Krankenschwester in einem Krankenhaus. - (Foto: E+/Getty Images)
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Grüne und SPD nehmen private Krankenkassen ins Visier

Eine höhere Beitragsbemessungsgrenze belastet Gutverdiener. Das würde der defizitären gesetzlichen Versicherung erhebliche Mehreinnahmen bescheren – zulasten der PKV.

Berlin. Angesichts eines milliardenschweren Defizits in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung werden Rufe in der Ampelkoalition lauter, Besserverdienende stärker zu belasten. Es sei sinnvoll, über eine „deutliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze“ in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu diskutieren, sagte die SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt dem Handelsblatt.

Die Grenze, bis zu der Kassenpatienten Beiträge zahlen müssen, liegt aktuell bei 4987,50 Euro Bruttolohn im Monat. Es sei kein Geheimnis, dass die SPD die Anhebung auf das Niveau der Rentenversicherung befürworte, sagte Schmidt. Dieses liegt derzeit bei 7100 Euro in den neuen Bundesländern und 7300 Euro in den alten.

Ähnlich äußerte sich die Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink. „Dies würde für die gesetzliche Krankenversicherung deutliche Mehreinnahmen bedeuten und – anders als höhere Beitragssätze – lediglich Gutverdiener belasten“, sagte sie dem Handelsblatt.

Die FDP lehnt die Vorstöße hingegen ab – auch weil sie am dualen System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung (PKV) rütteln. Der Chef des PKV-Verbands, Thomas Brahm, spricht im Handelsblatt-Interview von einer „Bürgerversicherung durch die Hintertür“.

Steigt mit der Beitragsbemessungs- auch die Versicherungspflichtgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung, könnten nur noch sehr wenige Arbeitnehmende die gesetzliche Krankenversicherung verlassen, gibt der Wirtschaftsweise Martin Werding zu bedenken. Damit ändere sich die Geschäftsgrundlage der PKV. „Ihr würden neue Mitglieder genommen, die PKV würde ausbluten“, sagte Werding dem Handelsblatt.

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Gesetzliche und private Krankenversicherung: Welche Folgen die Forderungen haben

Die Versicherungspflichtgrenze beschreibt, ab welchem Einkommen Arbeitnehmende wie Beamtinnen und Beamte sowie Selbstständige in die private Krankenversicherung wechseln können. Diese liegt mit rund 5500 Euro Bruttomonatslohn derzeit leicht über der Beitragsbemessungsgrenze. Die Bemessungsgrenze der Rentenversicherung ist deutlich höher.

Krankenschwester mit Tablet. - (Foto: E+/Getty Images)
Krankenschwester mit Tablet. - (Foto: E+/Getty Images)

Würde die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung über den Wert der Versicherungspflichtgrenze steigen, dürfte die Versicherungspflichtgrenze ebenfalls angehoben werden.

Es könnten dann neben Beamten und Selbstständigen nur noch Arbeitnehmende mit einem Spitzengehalt in die private Krankenversicherung wechseln. Aktuell sind rund die Hälfte der Versicherten in der PKV Beamte, die andere Hälfte Selbstständige und Arbeitnehmende.

PKV-Verbandschef Brahm lehnt den Vorstoß deswegen vehement ab. „Das führt nur dazu, dass mehr Geld in ein System kommt, das nicht zukunftsfähig ist“, sagte er im Handelsblatt-Interview.

Gesetzliche Krankenversicherung: Welche Belastung Besserverdienenden droht

Auch die Belastungen für Arbeitnehmer und -geber wären enorm. Denn wer über der Bemessungsgrenze verdient, müsste bei einer Anhebung auch mehr in die gesetzliche Krankenkasse einzahlen.

Bei einer Angleichung an die derzeitige Versicherungspflichtgrenze würde sich die Belastung für den Arbeitnehmer bereits um bis zu 50 Euro pro Monat erhöhen, sagte Wirtschaftsweise Werding. Steigt die Grenze sogar auf das Niveau der Rentenversicherung, würden sich die Beiträge bei Spitzenverdienenden um bis zu 220 Euro im Monat erhöhen.

„Durch die Parität trägt der Arbeitgeber die gleiche Last“, erklärt Werding. Sprich: Dieser Schritt würde nicht nur Versicherte, sondern auch Unternehmen belasten. Schon jetzt liegen die Sozialabgaben über der 40-Prozent-Marke, die die Große Koalition einmal als Grenze festgelegt hatte und die nach dem Regierungswechsel überschritten wurde.

Was sich SPD und Grüne von einer höheren Beitragsbemessungsgrenze versprechen

Grund für die Forderung von SPD und Grünen ist, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht auf zusätzliches Geld von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hoffen kann, um die maroden Sozialversicherungszweige zu sanieren und neue Vorhaben zu finanzieren.

SPD-Politiker und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. - Foto: dpa
SPD-Politiker und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. - Foto: dpa

SPD und Grüne fordern seit Jahren eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und gehen nun vehement damit in die laufenden Verhandlungen um den Bundeshaushalt. SPD-Fraktionsvize Schmidt sagte, es stelle „sich die Frage, wie die Koalition ihre gesundheitspolitischen Vorhaben finanzieren will“.

Dazu zählen eine solide Pflege- und Krankenversicherung, die anstehenden Versorgungsgesetze und die Klinikreform. „Der Finanzminister sieht sich derzeit nicht in der Lage, dafür Mittel bereitzustellen“, sagte Schmidt mit Blick auf den von Lindner verordneten Sparkurs. „Weil Leistungskürzungen keine Alternative sind, müssen wir die Einnahmen der Sozialversicherung verbessern.“ Hier müsse auch die FDP Kompromisse eingehen. „Der Finanzminister will ja auch eine Mehrheit für seinen Haushalt erhalten.“

CDU-Politiker Sepp Müller - (Foto: IMAGO/Political-Moments)
CDU-Politiker Sepp Müller - (Foto: IMAGO/Political-Moments)

Zum Ärger von SPD und Grünen wurden zuletzt im Koalitionsvertrag zugesagte Leistungen aus der Pflegereform wieder herausgenommen oder abgeschwächt.

Gleichzeitig steigen in diesem Sommer die Beitragssätze für die Pflegeversicherung auf ein neues Rekordhoch. Ähnliches Ungemach droht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Koalition rechnet für das kommende Jahr mit einem Defizit von mindestens acht Milliarden Euro – und auch darüber hinaus dürfte sich die Lage nicht bessern.

„Wir befinden uns derzeit in einer Sackgasse, da sich der Bundesfinanzminister zugleich gegen höhere Steuerzuschüsse und Beitragssätze sperrt“, sagte die Grünen-Fraktionsvize Klein-Schmeink. Zwar werbe man nach wie vor dafür, dass die Kosten für Bürgergeld-Empfänger stärker aus dem Bundeshaushalt übernommen werden wie im Koalitionsvertrag vereinbart.

Komme dies nicht, müssten andere, „gerechtere Einnahmeverbesserungen“ wie eine Anhebung der Bemessungsgrenze bis auf das Rentenversicherungsniveau erwogen werden.

Wer noch für eine Anpassung der Beitragsbemessungsgrenze ist

Die Unterstützung für diese Forderung geht über die Koalition hinaus. Selbst in Teilen der CDU, die tendenziell gegen höhere Belastungen für Versicherte ist, gibt es dafür Sympathie.

Laut dem Unionsfraktions-Vize Sepp Müller würde eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung 13 Milliarden Euro in die Krankenkassen spülen, um etwa die Krankenhausreform zu finanzieren.

Auch in der Bevölkerung gibt es breite Unterstützung für einen solchen Schritt, glaubt man einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. Diese zeigte kürzlich, dass fast 60 Prozent der Kassen- und auch 54 der Privatversicherten eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze befürworten.

Höhere Beitragsbemessungsgrenze: Wie realistisch die Forderungen sind

Die Debatte birgt gewaltiges Konfliktpotenzial in der Koalition. SPD und Grüne warben im Bundestagswahlkampf für eine Bürgerversicherung, Lauterbach gilt als ein großer Verfechter. Der Minister hielt sich in der Debatte aber bislang zurück. In den Koalitionsverhandlungen einigte man sich mit der FDP darauf, von dem Vorhaben abzulassen.

Zwar fordern auch SPD und Grüne im aktuellen Haushaltsstreit nicht, die private Krankenversicherung abzuschaffen. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Andrew Ullmann, spricht aber von einer „roten Linie“, die Grüne und SPD anscheinend vergessen hätten. „Mehr Geld im System würde nicht zu mehr Effizienz, sondern zu einem noch weiter aufgeblähten System führen und damit einen Teufelskreis in Gang setzen.“ Die FDP pocht stattdessen darauf, die Ausgaben zu kürzen.

Was Ökonomen zu Änderungen bei der Beitragsbemessung sagen

In diese Richtung geht auch die Kritik des Wirtschaftsweisen Werding. „Das Spiel mit der Beitragsbemessungsgrenze ist gefährlich“, sagte er. „Es birgt Risiken für Deutschland als Standort für die Beschäftigung Hochqualifizierter und schreckt qualifizierte Zuwanderung ab.“

Laut Werding seien die Maßnahmen auch keine Antwort auf die langfristig steigenden Kosten im Gesundheitssystem. „Das Problem ist, dass sich die Koalition derzeit aller Alternativen beraubt“, sagte er.

Für höhere Steuerzuschüsse fehlten derzeit die Mittel, und Einsparungen, die die Ausgaben dämpfen, bräuchten längere Zeit zur Entfaltung. „Wir dürfen nicht in eine Situation kommen, in der die finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung so schlecht wird, dass an der Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze kein Weg vorbeiführt.“

Der Präsident des Handelsblatt Research Institute, Bert Rürup, sieht hingegen durchaus Vorteile. Es handele sich zwar um eine „Maßnahme zulasten der PKV“ und besserverdienender GKV-Versicherter.

Die Vorschläge dienten aber „der finanzwirtschaftlichen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung“ und wirkten höheren Beitragssätzen und Steuerzuschüssen entgegen.

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