Gründen im Rollstuhl – warum dieser Unternehmer anderen eine Innovations-Lektion erteilt
Vom Problem zum Business: Wie Josh Wintersgill Menschen im Rollstuhl hilft und was alle Gründer•innen von ihm über innovative Problemlösung lernen sollten.
Josh Wintersgill aus Bristol ist mit 28 Jahren erfolgreicher Unternehmer, engagiert sich bei verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen und sitzt im Rollstuhl. Er trainiert für das Great British Paralympic Shooting Team und ist der Erfinder einer Sitzvorrichtung, mit deren Hilfe Rollstuhlfahrer•innen bequem und würdevoll auf ihren Platz im Flugzeug gehoben werden können - und die inzwischen Teil der Ausstattung der Fluggesellschaft Easyjet ist. Seine Firma ableMove bietet weitere Produkte an, die das Leben für Menschen im Rollstuhl erleichtern und ihnen mehr Bequemlichkeit und Sicherheit für ein selbstbestimmtes Unterwegssein bieten.
Josh Wintersgill weiß aus eigener Erfahrung, wie notwendig solches Zubehör ist, um sich als Mensch, der im Rollstuhl sitzt, ein Stück Freizeit zu erobern. Im Alter von 18 Monaten wurde bei ihm eine Spinale Muskelatrophie diagnostiziert. Wegen der Krankheit sitzt er, seit er zehn Jahre alt ist, im Rollstuhl. Die Idee für den Transfersitz für das Flugzeug-Boarding kam Joshua Wintersgill nach einer besonders unangenehmen Erfahrung beim Ein- und Aussteigen auf einem Flug nach Teneriffa. „Viele Menschen mit Behinderungen sind darauf angewiesen, dass das Personal der Fluggesellschaft sie unter den Armen und Beinen aus ihrem Rollstuhl in einen winzigen, engen Raum wie einen Fensterplatz hebt. Das ist sehr, sehr unangenehm und würdelos.“
Also erfand er den Prototypen seiner ableMove Transfer-Vorrichtung, der das Hinein- und Hinausheben erleichtert. Der größte Unterschied zu bisherigen Vorrichtungen ist, dass das Flugzeugpersonal nun nicht mehr die Person aus dem Rollstuhl auf den Sitzplatz tragen muss, sondern stattdessen einfach den ganzen Tragesitz anheben kann 🎬.
Die Pandemie stoppt alle Pläne
Josh gewann damit nicht nur Unternehmer-Preise, er überzeugte auch den Gründer der Airline Easyjet, Stelios Haji-Ioannou – der das Produkt in die eigene Ausstattung von Easyjet übernahm. Der EasyTravelseat gehört inzwischen zur Standardausrüstung der britischen Airline. Doch gerade als das Geschäft richtig Tempo aufnahm, begann die Corona-Pandemie – und der gesamte Reisemarkt kam zum Stillstand.
Doch für Joshua Wintersgill war diese Herausforderung nur ein Anreiz, sein Geschäftsmodell zu überdenken und weiterzuentwickeln. „Wir brauchten einen Plan B und so kamen wir auf die Idee, weitere Produkte für Rollstuhlfahrer·innen zu entwickeln, die man sowohl beim Reisen, aber auch im Alltag braucht“, sagt er. Nun gibt es im Sortiment auch eine wasserfeste Auflage für den Rollstuhl und verschiedene Spezialgurte, die beim Transport oder sportlichen Aktivitäten helfen. Das Unternehmen steht nun auf viel soliderem Fundament.
Was ist Joshs Erfolgsrezept, wie bleibt er trotz Niederlagen motiviert und was können Gründerinnen und Gründer und solche, die es noch werden wollen, von ihm lernen? Die XING News Redaktion hat ihn befragt:
Erkenne das Problem – und biete eine Lösung
Joshua Wintersgill: „Wenn Du selbst ein Problem hast und es konkret benennen kannst, sind die Chancen hoch, dass auch andere Menschen einen Ausweg dafür brauchen. Als Rollstuhlfahrer stoße ich immer wieder auf Hindernisse und weiß, dass es anderen auch so geht. Die Motivation, eine Lösung zu finden ist also sehr hoch und wird viel mehr vom Ergebnis getrieben als zum Beispiel von dem Wunsch, viel Geld zu verdienen. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Foto, das mich regelrecht zum Weinen gebracht hat. Die Mutter eines Jungen im Rollstuhl hatte es mir geschickt, auf dem Bild sieht man den Jungen, wie er mit Delfinen schwimmt. Sie haben unsere Transport-Schlinge benutzt, um das möglich zu machen. Es sind solche Momente, in denen du realisierst, worauf es beim Gründen eigentlich ankommt: Erlebnisse möglich zu machen, die es ohne Dein Produkt nicht geben würde.“
Josh Wintersgill: „Als unsere Verkäufe durch die Pandemie zurückgingen, war das frustrierend. Ich glaube fest an das Produkt und ich wollte die Idee nicht aufgeben. Zugleich musst Du in der Geschäftswelt realistisch und flexibel sein. Wenn Du nicht genügend Geld verdienst und sich das Unternehmen – obwohl Du Herz und Seele reinlegst – nicht weiterentwickelt, dann stimmt etwas nicht. Ob Timing, Branding, Preis oder Qualität – da können viele Faktoren reinspielen. Aber wenn es sich nicht verkauft, musst DU etwas ändern. Die äußeren Umstände, die Covid mit sich gebracht hat, waren wie ein Brennglas für uns und haben andere Probleme an die Oberfläche gespült. Wir haben also die unfreiwillige Ruhepause genutzt, um das Unternehmen neu aufzustellen, das Geschäftsmodell anzupassen und fünf neue Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.“
Du musst Bescheid wissen, aber nicht alles allein machen
Josh Wintersgill: „Wenn Du ein Business aufbauen willst, musst Du Deine Hausaufgaben machen. Beschäftige Dich intensiv mit dem Markt, mit Deiner Zielgruppe, mit den Bedürfnissen der Kund·innen, mit Preis-Modellen. Vergiss dabei aber nicht, dass Deine Expertise begrenzt ist und Du Dir Hilfe holen kannst. Ich hatte keine Ahnung von dem medizinischen Sektor, erst recht nicht, was man bei der Produktion beachten muss. Anstatt mir jedes Detail selbst beizubringen – was sehr viel Zeit gekostet hätte – habe ich mich mit Herstellern zusammengetan, die in diesem Bereich schon Erfahrung hatten. Das spart Zeit, Energie und Anstrengung. Außerdem verschafft Dir eine solche Zusammenarbeit nochmal ganz andere Zugänge zu Menschen aus dem Umfeld, die Dir vielleicht an anderer Stelle weiterhelfen können. Du solltest mit Deinem Wissen immer in der Lage sein, die richtigen Fragen zu stellen – und Dich dann mit Menschen umgeben, die die Antworten kennen.“
Du bist unzufrieden? Dann ändere was!
Josh Wintersgill: „Schon bevor ich mein Unternehmen gegründet habe, war ich in meinem alten Job in der IT-Branche nicht mehr zufrieden. Der Vorfall im Teneriffa-Urlaub hat mich dann zum Nachdenken gebracht. Gleichzeitig las ich auf dieser Reise „Start with Why“ von Simon Sinek. Die Kombination aus meiner persönlichen Erfahrung und die Suche nach einem größeren Sinn in meiner Arbeit war also der Auslöser, mich auf ein ganz neues Spielfeld zu bewegen. Wenn wir unzufrieden sind, können wir natürlich abwarten und hoffen, dass sich die Situation von allein ändert – das tut sie nur meistens nicht. Darum ist es immer erfüllender und sinnstiftender, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen – und dann zu schauen, wohin die Reise führt.“
Du interessierst Dich für die Produkte von ableMove und siehst auch Bedarf auf dem deutschen Markt? Dann melde Dich bei Josh, er freut sich immer über neue Kooperationspartner.