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Faire Bezahlung nicht in Sicht: Warum Frauen in Deutschland 66 Tage pro Jahr umsonst arbeiten

LaylaBird/GettyImages
Equal Pay: Faire Bezahlung bedeutet Chancengleichheit für alle Beschäftigten.

Was wir brauchen, um die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen in Zukunft endlich schneller zu schließen, sind klischeefreie, neutrale und objektive Entgeltsysteme. Ein Plädoyer.

Ein Gastbeitrag von Christine Gräbe, Fair Pay Innovation Lab.

Schon seit vierzehn Jahren macht der Equal Pay Day in Deutschland auf den Gender Pay Gap, die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, aufmerksam. Und mindestens genauso oft wurde die Lohnlücke bestritten, geleugnet und kleingerechnet. Doch sie hält sich hartnäckig, aber warum? Wieso ist weniger Gehalt so ausschlaggebend für die Gleichstellung? Und weshalb geht faire Bezahlung alle etwas an?

Noch immer verdienen Frauen überall auf der Welt weniger als Männer, für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten, sogar im selben Unternehmen. In Deutschland beträgt dieser Unterschied im Durchschnitt 18 Prozent. Ein gutes Jahrzehnt hat es gedauert, bis der Wert endlich unter 20 Prozent sank. Auf den Kalender umgerechnet sind das 66 Tage, die deutsche Arbeitnehmerinnen gemessen am Gehalt ihrer männlichen Kollegen gratis arbeiten. Auf diesen Missstand macht der Equal Pay Day aufmerksam. In diesem Jahr fällt der Aktionstag auf den 7. März – und rutscht damit im Kalender erstmals vor den Weltfrauentag am 8. März.

Der deutsche Equal Pay Day: ein US-Import

Dabei ist Forderung nach fairer Bezahlung bereits mehr als hundert Jahre alt. Schon 1906 erforschte die Frauenrechtlerin Alice Salomon in den USA „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“. In den 1960ern erwirkten US-amerikanische Aktivistinnen eine gesetzliche Grundlage für gleiche Bezahlung. Schließlich unterzeichnete US-Präsident John F. Kennedy 1963 den sogenannten Equal Pay Act.

Doch es tat sich: Nichts. Ende der 1980er gingen die Amerikanerinnen erneut auf die Straße und machten in der Red Purse Campaign auf das Minus auf ihren Gehaltszetteln aufmerksam.

2008 rief auch die Vereinigung Business and Professional Women in Deutschland zum ersten Equal Pay Day auf. Damals kümmerte sich Ursula von der Leyen als Familienministerin um „das ganze Gedöns“, führte Elterngeld und Elternzeit ein und engagierte sich für die Quote für Aufsichtsräte. Das Thema Bezahlung fehlte jedoch auf ihrer Agenda.

Die deutschen Aktivistinnen wurden von Männern wie von Frauen anfangs viel belächelt. Ihrer Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass inzwischen alle vom Missstand namens Gender Pay Gap wissen. Die Ursachen der Lohnlücke sind sehr gut erforscht, Lösungen liegen auf dem Tisch. Es geht nicht mehr nur darum, ob es überhaupt eine Lohnlücke gibt. Seit einigen Jahren wird endlich diskutiert, wie sie sich schließen lassen könnte.

Alles halb so schlimm?

Kritik hagelt es weiterhin. Zwar wird nicht länger die Existenz bezweifelt, dafür umso vehementer die Höhe der Lohnlücke samt Berechnung des Aktionstages. So wurde der Equal Pay Day schon zweimal zur „Unstatistik des Monats“ gekürt, und die Lohnlücke wird Jahr für Jahr „bereinigt“. Das bedeutet: Alle Faktoren, die die Ungleichbehandlung erklären können, werden herausgerechnet, bis – je nach Rechenart – „nur“ noch 2, 6 oder 7 Prozent übrigbleiben. Teilzeit ist so ein erklärender Faktor. Logisch, dass ein Teilzeitgehalt niedriger als ein Vollzeitgehalt ist! Doch das Statistische Bundesamt vergleicht nicht das Gehalt, sondern den Bruttostundenlohn. Frauen, die in Teilzeit arbeiten, verdienen häufig pro Stunde weniger als ihre in Vollzeit arbeitenden Kollegen.

Das Bereinigungsmanöver ist durchschaubar und lenkt von den Lösungen und Strategien ab, die Lohnlücke endlich zu schließen.

Der unerklärbare Rest und die dreckige Wahrheit

18 Prozent Lohnlücke sind die Spitze des Gleichstellungsbergs. Selbst bereinigte 6 Prozent addieren sich über ein Arbeitsleben auf eine Summe, mit der sich ein Einfamilienhaus bauen ließe. Doch erst der Vergleich der Nettoeinkünfte von Frauen und Männern zeigt das ganze Ausmaß der Schieflage: Weniger als jede vierte Deutsche hat ein eigenes Einkommen von mehr als 1.500 Euro. 39 Prozent der Frauen verdienen dagegen weniger als 1.000 Euro, und 14 Prozent haben gar kein eigenes Einkommen. Bei den Männern verhält es sich genau andersherum: 29 Prozent der Männer zwischen 30 und 50 Jahren verfügen über ein Einkommen von weniger als 1500 Euro. Fast jeder vierte erzielt jedoch ein Monatseinkommen von mehr als 2500 Euro. Im Klartext: Sehr viele Frauen in Deutschland sind wirtschaftlich von anderen abhängig – mit fatalen Auswirkungen auf ihre Rente und ihr Vermögen.

Selbstgewähltes Schicksal als Erklärung?

Frauen seien selbst schuld, wählten die „falschen“ Berufe, scheuten Führung und wollten es ja nicht anders, heißt es dann oft. Die Krux: Frauen werden bei der Bezahlung diskriminiert. Und zwar unabhängig davon, ob sie Mütter werden, welchen Beruf sie wählen oder wie viele Stunden sie arbeiten. Strukturelle Hürden lassen sich nur schwer überwinden – noch nicht einmal von Frauen, die sich gegen Kinder oder die Pflege von Angehörigen, für eine Vollzeitstelle oder für einen MINT-Beruf entscheiden und außerdem über exzellentes Verhandlungsgeschick verfügen. Da hilft es auch nur wenig, den Frauen beizubringen, besser zu verhandeln.

Geld als Schlüssel zur Chancengleichheit

Was sich ändern muss, sind die Strukturen. Wir brauchen mehr Karrieremöglichkeiten in Teilzeit, mehr Frauen in Führung, mehr Väter in Elternzeit und unvoreingenommen Personalverantwortliche. Eine Reform des Ehegattensplittings, eine gerechtere Verteilung von Care Arbeit, weniger Stereotypen und weniger Klischees in der Werbung und in unseren eigenen Köpfen.

Inzwischen agieren einige Unternehmen fortschrittlicher als die Politik. Unabhängig von Pflichten und Gesetzen setzen sie faire Bezahlung um und verstehen Lohngerechtigkeit als eine Haltung. Natürlich sind ihre Motive nicht uneigennützig: Blinde Flecken und unbegründete Einkommensunterschiede verursachen hohe Kosten. Denn faire Bezahlung hat im Gegensatz dazu viele nachhaltige Nebenwirkungen: Weniger Fluktuation, höhere Motivation, höhere Zufriedenheit und bessere Reputation, mehr Diversität und mehr Frauen in Führung.

Noch ist Freiwilligkeit nicht flächendeckend wirksam. Umso besser, dass Ex-Familienministerin Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission inzwischen den Weg für bessere Gesetze ebnet. Für mehr Transparenz in den Unternehmen. Für eine Entlastung der Beschäftigten und eine Umkehr der Beweislast. Für Sanktionen für Unternehmen, die nicht fair bezahlen.

Was wir brauchen, um die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen in Zukunft endlich schneller zu schließen, sind klischeefreie, neutrale und objektive Entgeltsysteme, in jedem Unternehmen, weltweit. Faire Bezahlung bedeutet Chancengleichheit für alle Beschäftigten, unabhängig davon, woher sie kommen oder wie alt sie sind, ob sie Kinder haben oder keine, ganz gleich woran sie glauben oder wen sie lieben.

Wir sammeln Best Practice Beispiele und freuen uns über Feedback, wie es in Euren Unternehmen läuft: Was sind Eure Erfahrungen? Wisst Ihr, was Eure Kolleginnen und Kollegen verdienen? Wie wird in Eurem Unternehmen für faire Bezahlung gesorgt?

Wer schreibt hier?

Christine Gräbe ist Expertin für Kommunikation und Chancengleichheit und hat 2017 mit Henrike von Platen das Fair Pay Innovation Lab gegründet. Von Berlin aus zertifzieren sie Unternehmen für faire Bezahlung und zeigen Organisationen auf der ganzen Welt, wie sich Entgeltgleichheit umsetzen lässt.

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