Ikea, Renault, BP, Ferrero – So hart treffen die Russland-Sanktionen Europas Konzerne
Siemens und BMW ziehen sich aus Russland zurück. Doch nicht nur Deutschland leidet – welche Firmen und Branchen im europäischen Ausland die Folgen besonders zu spüren bekommen.
Es sind massive Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängt hat. Sie treffen die Oligarchen, die Märkte und die Unternehmen des Landes mit voller Wucht. Zugleich wirken die Erschütterungen zurück auf die großen Volkswirtschaften Westeuropas.
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Erste deutsche Unternehmen verabschieden sich aus Russland: Daimler Truck hat die Produktion und den Verkauf von Lastwagen dort gestoppt und erwägt einen kompletten Rückzug. BMW stoppt die Produktion in und den Export nach Russland. Auch Siemens stellt das Neugeschäft in dem Land ein und wird nur vertraglich bereits vereinbarte Serviceleistungen, zum Beispiel an Zügen, weiter erbringen.
Doch nicht nur in Deutschland führen die Sanktionen zu Verwerfungen. Wie groß ist das Russlandrisiko anderer europäischer Staaten? Trotz überschaubarer Handelsverflechtungen gibt es spürbare Auswirkungen auf einzelne Branchen und Firmen.
Frankreichs Autobauer Renault bangt um Absatz in Russland
Frankreichs Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire trat kürzlich Sorgen entgegen, dass die Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine auch der heimischen Wirtschaft stark schaden könnten. Lediglich etwas mehr als ein Prozent der französischen Exporte würde nach Russland gehen, sagte Le Maire. Bei den Importen mache Russland weniger als zwei Prozent aus.
Doch obwohl das Russland-Risiko der französischen Wirtschaft insgesamt eher gering ist – für einige Unternehmen steht viel auf dem Spiel. Besonders betroffen ist Renault, dem seit 2017 der russische Autobauer Avtovaz mit der Marke Lada gehört. Russland macht fast ein Fünftel der Autoverkäufe der Renault-Gruppe aus.
Renault legte die Produktion in seinem Werk bei Moskau am Montag vorübergehend still, in dem unter anderem der SUV Kaptur hergestellt wird. Zur Begründung hieß es aus dem Konzern, es gebe „Unterbrechungen bei der Versorgung mit Bauteilen“. Auch im Avtovaz-Werk im südrussischen Toljatti sei es zu Produktionsproblemen gekommen.
Ebenfalls betroffen sind die Einzelhandelsriesen der Mulliez-Gruppe, die ihr Russlandgeschäft in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark ausgebaut haben. So betreibt die Supermarktkette Auchan mehr als 200 Filialen in Russland, das Sportgeschäft Decathlon immerhin 60 Filialen.
Im französischen Finanzsektor bereiten die Sanktionen vor allem der Großbank Société Générale mit ihrer Tochter Rosbank Sorgen. Der Zeitung „Les Échos“ zufolge kursieren verschiedene Szenarien: Im schlimmsten Fall drohe ein kompletter Wertverlust des russischen Ablegers im Umfang von 2,7 Milliarden Euro.
Der Energiekonzern TotalEnergies hat eine Reihe von Beteiligungen im russischen Öl- und Gassektor. Konzernchef Patrick Pouyanné sagte, dass das Russlandgeschäft für drei bis fünf Prozent des Umsatzes stehe. „Das werden wir in den Griff bekommen“, sagte er. Trennen will sich Total von den russischen Aktivitäten bislang offenbar nicht.
Britische Ölkonzerne ziehen sich aus Russland zurück
In Großbritannien kündigte der Energiekonzern BP dagegen an, seinen knapp 20-prozentigen Anteil am russischen Ölkonzern Rosneft aufzugeben. Im ersten Quartal müsse man deshalb möglicherweise bis zu 25 Milliarden Pfund abschreiben. Mit Rosneft verliert BP ein Drittel seiner Öl- und Gasproduktion – und rund drei Milliarden Gewinn im Jahr.
Am Montag erklärte auch der zweite große Ölkonzern Shell seinen Rückzug aus Russland. Man werde alle Joint Ventures mit dem Staatskonzern Gazprom beenden. Das Unternehmen schätzt den Wert der Beteiligungen auf drei Milliarden Dollar.
Abgesehen davon sind Russland und die Ukraine jedoch keine wesentlichen Handelspartner für das Königreich. Die Exporte in die beiden Länder liegen bei rund fünf Milliarden Pfund im Jahr, die Importe bei 13 Milliarden Pfund. Die größten Auswirkungen auf britische Firmen hätten die steigenden Preise für Energie und Rohstoffe, sagt die Chefvolkswirtin des Unternehmerverbands CBI, Rain Newton-Smith.
Der Londoner Finanzsektor leidet vor allem unter der allgemeinen Unsicherheit, die ein Krieg mit sich bringt. In Krisensituationen vermeiden viele Marktteilnehmer das Risiko. Banker klagen, dass Anleihe-Emissionen, Börsengänge und Fusionspläne vorerst auf Eis gelegt werden.
Russischer Weizen als Risiko für italienische Pasta
Da sich die Sanktionen der westlichen Regierungen insbesondere gegen russische Finanzfirmen und Superreiche richten, verlieren einige Londoner Dienstleister auch wichtige Kunden. Die Großbanken HSBC und Barclays betonten allerdings vergangene Woche, dass ihr Russlandgeschäft sehr begrenzt sei.
Italien ist mit einem Volumen von knapp acht Milliarden Euro der viertgrößte Exporteur innerhalb der EU, mehr als 11.000 italienische Firmen sind in Russland aktiv. Der Ukrainekrieg könnte Italien einen ganzen Punkt beim Wirtschaftswachstum kosten, hat das Wirtschaftsforschungsinstitut CER in Rom errechnet.
Schon die Sanktionen nach der Krim-Annexion haben die Unternehmen deutlich zu spüren bekommen: Um mehr als 28 Prozent ist der Export seitdem eingebrochen. Der Handwerksverband Confartigianato hat errechnet, dass die kleinen und mittelständischen Betriebe dadurch knapp 25 Milliarden Euro an Umsatz verloren haben.
Nun wird eine weitere Abwärtsspirale befürchtet, etwa in der Nahrungsmittelindustrie: 18 Prozent des italienischen Exports nach Russland machen Lebensmittel und Getränke aus, vor allem Nudeln und Wein. Gleichzeitig drohen durch den Ukrainekrieg höhere Preise auf dem Getreidemarkt: Die italienischen Pasta- und Kekshersteller sind recht abhängig von russischen Weizenexporten, die Viehzüchter von ukrainischem Mais als Futtermittel.
Der staatliche Ölproduzent Eni gab bekannt, seine Beteiligung an der von Gazprom betriebenen Pipeline Blue Stream zu verkaufen, die Gas aus Russland in die Türkei bringt. Der schweizerisch-italienische Logistikriese MSC kündigte an, keine Aufträge mehr von und nach russischen Häfen anzunehmen.
Andere große Unternehmen vor Ort sind etwa der staatliche Energieversorger Enel, der in Russland zwei Gaskraftwerke und einen Windkraftpark betreibt. Der Zementhersteller Buzzi Unicem kontrolliert in der Region Jekaterinburg eine der größten Zementfabriken im Land, die pro Jahr etwa 2,5 Millionen Tonnen produziert. Der Nutella-Hersteller Ferrero betreibt gut 180 Kilometer östlich von Moskau seit 2008 ein Werk mit 900 Mitarbeitern.
Zu den besonders betroffenen Branchen zählen auch die Pharmaindustrie, Maschinenbauer und die Mode- und Textilindustrie, die allein 1,5 Milliarden Euro in Russland umsetzt. So macht etwa der Schuhproduzent Geox neun Prozent seines Umsatzes vor Ort. Dazu kommt der Möbelsektor, in Italien sehr mittelständisch geprägt, der vergangenes Jahr Produkte im Wert von 400 Millionen Euro nach Moskau exportierte.
Spaniens Firmen seit Jahren auf Rückzugskurs
Spanische Unternehmen haben ihre Beziehungen zu Russland bereits 2014 deutlich reduziert, als die EU nach der Annexion der Halbinsel Krim Sanktionen gegen das Land verhängt hat. „Die Sanktionen damals waren für Spaniens Firmen viel bedeutender als jetzt und haben damals vor allem die Nahrungsmittelbranche getroffen“, sagt Juan Carlos Martínez Lázaro, Ökonom an der Madrider Business School IE.
Zu den Hauptexportgütern Spaniens nach Russland gehörten 2020 Maschinen, Textilien und Autos. Allerdings machten die spanischen Exporte nach Russland nur 0,15 Prozent der spanischen Wirtschaftsleistung aus.
Nach Angaben von Informa D&B, einem Datenlieferanten für die Bewertung von Handelsrisiken, haben 149 spanische Unternehmen Filialen in Russland. Dazu gehört der spanische Textilriese Inditex, der mit 527 Läden seiner Marken wie Zara oder Massimo Dutti in Russland vertreten ist.
Die größte Sorge der spanischen Unternehmen sind die Folgen des durch den Krieg erhöhten Gas- und Öl-Preises. „Die Zentralbanken sind bisher davon ausgegangen, dass sich die Inflation ab dem Frühjahr normalisiert – das ist jetzt schwieriger geworden“, sagt Ökonom Lázaro. Die Erholung der spanischen Wirtschaft könnte deshalb schwächer ausfallen.
Schwedens Möbelriese Ikea mit starker Präsenz in Russland
Die Russland-Sanktionen wiegen schwer für große schwedische Konzerne wie Ikea. Der Möbelhändler zählt zu den zehn größten ausländischen Firmen auf dem russischen Markt. Die Lage sei „sehr besorgniserregend“, erklärte eine Ikea-Sprecherin. Die 14 Möbelhäuser in Russland sind bislang geöffnet. Außerdem produzieren die Schweden in mehreren Fabriken in Russland. Über einen Boykott ist noch nicht entschieden worden.
Auch der Textilhändler H&M will noch nicht sagen, wie man in Russland weiter verfahren wird. Der Konzern betreibt 168 Geschäfte auf dem russischen Markt, der mit einem Umsatz im letzten Quartal von gut 200 Millionen Euro zu den zehn größten des Konzerns gehört.
Der schwedische Lkw-Produzent Volvo Lastvagnar gab am Montag bekannt, dass er seine Produktion und den Vertrieb in Russland mit sofortiger Wirkung einstellen werde. Volvo beschäftigt mehr als 1300 Mitarbeiter in Russland. Auch der zum chinesischen Geely-Konzern gehörende Pkw-Hersteller Volvo Cars hat den Verkauf von Autos in Russland bis auf Weiteres eingestellt.