Premium

Europas Hoffnung: Südlich von Zypern lagern 510 Milliarden Kubikmeter Gas

Die Vorkommen könnten die ausbleibenden Lieferungen aus Russland zu einem guten Teil ersetzen – doch zunächst einmal müssen technische Hürden überwunden werden.

Zypern hofft auf Aphrodite. So heißt das Erdgasfeld vor der Südostküste der Mittelmeerinsel. Seinen Namen hat es von der antiken Liebesgöttin, die der Legende nach an einem Strand auf Zypern aus der Brandung stieg. Entdeckt wurde das Gasfeld bereits 2011. „Innerhalb von drei bis fünf Jahren können wir mit der Förderung beginnen“, sagte damals Solon Kassinis, Abteilungsleiter für Energie im zyprischen Wirtschaftsministerium.

Unser Sommer-Special: Jetzt das digitale Handelsblatt statt 4 ganze 6 Wochen für 1 € lesen

Elf Jahre sind seitdem vergangen, aber das Gas lagert immer noch 6000 Meter unter dem Meeresboden. Dabei wäre gerade jetzt Erdgas aus einem EU-Land wie Zypern als Ersatz für ausbleibende Gazprom-Lieferungen besonders willkommen. Dass die Förderung weiter auf sich warten lässt, hat politische und wirtschaftliche Gründe. Manche Experten äußern Zweifel, ob sich die Erschließung der Vorkommen und der Aufbau einer Export-Infrastruktur überhaupt rechnet.

Bis Ende dieses Jahres will der Energiekonzern Chevron, der gemeinsam mit Shell plc und der israelischen New Med die Konzession für das Aphrodite-Feld hat, ein Konzept zur Entwicklung des Vorkommens vorlegen. Es soll auch die bisher unbeantwortete Frage beantworten, auf welchen Wegen das Gas exportiert werden kann.

Natasa Pilides, Zyperns Ministerin für Energie, Handel und Industrie, ist optimistisch: 2027 werde die Insel mit dem Export von Erdgas aus dem Aphrodite-Feld beginnen.

Die Ministerin glaubt, auch Abnehmer zu haben: „Europa ist ein guter potenzieller Kunde für zyprisches Erdgas, weil die EU bestätigt hat, dass Gas bis 2049 ein Brückentreibstoff bleiben wird“, sagte Pilides der Agentur Bloomberg.

Gasvorräte von Zypern belaufen sich auf 510 Milliarden Kubikmeter

Die Gasvorräte von Aphrodite werden auf 130 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Es ist nicht das einzige Vorkommen. Im Februar 2018 entdeckten die italienische Eni und die französische Total in ihrem Konzessionsgebiet nordwestlich von Aphrodite die Lagerstätte Calypso. Sie wird auf ein Volumen von 180 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Im Jahr darauf bohrte Exxon Mobile etwas weiter südlich die Gas-Lagerstätte Glaucus an. Dort lagern rund 200 Milliarden Kubikmeter Erdgas.

Unter dem Strich belaufen sich die bisher nachgewiesenen Gasvorräte Zyperns auf 510 Milliarden Kubikmeter. Das ist mehr als der fünffache Verbrauch Deutschlands im vergangenen Jahr. Damit hat die Inselrepublik das Potenzial, zu einem wichtigen Gaslieferanten für Europa zu werden.

Aber es gibt politische und wirtschaftliche Hürden. Größtes Hindernis ist der ungelöste Zypernkonflikt. Die Insel ist zweigeteilt, seit die Türkei im Sommer 1974 den Norden der Insel besetzte, um eine befürchtete Annexion durch Griechenland zu verhindern. Ankara erhebt nicht nur Ansprüche auf Teile der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), die Zypern nach der Uno-Seerechtskonvention zusteht. Die Türkei verlangt auch, dass die türkische Volksgruppe im Norden der geteilten Insel an den Erlösen aus der Gasförderung beteiligt wird.

Neben den politischen Kontroversen gibt es auch technische Probleme. Es fehlt bisher an der Infrastruktur für den Gasexport. Im Januar 2020 unterzeichneten Griechenland, Zypern und Israel ein Grundsatzabkommen über den Bau der East-Med-Pipeline. Die 1900 Kilometer lange Leitung soll Gas aus den Fördergebieten vor Zypern und Israel über Griechenland nach Italien bringen, wo es in das europäische Netz eingespeist werden könnte. Die Türkei hat jedoch Einspruch gegen die Pipeline angemeldet, weil sie durch ein Seegebiet führen soll, das Ankara als eigene Wirtschaftszone beansprucht.

Auch die Wirtschaftlichkeit des Projekts, das auf sechs bis sieben Milliarden Dollar veranschlagt wird, ist zweifelhaft. Im Januar zogen deshalb die USA ihre Unterstützung für die Pipeline zurück. Damit gilt das Projekt als gescheitert.

Bleibt der Export als verflüssigtes Erdgas (LNG). Pläne für ein LNG-Terminal bei Vassilikos an der Südküste Zyperns wurden schon Anfang der 2010er-Jahre diskutiert, aber wegen Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit nicht umgesetzt. Möglich wäre es, das Gas aus den Lagerstätten vor Zypern zum LNG-Terminal im ägyptischen Idku zu transportieren, es dort zu verflüssigen und mit Tankern zu exportieren.

Energiekrise: Macht der EU-Klimaschutz-Zeitplan Pipeline-Projekte unwirtschaftlich?

Mitte Juni unterzeichnete EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen eine Absichtserklärung mit Israel und Ägypten. Sie sieht Exporte von israelischem Gas über das LNG-Terminal in Ägypten vor. So könnte es auch Zypern machen. Dazu müsste man allerdings die Kapazitäten in Idku erweitern und eine Pipeline aus den Fördergebieten vor Zypern nach Ägypten bauen.

Bei allen Entscheidungen für die Erschließung der zyprischen Vorkommen und den Ausbau einer Export-Infrastruktur stellt sich für Investoren die Frage, wie lange Erdgas überhaupt noch genutzt werden soll. Nach den Modellrechnungen der EU-Kommission dürfen im Jahr 2030 maximal 22 Prozent des Bruttoinlandsenergieverbrauchs auf Erdgas entfallen.

Ob die in Zypern konzessionierten Konzerne vor dem Hintergrund der EU-Klimaziele bereit sein werden, jetzt Milliarden in eine Gasförderung zu investieren, die frühestens 2027 beginnen kann, bleibt abzuwarten.

Der EU-Klimaschutz-Zeitplan mache Projekte wie die East-Med-Pipeline, die fünf bis sieben Jahre Bauzeit erfordere und mehr als 20 Jahre Betrieb für eine Amortisierung benötige, unwirtschaftlich, meint Charles Ellinas, CEO des zyprischen Energie-Beratungsunternehmens e-CNHC. Das Gleiche gelte für die Erschließung neuer Gasfelder, schreibt Ellinas. Hinzu kommen im Fall Zypern Investitionsrisiken wegen der politischen Spannungen mit der Türkei.

Auch Moritz Rau, der bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zu Energiefragen im östlichen Mittelmeer forscht, ist skeptisch: Zu teuer und aufwendig sei der Bau adäquater Transport-Infrastrukturen, zu brisant der bis heute ungelöste Zypernkonflikt sowie der Streit um Seegrenzen und Wirtschaftszonen, schreibt Rau in einem Papier.

Statt neue Pipelines zu bauen, könnte der Stromhandel intensiviert werden, mit Unterwasserkabeln wie dem geplanten Euro Asia Interconnector und dem Euro Africa Interconnector, die Ökostrom aus Israel und Ägypten nach Europa bringen sollen, meint Rau.

Europas Hoffnung: Südlich von Zypern lagern 510 Milliarden Kubikmeter Gas

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Handelsblatt - das Beste der Woche schreibt über Substanz entscheidet

Das Handelsblatt ist das führende Wirtschaftsmedium in Deutschland. NEU: Diese Seite bietet Premium-Mitgliedern eine Auswahl der besten Artikel vom Handelsblatt direkt hier und als wöchentliche Zusammenfassung per Mail. Rund 200 Redakteure und Korrespondenten sorgen rund um den Globus für eine aktuelle, umfassende und fundierte Berichterstattung. Über Print, Online und Digital kommunizieren wir täglich mit rund einer Million Leserinnen und Lesern.

Artikelsammlung ansehen