Nobody is perfect: Perfektionismus ist ein übertriebener Antreiber. ©Kohei Hara/Getty Images

Frag Dein XING! Was hilft gegen das Impostor-Syndrom?

Ob neue Aufgabe, neuer Job oder Bewerbungsgespräch: Viele Menschen leiden in solchen Situationen unter Versagensängsten. Ein Coach erklärt, wie wir den Perfektionismus in uns für immer besiegen.

Bei Frag Dein XING! beantworten Expert•innen deine ganz persönliche Frage zum Thema Job & Karriere. Praxisnah helfen von XING ausgewählte Coaches dir dabei, Lösungen zu finden, die zu dir passen.

Frage der Woche:

In einem Monat trete ich meinen neuen Job an. Ich habe sehr hart für diese Chance gearbeitet, aber seit Tagen hält mich die Frage wach: was, wenn ich das alles nicht kann? Wie kann ich es bloß vermeiden, gleich mit Fehlern dort einzusteigen und es zu versemmeln? Mich bringt das um meinen Schlaf.
Prof. Dr. Jens Weidner ist Experte für Durchsetzungsstärke, Positive Aggression und  Optimismus als Karriere-Tool.
Prof. Dr. Jens Weidner ist Experte für Durchsetzungsstärke, Positive Aggression und Optimismus als Karriere-Tool.

Liebe XING Nutzerin,

Einen Karriereschritt zu machen, ist nicht einfach. Eine Karriere dauerhaft zu halten, deutlich schwerer. Dafür brauchen wir Fachwissen, langen Atem, Einstecker-Qualitäten, Teamfähigkeit, Durchsetzungsstärke. Kurz gesagt: Karriere ist ein Marathonlauf, der sehr befriedigend sein kann – aber auch anstrengend. Zum Teil belastend. Das war bei mir zunächst nicht anders.

Unser Ziel sollte sein, die Karriere so dauerhaft zu gestalten, dass Partnerschaften (und Kinder) nicht vernachlässigt werden und man einigermaßen entspannt durchs Leben gleitet. Erfolg plus Entspannung: das ist Königsdisziplin!

Um die zu beherrschen, haben die klinische Psychologin Laura Kellermann und ich die Prinzipien herausgearbeitet, mit denen wir unsere Karriere leichter gestalten können. Ohne finanzielle Verluste. Ohne Erfolgs-Abstriche. Wir nennen unser pragmatisches Konzept „Das Federleicht-Prinzip“. Leichtigkeit statt Belastung und Stress! Das hat etwas, oder?

Das Impostor-Syndrom befeuert unseren Perfektionismus

Schlechter Schlaf ist immer ein Warnzeichen für ungelöste Sorgen. Deine Sorge kann Ausdruck für ein Impostor-Syndrom sein. Auf Deutsch spricht man vom Hochstapler-Syndrom, das dich voller Selbstzweifel pumpt, vor allem, wenn du Neues bewältigen musst: „Das kannst du nicht, da bist du nicht gut genug, das ginge schneller...“, hämmert es in deinem Kopf. Selbst Erfolge werden so kleingeredet.

Auch weil das fiese Impostor-Syndrom ständig unseren Perfektionismus befeuert. Im Job, im Privatleben, in der Freizeit ist der Perfektionismus ein übertriebener Antreiber. Denn nobody is perfect. Das wissen wir doch alle. Die Latte liegt bei diesem Anspruch viel zu hoch.

Perfektionismus ist auch nicht zielführend, denn er lässt uns zu klein-kleinen Eierzählern mutieren, die ständig einen riesigen Zeitaufwand für minimale Forstschritte investieren. Und dabei das große Ganze aus den Augen verlieren.

Mit der 80-Prozent-Formel zu mehr Gelassenheit

Ich empfehle Dir eine Anti-Perfektionismus-Strategie: mache nichts zu 100 Prozent. Weder im Beruflichen, noch im Privaten. Erledige alles nur noch zu 80 Prozent und rede darüber, als ob du 120 Prozent geleistet hättest. Das mag sich zunächst befremdlich, vielleicht sogar bedrohlich anfühlen. Aber wie bei allem im Leben gilt: Übung macht den Meister oder die Meisterin! Ich mache das schon seit vielen Jahren so und hab es immerhin zu einer 1A-Karriere gebracht. Dauerhaft. Denn mir geht nie die Kondition aus. Kein Wunder, ich arbeite ja auch nie am Limit. Aber ich arbeite fast immer! Mäßig, aber regelmäßig.

Lass mich ein paar weitere Tools an dieser Stelle verraten:

Da wären die Positive Fokussierung als Gegengewicht zum Selbstzweifel. Einer meiner Positiv-Lieblingssätze lautet: „Was ich hier leiste, das ist Perlen vor die Säue werfen!“ Das ist fett aufgetragen, mit einem Augenzwinkern (!), aber vor allem ein deutliches Gegengewicht zur beliebten Selbstkritik vieler, die selbst bei ordentlicher Leistung ausgeübt wird. Überschwängliche Selbstkritik, bitte merk Dir das, ist etwas für Loser.

Federleicht-Menschen reicht es völlig, den Fehler kein zweites Mal zu begehen. Und sie trösten sich dabei mit dem Satz: „Das ist jetzt in 2022 richtig Schrott gelaufen. Aber ohne mich wäre das schon in 2019 gescheitert!“ Selbst die Niederlage wird so zum Mini-Erfolgserlebnis.

Federleicht-Spezialistinnen beherrschen aber noch mehr:

  • Sie mögen „Nein“ sagen.

  • Sie definieren kleine klare Schritte, deren Realisierung ihnen Freude bereitet, denn sie feiern jeden dieser Schritte. Step by step.

  • Sie gönnen sich Pausen und üben es, Fehler easy wegzustecken.

  • Sie pflegen ein realistisches Zeitmanagement, das sie vor der Prokrastination, also der Aufschieberites schützt.

  • Und sie umgeben sich mit einem Netzwerk, das ihnen wohlgesonnen und wertschätzend gegenübersteht und eben nicht jeden Fehler genüsslich ausweidet.

Meine Co-Autorin Laura und ich lieben diese kleinen Federleicht-Tricks, von denen es etliche mehr gibt. Und wir beachten sie, weil sie uns helfen, Leichtigkeit und Karriere zusammenzubringen. Ich hoffe, Du fühlst Dich bei dieser Perspektive auch schon ein wenig leichter? Und auch hier gilt: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Du musst nicht sofort alles verinnerlicht haben, aber wenn es Dir Stück für Stück gelingt, stirbt irgendwann der Perfektionismus in Dir – und mit ihm das Impostor-Syndrom.

Bei welcher Herausforderung können wir Dich unterstützen? Schreibe uns Deine Frage in die Kommentare oder sende uns eine Mail an redaktion@xing.com

Wer schreibt hier?

Dr. Jens Weidner ist Professor für Kriminologie, Sozialisations- und Aggressionsforschung an der Hamburg University of Applied Science (HAW). Als XING Insider schreibt er regelmäßig über die Themen Durchsetzungsstärke, Positive Aggression, Optimismus als Karrieretool oder Machtspiele im Management. Der Bestseller-Autor veröffentlichte zuletzt gemeinsam mit Laura Kellermann das Buch "Das Federleicht-Prinzip - Das Geheimnis der entspannten Karriere" (Campus Verlag).

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