesetztes eine Anfrage stellt, dann schließt euch aus Solidarität an.

Gibt es etwas, das gerade Männer tun können?

Ja, wir alle, auch Männer, können über Geld reden und offener mit unseren Gehältern sein. Und – leider ist es so – je mehr Männer sich hinter eine Anfrage oder eine Klägerin stellen, desto mehr Wumms bekommt sie.

Das Buch Equal Pay Now! Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer erschien am 1. März 2023 beim Goldmann Verlag
Das Buch Equal Pay Now! Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer erschien am 1. März 2023 beim Goldmann Verlag

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