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Gut führen in schlechten Zeiten

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Der folgende Beitrag ist aus unserer Reihe "Harvard-Klassiker". Er erschien erstmals im Harvard Business Manager im September 2009.


Wenn Entlassungen drohen oder das Unternehmen auf der Kippe steht, macht sich oft Panik breit. Jetzt schlägt die Stunde der echten Führungspersönlichkeiten: Wer seine Mitarbeiter bei der Stange halten will, muss sie mit Würde behandeln – und verstehen, warum alte Kommunikationsmuster plötzlich nicht mehr funktionieren.

Von****Robert I. Sutton

Dies sind harte Zeiten für alle Führungskräfte, die ich kenne. Panik und Hysterie bestimmen das Geschehen – nicht nur an den Finanzmärkten, sondern auch am Arbeitsplatz. Erst vor ein paar Wochen erzählte mir ein frustrierter leitender Angestellter eines Dienstleistungsunternehmens, wie schwer es ihm gefallen sei, 10 Prozent seiner Leute zu entlassen, und wie viel Mühe es ihn jetzt koste, die verbliebenen Mitarbeiter zu beruhigen und zu motivieren. Als ich einen gemeinsamen Freund, den CEO eines Fertigungsunternehmens, bat, diesen deprimierten Manager wieder aufzurichten, zeigte er sich sehr hilfsbereit. Gleichzeitig gab er zu, dass er selbst mit ähnlichen Problemen zu kämpfen habe: Gerade erst musste er seine eigene Belegschaft um 20 Prozent reduzieren.

Natürlich ist es kein Zufall, dass sich zwei meiner Freunde in einem ähnlichen Dilemma befinden; nur wenigen Unternehmen scheint so etwas zurzeit erspart zu bleiben. Selbst in Firmen, die für ihren humanen Umgang mit den Mitarbeitern bekannt sind, mussten Führungskräfte in den vergangenen Wochen und Monaten die Axt ansetzen.

Nur einen knappen Monat nachdem der Datenspeicherspezialist NetApp 2009 vom Magazin "Fortune" zur Nummer eins der "100 Best Companies to Work For" gekürt worden war, gab das Unternehmen bekannt, dass es sich von 6 Prozent seiner Mitarbeiter trennen müsse. Google, das 2008 auf den ersten Platz gewählt worden war, hat mittlerweile Hunderte von Vollzeitmitarbeitern entlassen.

Und Kündigungen sind nicht der einzige Grund, warum es zurzeit keine Freude macht, die Chefin oder der Chef zu sein: Auch dort, wo es noch keine Personaleinschnitte gegeben hat, befürchten die Mitarbeiter, dass es sie bald treffen wird. Diese Angst hängt wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen. Daher fühlte sich der CEO eines Technologiekonzerns, mit dem ich schon seit Jahren zusammenarbeite, verpflichtet, seine Leute schriftlich darüber zu informieren, dass das Unternehmen keinerlei Kündigungen plane und im kommenden Jahr sogar neue Mitarbeiter einstellen werde. Doch, so klagte er, "egal, wie oft ich meinen Mitarbeitern klarzumachen versuche, dass ihre Arbeitsplätze sicher sind – sie fragen mich trotzdem immer wieder, wann die ersten Leute entlassen werden". Selbst wenn die Arbeitsplätze eindeutig nicht in Gefahr sind, gibt es immer noch genügend andere Hiobsbotschaften für die Belegschaft, etwa wenn Gehälter und Budgets gekürzt und Projekte auf Eis gelegt werden.

Deshalb bewegen sich die meisten Chefs – vielleicht auch Sie – dieser Tage auf schwierigem und manchmal unbekanntem Territorium. Sie verfügen über Fähigkeiten und Strategien, die in langen Jahren wirtschaftlichen Wachstums verfeinert wurden, doch plötzlich hängt ihre Führungsrolle von einer gänzlich unerwarteten Fragestellung ab: Wie soll ich in einer Atmosphäre der Angst und des Vertrauensverlusts, in der die Zukunft alles andere als rosig aussieht, mit meinen Mitarbeitern umgehen? Dies ist nicht der Job, den sich die meisten Führungskräfte einst vorgestellt haben; und nicht alle werden dieser Herausforderung gewachsen sein. Mit meinem Beitrag möchte ich Ihnen Anregungen geben, wie Sie eine solche Situation richtig bewältigen – indem ich erkläre, warum es so schwer ist, ein guter Chef zu sein, und Ihnen dann im Kern zeige, wie sich die besten Führungskräfte in schwierigen Zeiten verhalten.

Über eines sollten wir uns im Klaren sein: Selbst wenn die Wirtschaft boomt, ist es nicht leicht, ein guter Chef zu sein. Das liegt zum Teil daran, dass in Beziehungen mit ungleicher Machtverteilung naturgemäß eine ungünstige Dynamik entsteht. Wissenschaftliche Untersuchungen haben bestätigt, was viele von uns schon seit Langem vermuten: Menschen, die anderen gegenüber Autorität ausüben dürfen, gewöhnen sich in der Regel egozentrischeres Verhalten an und machen sich weniger Gedanken darüber, was ihre Mitmenschen brauchen, tun oder sagen. Das allein ist eigentlich schon schlimm genug; doch das Problem verschärft sich noch, weil Mitarbeiter normalerweise jede Äußerung oder Handlung ihres ichbezogenen Chefs auf die Goldwaage legen. Zusammen ergeben diese beiden Tendenzen eine tückische Kombination, die intensivere Betrachtung verdient.

Die eine Seite der Medaille – dass Chefs sich meist nicht besonders sensibel für die Perspektive ihrer Mitarbeiter zeigen – lässt sich am besten anhand des "Keks-Experiments" verdeutlichen, über das die Psychologen Dacher Keltner, Deborah Gruenfeld und Cameron Anderson im Jahr 2003 berichteten. Bei dieser Untersuchung sollten Teams aus drei Studenten jeweils ein kurzes Grundsatzpapier verfassen. Zwei nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Mitglieder des Teams bekamen die Aufgabe, den Text zu schreiben. Das dritte Teammitglied musste ihn bewerten und entscheiden, welches Honorar die anderen beiden dafür erhalten sollten, was ihn oder sie praktisch zum Teamchef machte.

Nach etwa 30 Minuten kam einer der Studienleiter herein und brachte den Studenten einen Teller mit fünf Keksen. Was wie eine willkommene kleine Pause aussah, war in Wirklichkeit der eigentliche Zweck des Experiments. Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass niemand den letzten Keks nehmen würde, und tatsächlich blieb dieser liegen. Schließlich ist es ein Grundsatz guten Benehmens, sich in solch einer Situation zurückzuhalten.

Aber was geschah mit dem vierten Keks, den jeder hätte essen können, ohne mit den anderen darüber verhandeln zu müssen oder sich in eine peinliche Situation zu bringen? Das Experiment zeigte, dass schon der leiseste Anflug von Macht eine erstaunliche Wirkung hat: Die "Chefs" griffen nicht nur am ehesten zu dem vierten Keks, sondern zeigten sich auch in ihrem Essverhalten viel ungehemmter: Sie kauten mit offenem Mund und verstreuten ihre Krümel überall.

Dieses klug arrangierte kleine Experiment veranschaulicht eine Erkenntnis, die sich wie ein roter Faden durch viele wissenschaftliche Untersuchungen zieht: Wenn ein Mensch – unabhängig von seinem Charakter – in einer Machtposition ist, beginnt er sich erstens mehr auf seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu konzentrieren, kümmert sich zweitens weniger um die Wünsche, Bedürfnisse und Handlungen anderer Menschen und verhält sich drittes so, als gälten die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, an die andere sich halten sollen, nicht für ihn selbst.

Schlimmer noch: Viele Chefs lassen sich durch ihre Machtposition zu dem Irrglauben verleiten, sie seien über alle wichtigen Entwicklungen in ihrem Unternehmen im Bilde, auch wenn sie über viele Fakten erstaunlich schlecht Bescheid wissen. Diese Managerkrankheit nennt sich "The Fallacy of Centrality" (auf Deutsch: "Der Irrtum der zentralen Position", zuerst beschrieben vom amerikanischen Soziologen Ron Westrum – Anm. d. Red.). Sie zeigt sich in der Annahme von Führungskräften, sie wüssten automatisch alles, was sie brauchten, um als Chef erfolgreich zu sein, nur weil sie eine zentrale Position bekleideten.

Die Kehrseite der Medaille: Mitarbeiter betreiben oft einen ungeheuren Aufwand, um selbst den unbedeutendsten Schritt ihres Vorgesetzten zu beobachten, zu interpretieren und sich Sorgen darüber zu machen. Dieses Phänomen kennen wir von Tieren schon seit Langem: Die Mitglieder einer Paviangruppe blicken etwa alle 20 bis 30 Sekunden auf das Alphamännchen, um zu sehen, was es gerade tut. Menschen kontrollieren das Verhalten ihres Chefs zwar nicht ganz so oft; doch auch in menschlichen Gruppen ist diese Verhaltenstendenz gut dokumentiert. Die Psychologin Susan Fiske sagt dazu: "Aufmerksamkeit richtet sich in Hierarchien von unten nach oben. Eine Sekretärin weiß mehr über ihren Chef als umgekehrt; Studenten wissen mehr über den Professor als der über sie." Fiske erklärt es so: "Menschen achten auf jene Personen, die Kontrolle über ihre Zukunft haben. Sie sammeln Informationen über Leute, die Macht besitzen, um voraussehen und womöglich auch beeinflussen zu können, was mit ihnen passieren wird."

Außerdem neigen sie dazu, die Handlungen ihres Chefs negativ zu interpretieren. Dacher Keltner und seine Kollegen haben dazu folgende Beobachtung gemacht: Wenn der Chef etwas tut, was sich nicht eindeutig interpretieren lässt (was also gut oder schlecht für die Mitarbeiter sein kann), deuten diese das meist als Zeichen dafür, dass ihnen etwas Schlechtes bevorsteht. Ähnliche Studien haben gezeigt, dass Menschen am unteren Ende der Hackordnung von ihrer Arbeit abgelenkt werden, wenn sie sich durch ihre Vorgesetzten bedroht fühlen. Sie setzen ihre Energie nicht mehr für ihre eigentliche Arbeit ein, weil sie herauszufinden versuchen, was vor sich geht, und weil sie mit ihren Ängsten und Sorgen beschäftigt sind. Vielleicht suchen sie im Internet nach Informationen oder stecken die Köpfe mit Kollegen zusammen, um Klatsch und Tratsch auszutauschen, sich zu beklagen und einander emotional zu unterstützen. All das wirkt sich negativ auf ihre Leistungen aus.

Selbst in guten Zeiten sind Chefs anfällig für diese schädliche Kombination. In einer Krise jedoch potenzieren sich beide Seiten dieser Dynamik. Führungskräfte bilden sich das nicht nur ein: Es ist tatsächlich schwerer, ein guter Chef zu sein, wenn die Wirtschaft lahmt. Der Stress, unter dem Sie jetzt stehen, verleitet Sie dazu, sich emotional abzuschotten und Ihre ganze Aufmerksamkeit darauf zu richten, was Ihre Vorgesetzten jetzt wohl vorhaben. Sie ziehen sich in Ihr Schneckenhaus zurück und haben mit Ihren eigenen Ängsten und Sorgen zu kämpfen.

Gleichzeitig werden Ihre Mitarbeiter auf die erhöhte Bedrohung reagieren und alles, was Sie tun, noch genauer beobachten als sonst. In Ihrem Verhalten suchen sie Anhaltspunkte dafür, was ihnen wohl bevorsteht und was sie dagegen unternehmen können. Und natürlich entspringen die drohenden Gefahren in einer schlechten Wirtschaftslage keineswegs einer blühenden Fantasie, sondern sind meist sehr real und treffen Ihr Unternehmen mit höherer Wahrscheinlichkeit als sonst. Alle Beteiligten sind nur Menschen mit den üblichen Schwächen, Eigenheiten und blinden Flecken. Die Ausstattung Ihres Unternehmens ist also die gleiche wie bisher, aber sie wird jetzt auf eine ungewöhnlich harte Probe gestellt.

Wie können wohlmeinende Führungskräfte dieser tückischen Kombination vorbeugen? Zum Beispiel, indem sie ihre Aufmerksamkeit nicht mehr so sehr auf sich selbst richten, sondern sich mehr um die Sorgen und Probleme ihrer Leute kümmern. Vorgesetzte, die das beherzigen, werden feststellen, dass Menschen in stressigen Zeiten ein intensives – und oft unerfülltes – Bedürfnis nach vier Gegenmitteln haben: Berechenbarkeit, Durchblick, Kontrolle und Mitgefühl (siehe dazu auch den Kasten "Das Beispiel Procter & Gamble" rechts). Mein Mentor Robert Kahn und ich haben die ersten drei dieser Faktoren in einem Beitrag aus dem Jahr 1987 beschrieben und uns dabei von den hervorragenden und miserablen Vorgesetzten inspirieren lassen, die wir während einer tiefen Rezession im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten beobachtet hatten. Einige Jahre später wies mich mein Kollege Jeffrey Pfeffer auf das vierte, ebenso wichtige Mittel gegen Stress im Unternehmen hin.

Man kann gar nicht genug betonen, wie wichtig Berechenbarkeit für das Leben eines Menschen ist. Dies wurde auch in verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewesen. Am berühmtesten ist die Sicherheitssignal-Hypothese, die der US-Psychologe Martin Seligman aufgestellt hat.

Er machte folgende Beobachtung: Wenn sich ein Stress auslösendes Ereignis vorhersagen lässt, können Menschen auch erkennen, wann ein solches Ereignis nicht eintreten wird. Menschen wissen also genau, wann sie wachsam sein oder sich Sorgen machen müssen – und wann nicht.

Als Beispiel nennt Seligman die Funktion des Fliegeralarms während der Bombenangriffe auf London im Zweiten Weltkrieg. Auf dieses Signal konnten sich die Menschen hundertprozentig verlassen, sodass sie vollkommen angstfrei ihrem Tagesgeschäft nachgingen, solange kein Sirenengeheul ertönte. Diese Hypothese stützte Seligman durch Studien, in denen Tiere Elektroschocks erhielten. Manche von ihnen wurden vor dem Schock gewarnt, andere dagegen nicht. Jene Tiere, die keine Warnung erhielten, lebten in einem Zustand ständiger Angst.

Das Gleiche gilt für "Schocks" innerhalb eines Unternehmens wie beispielsweise Entlassungen. Wenn Sie Ihre Mitarbeiter möglichst genau dar-über informieren, was passieren wird, wann es passieren wird und was dabei auf sie persönlich, auf ihr Team und auf das gesamte Unternehmen zukommt, können sie sich so gut wie möglich darauf vorbereiten und werden weniger darunter leiden. Und – auch das ist wichtig – sie lernen, entspannt zu bleiben, wenn das Management keine Warnungen ausspricht.

Das war auch die Überlegung des CEOs einer gemeinnützigen Organisation, der seiner Belegschaft ein ermutigendes Memo zukommen ließ. Darin beschrieb er im Detail das Worst-Case-Szenario, das eintreten würde, falls sich die Börsenkurse und die Spendenbereitschaft der Bevölkerung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nicht wieder erholten. Aber er bereitete seine Belegschaft nicht nur auf eine Zukunft vor, in der es Entlassungen geben könnte, sondern gab ihnen gleichzeitig ein Versprechen: Keiner von ihnen würde innerhalb der nächsten drei Monate gekündigt werden.

In einem anderen mir bekannten Unternehmen beschloss das Management, tiefere Personaleinschnitte vorzunehmen als aktuell notwendig, um der Belegschaft nicht gleich danach eine zweite Kündigungswelle zumuten zu müssen, was zwangsläufig Ängste vor weiteren Entlassungen ausgelöst und die Leute noch mehr aus dem Konzept gebracht hätte. Anschließend teilte das Führungsteam der Belegschaft mit, dass zwar in der Zukunft weitere Entlassungen notwendig sein könnten, es aber zumindest in den nächsten sechs Monaten keine geben werde.

Wenn man den Menschen möglichst viel Berechenbarkeit bietet, gibt man ihnen das Gefühl, nicht so sehr der Willkür des Zufalls ausgeliefert zu sein. Sicherlich gibt es auch Zeiten, in denen sie sich nach etwas Neuem, Überraschendem sehnen. Fast jeder kommt irgendwann in seinem Leben an einen Punkt, an dem er – um es mit den Worten von Arthur Conan Doyle auszudrücken – die langweilige Routine der Existenz verabscheut. Aber dies ist nicht der Moment dafür. Es ist außerdem wichtig zu verstehen, dass es zu einem großen Teil von den Eigenheiten der Unternehmensgeschichte abhängt, ob Mitarbeiter einen Vorgang als überraschend oder gewohnt, fair oder unfair empfinden.

Leider ist es so, dass Ihren Mitarbeitern Entlassungen, Gehaltskürzungen und andere Schicksalsschläge umso mehr zu schaffen machen, je besser Sie vorher mit ihnen umgegangen sind. So hatte der Chiphersteller Advanced Micro Devices (AMD) immer stolz verkündet, dass er grundsätzlich keine Mitarbeiter entlasse, und Unternehmen, die Kündigungen aussprachen, als "kurzsichtig und menschenfeindlich" bezeichnet. Im Jahr 1986 allerdings musste auch AMD notgedrungen Stellen streichen. Darauf reagierten die Mitarbeiter mit einem Ausmaß an Zorn und Verzweiflung, das vielen Beobachtern als unangemessen heftig erschien.

Ähnlich starke Reaktionen gab es auch bei anderen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter in der Vergangenheit immer sehr human behandelt hatten – etwa Levi Strauss oder Hewlett-Packard – und die irgendwann gezwungen waren, Leute zu entlassen. Firmen dagegen, die ihre Mitarbeiter schon immer als bloße Kostenfaktoren betrachtet haben und sie beim ersten Anzeichen einer Wirtschaftskrise auf die Straße setzten, zögern auch diesmal nicht mit den Entlassungen – schließlich haben ihre Mitarbeiter nichts anderes erwartet.

Eine im Jahr 2006 veröffentlichte Studie von Christopher Zatzick und Roderick Iverson unter 3080 kanadischen Arbeitgebern hat gezeigt, dass Entlassungen sich am negativsten in jenen Unternehmen auswirken, die sich besonders gut um ihre Mitarbeiter kümmern – wo Angestellte mehr Verantwortung tragen, eigene Entscheidungen treffen dürfen und besser behandelt werden als in Unternehmen allgemein üblich.

Zatzick und Iverson stellten außerdem fest, dass die Produktivität in ehemals humanen Unternehmen am stärksten nachließ, wenn diese ihren Mitarbeitern gleich zwei schwere Schläge auf einmal versetzten: Sie nahmen tiefe Personaleinschnitte vor und wichen gleichzeitig von ihrer bisherigen Politik ab, die Belegschaft in Entscheidungsprozesse einzubinden. Wie viel Arbeitsengagement die Mitarbeiter zeigen und wie verärgert oder ängstlich sie reagieren, hängt also nicht nur vom objektiven Sachverhalt ab, sondern auch von der Diskrepanz zwischen dem, was sie erwarten, und dem, was tatsächlich passiert.

Wenn Berechenbarkeit sich um die Frage dreht, was passieren wird und wann, dann hat Durchblick wohl eher mit dem Wie und Warum zu tun. Er-klären Sie Ihren Mitarbeitern grundsätzlich bei jeder größeren Veränderung, warum diese Maßnahme notwendig ist und welche Auswirkungen sie haben wird, und zwar so detailliert wie möglich. Auch diese Empfehlung basiert auf wissenschaftlichen Untersuchungen: Menschen reagieren negativ auf Ereignisse, die ihnen nicht erklärt werden (siehe dazu auch den Kasten "Warum Schweigen genau das Falsche ist" rechts). Dieser Effekt ist so ausgeprägt, dass es besser sein kann, eine Erklärung abzugeben, die den Mitarbeitern missfällt, als gar nichts zu sagen – vorausgesetzt, die Erklärung ist glaubwürdig.

Ein guter Chef weiß auch, dass er mehr als einmal mit seinen Leuten kommunizieren muss, um einer großen Gruppe von Mitarbeitern ein echtes Verständnis der Sachlage zu vermitteln. Erinnern wir uns an den oben erwähnten Geschäftsführer eines Technologiekonzerns, dessen Mitarbeiter mit Arbeitsplatzverlusten rechneten, obwohl das Geschäft des Unternehmens wuchs. Dieser Chef ging nicht einfach davon aus, dass seine positive Botschaft ("keine Kündigungen") den Leuten bis auf Weiteres genügen würde. Ihm war klar, dass er sie mehrmals wiederholen musste, und er suchte nach anderen Wegen, um seiner Belegschaft die Sachlage verständlich zu machen. "Wir haben den Mitarbeitern sogar unsere Kontoauszüge gezeigt", erzählte er mir, "damit sie sahen, dass wir finanziell abgesichert waren und sie nichts zu befürchten hatten."

Wenn in einem Unternehmen Panik ausbricht, ist es besonders schwierig, neue Ideen in den Köpfen der Mitarbeiter zu verankern oder ihnen neue Verhaltensweisen zu vermitteln, egal ob sie einfach oder komplex sind. Dann müssen Sie sich als Vorgesetzter Botschaften einfallen lassen, mit denen Sie Mitarbeiter erreichen, die verwirrt und aufgeregt sind und in unklaren Situationen zu Schwarzmalerei neigen. In der internen Kommunikation sollte Ihr Mantra daher lauten: "Einfach, konkret, wiederholt".

Denken Sie an Flug 1549, der im Januar 2009 kurz nach seinem Start in New York unter der Bezeichnung "Das Wunder vom Hudson" in die Geschichte der Luftfahrt einging. Als die Maschine zur Notwasserung ansetzte, riefen die Flugbegleiter den Passagieren im Chor zu: "Achtung, Köpfe runter, unten bleiben." Chefs, die ihre Mitarbeiter erfolgreich durch eine Krise führen wollen, müssen ihnen eine ebenso klare, eindeutige Richtung vorgeben. Aus verschiedenen wissenschaftlich erwiesenen Gründen, die Chip und Dan Heath in ihrem Buch "Was bleibt" erklärt haben, setzen Menschen solche Anweisungen nämlich eher um. Die besten Chefs, die ich kenne, sind aufgrund ihrer Erfahrungen zu einem ähnlichen Schluss gekommen. Zu ihnen gehört auch A. G. Lafley, der erfolgreiche ehemalige CEO von Procter & Gamble (neuer CEO wurde im Juli 2009 Bob McDonald; danach übernahm Lafley noch einmal von 2013 bis 2015 die Führung des Konzerns – Anm. d. Red.). Einer seiner Lieblingsratschläge lautet: "Sagen Sie es so einfach wie in der Sesamstraße."

Denken Sie immer daran: Womöglich haben Sie eine Stunde gebraucht, um eine E-Mail an Ihre Mitarbeiter zu formulieren, und noch mehr Zeit investiert, damit alle genau wissen, was auf sie zukommt und wie sie sich am besten verhalten sollten; trotzdem haben manche Mitarbeiter vielleicht nur einen flüchtigen Blick auf Ihre Mail geworfen oder sich schon bei den ersten Worten so aufgeregt, dass die Botschaft einfach nicht hängengeblieben ist. Ich vermute, dass Lafley einige seiner Sesamstraßen-Botschaften so oft wiederholt hat, dass sie ihn zu Tode langweilten. Aber er ist klug genug zu wissen, dass immer jemand im Raum ist, der sie vorher noch nicht mitbekommen hat – und dass diejenigen, die sie zum zehnten Mal hören, daraus nur schließen können, dass er es ernst meint. Wenn

Sie Ihren Leuten nicht immer wieder das Gleiche sagen – auch wenn es Sie insgeheim anödet –, wiederholen Sie sich vielleicht nicht oft genug, oder Ihre Botschaften sind zu komplex.

Kein Mensch schlägt eine berufliche Karriere ein, um sich dann machtlos zu fühlen. Der ganze Sinn unserer Arbeit besteht darin, Ergebnisse zu erzielen und etwas zu bewirken. Deshalb sind Menschen auch immer so frustriert, wenn sie sich Ereignissen hilflos ausgeliefert fühlen. In einer schlechten Wirtschaftslage können Sie Ihrer Belegschaft vielleicht nicht allzu viel Kontrolle darüber einräumen, was passieren wird; aber sie sollte zumindest so viel wie möglich dabei mitreden können, wann und wie es passieren wird.

Auch in Zeiten, in denen ihm die Wellen über dem Kopf zusammenzuschlagen drohen, findet ein guter Chef noch Mittel und Wege, weiterhin regelmäßige Etappensiege zu erzielen, so unbedeutend sie auch sein mögen. Der amerikanische Organisationsforscher Karl Weick hat die Hintergründe dieser Strategie in seinem Klassiker "Small Wins" erklärt: Wenn ein Hindernis zu groß, zu kompliziert oder zu schwierig erscheint, lassen sich die Menschen leicht davon überwältigen und erstarren vor lauter Angst. Ist das Problem dagegen in mehrere kleinere, weniger entmutigende Teilschritte untergliedert, gehen sie es selbstbewusst an und versuchen es zu lösen.

Eine mir bekannte Führungskraft in einem krisengeschüttelten Unternehmen startete vor Kurzem eine wichtige Werbeaktion, die im günstigsten Fall auf eine Gehaltserhöhung für alle Mitarbeiter hinausläuft; im schlimmsten Fall kommen auf die Belegschaft Entlassungen zu, und dem Unternehmen droht womöglich gar der Konkurs. Es ist eine Alles-oder-nichts-Strategie, die durchaus dazu angetan war, die bereits beunruhigten Mitarbeiter vollends in Angst und Schrecken zu versetzen. Doch der Chef ließ seinen Leuten erst gar keine Zeit, sich über das Ausmaß dieser Herausforderung Gedanken zu machen. Stattdessen startete er das Projekt, indem er sein Team bat, sich auf Klebezetteln jede einzelne Aufgabe zu notieren, die für den erfolgreichen Launch der Kampagne erforderlich waren. Dann sortierte er die Zettel an einer Wandtafel danach, ob diese Aufgaben in den Augen des Teams leicht oder schwierig waren. Dabei stellte sich heraus, dass mehr als 50 Prozent der Maßnahmen als leicht eingestuft wurden und sich innerhalb von wenigen Tagen erledigen ließen. Als Nächstes bat er Freiwillige, sich um jeweils eine dieser Aufgaben zu kümmern und allen Mitgliedern des Teams per E-Mail Bericht zu erstatten, sobald sie erledigt war.

In der darauffolgenden Woche machten die Mitarbeiter bei dem Projekt nicht nur eine Menge Fortschritte; die freudige Erregung, die mit den vielen "Erledigt"-Mails einherging, verringerte außerdem ihre kollektiven Ängste, steigerte ihre Teamenergie und gab ihnen die Zuversicht, auch die schwierigen Aufgaben gut zu bewältigen.

Jerald Greenberg, Managementprofessor an der Ohio State University, hat überzeugende Beweise dafür geliefert, dass sich auch Mitgefühl in schwierigen Zeiten messbar positiv auswirkt. Er untersuchte drei nahezu identische Produktionsstätten im Mittleren Westen der USA, die alle zum selben Unternehmen gehörten. Zwei davon (die das Management per Zufall ausgewählt hatte) kürzten ihren Mitarbeitern zehn Wochen lang vorübergehend den Lohn um 15 Prozent, nachdem das Unternehmen einen wichtigen Auftrag verloren hatte. In einer dieser beiden Fabriken kündigte der Chef die Lohnkürzung mit knappen Worten an und erklärte dann: "Ich kann Ihnen noch eine oder zwei Fragen beantworten, dann muss ich zum Flughafen, um zum nächsten Meeting zu fliegen."

Im zweiten Werk gab der Manager, der seinen Mitarbeitern die Hiobsbotschaft mitteilte, eine ausführliche Erklärung ab, entschuldigte sich für diese Maßnahme und drückte mehrfach sein Bedauern darüber aus. Außerdem nahm er sich eine volle Stunde Zeit, um die Fragen der Mitarbeiter zu beantworten: warum die Kosteneinsparungen notwendig waren, wer davon betroffen sein würde und was die Arbeiter für sich und ihren Standort tun konnten.

In seiner Untersuchung fand Greenberg hochinteressante Auswirkungen auf die Diebstahlraten bei den Mitarbeitern: In dem Werk, dessen Chef kurz angebunden gewesen war, stieg die Rate auf über 9 Prozent; im anderen Werk, dessen Management sich ausführlich erklärt und Mitgefühl gezeigt hatte, erhöhte sie sich nur auf 6 Prozent. In der dritten Produktionsstätte, in der es keine Gehaltskürzungen gegeben hatte, blieb die Rate während der zehn Wochen unverändert bei 4 Prozent.

Als die Mitarbeiter in den ersten beiden Werken wieder ihr gewohntes Gehalt bekamen, sanken die Diebstahlraten auch dort wieder auf die ursprünglichen 4 Prozent. Greenberg hat diese Daten so interpretiert, dass die Mitarbeiter an den ersten beiden Standorten mehr Dinge mitgehen ließen, um es ihrem Arbeitgeber heimzuzahlen. Am meisten wurde in dem Werk gestohlen, dessen Management einen Mangel an Mitgefühl gezeigt hatte – weil es für die Arbeiter dort mehr Gründe gab, mit ihrem Vorgesetzten abzurechnen. Das deutet darauf hin, dass mitfühlendes Verhalten des Chefs zum Unternehmenswert beiträgt – in guten wie in schlechten Zeiten. Und, noch besser: Es kostet keinen Cent.

Mitgefühl kann verschiedene Formen annehmen. Im Grunde geht es nur darum, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, ihre Sorgen zu verstehen und sich ehrlich Mühe zu geben, diese Ängste auszuräumen. Eine Managerin, die gerade die zweite Entlassungswelle in ihrem Unternehmen abgeschlossen hatte, erzählte mir, welch wertvolle Lektion zum Thema Einfühlungsvermögen sie dabei gelernt hatte: Wenn ein Chef seinem Mitarbeiter eine schlechte Nachricht übermittelt, ist er diesem in seiner emotionalen Reaktion zwangsläufig schon einen Schritt voraus. Denn zum Zeitpunkt des Gesprächs hat er seinen Schock, seine Wut und Verlegenheit angesichts dieser Hiobsbotschaft bereits verarbeitet; er hat in Gedanken alle möglichen Szenarien durchgespielt, Entscheidungen getroffen und sich damit arrangiert. "Sie dürfen nicht vergessen", erklärte mir diese Führungskraft, "dass der Mitarbeiter, der Ihnen am Tisch gegenübersitzt, diese Nachricht zum ersten Mal hört und gerade erst mit dem Verarbeitungsprozess beginnt." Er ist innerlich noch gar nicht bereit, sich mit den Gedankengängen seines Chefs auseinanderzusetzen; und vielleicht ist er auch entsetzt darüber, wie nüchtern dieser sie ihm präsentiert.

Als Chef sollten Sie auch nicht davon ausgehen, dass die erste Reaktion Ihres Mitarbeiters lange anhalten wird. Wie mir die Managerin erzählte, kamen manchmal Mitarbeiter, die sie zunächst umarmt und sich bei ihr bedankt hatten, einige Tage später zurück und schrien sie an, nachdem sich der Schock gelegt hatte. Andere Mitarbeiter wiederum, die anfangs verärgert reagiert hatten, entschuldigten sich später bei ihr, umarmten sie und bedankten sich.

Mitgefühl ist vor allem dann wichtig, wenn es Menschen hilft, ihre Würde zu bewahren. Wenn Entlassungen und Werksschließungen unvermeidlich sind, muss die Chefin oder der Chef sich um die emotionalen Bedürfnisse der entlassenen Mitarbeiter kümmern; das ist nicht nur für sie wichtig, sondern auch für jene Kollegen, die von den Stellenstreichungen nicht betroffen sind. Es gibt nach Entlassungen kaum etwas Schlimmeres, als wenn Vorgesetzte die gekündigten Mitarbeiter schlechtmachen oder sich irgendwie abfällig über sie äußern. Selbst wenn Sie innerlich davon überzeugt sind, dass Sie lediglich die Minderleister aussortiert haben: Wenn Sie dies aussprechen, verärgern und demoralisieren Sie Ihre verbleibenden Mitarbeiter. Womöglich treiben Sie die besten von ihnen damit sogar zur Konkurrenz.

Ray Kassar, der frühere CEO von Atari, sorgte in den 80er Jahren für großen Unmut, als er seiner verbleibenden Belegschaft nach tiefen personellen Einschnitten erklärte, nun seien alle schwachen Mitarbeiter aus dem Unternehmen ausgeschieden, nur die guten seien noch da. Viele der verbliebenen Mitarbeiter, die wir interviewten, hielten die Entlassungen für eine rein politische Maßnahme und waren überzeugt, dass das Unternehmen einigen hervorragenden Mitarbeitern gekündigt hatte.

Leider haben nicht alle Führungskräfte aus Kassars Fehlverhalten gelernt. Elon Musk, der CEO des Elektrosportwagenbauers Tesla Motors (Stückpreis eines Wagens: etwa 100.000 US-Dollar) reduzierte seine Belegschaft Ende 2008 um rund 10 Prozent. Obwohl Musk dabei geschickter vorging als Kassar, gab er doch ziemlich deutlich zu verstehen, dass das Unternehmen sich von den schwächsten Mitarbeitern trennen wolle. "Unter anderem habe ich vor", schrieb er in jenem Oktober, "die Leistungsmesslatte bei Tesla auf ein sehr hohes Niveau anzuheben, wodurch sich der Personalbestand in nächster Zeit etwas reduzieren wird. Um es deutlich zu machen: Das heißt nicht, dass die Mitarbeiter, von denen sich Tesla aus diesem Grunde trennt, nicht in den meisten Unternehmen als gute Arbeitskräfte gelten würden – das gilt für fast alle. Ich bin aber überzeugt, dass Tesla sich in dieser Phase seiner Entwicklung strenger an eine klar definierte Mitarbeiterphilosophie halten muss, wenn wir einer der großen Autohersteller des 21. Jahrhunderts werden wollen."

Elon Musks Äußerung wurde innerhalb wie außerhalb des Unternehmens als unangebracht und destruktiv interpretiert. Sie lehrt uns allerdings eine wertvolle Erkenntnis: Bevor wir eine Erklärung abgeben, sollten wir erst einmal überlegen, wie sie sich in den Ohren eines geschockten und dementsprechend empfindlichen Mitarbeiters anhört.

Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern mehr Berechenbarkeit, Durchblick, Kontrolle und Mitgefühl bieten, helfen diesen, auch in sorgenvollen Zeiten optimale Leistungen zu erbringen – und die Beschäftigten werden es ihnen mit großer Loyalität danken. Wer alle vier Punkte erfüllt, wird als Chef wahrgenommen, dessen Leute "hundertprozentig hinter ihm stehen". Diese Formulierung sollten Sie zum Maßstab für Ihr ganzes Verhalten machen, wann immer Ihre Mitarbeiter sich gefährdet fühlen, denn sie wird all Ihre Handlungen prägen – von der kleinsten Geste bis hin zu den großen, wichtigen Maßnahmen.

Vor Jahren beriet ich während eines Konjunkturabschwungs eine interne Unternehmensberatung von Hewlett-Packard namens SPaM, die sich mit Supply-Chain-Management beschäftigte. Das Unternehmen musste damals dringend sparen und strich daher die kostenlosen Donuts am Morgen – das Ende einer langjährigen Tradition. Damals machten die Mitarbeiter von SPaM viele Überstunden und brachten dem Unternehmen eine Menge Geld ein. An dem Tag, an dem die Donuts verschwanden, waren sie auffallend verärgert – und auffallend stolz, glücklich und motiviert, als ihr Chef Corey Billington dann doch noch SPaM-interne Gelder lockermachte, um die Donuts wieder einzuführen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich eines Morgens direkt nach der "Rückkehr der Donuts" in der Kaffeeküche saß. Einer der ersten Mitarbeiter, die hereinkamen, nahm kaum Notiz von mir. Aber als er die Teller mit Donuts sah, sagte er unwillkürlich: "Klasse, dass der Chef so auf unserer Seite ist!"

Vorgesetzte, die sich so verhalten, handeln nicht eindimensional, sondern auf vielen verschiedenen Ebenen. Ich bekomme heute noch Geschichten über Bill Campbell zu hören, der Anfang der 90er Jahre die Führungsriege des in Schwierigkeiten geratenen Computerherstellers Go leitete, eines Anbieters von stiftbedienbaren PC. Campbell wird liebevoll "der Trainer" genannt, denn er war in den 70er Jahren Cheftrainer des Columbia-Footballteams und ist im Silicon Valley sehr angesehen. (Er galt als einer der vertrautesten Berater von Steve Jobs.) Er spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung zahlreicher Unternehmen und war Mentor von Dutzenden Chefs, angefangen beim Führungsteam von Google über den Netscape-Mitbegründer Marc Andreessen bis hin zum Unternehmer und Risikokapitalgeber Randy Komisar.

Ich habe mit Komisar ausführlich darüber gesprochen, wie Campbell damals kämpfte, um Go über diese schwierigen Zeiten hinwegzuretten, und darüber, warum kein einziger Mitarbeiter seines Spitzenteams das Unternehmen verließ, obwohl die Situation immer aussichtsloser schien. Als ich Komisar bat, mir zu erklären, wie Campbell es schaffte, in seinen Leuten so große Loyalität und ein solches Engagement für die Rettung des Unternehmens zu wecken, präsentierte er mir folgende eindrucksvolle Liste:

  • Campbell umarmte Leute, die ihm über den Weg liefen.

  • Er hatte immer irgendeinen abgedroschenen Witz auf Lager, den jeder von uns schon nach kurzer Zeit hätte zu Ende erzählen können; doch aus diesem Verhalten sprach aufrichtige Herzlichkeit.

  • Seine Tür stand immer offen, und er führte Vieraugengespräche mit Mitarbeitern aller Unternehmensebenen, achtete aber immer darauf, die Autorität seiner Manager nicht zu untergraben.

  • Er belohnte Loyalität ausdrücklich, hob Mitarbeiter in Präsentationen lobend hervor und baute diejenigen auf, die echtes Engagement zeigten.

  • Mangelnde Loyalität und fehlendes Engagement bestrafte er, indem er den betreffenden Mitarbeitern seine Aufmerksamkeit und herzliche Zuwendung entzog. Jeder konnte das spüren.

  • Er bestand auf exzellenten Leistungen und machte seine Leute verantwortlich für alles, was sie taten. Gute Arbeit belohnte er nicht mit Geld, sondern mit Verantwortung und dem Status, den seine besondere Aufmerksamkeit den Mitarbeitern verlieh.

  • Er war immer sichtbar.

  • Er setzte sich gegenüber Investoren, Partnern oder Konkurrenten für seine Mitarbeiter und sein Unternehmen ein. Alle kannten diese Geschichten und erzählten sie so oft weiter, bis sie zur Legende wurden.

Auch Risikokapitalgeber John Doerr erzählte dem "Fortune"-Magazin von Campbell: "Als wir Go liquidieren mussten, lief Bill zu Hochform auf. Am wichtigsten war es ihm, dass wir uns um die Mit-arbeiter kümmerten – dass sie das Unternehmen verlassen konnten, ohne ihre Würde zu verlieren." Viele Mitglieder seines Führungsteams standen später erfolgreich an der Spitze anderer Unternehmen wie VeriSign, Netscape und LucasArts Entertainment. Doch seine Leute hielten Campbell nicht nur während des Kampfes um die Rettung von Go die Treue; die meisten Ehemaligen wie Komisar denken auch heute noch gern an diese Zeit zurück, die für sie mit die schönste ihres Lebens war.

Bill Campbells Geschichte enthält eine Lektion, die viele Chefs heutzutage außer Acht lassen, weil wirtschaftlich schwierige Zeiten bei ihnen oft mit Tunnelblick und Verzweiflung verbunden sind: Egal ob am Ende ein Sieg oder eine Niederlage steht – wenn Ihre Mitarbeiter überzeugt sind, dass Sie immer auf ihrer Seite stehen, zahlt sich das irgendwann aus. Wenn sie dagegen das Gefühl haben, dass Sie sie schon bei der kleinsten Krise im Stich lassen, kann dieser schlechte Ruf Sie auch später noch lange Zeit verfolgen. 

© HBP 2019

Der Autor 

Robert I. Sutton ist Professor für Management Science and Engineering sowie für Organizational Behavior an der Stanford University, wo er das Hasso Plattner Institute of Design und das Stanford Technology Ventures Program mitbegründete. Sutton ist Autor zahlreicher Bücher, darunter der Bestseller "Der Arschloch-Faktor".

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